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Die Ökobilanz als Instrument für informierte Konsumentscheidungen – bewusster Konsum kann Biodiversität schützen

Life Cycle Assessment as an instrument for informed consumer decisions – Conscious consumerism can protect biodiversity

DOI: 10.19217/NuL2022-03-03 • Manuskripteinreichung: 11.1.2021, Annahme: 14.12.2021

Mascha Bischoff, Jan Paul Lindner, Lisa Winter und Horst Fehrenbach

Zusammenfassung

Eine der größten globalen Herausforderungen ist aktuell der Schutz und die Erhaltung von Biodiversität. Dabei stellt der Konsum von Gütern und Dienstleistungen einen zentralen Risikofaktor für Biodiversität und Ökosystemleistungen dar. Biodiversität ist eine komplexe Größe, die sich über die Vielfalt der Arten, die Vielfalt der Lebensräume und die genetische Vielfalt innerhalb der Organismen definiert. Zur Risikoabschätzung bedarf es einer möglichst genauen Erfassung, die sich aufgrund der inhärenten Komplexität jedoch oftmals schwierig gestaltet. Welche Möglichkeiten für biodiversitäts-bewussten Konsum gibt es aktuell? Grundsätzlich können die Auswirkungen von Produkten und Produktionsprozessen auf die Umwelt in Ökobilanzen analysiert werden. Wir schlagen für das Instrument der Ökobilanz eine anwenderfreundliche Methode zur Bewertung von Biodiversität vor. Diese beruht auf der Erfassung der Veränderung der Qualität einer bestimmten Fläche über einen bestimmten Zeitraum, die durch die Herstellung eines bestimmten Produkts verursacht wird. In angemessener Form kommuniziert können Ökobilanzergebnisse dazu beitragen, Konsum durch gezielte Information bewusster und damit potenziell nachhaltiger zu gestalten.

Biodiversität – Naturschutz – Ökobilanz – Life Cycle Assessment – bewusster Konsum

Abstract

Biodiversity protection and conservation are currently among the most pressing global challenges. The consumption of goods and services is a key risk factor for biodiversity and ecosystem services. Biodiversity is a complex entity whose definition includes species diversity, habitat diversity and the genetic diversity among organisms. For risk assessment, biodiversity needs to be measured as accurately as possible, but this is often difficult in practice due to its inherent complexity. Which options for biodiversity-conscious consumption are currently available? In principle, the environmental impacts of products and production processes can be analysed in life cycle assessments (LCA). Here, we propose a user-friendly method for integrating biodiversity into LCA. The method is based on the assessment of changes in quality of a specific area over a defined period of time associated with the production of a product. Communicated in appropriate form, LCA results can contribute to more conscious and informed consumer decision-making, thus facilitating more sustainable consumption.

Biodiversity – Nature conservation – Life cycle assessment – Conscious consumption

Inhalt

1 Biodiversität aktuell

2 Biodiversität als messbare Größe

3 Die Ökobilanz und das Schutzgut Biodiversität

4 Die Methodenentwicklung im Projekt LC.biodiv.IA

5 Berechnung des Biodiversitätswerts

6 Anwendungsbeispiel

7 Ökobilanz erlaubt informierte Konsumentscheidungen

Zusatzmaterial zum Beitrag

8 Literatur

1 Biodiversität aktuell

Der Schutz und die Erhaltung von Biodiversität gelten derzeit als eine der größten Herausforderungen weltweit. Der aktuelle globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES zu Biodiversität und Ökosystemleistungen (IPBES 2019) zeigt, dass anthropogene Eingriffe in die Natur zu erheblichen Veränderungen geführt haben. Bis zu eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, viele davon bereits in naher Zukunft. Der Verlust von Arten und Ökosystemen ist außerdem mit ernsten Konsequenzen für die gesamte Menschheit verbunden, etwa durch eine Gefährdung der Ernährungssicherheit oder durch die Verbreitung von Zoonosen infolge der Zerstörung natürlicher Lebensräume (Spangenberg 2020). Im Frühjahr 2022 soll im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) eine neue globale Strategie für den Schutz der biologischen Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung verabschiedet werden, die eine gerechte Verteilung der Gewinne aus der Anwendung genetischer Ressourcen einschließt (UNEP 2021). Offensichtlich sind Schutz und Erhaltung von Biodiversität Aufgaben, die weltweit die gesamte Bevölkerung betreffen und deren Lösung einen vielschichtigen globalen und gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess erfordert. Doch was kann die Einzelperson angesichts dieser komplexen Problemstellung tun? Wo ergeben sich konkrete Handlungsfelder im Rahmen eines bewussten Umgangs mit Biodiversität?

Ein zentraler Risikofaktor für Biodiversität und Ökosystemleistungen ist der auf einem hochkomplexen globalen Netzwerk aus produzierenden und konsumierenden Ländern basierende Konsum von Gütern und Dienstleistungen (Kliem et al. 2019). Der Konsum in deutschen Privathaushalten hat aktuell ein neues Maximum erreicht, sodass Deutschland weltweit hinter den Vereinigten Staaten von Amerika, China und Japan den vierten Platz bei den Ausgaben für Privatkonsum einnimmt (Kliem et al. 2019). Obwohl das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltigen Konsums in Deutschland durchaus hoch ist (BMU 2019), fällt es der Einzelperson dennoch oftmals schwer, informierte Konsumentscheidungen zu treffen. „Grüner Konsum“ ist in gewisser Hinsicht ein Widerspruch in sich, da jede Form von Konsum mit Umweltwirkungen verbunden ist (Sachdeva et al. 2015). Trotzdem können Änderungen im Konsumverhalten einen großen Einfluss auf Umweltbelastungen haben und nicht zuletzt zum Schutz der Biodiversität beitragen (Koh, Lee 2012). Allerdings wird dazu schon länger eine verbesserte Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gefordert (Bickford et al. 2012).

Aus diesem Grund wird hier eine neue Methode zur Einbettung in das Instrument der Ökobilanz vorgestellt, die im Rahmen eines Vorhabens des Bundesamts für Naturschutz (BfN) weiterentwickelt wurde, um Wirkungen auf die Biodiversität in Ökobilanzen zu erfassen (Lindner et al. 2020). Damit können diese Wirkungen in das produktbezogene Umweltmanagement von Unternehmen integriert werden. Ökobilanzen dienen aber nicht nur der Optimierung der umweltbewussten Produktion, sondern haben letztendlich das Potenzial, die individuelle Konsumentscheidung zu beeinflussen. Im Folgenden wird zunächst die Methode vorgestellt und anschließend anhand von Fallbeispielen aufgezeigt (siehe Abschnitt 1 und 2 im Online-Zusatzmaterial), wie Ökobilanzergebnisse in der Kommunikation von Umweltwirkungen von Produkten und Dienstleistungen künftig Anwendung finden können.

2 Biodiversität als messbare Größe

Grundsätzlich stellt sich zunächst die Frage, wie Veränderungen der Biodiversität in einem bestimmten Gebiet oder auf einer konkreten Fläche gemessen werden sollen. Gemäß der CBD handelt es sich bei Biodiversität um eine komplexe Größe, die sich über die Vielfalt der Arten, die Vielfalt der Lebensräume und die genetische Vielfalt innerhalb der Organismen definiert (UN 1992).

Aufgrund der Multidimensionalität von Biodiversität gestaltet sich eine Quantifizierung als schwierig (Meinard et al. 2019), was zum Teil auf die Vielzahl der zu diesem Zweck vorgeschlagenen Indizes zurückzuführen ist (Morris et al. 2014). Gerade für Agrarsysteme ist ein Monitoring aber notwendig, um Instrumente und Politiken bewerten zu können (Dauber, Klimek 2015) und es gibt auch Ansätze, wie ein solches Monitoring gestaltet und finanziert werden könnte (Geijzendorffer et al. 2016). Empirische Datenerhebungen beziehen sich zumeist auf den Artenreichtum bestimmter Taxa, der Aufwand für die Erhebung solcher quantitativen Daten ist jedoch allein schon für Gefäßpflanzen beträchtlich (Geijzendorffer et al. 2016). Außerdem wird für die Eingabedaten in der Ökobilanzmethode ein bestimmtes Datenformat benötigt, für das die Angabe der Artenanzahl nicht ausreicht. So eignen sich Daten zum Artenreichtum zwar für Hintergrundmodelle in der Ökobilanzmethode (z. B. Strom-Mix), jedoch nur sehr begrenzt für Vordergrundmodelle (z. B. ein bestimmter Acker). Daher wird hier eine neue integrierte Größe – der Biodiversitätswert – vorgeschlagen.

3 Die Ökobilanz und das Schutzgut Biodiversität

Die Ökobilanz (engl. Life Cycle Assessment – LCA) ist eine in der Industrie häufig genutzte Methode, um die Auswirkungen von Produkten und Produktionsprozessen auf die Umwelt abzubilden. Sie ist ein Werkzeug zur Integration von Umweltschutz in wirtschaftlich agierende Organisationen und dient dem Aufzeigen von Hotspots potenzieller Umweltauswirkungen in Wertschöpfungsketten (Rebitzer et al. 2004; Frischknecht 2020). Durch eine Analyse des gesamten Lebenswegs eines Produkts können die Effekte aller mit dem Produkt verbundenen Materialien (als sogenannter Input und Output) errechnet werden. Die Norm ISO 14040/44 dient als methodische Grundlage der Ökobilanz.

Die Ökobilanz besteht aus vier Phasen: Der Definition von Ziel und Untersuchungsrahmen, der Sachbilanz, der Wirkungsabschätzung und der Interpretation. Innerhalb der ersten Phase werden die Systemgrenzen des zu untersuchenden Produkts abgesteckt und wichtige Parameter wie die funktionelle Einheit festgelegt. In der zweiten Phase werden die Input- und Outputflüsse des Systems bestimmt. Diese Flüsse werden dann in der dritten Phase in Wirkungen auf die Umwelt mittels Wirkungsabschätzungsmethoden umgerechnet. In der letzten Phase werden die Ergebnisse ausgewertet und interpretiert.

Derzeit wird innerhalb der Ökobilanzmethodik eine breite Palette an Auswirkungen standardmäßig betrachtet, bspw. abiotischer Ressourcenverbrauch, Klimawandel und Versauerungspotenzial (Frischknecht 2020). Die Auswirkungen auf die Biodiversität zählen standardmäßig bisher noch nicht dazu, d. h. es gibt keine allgemein akzeptierte Methodik. Da der Rückgang der biologischen Vielfalt direkt mit dem steigenden Konsum und somit auch den steigenden Produktionszahlen einhergeht (Koh, Lee 2012), ist eine Betrachtung der Biodiversität innerhalb der Ökobilanz jedoch von großer Wichtigkeit. Einer der Haupttreiber für den Verlust der biologischen Vielfalt ist die Landnutzung und die damit einhergehenden Produktionsprozesse. Infolge menschlicher Landnutzungen kommt es in allen Habitattypen und Ökosystemen zu Beeinträchtigungen bis hin zum völligen Verlust (IPBES 2018).

Ein methodischer Rahmen für Wirkungen auf Schutzgüter, die auf Flächen verankert sind, existiert bereits. Das so genannte „Land Use Framework“ wurde in mehreren Arbeitsgruppen der internationalen Life Cycle Initiative erarbeitet (Milà i Canals et al. 2007; Koellner et al. 2012) und ist in der Ökobilanzforschung weitgehend akzeptiert. Im Land Use Framework werden die beanspruchte Fläche (in m²) und die Zeit (in Jahren – a) der Beanspruchung als Inventargrößen behandelt und üblicherweise als Flächenzeit (in m²a) zusammengefasst. Der Zustand eines flächengebundenen Schutzguts wird generisch als „Qualität“ bezeichnet. Die Differenz zwischen dem Qualitätsniveau, das durch einen landnutzenden Prozess erreicht wird, und einem zu definierenden Referenzzustand wird als Wirkung des Prozesses auf das Schutzgut verstanden. Die Anschlussfähigkeit einer neuen Methode an das Land Use Framework ist eine zentrale Bedingung zur Sicherstellung der grundsätzlichen Verwendbarkeit der Methode in Ökobilanzen.

Um die Verbindung von Produkt und Biodiversität herstellen und die Auswirkungen quantifizieren zu können, bedarf es einer vereinheitlichten Berechnungsgrundlage zur Biodiversitätswirkungsabschätzung. Eine integrierte Methode für die Berechnung ist aus dem BfN-Forschungsprojekt „Biodiversität in Produktökobilanzen – vergleichende Studien und Weiterentwicklung“ (Life Cycle Biodiversity Impact Assessment – LC.biodiv.IA) hervorgegangen und steht nun zur Verfügung.

4 Die Methodenentwicklung im Projekt LC.biodiv.IA

Ziel des Projekts war es, eine anwenderfreundliche Methode zur Bewertung von Biodiversität innerhalb der Ökobilanz zu entwickeln. Um diesem Ziel gerecht zu werden, wurden zunächst der Bedarf aus Ökobilanzperspektive und die Ansprüche seitens der Ökologie ermittelt. Dabei sollte auf Grundlage vorhandener Methoden eingeschätzt werden, welche Lücken derzeit bestehen und welche methodischen Bewertungen bereits vorhanden sind. Darüber hinaus galt es festzustellen, welche Stärken und Schwächen vergleichbare Methoden aufweisen und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine anwenderfreundliche und gleichzeitig realistische Methode zu entwickeln. Schlussendlich wurde eine neue Methode aus der Integration des mathematischen Rahmens von Lindner et al. (2019a) mit dem Hemerobieindikator von Fehrenbach et al. (2015) erarbeitet, die dem Konzept von Maier et al. (2019) folgt.

Die Entscheidung, Hemerobie (Grad der kulturbedingten Nutzungseinflüsse auf Ökosysteme) als repräsentatives Maß für Biodiversität anzuwenden, beruht dabei nicht auf der Annahme, Natürlichkeit im Sinne des Hemerobiekonzepts bilde die Biodiversität eines definierten Untersuchungsgebiets mit Blick auf Artenanzahl, Abundanz, genetische Vielfalt etc. konkret ab. Vielmehr sollte die Vielschichtigkeit des Schutzguts Biodiversität bei der Einbeziehung als Wirkungsindikator in die Ökobilanz im Vordergrund stehen. Hemerobie bildet die menschliche Eingriffsstärke ab. Haupttreiber des Verlusts von Biodiversität sind Habitatveränderungen (gänzliche oder teilweise Zerstörung, Stoffeinträge) und Habitatfragmentierung (IPBES 2018, 2019). Zwar stellt eine klassische Hypothese der Synökologie, die so genannte Intermediate Disturbance Hypothesis (Connell 1978), einen Zusammenhang zwischen der Störungsintensität und dem Ausmaß der Biodiversität her und sagt maximale Biodiversität für Habitate mit mittlerer Störung voraus. Diese Hypothese wird in der modernen Ökologie allerdings kontrovers diskutiert, da sie durch empirische Studien nicht grundsätzlich bestätigt werden konnte (Moi et al. 2020). Außerdem bezieht sich die ursprüngliche Hypothese auf natürliche Störungsprozesse, die somit ein Aspekt der Natürlichkeit eines Habitats sind. Die Zunahme von Hemerobie verstanden als Maß für die Intensität anthropogener Eingriffe in Ökosysteme (insbesondere die Ökosysteme, die die Produktion von Gütern betreffen, wie etwa Landwirtschaftsflächen, Forste, Rohstoffabbauflächen) geht sehr wahrscheinlich in der überwiegenden Zahl der Fälle mit einer Abnahme von Biodiversität einher.

Fehrenbach et al. (2015) haben bereits Hemerobieindikatoren für einen ersten Methodenansatz zu Biodiversität in Ökobilanzen vorgelegt. Die Hemerobie einer Fläche ist jedoch eine diskrete Größe, d. h. sie wird in Stufen ausgewiesen, wobei zur Bestimmung der Hemerobiestufe einer Fläche mehrere Kriterien herangezogen werden. Im Rahmen von LC.biodiv.IA wurden die Kriterien vereinzelt, basierend auf Vorarbeiten von Lindner et al. (2019a) in Parameter mit stetigen Skalen von Biodiversitätsbeiträgen überführt und schließlich zu einem landnutzungsspezifischen Biodiversitätswert aggregiert (siehe Abschnitt 5).

Der landnutzungsspezifische Biodiversitätswert wird außerdem durch die Anwendung eines globalen Gewichtungsfaktors für die spezifische Ökoregion (Ecoregion Factor – EF) nach Olson et al. (2001) biogeographisch differenziert (siehe Beispielrechnung Schritt 5 in Abschnitt 5). Eine Ökoregion mit einem hohen EF wird im globalen Vergleich als wertvoller eingestuft als eine mit niedrigerem EF, d. h. Schäden, die durch Landnutzung in einer Ökoregion mit hohem EF verursacht werden, werden höher gewichtet.

Die hier entwickelte Methode hat einen klaren Flächenbezug: Sie erfasst die Veränderung der Qualität, d. h. des Natürlichkeitsgrads, einer bestimmten Fläche über einen bestimmten Zeitraum, die durch die Herstellung eines bestimmten Produkts verursacht wird. Daraus ergibt sich die Differenz zum maximal realisierbaren Biodiversitätspotenzial auf der gegebenen Fläche (Naturferne bzw. Hemerobie). Dabei werden fünf Landnutzungsarten unterschieden: Wald/Forst, Grünland, Ackerland, Brachland und Rohstoffabbauflächen. Die tatsächliche Qualität wird über eine Reihe von Kriterien quantifiziert, die je nach Landnutzungsart unterschiedlich sind (vgl. Tab. 1 und Ausführungen in Abschnitt 5).

5 Berechnung des Biodiversitätswerts

Die Kriterien für die Berechnung (vgl. Tab. 1) werden für die betreffende Fläche jeweils anhand einer Anzahl von Messgrößen (z. B. die Düngungsintensität im Kriterium „Stoffeinträge“ für Landwirtschaftsflächen) quantifiziert. Auf Basis dieser Messwerte erlaubt die mathematische Struktur der Biodiversitätsbewertung (Lindner et al. 2019b) die Berechnung des Biodiversitätswerts eines Flächenelements, das durch einen Prozess in einem Produktsystem belegt ist. Dies erfolgt in fünf Schritten (im Folgenden mit beispielhaften Angaben für eine ackerbaulich genutzte Fläche), wobei die ersten drei Schritte der Aggregation der einzelnen Messwerte zu einem Biodiversitätswert in einer Skala von 0 (keine Biodiversität) bis 1 (höchstmögliche Biodiversität in einem Nutzungssystem in einer Ökoregion) dienen:

Tab. 1: Übersicht über die Kategorien der Landnutzung. Table 1: Overview of land use categories.
Flächentyp
Kriterien
Wald- und Forstflächen

Naturnähe des Bodens

Naturnähe der Waldgesellschaft

Naturnähe der Entwicklungsbedingungen

Landwirtschaftsflächen (Acker- und Grünland)

Diversität der Begleitflora

Strukturdiversität

Bodenschutz

Stoffeinträge

Rohstoffabbau

Nutzungsintensität

Vegetationszustand

Wasserhaushalt

Versiegelung

Verschmutzung

    Schritt 1: Jeder einzelne Messwert x wird in einen Biodiversitätswertbeitrag y(x) zwischen 0 und 1 transformiert, um eine Aggregation der verschiedenen Messwerte in einer einheitlichen Skala zu ermöglichen.

    Beispiel: Düngungsintensität von 100 kg Stickstoff (N) pro ha und Jahr führt zu einem Biodiversitätswertbeitrag von 0,35 (Abb. 1).

    Schritt 2: Die einzelnen Biodiversitätswertbeiträge werden pro Kriterium zu einem gemeinsamen Biodiversitätswertbeitrag aggregiert, der weiterhin zwischen 0 und 1 liegt.

    Beispiel: Die Biodiversitätswertbeiträge aus den verschiedenen Messgrößen im Kriterium „Stoffeinträge“ werden zu einem Wert von 0,32 aggregiert.

    Schritt 3: Die Werte der einzelnen Kriterien werden zum landnutzungsspezifischen Biodiversitätswert aggregiert, der ebenfalls auf einer Skala im Intervall von 0 bis 1 liegt.

    Beispiel: Die Biodiversitätswertbeiträge aller Kriterien werden zu einem Wert von 0,33 aggregiert.

    Schritt 4: Der landnutzungsspezifische Biodiversitätswert wird in den normierten Biodiversitätswert transformiert. Dazu wird Ersterer in landnutzungsspezifische Hemerobieintervalle eingepasst. Auf diese Weise wird beachtet, dass die Skalen der Biodiversitätswertbeiträge von Wald, Ackerflächen, Grünland und Siedlungsflächen nicht äquivalent sind: Der höchste zu erreichende Wert 1 für eine Ackerfläche rangiert niedriger als der höchste zu erreichende Wert 1 für einen Wald (Abb. 2).Jedem Landnutzungstyp wird ein minimales und ein maximales Hemerobieniveau innerhalb einer insgesamt siebenstufigen Gesamtskala zugeordnet. Basis ist hierbei das auf Sukopp (1972) zurückgehende siebenstufige Hemerobieklassensystem, das bereits von Klöpffer, Renner (1995) und Fehrenbach et al. (2015) mit Kriterien und Messgrößen ausgestattet wurde.
    Schritt 5: Der normierte Biodiversitätswert wird in den lokalen Biodiversitätswert transformiert (Abb. 3). Dazu wird die Hemerobieskala gemäß Fehrenbach et al. (2015) nichtlinear gestreckt, d. h. der wirkungsbezogene Charakterisierungsfaktor von Hemerobieklasse zu Hemerobieklasse beträgt 2. Aus dem normierten Wert mit 0,33 für eine Ackerfläche wird ein lokaler Biodiversitätswert von 0,66. Als nächstes wird der lokale Biodiversitätswert durch Multiplikation mit dem Ökoregion-Faktor in den globalen Biodiversitätswert transformiert (Abb. 4). Dieser Faktor für die globale Differenzierung unterscheidet die von Olson et al. (2001) definierten 827 Ökoregionen und setzt sich aus vier Indikatoren zusammen: Flächenanteil von Grünland und Wald, Flächenanteil von Feuchtgebieten, globale Aussterbewahrscheinlichkeit und Flächenanteil unzerschnittener Gebiete. So wird der explizit auf Hemerobie bezogene lokale Biodiversitätswert in den Zusammenhang der globalen Biodiversität eingeordnet. Eine Ackerfläche in einer biodiversitätsreichen Ökoregion hat eine stärkere negative Wirkung auf die Biodiversität als eine Ackerfläche in einer weniger biodiversitätsreichen Ökoregion.

    Beispiel: Liegt die betrachtete Fläche in der Ökoregion temperierter Laub- und Mischwald, wird der lokale Wert von 0,66 mit einem EF von 2,5 gewichtet. Der globale Wert liegt damit bei 1,65.

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Abb. 1: Verlauf der Beziehung zwischen Biodiversitätsbeitrag und Stickstoffbilanz.
Fig. 1: Correlation between biodiversity contribution and nitrogen balance.
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Abb. 2: Landnutzungsspezifische Hemerobieintervalle (nach Fehrenbach et al. 2015, verändert).
Fig. 2: Land-use-specific hemeroby intervals (after Fehrenbach et al. 2015, modified).
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Abb. 3: Transformationsschema für den Biodiversitätswert.
Fig. 3: Transformation scheme for the biodiversity value.
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Abb. 4: Globale Verteilung der Ökoregionen.
Fig. 4: Global distribution of ecoregions.
(Quelle: Lindner et al. 2020)(Source: Lindner et al. 2020)

Der globale Wert stellt den Endpunkt der Berechnung dar und gleichzeitig den Übergabepunkt an existierende, etablierte Methoden. Er entspricht der Qualität Q im Land Use Framework (siehe oben), kann also innerhalb dessen weiterverarbeitet werden. Eine ausführliche Beschreibung der Methode mit einer Herleitung und Überprüfung der einzelnen Messgrößen findet sich im Endbericht „Biodiversität in Ökobilanzen“ (Lindner et al. 2020).

6 Anwendungsbeispiel

Das Prinzip der Anwendung und der Informationsgehalt für die Konsumentscheidung lassen sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen (Lindner et al. 2019b). Die Anwendung der Methode wurde an einem Produkt des Alltagskonsums veranschaulicht, das verschiedene Komponenten der Landnutzung, über die die Biodiversitätswirkung abgeleitet wird, kombiniert: eine klassische Pizza. Um das Beispiel einfach und anschaulich zu halten, wurde die Komplexität der Rezeptur und des Produktionsprozesses stark vereinfacht (Abb. 5). Die beispielhafte Pizza besteht aus einem Weizenteig mit einer Schicht aus passierten Tomaten. Wir betrachten nur zwei Beläge, nämlich Schweinesalami und geriebenen Milchkäse. Die Pizza wird in einem traditionellen Holzofen gebacken, der mit Buchenholz befeuert wird.

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Abb. 5: Produktsystem einer Pizza.
Fig. 5: Product system of a pizza.

Das Beispiel zeigt die sehr unterschiedlichen Anteile der einzelnen Zutaten im Gesamtergebnis für ein Produkt wie Pizza. Außerdem wird deutlich, wie sehr sich die Ergebnisse verschieben, wenn die Darstellung der reinen Flächenbelegung einer Betrachtung der Biodiversitätswirkung gegenübersteht (Abb. 6). Betrachtet man nur die reine Flächenbelegung ohne spezifische Biodiversitätswirkung, entfallen 50 % der Fläche allein auf das Brennholz. Salami und Käse beanspruchen rund 20 % bzw. 23 % der Fläche (Abb. 6a). Bezieht man den Aspekt der Biodiversität ein, leisten die tierischen Zutaten Käse und Salami mit rund 42 % bzw. 48 % den weitaus größten Beitrag zu den Auswirkungen des Produkts auf die Biodiversität (Abb. 6b). Brennholz und Weizen spielen eine untergeordnete Rolle (beide etwa 5 %). Tomaten tragen noch weniger dazu bei, obwohl ihr Produktionsgebiet als Industriegebiet gilt. Für eine hypothetische Gastronomie würde dies bedeuten, dass die Ausgangspunkte für die Verbesserung des Biodiversitätsprofils der Pizza der Käse und die Salami sind. Das Restaurant könnte sich nach Lieferanten umsehen, die das Tierfutter aus weniger kritischen Regionen beziehen, oder es könnte ganz auf ein vegetarisches oder veganes Angebot umstellen.

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Abb. 6: Anteile der einzelnen Zutaten an den Umweltwirkungen im Produktsystem einer Pizza. a) Betrachtung der reinen Flächenbelegung, b) Betrachtung der Biodiversitätswirkung auf der Fläche.
Fig. 6: Contributions of individual ingredients to the environmental impacts associated with the product system of a pizza. a) Considering land occupation only, b) considering the impact on biodiversity over the area.

7 Ökobilanz erlaubt informierte Konsumentscheidungen

Bereits im von den Vereinten Nationen koordinierten Millennium Ecosystem Assessment (Millennium Ecosystem Assessment 2005) wurde der Verlust von Biodiversität weltweit auf fünf zentrale Treiber zurückgeführt: Habitatverlust, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Übernutzung von Ressourcen und die Ausbreitung invasiver Arten. Für nahezu jeden dieser Aspekte besteht ein direkter Flächenbezug, d. h. eine Qualitätsänderung der betroffenen Fläche und der lokalen Biodiversität. Die Ökobilanz ist eine gebräuchliche Methode, um Umweltwirkungen im großen Maßstab abzubilden und zu bewerten. Mit den hier vorgestellten Ergebnissen des Projekts LC.biodiv.IA ist es möglich, die Biodiversitätswirkung von Produktionsprozessen zu erfassen und damit informierte Konsumentscheidungen zu erlauben. Die beiden Fallstudien zu Batterierohstoffen und Baumwolle dienen als weitere Beispiele (siehe Abschnitt 1 und 2 im Online-Zusatzmaterial).

Mit den Fallbeispielen konnte gezeigt werden, dass die relevanten Kriterien und Messgrößen gut eingegrenzt werden können. Der Ansatz des Hemerobiekonzepts nach Fehrenbach et al. (2015) erwies sich dabei als gut geeignet, da er die Vielzahl relevanter Kriterien bzw. Indikatoren in einer ähnlichen Struktur erfasst wie die Potenzialfeldmethode von Lindner et al. (2019a). Die Vielfalt von Anbaufrüchten wird anhand der Messgröße zur Anzahl der Fruchtfolgen nur eingeschränkt berücksichtigt. Nicht berücksichtigt sind bisher die genetische Diversität und der Einsatz genetisch veränderter Organismen.

Die weiterentwickelte Methodik erlaubt es, landnutzenden Produktionsprozessen einen spezifischen Biodiversitätswert zuzuordnen. Eine Einschränkung des Ansatzes liegt darin, dass die Methode nicht explizit auf Biodiversität, sondern auf dem Hemerobiekonzept aufbaut. Das Schutzgut zielt somit nach Kowarik (1999) auf die Wirkung anthropogener Einflüsse, die einer Selbstregulation des betrachteten Ökosystemausschnitts auf Grundlage des aktuellen Standortpotenzials entgegenstehen. Es wird hierbei angenommen, dass Hemerobie die Gefährdung von Biodiversität (definiert als Artenvielfalt, genetische Vielfalt innerhalb der Arten sowie die Vielfalt der Ökosysteme) zumindest als Proxy ausreichend repräsentieren kann. In der Fachwissenschaft gibt es hierzu wenig konkrete Analysen (genannt sei Winter 2012). Allerdings ist die Korrelation zwischen der Intensität menschlicher Eingriffe und dem Verlust an Biodiversität gut belegt: Der aktuelle Bericht der IPBES (2019) lässt keinen Zweifel daran, dass intensivere Eingriffe auf der Fläche (d. h. höhere Hemerobie) mit einem größeren Risiko für die Biodiversität verbunden sind.

Entscheidend ist, dass Biodiversität in Ökobilanzen künftig integriert wird. Dieses im Umweltmanagement breit etablierte Instrument kann sich nicht nur auf Wirkungen wie den Beitrag zum anthropogenen Klimawandel und zur Verknappung stofflicher Ressourcen fokussieren. Die methodischen und praktischen Ergebnisse des Projekts LC.biodiv.IA sollen helfen, hier eine wesentliche Lücke zu schließen. Die Ökobilanz als Werkzeug und belastbare wissenschaftliche Methode zur Bewertung von Produkten ist allerdings derzeit bei der breiten Masse der Verbraucherinnen und Verbraucher kaum bekannt. Als zentrale Methode zur Analyse von Lieferketten und zur Identifikation der Schritte im Produktionsprozess, die mit besonders negativen Umweltauswirkungen verbunden sind, dient sie einerseits vor allem der produzierenden Industrie zur ökologischen Optimierung von Wertschöpfungsketten, andererseits auch der Politik bei der Setzung des regulatorischen Rahmens. In diesem Sinne werden Ökobilanzen von beiden Seiten erfolgreich eingesetzt.

Wo liegen jedoch die Vorteile, Ökobilanzen einem breiteren Publikum vorzustellen und Aspekte wie Biodiversität damit zu bewerten? Grundsätzlich lässt sich Konsum durch gezielte Information bewusster und damit potenziell nachhaltiger gestalten. Die Entscheidung für sparsameren und damit nachhaltigeren Konsum korreliert mit dem Grad der Informiertheit über die Umweltwirkungen des Produkts, wie bspw. für die Palmölproduktion gezeigt wurde (Lange, Coremans 2020). Hier können Ökobilanzergebnisse – in angemessener Form kommuniziert – ein Wegweiser sein, etwa bei der Auswahl der Nahrungsmittel, die Biodiversität zu schonen (Crenna et al. 2019). Das Bewusstsein für „grünen“ Konsum ist in den letzten Jahren stark gestiegen und hat einen klaren Marktwert (Gutierrez et al. 2020). Obwohl informierte Konsumentscheidungen durch eine Vielzahl von Ökolabels und Zertifikaten ermöglicht oder erleichtert werden sollen, gibt es Hinweise, dass diese zum Teil als intransparent oder sogar verwirrend wahrgenommen werden (Yokessa, Marette 2019), weil die Datenbasis bzw. der Vergabeprozess der Label unklar bleiben.

Mit der hier vorgestellten Methode soll gezeigt werden, dass die Biodiversitätswirkungen einzelner Produkte quantitativ erfasst und transparent dargestellt werden können. Somit wird der Schutz von Biodiversität durch bewusste Konsumentscheidungen prinzipiell möglich, obwohl die Integration von Biodiversität in die Bewertung ganzer Wertschöpfungsketten und Produktsysteme gerade erst beginnt.

Zusatzmaterial zum Beitrag

Bischoff M., Lindner J.P., Winter L., Fehrenbach H. (2022): Die Ökobilanz als Instrument für informierte Konsumentscheidungen – bewusster Konsum kann Biodiversität schützen. Natur und Landschaft 97(3): 130 – 136. DOI: 10.19217/NuL2022-03-03

PDF

● Zusatzmaterial (Fallstudie Lithium und Kobalt und Fallstudie Baumwolle) als PDF herunterladen

8 Literatur

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Horst Fehrenbach

Korrespondierender Autor

ifeu – Institut für Energie- und

Umweltforschung Heidelberg gGmbH

Wilckensstraße 3

69120 Heidelberg

E-Mail: horst.fehrenbach@ifeu.de Der Autor studierte Biologie an der Universität Heidelberg und ist seit 1991 am ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg tätig. Seit 2006 koordiniert er dort die Arbeiten zur nachhaltigen Produktion und Nutzung von Biomasse. In diesem Zusammenhang hat er für die Bundesregierung Nachhaltigkeitskriterien und eine Berechnungsgrundlage für Treibhausgasemissionen entwickelt. Derzeit berät er die Bundesregierung bei der Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) in Bezug auf alle Arten von Kraftstoffen. Seit 2017 ist er wissenschaftlicher Direktor und Leiter des ifeu-Bereichs „Ressourcen“, der Themen wie Biomasseproduktion, Landnutzung und Rohstoffe, Grundstoffindustrie und Kreislaufwirtschaft umfasst. Er ist Vorsitzender des DIN NAGUS-Ausschusses 172-00-10 (Nachhaltigkeitskriterien für Biomasse) und des DIN-Arbeitskreises 172-00-03-01AK (Carbon Footprint für Produkte). Von dort aus ist er regelmäßig Delegierter des deutschen Spiegelgremiums in die entsprechenden Gremien bei CEN und ISO.

NuL_03_2022_Fehrenbach_Vita.jpg

Dr. Mascha Bischoff

ifeu – Institut für Energie- und

Umweltforschung Heidelberg gGmbH

Wilckensstraße 3

69120 Heidelberg

E-Mail: mascha.bischoff@ifeu.de

Prof. Dr. Jan Paul Lindner

Fraunhofer-Institut für Bauphysik

Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung

Wankelstraße 5

70563 Stuttgart

und

Hochschule Bochum

Lehrstuhl für Nachhaltigkeit im Ingenieurwesen

Am Hochschulcampus 1

44801 Bochum

E-Mail: jan-paul.lindner@hs-bochum.de

Dr. Lisa Winter

Intep Integrale Planung GmbH

Tucholskystraße 13

10117 Berlin

E-Mail: winter@intep.com

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