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Bedeutung des Straßenbegleitgrüns für die heimische Flora sowie für die Ausbreitung gebietsfremder Pflanzenarten

Importance of roadside verges for the native flora and for the dispersal of alien plant species

DOI: 10.19217/NuL2022-09-04 • Manuskripteinreichung: 15.12.2021, Annahme: 9.6.2022

Thomas Kaiser

Zusammenfassung

In Deutschland rückt seit den 1980er-Jahren die Pflanzenartenvielfalt der Autobahn- und Straßenränder verstärkt in das Blickfeld der geobotanischen Forschung. Ein hoher Anteil des Straßenbegleitgrüns besteht aus Ruderal- und Adventivpflanzen. Daneben spielen Arten des Grünlands frischer Standorte eine besondere Rolle. Eine Besonderheit stellen salztolerante bis salzliebende Pflanzenarten dar. Der Neophytenanteil im Straßenbegleitgrün ist überdurchschnittlich hoch. Autobahnen und Straßen kommt eine wesentliche Rolle als Einwanderungs- und Ausbreitungskorridor von Pflanzenarten zu. Zur Eindämmung von Florenverfälschungen sind die seit März 2020 geltenden Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes zu beachten.

Straßenbegleitgrün – Halophyten – Neophyten – Florenverfälschung – Ausbreitungskorridor

Abstract

In Germany, there has been an increasingly strong focus of research on the phytodiversity of motorways and roadside verges since the 1980s. Ruderal and alien plants appear in a high number of species. Similarly, grassland plants of wet sites also often grow on roadside verges. Halophytic species are a speciality of the roadsides. The proportion of neophytes on roadside verges is above average. Motorways and roadside verges are important for the migration and dispersal of plants. To reduce flora falsification, the German Federal Nature Conservation Act established new regulations in March 2020.

Vegetation of roadside verges – Halophytic species – Neophytes – Flora falsification – Dispersal corridor

Inhalt

1 Einleitung

2 Straßenbegleitgrün als Wuchsort von Pflanzenarten

3 Straßenbegleitgrün als Wuchsort und Ausbreitungsweg gebietsfremder Pflanzenarten

4 Naturschutzfachliche Würdigung

5 Literatur

Zusatzmaterial zum Beitrag

1 Einleitung

Anders als für die am Straßenrand lebenden Tiere stellt der Verkehr für die dort wachsenden Pflanzen keine Gefahr dar und Störbelastungen durch Lärm und Lichtreflexe spielen keine Rolle. So kann Straßenbegleitgrün Rückzugsort, Ausbreitungsquelle und Vernetzungselement für die heimische Flora sein. Andererseits kann das Straßenbegleitgrün eine unerwünschte Ausbreitungsquelle für invasive Neophyten darstellen. Auf Grundlage einer Literaturauswertung und eigener Beobachtungen vorrangig aus dem norddeutschen Raum wird die Rolle des Straßenbegleitgrüns für die Pflanzenartenvielfalt und den Naturschutz herausgearbeitet, wobei sich die Betrachtungen auf die Farn- und Blütenpflanzen beschränken (zur flächenbezogenen Relevanz von Begleitgrün siehe Kasten 1; zur Pflanzenvielfalt siehe auch Kasten 2). Die Nomenklatur erwähnter Pflanzensippen folgt Buttler et al. (2018).

Kasten 1: Verkehrsbegleitgrün in Deutschland – von wie viel Fläche reden wir?
Box 1: Vegetation of traffic verges in Germany – How much area are we talking about?

Verkehrsbegleitflächen bilden ein scheinbar zusammenhängendes, grünes Netz, das womöglich einen sehr großen Teil der Landfläche Deutschlands bedeckt. Es hat als Teil der Grünen Infrastruktur evtl. ein großes Potenzial für den Naturschutz, wobei dieses Potenzial erst in den letzten Jahren von mehr als nur einer Minderheit der Naturschützer entdeckt wurde. Zeitgleich sind die Begleitflächen aber auch als Flächenpotenzial für energetische Nutzungen (Biomasseproduktion, Photovoltaik) erkannt worden. Wie groß ist nun dieses Flächenpotenzial?

Als Verkehrsbegleitflächen gelten unversiegelte Flächen entlang befestigter Verkehrsflächen (das sind v. a. Straßen, Eisenbahnstrecken, Wasserstraßen und Flugverkehrsflächen1). Sie enden an der nächsten land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung bzw. an Gärten, Parks oder naturnahen Lebensräumen und sie umfassen immer die begrünten Flächen zwischen Verkehrsflächen und ggf. vorhandenen Schutzzäunen oder -wänden. Im Wald bzw. in Forsten reichen sie bis zur ersten (Nutz-)Baumreihe, soweit keine anderweitigen klaren Grenzstrukturen zu erkennen sind. In ungenutzten Flächen, z. B. im Gebirge oder in Mooren, beinhalten sie das ehemalige Baufeld, mindestens aber die stark von Spritzwasser beeinflusste Zone. So definiert kann das „reale“ Begleitgrün größer sein, als die Fläche, die vermessungstechnisch oder eigentumsrechtlich dem jeweiligen Verkehrsträger zugeordnet ist.

Im Gegensatz zur versiegelten Verkehrsfläche des Straßen- und Schienenverkehrs ist der Umfang der unversiegelten Verkehrsbegleitflächen in Deutschland aber nur unzureichend bekannt. So geht z. B. Brandes (1988) von einem Anteil des Straßenbegleitgrüns von mindestens 1 % an der Gesamtfläche Deutschlands aus. Nach Knoll (2005) bzw. Destatis (2012)2 beträgt der Anteil der Verkehrsfläche an der Gesamtfläche Deutschlands zwischen 4,6 % und 5 %, wobei Verkehrsbegleitflächen nur zum Teil in diesen Flächen enthalten sind. Die Begleitflächen werden – je nach Erhebungsumfang der einzelnen Bundesländer – nicht einheitlich und generell erst ab einer Breite von mehr als 3 m statistisch erfasst (AdV 2011). Nach Einschätzung des Statistischen Bundesamts sind 35 – 63 % der Verkehrs- und Siedlungsfläche unversiegelt (Deggau 2006). Bei einer Minimalannahme von einem Drittel unversiegelter Verkehrsfläche in Deutschland entspricht dies ca. 1,6 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland (BRD; 595.056 ha), bei einer Maximalannahme von zwei Drittel wären ca. 3,3 % der Fläche der BRD Verkehrsbegleitgrün (1.190.100 ha).

Für eine Überprüfung der Flächenabschätzung wurde Straßenbegleitgrün einerseits exemplarisch auf Basis von Luftbildern entlang der Bundesautobahn A7 in Schleswig-Holstein digitalisiert (Abb. K1-1) und andererseits mit repräsentativen, stichprobenartigen Messungen3 verglichen und hochgerechnet. Dabei ist zu beachten, dass die Breite des lokalen Straßenbegleitgrüns in Abhängigkeit vom Relief stark variiert und dass orographisch bedingte Fehler bei der Ableitung der Begleitgrünbreite aus Luftbildern nicht berücksichtigt sind (die Fläche ist also unterschätzt). Im Vergleich ergab die Vollerhebung entlang der A7 in Schleswig-Holstein 3,97 ha Begleitgrün/km, die stichprobenartige Erfassung ergab nach Hochrechnung eine Fläche von 2,99 ha Begleitgrün/km.

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Abb. K1-1: Begleitgrün entlang einer Autobahn.
Fig. K1-1: Vegetation of roadside verges along a motorway.
(Quelle: © LVermGeo SH)(Source: © LVermGeo SH)

Die Flächenschätzung für das Begleitgrün des gesamten überörtlichen Straßenverkehrs (Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) ergab unter Hinzunahme der nicht ausreichend repräsentativ vorliegenden Daten zu Landes- und Kreisstraßen in Schleswig-Holstein ca. 1,8 % der Landesfläche. Für das Mittelgebirgsland Baden-Württemberg liegt der Schätzwert bei rund 2,2 %. Allein der Umfang des Begleitgrüns des überörtlichen Straßenverkehrs wird darauf aufbauend für Deutschland auf ca. 6.767 km² geschätzt; wenigstens 1,9 % der Bundesfläche sind Begleitgrün überregionaler Straßen. Hinzu kommt das Begleitgrün von Gemeindestraßen, Eisenbahnstrecken, Bundeswasserstraßen und Flughäfen.

Die Streckenlänge der Gemeindestraßen in Deutschland wurde 1993 auf 413.000 km geschätzt und diese Länge liegt der Flächenschätzung zu Grunde. Die aktuelle (neue) Schätzung beträgt 457.171 km für Gemeindestraßen, 91.800 km für Kreisstraßen, 86.900 km für Landes- bzw. Staatsstraßen, 37.800 km für Bundesstraßen und 13.200 km für Autobahnen. Das Streckennetz des Schienenverkehrs beläuft sich auf ca. 37.700 km und die Länge von Bundeswasserstraßen beträgt etwa 7.350 km (Destatis 2013; BMVI 2014, 2020; Lippold 2020). Die Fläche der 15 deutschen internationalen Flughäfen beträgt etwa 9.648 ha und der Anteil unversiegelter Fläche beläuft sich dabei auf ca. 70 %. Die unversiegelte Fläche kleinerer Flughäfen wird laut ADV (2007) dagegen höher eingeschätzt.

Ein Anteil von 3 % Begleitgrün (oder mehr) an der Gesamtfläche Deutschlands ist damit eine plausible Größenschätzung. Die Fläche ist so groß, dass sie eine hohe Relevanz zur Sicherung der biologischen Vielfalt in Deutschland haben könnte – der Anteil der Fläche terrestrischer Naturschutzgebiete beträgt im Vergleich auch nur ca. 4 % (schriftl. Mittlg. Bundesamt für Naturschutz, Stand 01/2022).

Literatur

AdV/Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2011): Katalog der tatsächlichen Nutzungsarten im Liegenschaftskataster und ihrer Begriffsbestimmungen (AdV-Nutzerkatalog). Arbeitskreis Liegenschaftskataster: 25 S. https://bit.ly/AdV-Nutzerkatalog (aufgerufen am 18.1.2022).

ADV/Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (Hrsg.) (2007): Luftfahrt und Umwelt. ADV. Berlin: 34 S. https://www.adv.aero/wp-content/uploads/2015/12/ADV_Broschure_web.pdf (aufgerufen am 25.7.2022).

BMVI/Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) (2014): Verkehr in Zahlen 2014/2015 (43). BMVI. Berlin: 365 S. https://bit.ly/ViZ_2014-15 (aufgerufen am 18.1.2022).

BMVI/Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) (2020): Verkehr in Zahlen 2020/2021 (49). BMVI. Berlin: 372 S. https://bit.ly/ViZ_2020-21 (aufgerufen am 18.1.2022).

Brandes D. (1988): Die Vegetation gemähter Straßenränder im östlichen Niedersachsen. Tuxenia (8): 181 – 194.

Deggau M. (2006): Nutzung der Bodenfläche – Flächenerhebung 2004 nach Art der tatsächlichen Nutzung. In: Statistisches Bundesamt: Auszug aus Wirtschaft und Statistik 3: 212 – 219. https://bit.ly/Destatis_Flaechenerhebung-2004 (aufgerufen am 18.1.2022).

Destatis/Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2012): Umwelt und Wirtschaft. Tabellen zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen. Teil 5: Flächennutzung, Umweltschutzmaßnahmen. Destatis. Wiesbaden: 52 S. https://bit.ly/UGR-Umweltschutz (aufgerufen am 11.4.2022).

Destatis/Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2013): Verkehr auf einen Blick. Destatis. Wiesbaden: 60 S. https://bit.ly/Destatis_Broschuere_Verkehr (aufgerufen am 18.1.2022).

Knoll E. (Hrsg.) (2005): Der Elsner 2006. Handbuch für Straßen- und Verkehrswesen. Planung – Bau – Erhaltung – Verkehr – Betrieb. 60. Aufl. Otto Elsner Verlagsgesellschaft. Dieburg: 1.896 S.

Lippold C. (Hrsg.) (2020): Der Elsner 2021. Handbuch für Straßen- und Verkehrswesen. Planung – Bau – Erhaltung – Verkehr – Betrieb. 75. Aufl. Otto Elsner Verlagsgesellschaft. Dieburg: 1.760 S.

Lößner P. (2015): Verkehrsbegleitflächen und Lebensraumvernetzung: GIS-gestützte Untersuchung des Einflusses der Lage von Straßen im Stadt-Umland-Gradienten auf deren Begleitgrün. Unveröff. Bachelorarbeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Kiel: 65 S.

Endnoten

1 Vgl. auch die Definition der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland.

2 Die vom Statistischen Bundesamt erfasste Verkehrsfläche beinhaltet Straßen-, Schienen- und Schifffahrtsverkehr sowie Flughäfen.

3 Zum Direktvergleich mit der flächigen Erfassung wurde stichprobenartig an 64 Messpunkten der A7 in Schleswig-Holstein die Breite des Begleitgrüns gemessen und hochgerechnet und der Schätzfehler bestimmt. Zur Abschätzung der Gesamtfläche des Straßengrüns wurde die Breite des Begleitgrüns an insgesamt 1.003 Messpunkten an Autobahnen und an Bundesstraßen in Baden-Württemberg (als Beispiel für ein Mittelgebirgsland) und in Schleswig-Holstein (als Beispiel für das Tiefland) gemessen und im Rahmen einer Bachelorarbeit zusätzlich die Breite von Landes- und Kreisstraßen in Schleswig-Holstein mit gleicher Methodik untersucht (Lößner 2015). Aus der durchschnittlichen Breite und der Länge jeweiliger Straßentypen kann die Gesamtfläche geschätzt werden.

Autoren

Henning Nissen

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Institut für Natur- und Ressourcenschutz

Olshausenstraße 75

24118 Kiel

E-Mail: hnissen@ecology.uni-kiel.de

Marita Böttcher

Bundesamt für Naturschutz

Außenstelle Leipzig

Alte Messe 6

04103 Leipzig

E-Mail: marita.boettcher@bfn.de

Priv.-Doz. Dr.-Ing. Heinrich Reck

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Institut für Natur- und Ressourcenschutz

Olshausenstraße 75

24118 Kiel

E-Mail: hreck@ecology.uni-kiel.de

Kasten 2: Relativ hochwertig: Fernstraßenbegleitvegetation im Vergleich zu Feld- und Forstsäumen sowie im Vergleich zu„wertvollen“ Biotopen.
Box 2: Relatively high quality: Roadside vegetation compared to vegetation of field and forest margins and “valuable” biotopes.

Straßenbegleitgrün ist artenreich, das Umland verarmt, auch der Wirtschaftswald (Abb. K2-1, siehe auch das Online-Zusatzmaterial). Das ist kurz gefasst das Ergebnis einer aktuellen Vergleichsstudie in Schleswig-Holstein. Ursache ist nicht der besondere Artenreichtum an der Straße, Ursache ist die großflächige, nutzungsbedingte Verarmung der umgebenden Landschaft. Aber: Das Ergebnis gilt nicht für Feuchtstandorte. Innerhalb artenreicher Feuchtlebensräume geht (im Gegensatz zu trockeneren Biotopen) mit der Anlage von Straßen auch auf den Begleitflächen immer ein erheblicher Verlust schutzbedürftiger Pflanzenarten einher und artenreiche Gräben mit ausgeprägter Feuchtgebietsvegetation waren entlang von Fernstraßen kaum auffindbar.

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Abb. K2-1: Pflanzenartenvielfalt frischer bis trockener Standorte: a) im Offenland (krautiges Begleitgrün und Vergleichsbiotope), b) in Straßenbegleitgehölzen und entsprechenden Referenzflächen. BGrün = Begleitgrün, SBK = im Rahmen selektiver Biotopkartierungen als wertvolles Biotop ausgewiesen.
Fig. K2-1: Plant species diversity of wet to dry sites: a) in open vegetation (herbaceous verges and reference biotopes), b) in roadside shrubs and corresponding reference biotopes. BGrün = roadside greenery, SBK = designated as a valuable biotope within the framework of selective biotope mapping.

Das herkömmliche, im Grunde genommen eher als verarmt einzustufende Straßenbegleitgrün weist eine ähnliche oder oft sogar höhere Artenvielfalt auf als vergleichbare (z. T. in der selektiven Biotopkartierung als wertvoll kartierte) Umlandbiotope. Im Hinblick auf gefährdete und schutzbedürftige Arten (Arten der Roten Liste) weisen die als wertvoll kartierten Umlandbiotope eine höhere Artenzahl auf als das herkömmliche Begleitgrün. Das sehr hohe Potenzial der Begleitflächen ist aber an der relativ großen Anzahl gefährdeter und schutzbedürftiger Arten auf entsprechend naturschutzgerecht gestalteten Begleitflächen (in Abb. K2-1 als SonderBGrün bezeichnet) erkennbar. Unerwartet war die gemessen am Straßenbegleitgrün ermittelte Verarmung der Forste in Bezug auf typische Waldarten (inkl. Gehölze). Lediglich die Zahl der Pflanzenarten, die sehr dunkle Standorte bevorzugen, ist in den Forsten größer (Müller et al. 2016; Reck, Müller 2018; Müller et al. in Vorb.).

Die Bewertungsgrundlage waren zufällig ausgewählte, je 100 m lange und 1 m breite Kartierstrecken, gelegen in je 24 Offenland- bzw. 26 Gehölzlebensräumen und in entsprechenden Vergleichsstandorten. Hinzu kamen Untersuchungen auf 15 bekanntermaßen artenreichen Straßensäumen, wobei solche, abgeleitet aus einer Übersichtsfahrt vom Bodensee zur Ostsee, selten sind und weniger als 5 % des Begleitgrüns ausmachen. Der Großteil des Begleitgrüns ist also unnötigerweise artenarm (Grund: Verwendung viel zu nährstoffreicher Substrate sowie viel zu dichte Ansaaten mit kontraproduktiven Saatgutmischungen), aber es ist dennoch reicher als das Umland. Der Handlungsbedarf zur Sicherung der Vielfalt ist dementsprechend groß – einerseits an Straßen und andererseits (und noch viel mehr) in der umgebenden Landschaft.

Literatur

Müller K., Tetzlaff A., Reck H. (2016): The importance of roadside vegetation on plant diversity in Northern Germany. In: Guinard E. (Hrsg.): IENE 2016 – Integrating transport infrastructure with living landscapes. CEREMA. Lyon: 223 S.

Müller K., Tetzlaff A., Reck H. (in Vorb.): Vegetationskundliche Untersuchungen in Westdeutschland. In: Zinner F., Reck H. et al. (Red.): Modellhafte Untersuchungen des Begleitgrüns von Verkehrsflächen und ihrer Bedeutung für die biologische Vielfalt. BfN-Skripten: in Vorb.

Reck H., Müller K. (2018): Straßenbegleitgrün und biologische Vielfalt: Potenziale und Realität. Straßenverkehrstechnik 62(7): 469 – 480.

Autoren

Priv.-Doz. Dr.-Ing. Heinrich Reck

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Institut für Natur- und Ressourcenschutz

Olshausenstraße 75

24118 Kiel

E-Mail: hreck@ecology.uni-kiel.de

Dipl.-Biol. Kerrin Müller (Kerrin Buschsenja)

Dahmsdorf 37

23619 Zarpen

E-Mail: k.buschsenja@wilhelms-hof.de

2 Straßenbegleitgrün als Wuchsort von Pflanzenarten

In Deutschland rückt seit den 1980er-Jahren die Pflanzenartenvielfalt der Autobahn- und Straßenränder verstärkt in den Blickwinkel der geobotanischen Forschung (Brandes 2009). Bestandsaufnahmen des Begleitgrüns häufen sich in den 1980er- und 1990er-Jahren, finden aber auch aktuell statt (z. B. Brandes 1988, 2009; Nagler et al. 1989; Partzsch, Kästner 1995; Stottele 1995; Keil et al. 2010; Buch, Keil 2021; Zinner et al. in Vorb.). Krause (1982) etwa berichtet über floristische Erhebungen an Straßen des Rheinischen Schiefergebirges und der Niederrheinischen Bucht mit Nachweisen von 350 Arten. Die bisher wohl umfassendste floristische Inventarisierung des Begleitgrüns des deutschen Autobahnnetzes hat Feder (2014) mit dem Nachweis von 675 Pflanzensippen an den Autobahnen Niedersachsens und Bremens vorgelegt. Keil et al. (2010) fanden an nur einem Tag 441 Sippen an einem 60 km langen Abschnitt der Bundesautobahn A 40 zwischen Duisburg und Dortmund. Nagler et al. (1989) wiesen im Bereich der Autobahnmeisterei Darmstadt auf 52 km Länge 391 Arten und im Bereich der Straßenmeisterei Pfungstadt auf 250 km Länge 430 Arten nach.

Arten der eigentlichen Roten Liste (ausgestorbene, bestandsgefährdete oder extrem seltene Arten) sind nur selten im Straßenbegleitgrün zu finden, während Pflanzenarten der Vorwarnliste zur Roten Liste Deutschlands (Metzing et al. 2018) dort regelmäßig anzutreffen sind. An norddeutschen Straßen und Autobahnen ist die Sand-Grasnelke (Armeria maritima subsp. elongata) zum Teil aspektbildend. Immer wieder kommen hier auch Heide-Nelke (Dianthus deltoides) oder Knöllchen-Steinbrech (Saxifraga granulata) vor. Am Rande des niedersächsischen Elbetals wächst der Wiesen-Alant (Inula britannica) direkt neben der asphaltierten Fahrbahn, wo die Stromtalpflanze vom temporären Schwall des ablaufenden Wassers profitiert. Der Acker-Steinsame (Buglossoides arvensis), eher ein Ackerwildkraut, trat in den letzten Jahren gehäuft im Straßenbegleitgrün auf, möglicherweise eine Folge von Konkurrenzvorteilen in den Dürrejahren von 2018 bis 2020. Lückig bewachsene Straßenränder werden auch vom Dreiteiligen Ehrenpreis (Veronica triphyllos) besiedelt (alle Angaben nach eigenen Beobachtungen). Das Große Flohkraut (Pulicaria dysenterica) findet sich wiederholt in Straßengräben der Börden (Brandes, Oppermann 1995 und eigene Beobachtungen).

Ein hoher Anteil des Straßenbegleitgrüns besteht aus Ruderal- und Adventivpflanzen. Brandes (2009) konnte an den untersuchten Autobahnen etwa ein Drittel der Ruderalflora Deutschlands nachweisen. Daneben spielen in besonnten Abschnitten Arten des Grünlands frischer Standorte (Arrhenatheretalia, Brandes 1988; Brandes, Oppermann 1995; Schmidt et al. 1998) eine besondere Rolle. Bereits Seifert (1941: 87 – 88) berichtet in einem (mit nationalsozialistischer Ideologie untersetzten) Aufsatz von der Autobahn München – Salzburg: „Die Schlüsselblumen, der Löwenzahn, die Margeriten und Lichtnelken und Glockenblumen, sie blühen genau so auf dem Mittelstreifen, den grünen Banketten, den Einschnitts- und Dammböschungen wie auf den Wiesen nebenan.“ Entsprechende Ausprägungen stellten sich nach dem Autobahnbau dort ein, „wo mit Rasenkompost nachgeholfen werden konnte“ (Seifert 1941: 90). Krause (1982: 60) stellt vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich erfolgten Grünlandintensivierung fest, dass „im Grasland der Seitenstreifen im Gegensatz zu demjenigen der intensiv genutzten Mähweiden trittempfindliche Arten aufkommen, Magerkeitszeiger gedeihen und darüber hinaus vieles zum Blühen und Fruchten kommen läßt, was sonst schon lange vor der Blüte genutzt wird.“ Ähnliche Ergebnisse liefern Schmidt et al. (1998). Nicht selten weisen die Grünstreifen das typische Inventar eines artenreichen Grünlands frischer Standorte auf, das bei gleicher Vegetationszusammensetzung, aber flächiger Ausprägung in der Roten Liste der Biotoptypen (Finck et al. 2017) als stark gefährdet bis von vollständiger Vernichtung bedroht eingestuft ist und das ebenfalls bei flächiger Ausprägung und Vorkommen von Mähwiesenzeigern als„magere Flachland-Mähwiesen und Berg-Mähwiesen“ zu den nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) gesetzlich geschützten Biotopen und zu den Lebensraumtypen des Anhangs I der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie gehört. Oft ist die Grünlandvegetation des Straßenbegleitgrüns allerdings mit Ruderalisierungszeigern durchsetzt (Zinner et al. in Vorb.).

In beschatteten Abschnitten treten nach eigenen Beobachtungen Blütenpflanzen zurück und es zeigen sich überwiegend artenarme Grasbestände oder von Nitrophyten geprägte Saumgesellschaften. Aber selbst typische Waldarten können vereinzelt im Straßenbegleitgrün zur Massenentfaltung kommen, z. B. der Wald-Gelbstern (Gagea lutea, Abb. 1).

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Abb. 1: Massenbestand des Wald-Gelbsterns (Gagea lutea) im Straßenbegleitgrün der Kreisstraße 48 im Bereich des Maaßeler Lindenwalds (Landkreis Gifhorn).
Fig. 1: Numerous plants of the yellow star-of-Bethlehem (Gagea lutea) in the roadside verges of district road 48, Maasseler Lindenwald (Gifhorn district).
(Foto: Thomas Kaiser)

Eine Besonderheit der Flora des Straßenbegleitgrüns stellen salztolerante bis salzliebende Pflanzenarten dar. Hinweise auf eine Förderung solcher Pflanzen durch den Einsatz von Tausalz liefert bereits Adolphi (1975) mit Hinweis auf den Salzschwaden (Puccinellia distans). Besonders spektakulär erfolgte die Linienmigration des Dänischen Löffelkrauts (Cochlearia danica) entlang der Autobahnen in das Binnenland seit den 1980er-Jahren (Dunkel 1987; Koch 1996; Brandes 2009). Neuerdings tritt diese Art zunehmend auch an Landes- und Kreisstraßen sowie innerörtlichen Straßen auf (Kaiser, Gerken 2018, Abb. 2). Im Binnenland beschränken sich die Vorkommen des Dänischen Löffelkrauts weitgehend auf das Straßenbegleitgrün. Dagegen wachsen andere salztolerante bis salzliebende Arten auch an natürlichen Binnensalzstellen und am Fuß von Kalihalden (Garve, Garve 2000), so der an Autobahnen vereinzelt auftretende Strand-Wegerich (Plantago maritima, Feder 2014; Diewald et al. 2017) oder der inzwischen an Autobahnen und Straßen verbreitete Krähenfuß-Wegerich (Plantago coronopus, Keil et al. 2010; Feder 2014; Kaiser, Gerken 2018; Abb. 3) und die Salz-Schuppenmiere (Spergularia marina, Schnedler, Bönsel 1987; Gerstberger 1992; Buch, Keil 2021). Ssymank et al. (2021) stellen klar, dass die Salzvegetation an den Straßenrändern nicht dem Lebensraumtyp 1340 (Salzwiesen im Binnenland) des Anhangs I der FFH-Richtlinie zuzurechnen ist.

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Abb. 2: Das Dänische Löffelkraut (Cochlearia danica) an einer innerstädtischen Schnellstraße in Celle.
Fig. 2: Danish scurvygrass (Cochlearia danica) near a city expressway in Celle.
(Foto: Thomas Kaiser)
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Abb. 3: Der salzertragende Krähenfuß-Wegerich (Plantago coronopus) an der Bundesstraße 3 in Celle.
Fig. 3: The halophilic buck's-horn plantain (Plantago coronopus) along federal road 3 in Celle.
(Foto: Thomas Kaiser)

In Abhängigkeit von der benachbarten Biotopausstattung wachsen vereinzelt auch Arten der Zwergstrauchheiden, Borstgrasrasen, Sandtrockenrasen, Kalkhalbtrockenrasen und Sümpfe am Straßenrand (Krause 1982). Straßengräben können bei günstiger Ausprägung mit hinreichender Wasserführung eine Bedeutung für Arten der Feuchtlebensräume und Gewässer haben (Zinner et al. in Vorb.).

3 Straßenbegleitgrün als Wuchsort und Ausbreitungsweg gebietsfremder Pflanzenarten

Der Neophytenanteil im Straßenbegleitgrün ist überdurchschnittlich hoch (Brandes 2009; Feder 2014; Zinner et al. in Vorb.). Einige Neophyten haben sich in einem rasanten Tempo entlang des Fernstraßennetzes ausgebreitet. Bspw. hat die salztolerante Verschiedensamige Melde (Atriplex micrantha) innerhalb von nur 15 Jahren die Mittelstreifen des gesamten deutschen Autobahnnetzes besiedelt (Griese 1998; Brandes 2009). Das Japanische Liebesgras (Eragrostis multicaulis) tritt weit verbreitet an Autobahnen, Straßen und auf Autobahnrastplätzen auf (Feder 2008; Buch, Keil 2021). Das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens) hat von Westen kommend die Grünstreifen der Autobahnen und vieler Bundesstraßen erobert (Griese 1998) und bildet hier dichte und blütenreiche Bestände (Abb. 4). Dagegen erfolgt die Ausbreitung dieser Arten in die umgebende Landschaft stark verringert (Brandes 2009). Das Schmalblättrige Greiskraut tritt inzwischen zwar auch in straßenfernen Flächen, etwa in gestörtem Grünland und selbst in Sandheiden, auf, Verdrängungseffekte auf heimische Pflanzenarten sind bisher jedoch nicht nachgewiesen (Nehring et al. 2013). Von den in der so genannten Schwarzen Liste als invasiv eingestuften Neophyten (Nehring et al. 2013) treten der Japanische Staudenknöterich (Fallopia japonica), die Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyllus) und der Götterbaum (Ailanthus altissima) im Straßenbegleitgrün häufiger in Erscheinung (Keil et al. 2010; Kowarik, von der Lippe 2011).

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Abb. 4: Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens) an der Bundesstraße 3 südlich von Celle.
Fig. 4: Narrow-leaved ragwort (Senecio inaequidens) along federal road 3 in the south of Celle.
(Foto: Thomas Kaiser)

4 Naturschutzfachliche Würdigung

Die Ränder und Mittelstreifen von Autobahnen und Straßen zeichnen sich durch technogene Substrate, Tausalzbelastung, baustellen- und fahrtwindbedingte Dynamik sowie einen verkehrsbedingten Diasporentransport aus (Brandes 2009; Keil et al. 2010), was ihre hohe Bedeutung für die Ruderalflora Deutschlands erklärt. Bezüglich halbnatürlicher Vegetationseinheiten kommt den Straßenrändern insbesondere ein Wert für den Schutz von Pflanzenarten des artenreichen Grünlands frischer Standorte zu. So kann das Straßenbegleitgrün ein Refugium einst regionaltypischer Vegetation sein, dessen Wert jedoch in Folge der Durchsetzung mit Ruderalisierungszeigern gemindert ist. Sofern das Straßenbegleitgrün nicht aus Ansaaten mit zweifelhafter Herkunft hervorgegangen ist, eignet es sich auf Grund des reichhaltigen Arteninventars als Spenderfläche für die Neuentwicklung oder Wiederherstellung artenreichen Grünlands bspw. durch Mahdgutübertragung (vergleiche Kirmer et al. 2012), wenngleich praktische Erfahrungen zur Nutzung von Straßenrändern als Spenderflächen bisher noch weitgehend fehlen. Außerdem ist die Bedeutung der Straßenränder als Sekundärstandort für salztolerante bis salzliebende Pflanzenarten hervorzuheben. Pflanzenarten der Roten Listen treten im Straßenbegleitgrün seltener auf, so dass deren Bedeutung für den Pflanzenartenschutz in dieser Beziehung begrenzt ist. Aber zumindest existieren für einige landesweit gefährdete oder bundesweit auf der Vorwarnliste verzeichnete Arten auch größere Vorkommen (Beispiele siehe Abschnitt 2).

Autobahnen und Straßen kommt neben Flüssen und Bahnlinien eine wesentliche Rolle als Einwanderungs- und Ausbreitungskorridor von Pflanzenarten zu (bspw. Griese 1998; Kowarik, von der Lippe 2008; Brandes 2009), hauptsächlich allerdings für eher weit verbreitete Arten (Travers et al. 2021). Die Ausbreitung erfolgt mit dem Fahrtwind oder durch Anhaftung an Fahrzeugen. Die Einwanderungs- und Ausbreitungsfunktion des Straßenbegleitgrüns ist aus naturschutzfachlicher Sicht vorteilhaft, soweit es einheimische Pflanzenarten wie die des artenreichen Grünlands frischer Standorte oder manche Arten der Binnensalzstellen betrifft. Von Nachteil ist sie hingegen bei invasiven Neophyten wie dem Japanischen Staudenknöterich oder dem Götterbaum (Kowarik, von der Lippe 2011), was gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung entsprechender Arten im Straßenbegleitgrün erforderlich macht, wie sie bspw. von Schmiedel et al. (2015) beschrieben werden.

Rasenansaaten im Straßenbegleitgrün erfolgten über Jahrzehnte vorrangig unter ingenieurbiologischen Gesichtspunkten. Die verwendeten Mischungen enthielten im Regelfall kein Saatgut regionaler Herkunft mit der Folge der unkontrollierten Ausbreitung fremder Ökotypen oder sogar regional oder deutschlandweit nicht heimischer Arten. Beispiele für außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets regelmäßig eingesäte Sippen sind der Raublättrige Schaf-Schwingel (Festuca brevipila), der Höckerfrüchtige Wiesenknopf (Sanguisorba minor subsp. balearica) und der Saat-Hornklee (Lotus corniculatus var. sativus). Auch die Ausbreitung der Wegwarte (Cichorium intybus) außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets geht in manchen Regionen auf Ansaaten zurück (Garve 2007). Zur Eindämmung entsprechender Florenverfälschungen wurden zwar frühzeitig Empfehlungen formuliert (z. B. Krause 1989), jedoch brachte erst die seit dem 1. März 2020 verbindliche Regelung des Bundesnaturschutzgesetzes eine rechtliche Handhabe, wonach das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete in der freien Natur genehmigungspflichtig ist (§ 40 Abs. 1 BNatSchG). „Freie Natur“ ist als Gegenstück zum besiedelten Bereich zu verstehen (Anonymus 2009; Frenz, Müggenborg 2011). Zur freien Natur gehören daher auch Verkehrsflächen und deren Randflächen, insbesondere das Straßenbegleitgrün (Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 11.2.2019 – 8 K 3532/17). Für die Begrünung ist seit März 2020 im Regelfall zumindest Regiosaatgut aus dem Ursprungsgebiet vorzusehen, in dem die Ansaat erfolgt (Prasse et al. 2010). Naturschutzfachlich günstiger ist eine Selbstbegrünung oder der Rückgriff auf lokales Saatgut bzw. eine Mahdgutübertragung (Kirmer et al. 2012). Bei Gehölzen ist Pflanz- oder Saatgut aus dem jeweiligen Vorkommensgebiet zu verwenden (BMU 2012). Durch die Genehmigungspflicht besteht die rechtliche Handhabe, das Anpflanzen nicht heimischer Gehölzarten zu unterbinden. Häufig gepflanzte, aber in manchen Teilen Deutschlands nicht heimische Gehölzarten sind z. B. Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus), Spitz-Ahorn (Acer platanoides), Kornelkirsche (Cornus mas), Liguster (Ligustrum vulgare) und Rote Heckenkirsche (Lonicera xylosteum). Da das Straßenbegleitgrün im Regelfall im Eigentum der öffentlichen Hand ist, gilt beim Vorkommen invasiver Arten der Unionsliste (Verordnung der Europäischen Union [EU] Nr. 1143/2014) zudem ein besonderes Berücksichtigungsgebot bezüglich festgelegter Beseitigungsmaßnahmen (§ 40a Abs. 5 BNatSchG).

Geeignete Maßnahmen zur Förderung der Gefäßpflanzenvielfalt im nicht gehölzbestandenen Straßenbegleitgrün fassen Zinner et al. (in Vorb.) auf der Grundlage einer Literaturrecherche zusammen: Bedeutsam ist eine regelmäßige Mahd, wobei für viele Standorte eine ein- bis zweischürige Mahd mit Abfuhr des Mahdguts am günstigsten ist. Schmidt et al. (1998) stellen fest, dass auch das Mulchen einen positiven Effekt auf die Pflanzenartenvielfalt hat, und leiten als Mindestpflege das ein- bis zweimalige Mulchen pro Jahr ab. Es gelten also ähnliche Empfehlungen wie für eine naturschutzgerechte Bewirtschaftung artenreichen Grünlands. Vorteilhaft ist, dass auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel im Straßenbegleitgrün im Regelfall verzichtet wird. Eine Ansaat oder Pflanzung von Leguminosen sollte wegen deren stickstoffbindender Wirkung nicht erfolgen, um die Standorte nicht aufzudüngen (Krause 1989).

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Zusatzmaterial zum Beitrag

Kaiser T.: Bedeutung des Straßenbegleitgrüns für die heimische Flora sowie für die Ausbreitung gebietsfremder Pflanzenarten. Natur und Landschaft 97(9/10): 436 – 442. DOI: 10.19217/NuL2022-09-04

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Zusatzmaterial (The importance of roadside vegetation on plant diversity in Northern Germany)

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Prof. Dr. Thomas Kaiser

Arbeitsgruppe Land & Wasser

Am Amtshof 18

29355 Beedenbostel

E-Mail: kaiser-alw@t-online.de Jahrgang 1963. Studium der Forstwissenschaften an der Universität Göttingen. Im Jahr 1994 Promotion als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes über die Bedeutung der historischen Landschaftsanalyse für Naturschutz und Landschaftsplanung am Fachbereich Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der Universität Hannover. Seit 1993 als freischaffender Landschaftsarchitekt Inhaber des Planungsbüros „Arbeitsgruppe Land & Wasser“ in Beedenbostel/Celle sowie Lehrbeauftragter für Naturschutz und Landschaftsplanung an der Universität Lüneburg. Seit 2009 Honorarprofessor am Institut für Ökologie der Leuphana Universität Lüneburg.

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