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Kleine Tiere, große Wirkung: Wirbellose halten Ökosysteme am Laufen


Quelle/Bild: © Anita Risch, WSL. Auszäunungsexperiment im Schweizerischen Nationalpark. Der äußere Zaun hielt Hirsche von der Fläche fern, innerhalb des großen Zauns schlossen weitere Zäune Säugetiere und wirbellose Tiere aus.

Ob groß oder klein – pflanzenfressende Tiere wie Hirsche, Murmeltiere, Mäuse, Schnecken oder Insekten spielen eine zentrale Rolle im Ökosystem Wiese. Insbesondere wenn die Wirbellosen fehlen, zerfallen Nahrungsnetze und Nährstoffkreisläufe; das Ökosystem bricht zusammen. Dies zeigen die Resultate einer Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Schweizerischen Nationalpark.

Bislang ist wenig bekannt, wie sich ein Verlust von verschieden großen Tierarten – zum Beispiel vom Hirsch bis zur kleinen Blattlaus – auf die Vernetzungen und somit auch auf das Funktionieren eines Ökosystems auswirkt. Forschende der WSL und ihre Forschungspartner untersuchten in einem fünfjährigen Experiment erstmals unter realen Bedingungen, was bei einem selektiven Ausschluss von verschiedenen Pflanzenfressern im Ökosystem Wiese passiert. Vor allem der Verlust der wirbellosen Tiere könnte gravierende Folgen für diesen Lebensraum haben, legen die in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Nature Communications" veröffentlichten Ergebnisse nahe.

In Absprache mit der Parkverwaltung stellten die Forschenden von 2009 bis 2013 Zäune im Schweizerischen Nationalpark auf. Die Zäune schlossen die Pflanzenfresser der Größe nach von den Wiesen aus: zuerst die großen Säugetiere wie den Hirsch, dann die kleineren wie Murmeltier, Hase und Maus und zuletzt die wirbellosen Tiere wie Schnecken, Heuschrecken oder Blattläuse. Das Setup des Experiments entspricht der Realität: Sterben Tiere aus, verschwinden sie der Größe nach; zuerst die Großen, dann die Kleinen.

Wirbellose übernehmen, wenn Wirbeltiere verschwinden

Fehlten die großen Säugetiere, gab es mehr Interaktionen zwischen den verbleibenden Lebensgemeinschaften und ihrer unbelebten Umwelt, etwa der Bodenchemie, als wenn die Säugetiere anwesend waren. Konkret heißt dies zum Beispiel, dass vom Wegfallen der Huftiere schnellwüchsige Pflanzenarten profitierten, die Bodennährstoffe gut nutzen können (biotisch-abiotische Interaktion), auf Kosten von Pflanzen, die starke Beäsung ertragen (biotisch-biotische Interaktionen). Mit großen Säugern, in dieser Studie insbesondere mit Hirschen, funktioniert ein Ökosystem aber nicht schlechter als ohne; es funktioniert anders.

Wurden hingegen alle Tiere ausgeschlossen, auch die oberirdisch lebenden Wirbellosen, nahmen die Interaktionen sowohl zwischen Lebensgemeinschaften (z. B. zwischen Pflanzen und Bakterien im Boden) wie auch zwischen Lebensgemeinschaften und der unbelebten Umwelt (z. B. zwischen Pflanzen und Bodennährstoffen) ab. Die ober- und unterirdische Vernetzung wurde schlechter. "Wir nahmen an, dass vor allem die großen Tiere eine große Wirkung im System haben. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass auch die kleinen, wirbellosen Tiere sehr wichtig für das Funktionieren des Systems sind", sagt Anita Risch, Erstautorin der Studie und Leiterin der WSL-Forschungsgruppe Pflanzen-Tier-Interaktionen.

Wirbellose müssen besser geschützt werden

Je besser die Lebensgemeinschaften auf den untersuchten Wiesen interagierten und so mit ihrer Umwelt vernetzt waren, desto besser funktionierte das Ökosystem. Als Maß für dieses Funktionieren wurden im Nationalpark beispielsweise die Nährstoffverfügbarkeit, die Bodenatmung und die Anzahl Pflanzenarten erhoben. War die Vernetzung hingegen schlecht, funktionierte auch das Ökosystem schlecht. Es wird instabil und kann weniger gut auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren.

Die Resultate des Experiments zeigen, wie wichtig die Lebensgemeinschaft der wirbellosen Tiere für das Funktionieren von Ökosystemen ist, insbesondere, wenn größere Säugetiere fehlen. Doch die Anzahl Arten und Individuen der Wirbellosen scheinen in der Schweiz wie auch in Mitteleuropa in jüngster Zeit abzunehmen, nicht nur in intensiv bewirtschaftetem Ackerland. "Uns beunruhigt, dass die Wirbellosen vermehrt auch in Schutzgebieten zu fehlen scheinen", sagt Martin Schütz, Mitautor der Studie. Die beiden Forschenden warnen vor einem Verlust an Wirbellosen: "Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen, wirbellose Tiere zu schützen, denn sie sind von immenser Bedeutung für die Vernetzung und Funktionalität unserer Ökosysteme."

Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL

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  • "Ökosystemleistungen Deutschlands. Stand der Indikatorenentwicklung für ein bundesweites Assessment und Monitoring" von Grunewald et al. in Ausgabe 11-2017
  • "Ökosystemforschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Stoffkreisläufe und ­Energieflüsse in ökologischen Modellen" von Breckling, Köhler in Ausgabe 9/10-2016

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18.9.2018