Steffen Boch, Helen Küchler, Meinrad Küchler, Angéline Bedolla, Klaus T. Ecker, Ulrich H. Graf, Tobias Moser, Rolf Holderegger und Ariel Bergamini
Zusammenfassung
Wiederholungen von Vegetationserhebungen sind wichtig, um zeitliche Veränderungen der biologischen Vielfalt und der
Umweltbedingungen zu erfassen. Vegetationserhebungen sind jedoch anfällig für verschiedene Fehlerquellen. Diese gilt es zu
minimieren und alternative Ansätze für die Analyse der Daten zu finden. Anhand eines Datensatzes von 224 doppelt erhobenen
Dauerflächen in der Schweiz untersuchten wir die häufigste Fehlerquelle bei Vegetationserhebungen: die Unterschiede zwischen den
Bearbeitenden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Artenlisten von Untersuchungsflächen, die am selben Tag von verschiedenen
Bearbeitenden erstellt wurden, voneinander abweichen (28,5 % Unterschied) − hauptsächlich weil Arten mit geringer Häufigkeit von
jeweils einem der beiden Bearbeitenden übersehen wurden. Wir konnten zeigen, dass sich der Fehler durch Aggregierungen bestimmter
Einträge in den ursprünglichen Artenlisten (z. B. Unterarten auf Artniveau zusammenfassen oder Arten zu Aggregaten zuordnen)
reduzieren lässt und dass mittlere ökologische Zeigerwerte robust gegenüber Unterschieden zwischen Bearbeitenden sind. Mittels der
genannten Aggregierungen in den Artenlisten und durch Verwendung mittlerer Zeigerwerte können somit zeitliche Veränderungen der
Vegetation und von Umweltbedingungen verlässlich erfasst werden.
Vegetationserhebung – Bearbeitereffekt – Pseudoturnover − ökologischer Zeigerwert − Langzeitbeobachtung − biologische VielfaltAbstract
Resurveys of vegetation plots are important for capturing temporal changes in biodiversity and environmental conditions.
However, vegetation surveys are prone to several error sources. It is important to minimise these and to find alternative
approaches for analysing the data. Using a dataset of 224 double-surveyed permanent plots in Switzerland, we investigated the most
common source of error in vegetation surveys, namely differences between observers. Our results show that species lists sampled by
two different observers independently on the same day differ from each other (28.5 % difference), mainly because species with low
abundance were overlooked by one or the other of the two observers. We showed that by applying simple aggregation steps to the
original species lists, the error can be reduced (e. g. setting subspecies to species level or assigning species to aggregates)
and that mean ecological indicator values are robust to differences among observers. Thus, by aggregating certain entries in the
original species lists and using mean indicator values, temporal changes in vegetation and environmental conditions can be
recorded reliably.
Vegetation survey – Interobserver error – Pseudoturnover − Ecological indicator value − Long-term monitoring – BiodiversityInhalt
1 Einleitung
Der vorliegende Beitrag wurde bereits als wissenschaftlicher Fachartikel im Journal „Applied Vegetation Science“ publiziert
(Boch et al. 2022). An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf jene Resultate und
Schlussfolgerungen, die für die Anwendung in der Praxis besonders interessant sind.
Dauerbeobachtungsflächen, die regelmäßig untersucht werden, sind ein geeignetes Instrument, um zeitliche Veränderungen zu
dokumentieren und besser zu verstehen. Sie gewinnen aus wissenschaftlicher, praktischer und politischer Sicht mehr und mehr an
Bedeutung und es wurden in den letzten Jahrzehnten europaweit zahlreiche Programme etabliert (Nichols,
Williams 2006; Corona et al. 2011). Auch Wiederholungen historischer
Vegetationserhebungen − also die Aufnahme von Flächen, auf denen die Vegetation vor dem Auftreten größerer Umweltveränderungen bereits
einmal erfasst wurde − sind zu einem wichtigen Instrument geworden, um Vegetations- und Umweltveränderungen im Laufe der Zeit zu
erkennen (z. B. Hédl et al. 2017; Verheyen et al.
2017).
Vegetationserhebungen sind jedoch anfällig für verschiedene Fehlerquellen, wie die ungenaue Lokalisierung der Position
historischer Aufnahmeflächen sowie Unterschiede in der Phänologie zum Zeitpunkt der Vegetationserhebung und in der Taxonomie oder
Abweichungen zwischen Personen, die die Erhebungen durchführen. Alle diese Fehlerquellen beeinträchtigen die Daten und können in der
Folge zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führen (Kapfer et al. 2017; Boch et al. 2019).
Eine der häufigsten Fehlerquellen bei Vegetationserhebungen sind Fehler der bearbeitenden Personen (Übersichtsstudie von Morrison 2016), wodurch es zu unterschiedlichen Ergebnissen bei zwei oder mehr Bearbeitenden kommt.
Diese Fehlerquelle ist vielschichtig, da sich die Bearbeitenden in der Regel in ihrer Artenkenntnis und in ihrer Erfahrung bei der
Durchführung von Vegetationserhebungen voneinander unterscheiden. Sie ist auch abhängig von der Tagesform der Bearbeitenden (z. B.
körperliche Belastung; Morrison 2016). Artenlisten von Untersuchungsflächen, die am selben Tag
von verschiedenen Bearbeitenden erstellt wurden, weichen in der Regel voneinander ab. Dieses Phänomen wird als Pseudoturnover
bezeichnet und beschreibt die Zahl der gemeinsamen und unterschiedlichen Arten in zwei oder mehr Erhebungen (Nilsson, Nilsson 1985). In einer Literaturanalyse von Studien, die diesen Pseudoturnover
quantifizierten, berichtete Morrison (2016), dass bei Vegetationserhebungen derselben Fläche
bis zu 30 % der Arten nicht von zwei verschiedenen Bearbeitenden erfasst werden. Der Hauptgrund ist das Übersehen von Arten, in
geringerem Maße auch falsche Artbestimmung (Lisner, Lepš 2020; Morrison et al. 2020b).
Ob eine Art eher übersehen wird als eine andere hängt neben ihrer Auffälligkeit auch mit ihrer Populationsgröße oder Häufigkeit
bzw. Deckung innerhalb der Untersuchungsfläche und der Phänologie zusammen (Garrard et al.
2013; Dennett, Nielson 2018). Burg et al.
(2015) zeigten, dass die tatsächlichen Veränderungen der Zusammensetzung von Vegetationsflächen nach einem Jahrhundert
dreimal so hoch sein können wie der Fehler durch Bearbeitende. Bei Folgeuntersuchungen über kürzere Zeiträume (z. B. < 10 Jahre)
ist es jedoch möglich, dass der Fehler durch Bearbeitende die tatsächlichen Vegetationsveränderungen übertrifft und letztere darum
nicht mehr erkannt werden können (Futschik et al. 2020). Es ist deshalb wichtig, Fehler durch
Bearbeitende möglichst klein zu halten. Bislang noch nicht untersucht wurde, ob der von den Bearbeitenden abhängige Pseudoturnover
durch einfache Aggregierungen bestimmter Einträge in den ursprünglichen Artenlisten, so wie sie im Feld von den Bearbeitenden erstellt
wurden, reduziert werden kann (z. B. durch Zusammenfassung der Kraut-, Strauch- und Baumschicht, durch Reduktion unsicher
identifizierter Arten, durch Umstufung von Unterarten auf Artniveau und durch Zuordnung von Arten zu Aggregaten).
Bei der Analyse der Daten von Dauerbeobachtungsflächen werden oft nicht nur Aussagen zu Veränderungen der Artenzahl,
Artenzusammensetzung oder der Vegetation gemacht, sondern es sollen Veränderungen in den Umweltbedingungen erfasst werden. Dafür
werden ökologische Zeigerwerte verwendet. Ökologische Zeigerwerte beschreiben das realisierte Nischenoptimum einer Art in Hinblick auf
einen bestimmten Umweltfaktor auf einer Klassenskala (Ellenberg et al. 2001; Landolt et al. 2010). Der Mittelwert aller Arten in einer Fläche liefert Informationen über die
Umweltbedingungen eines Standorts und eignet sich gut zur Charakterisierung ökologischer Veränderungen (Diekmann 2003). Ob mittlere Zeigerwerte robust gegenüber Unterschieden zwischen Bearbeitenden sind, ist bislang
unbekannt.
Vegetationserhebungen auf Dauerbeobachtungsflächen spielen auch eine wichtige Rolle im Rahmen von Monitoringprogrammen in
Schutzgebieten, deren Errichtung eine der weltweit wichtigsten Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität ist (IPBES 2019). Wie gut Schutzgebiete funktionieren, ist oftmals nicht bekannt, da gezielte
Monitoringprogramme fehlen. In der Schweiz wurde deshalb vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) und der Eidgenössischen
Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Jahr 2011 ein langfristiges, nationales Monitoringprogramm − die
Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz (WBS) − gestartet (Bergamini et al. 2019). Die WBS hat
zum Ziel, die Entwicklung und Veränderungen der Biodiversität und der Lebensraumqualität von rund 7.000 Biotopen von nationaler
Bedeutung (Hochmoore, Flachmoore, Trockenwiesen und -weiden sowie Amphibienlaichgebiete) − den Eckpfeilern des Schweizer
Schutzgebietssystems − langfristig zu untersuchen.
Basierend auf Dauerbeobachtungsflächen, die im Rahmen der WBS doppelt erhobenen wurden, untersuchten wir in dieser dem
vorliegenden Beitrag zugrundeliegenden Studie die Fehler von Bearbeitenden bei Vegetationserhebungen. Wir untersuchten, wie groß der
Fehler zwischen den Bearbeitenden (Pseudoturnover) ist, welche Faktoren den Pseudoturnover beeinflussen und ob er durch Aggregierungen
in den Artenlisten verringert werden kann. Außerdem testeten wir, ob mittlere ökologische Zeigerwerte robust gegenüber Unterschieden
zwischen Bearbeitenden sind.
2 Methoden
2.1 Vegetationserhebungen
Im Rahmen der WBS werden Vegetationserhebungen in einer Teilstichprobe von etwa 800 der insgesamt 7.000 Biotope von nationaler
Bedeutung durchgeführt. In diesen 800 Biotopen wurden wiederum etwa 7.000 Untersuchungsflächen mit einer Flächengröße von je
10 m2 etabliert (Abb. 1; für Details zum Stichprobendesign und der Auswahl der
Untersuchungsflächen siehe Bergamini et al. 2019).
Abb. 1: Beispiele geschützter Biotope der Trockenwiesen und -weiden, Auen und Moore von nationaler Bedeutung in der
Schweiz, in denen die Doppelerhebungen von Daueruntersuchungsflächen durchgeführt wurden: a) Steppenrasen in einem
inneralpinen Trockental, b) Halbtrockenrasen der Südalpen, die Schweizerfähnchen markieren eine kreisförmig abgesteckte,
10 m2 große Untersuchungsfläche, c) ausgedehnte alpine Schwemmebene in der Ostschweiz, d) ausgedehnte
Moorlandschaft in den Voralpen.
Fig. 1: Examples of protected biotopes of dry meadows and pastures, floodplains and bogs of national importance in
Switzerland, where the double surveys of vegetation plots were conducted: a) steppe grassland in an inner-alpine dry valley,
b) meso-xeric grassland of the Southern Alps, the Swiss flags mark a circular 10 m2 plot, c) extensive alpine
floodplain in eastern Switzerland, d) extensive fens and mires in the Prealps.
Vegetationserhebungen werden in jeder Untersuchungsfläche nach sechs Jahren wiederholt (da die Erhebungen über alle Jahre
gleichmäßig verteilt sind, ergeben sich daher ca. 1.200 Untersuchungsflächen pro Jahr). Die Zentren der Untersuchungsflächen sind mit
einer Magnetsonde unterirdisch markiert. Dadurch stellen wir sicher, dass bei Folgeuntersuchungen dieselbe Fläche mittels GPS und
Magnetsuchgerät wiedergefunden und erhoben werden kann. Um systematische räumliche, zeitliche und lebensraumspezifische Effekte von
Bearbeitenden zu vermeiden, werden alle Feldmitarbeiterinnen und -mitarbeiter über die ganze Vegetationsperiode in allen wichtigen
Lebensraumtypen und in allen biogeographischen Regionen der Schweiz eingesetzt. Die Jahresstichprobe entspricht in ihrer räumlichen
Anordnung einem zufälligen ausgewählten Abbild der Gesamtstichprobe. Mit allen diesen Maßnahmen wird angestrebt, die Fehler der
Feldmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zufällig über die Schweiz zu verteilen.
Von 2014 bis 2020 führten wir außerdem auf insgesamt 224 Untersuchungsflächen in der ganzen Schweiz Doppelerhebungen durch
(Abb. 2), die wir für die Analysen dieser Studie verwendet haben. Jede doppelt beprobte
Untersuchungsfläche wurde im Feld markiert und dann von den beiden Bearbeitenden unabhängig voneinander am selben Tag nacheinander
untersucht. Mit dieser Methode schlossen wir andere Fehlerquellen wie Saisonalität und ungenaue Lokalisierung aus und konnten uns auf
die Unterschiede zwischen Bearbeitenden konzentrieren, also den Pseudoturnover. Insgesamt waren 19 professionelle Botanikerinnen und
Botaniker mit fundierten Kenntnissen der Schweizer Flora und Erfahrungen mit der Durchführung von Vegetationsaufnahmen
beteiligt.
Abb. 2: Lage der 129 Biotope von nationaler Bedeutung in der Schweiz, in denen 224 Doppelerhebungen von
Daueruntersuchungsflächen durchgeführt wurden.
Fig. 2: Location of the 129 biotopes of national importance in Switzerland in which we double-surveyed 224 permanent
vegetation plots.
Bei den Doppelerhebungen wurden alle vorkommenden Gefäßpflanzenarten innerhalb der Untersuchungsflächen erfasst und so genau wie
möglich bestimmt. Die Deckung wurde für jede Art anhand einer modifizierten Braun-Blanquet-Skala geschätzt (r = < 0,1 %, + = 0,1 %
bis < 1 %, 1 = 1 % bis < 5 %, 2 = 5 % bis < 25 %, 3 = 25 % bis < 50 %, 4 = 50 % bis < 75 %, 5 = 75 % bis < 100 %).
Außerdem unterschieden wir drei Vegetationsschichten: Krautschicht (krautige Pflanzen jeder Größe und Gehölze < 0,5 m Höhe),
Strauchschicht (Gehölze 0,5 – 3,0 m Höhe) und Baumschicht (Gehölze > 3 m Höhe). Gehölzarten können somit in allen drei Schichten
einer Aufnahme gleichzeitig vorkommen.
2.2 Mittlere ökologische Zeigerwerte
Wir berechneten mittlere ökologische Zeigerwerte für Nährstoffe, Licht, Temperatur, Kontinentalität, Feuchtigkeit, Reaktion und
Humus für jede Erhebung basierend auf Landolt et al. (2010) mit dem Programm Vegedaz (Küchler 2019).
2.3 Datenaufbereitung und statistische Analyse
Statistische Tests wurden in R Version 4.1.2 (R Core Team 2021) und Vegedaz (Küchler 2019) durchgeführt. Wir berechneten den Pseudoturnover zwischen den beiden Erhebungen jeder
Untersuchungsfläche als Sørensen-Dissimilarität multipliziert mit 100, was dem häufig verwendeten Maß für den Turnover nach Nilsson, Nilsson (1985) entspricht: Pseudoturnover = ((b + c) / (2a + b + c)) × 100, wobei b die
Anzahl der Taxa ist, die in der ersten Erhebung, aber nicht in der zweiten Erhebung vorkommen, c die Anzahl der Taxa, die in der
zweiten, aber nicht in der ersten Erhebung vorkommen, und a die Anzahl der Taxa, die in beiden Erhebungen vorkommen. Der
Pseudoturnover bezieht sich auf den Prozentsatz der Arten, die von einem oder dem anderen der beiden Bearbeitenden übersehen
wurden.
Anschließend aggregierten wir die Artenlisten schrittweise, um zu prüfen, ob der Pseudoturnover dadurch reduziert
werden kann. Wir berechneten jeweils den Pseudoturnover für folgende Aggregationsschritte:
Wir berechneten den Pseudoturnover für jede Untersuchungsfläche und Aggregationsstufe und analysierten den Unterschied des
Pseudoturnovers zwischen jedem weiteren Aggregationsschritt und dem vorhergehenden mithilfe gepaarter Wilcoxon-Tests.
Anhand der vollständig aggregierten Artenliste führten wir weitere Analysen durch, um zu prüfen, welche Faktoren den
Pseudoturnover beeinflussen (Details und weitere Analysen in Boch et al. 2022). Um zu
untersuchen, warum ein Taxon von einer Person übersehen wurde, haben wir bspw. die Anzahl der Beobachtungen über alle
Untersuchungsflächen pro Braun-Blanquet-Deckungsklasse summiert. Pro Kategorie teilten wir die Beobachtungen in Taxa auf, die jeweils
von beiden Bearbeitenden gefunden wurden, und in Taxa, die von nur einer der beiden bearbeitenden Personen übersehen wurden.
Um die Auswirkungen der Bearbeitenden auf die mittleren ökologischen Zeigerwerte zu analysieren, ordneten wir die doppelt
erhobenen Flächen zunächst nach der ursprünglichen Artenzahl und berechneten dann die Unterschiede der mittleren Zeigerwerte zwischen
den beiden Erhebungen einer Untersuchungsfläche, indem wir die mittleren Zeigerwerte der Erhebung mit der niedrigeren Artenzahl von
denen der Erhebung mit der höheren Artenzahl abzogen. Dies geschah sowohl für die ursprünglichen Artenlisten als auch für alle oben
erwähnten Aggregationsschritte. Anschließend untersuchten wir mit Wilcoxon-Tests, ob diese Unterschiede signifikant von Null
verschieden waren.
3 Ergebnisse und Diskussion
3.1 Pseudoturnover in Vegetationserhebungen
Die ursprünglichen Artenlisten, wie sie im Feld von den beiden Bearbeitenden derselben Untersuchungsfläche erstellt wurden,
unterschieden sich im Mittel deutlich voneinander. Der durchschnittliche Pseudoturnover unserer Studie war mit 28,5 % (Standardfehler
± 0,7) eher hoch (Abb. 3) im Vergleich zu früheren Studien, bei denen ein durchschnittlicher
Pseudoturnover von 10 % bis 36 % berichtet wurde (Übersichtsstudie von Morrison 2016). Die
geringeren Werte anderer Studien sind jedoch darauf zurückzuführen, dass Fehlerquellen im Vorhinein systematisch ausgeschlossen
wurden. Es wurden bspw. keine Vegetationsschichten unterschieden, die Pflanzen generell nur auf Artniveau identifiziert, also auf die
Bestimmung von Unterarten verzichtet, oder sogar von vornherein nur auf Gattungsniveau bestimmt (Morrison et al. 2020b).
Abb. 3: Mittlerer Pseudoturnover von Taxa zwischen zwei Bearbeitenden derselben Untersuchungsfläche (n = 224) für
verschiedene Aggregationsstufen (Erläuterung der Aggregationsstufen in Abschnitt 2.3 im Text). Der Unterschied im
Pseudoturnover von einer Aggregationsstufe zur nächsten wurde mit gepaarten Wilcoxon-Tests analysiert (***: p < 0,001;
**: p < 0,01; n. s. [nicht signifikant]: p ≥ 0,05; verändert nach Boch et al.
2022). Fig. 3: Mean pseudoturnover of taxa between two observers of the same plot (n = 224) across aggregation levels (see
chapter 2.3 for explanations of the aggregation levels). The difference in pseudoturnover from one aggregation step to the
next was analysed using paired Wilcoxon tests (***: p < 0.001; **: p < 0.01; n. s. [not significant]: p ≥ 0.05; modified
after
Boch et al. 2022).
In Übereinstimmung mit anderen Studien stellten wir fest, dass die Größe des Pseudoturnovers v. a. vom Übersehen von Arten mit
einer sehr geringen Deckung der Untersuchungsfläche bestimmt wurde (Abb. 4). 87,5 % der
übersehenen Beobachtungen (1.953 von insgesamt 2.232 übersehenen Beobachtungen) hatten eine Deckung von < 1 %, (Deckungsklassen „r“
und „+“). Dieses Ergebnis bestätigt die Erkenntnisse von Vittoz, Guisan (2007) auf Wiesen in
den Schweizer Alpen, Milberg et al. (2008) in schwedischen Wäldern und Morrison et al. (2020a) in Feuchtgebieten in Ohio, USA, die Unterschiede zwischen Bearbeitenden
untersuchten und ebenfalls feststellten, dass die Mehrheit der übersehenen Arten geringe Deckungswerte aufwies. Es wurden
aber auch in einigen wenigen Fällen Arten mit hohen Deckungswerten übersehen, was auf Unkonzentriertheit oder Ermüdungserscheinungen
von Bearbeitenden zurückzuführen sein könnte (Abb. 4).
Abb. 4: Gesamtzahl der Beobachtungen auf den 224 doppelt erhobenen Untersuchungsflächen pro
Braun-Blanquet-Deckungsklasse (Erläuterung der Deckungsklassen in Abschnitt 2.1 im Text), getrennt nach gemeinsamen Taxa
(von beiden Bearbeitenden erfasst) und Taxa, die von jeweils einer der beiden Personen übersehen wurden (Ergebnisse der
vollständig aggregierten Artenliste). Der prozentuale Anteil der übersehenen Taxa an der Gesamtzahl der Beobachtungen pro
Deckungsklasse ist über der jeweiligen Säule angegeben (verändert nach Boch et al.
2022). Fig. 4: Total number of observations summed across the 224 double-surveyed plots per Braun-Blanquet cover class (see
chapter 2.1 for explanations of the cover classes), separated into shared taxa (recorded by both observers) and taxa that were
overlooked by one or the other of the two observers (results of the fully aggregated species list). The percentage of
overlooked taxa out of the total number of observations per cover class is shown above each of the columns (modified after
Boch et al. 2022).
3.2 Reduktion des Fehlers durch Aggregierung von Artenlisten
Wir konnten aber auch zeigen, dass der Pseudoturnover durch einfache Aggregationsschritte der Artenlisten von 28,5 %
(Standardfehler ± 0,7) auf einen mittleren bis niedrigen Wert von 16,6 % (Standardfehler ± 0,5) reduziert werden kann. Während die
Zusammenführung aller Vegetationsschichten nur zu einer moderaten Reduktion des Pseudoturnovers führte (um etwa 0,5 Prozentpunkte;
p = 0,004), führte das Entfernen unsicher identifizierter Arten zu einer weiteren Reduktion um 1,7 Prozentpunkte − ein mit früheren
Studien vergleichbarer Wert (Morrison et al. 2020b). Die größte Verringerung des
Pseudoturnovers erbrachte die Einstufung von Unterarten auf Artebene (minus 4,5 Prozentpunkte Pseudoturnover; p < 0,001) sowie die
Einstufung aller Arten, die ein Aggregat bilden, auf Aggregatsebene (minus 5,2 Prozentpunkte Pseudoturnover; p < 0,001; Abb. 3).
3.3 Mittlere ökologische Zeigerwerte sind robust gegenüber Unterschieden zwischen Bearbeitenden
Interessanterweise fanden wir auf keiner der Aggregationsstufen signifikante Unterschiede zwischen den Bearbeitenden bei den
mittleren ökologischen Zeigerwerten (Tab. 1) und dies weder bei den deckungsgewichteten noch
bei den ungewichteten mittleren Zeigerwerten. Deckungsgewichtete mittlere Zeigerwerte berücksichtigen dominante Arten, die
wahrscheinlich die ökologischen Bedingungen eines Standorts besser widerspiegeln, stärker. Sie werden in ökologischen Studien
bevorzugt, wenn das Ziel darin besteht, Umweltunterschiede zwischen Standorten zu untersuchen (z. B. Boch et al. 2021). Im Gegensatz dazu überschätzen ungewichtete Mittelwerte eher den Einfluss von Arten mit geringer
Deckung, die möglicherweise außerhalb ihres ökologischen Optimums wachsen. Da aber Arten mit geringer Deckung eher übersehen werden,
sollten ungewichtete Mittelwerte empfindlicher gegenüber Unterschieden zwischen Bearbeitenden sein als deckungsgewichtete Mittelwerte.
Unsere Erkenntnisse, dass sich deckungsgewichtete mittlere Zeigerwerte zwischen den beiden Bearbeitenden nicht signifikant voneinander
unterscheiden, deuten jedoch darauf hin, dass die mittleren Zeigerwerte auch gegenüber Unterschieden von Deckungsschätzungen recht
robust sind. Unsere Ergebnisse stimmen mit Futschik et al. (2020) überein, die feststellten,
dass ein deckungsgewichteter mittlerer Zeigerwert für die Temperatur nur schwach von Unterschieden zwischen Bearbeitenden beeinflusst
wurde. Die Autorinnen und Autoren kamen weiterhin zum Schluss, dass Zeigerwerte auch zur zuverlässigen Schätzung von
Vegetationsveränderungen aufgrund des Klimawandels verwendet werden können.
Mittlerer ökologischer Zeigerwert
|
Unterschied
|
± SE
|
p
|
Feuchtigkeit | − 0,001 | 0,005 | 0,417 |
Humus | 0,007 | 0,006 | 0,083 |
Kontinentalität | − 0,006 | 0,004 | 0,052 |
Licht | − 0,004 | 0,006 | 0,343 |
Nährstoffe | 0,004 | 0,006 | 0,398 |
Reaktion | − 0,003 | 0,006 | 0,493 |
Temperatur | 0,004 | 0,006 | 0,489 |
Tab. 1: Unterschiede der mittleren ökologischen Zeigerwerte (± SE = Standardfehler) zwischen den jeweils zwei
Bearbeitenden (gepaarte Wilcoxon-Tests). Da die Unterschiede zwischen den Bearbeitenden auf allen Aggregationsstufen nicht
signifikant waren (p-Wert ≥ 0,05; p = Signifikanzwert), werden nur die Ergebnisse für die vollständig aggregierten
Artenlisten dargestellt.
Table 1: Results of paired Wilcoxon tests on inter-observer differences in mean ecological indicator values
(± SE = standard error). As inter-observer differences between levels of aggregation were never significant (p-values ≥ 0,05;
p = significance value), only the results for the fully aggregated species lists are presented.
4 Schlussfolgerungen
Bei Vegetationserhebungen im Rahmen von Monitoringprogrammen werden in der Regel verschiedene Grundsätze beachtet, um Fehler durch
Bearbeitende niedrig zu halten. Dazu gehören die Beschäftigung erfahrener Personen mit guter Artenkenntnis, kontinuierliche Schulungen
(z. B. Bestimmungs- und Feldkurse, gemeinsame Exkursionen), die Förderung des fachlichen Austauschs zwischen den
Bearbeitenden und die Vermeidung systematischer räumlicher und zeitlicher Fehler durch den Einsatz aller Bearbeitenden zu
unterschiedlichen Zeiten der Vegetationsperiode in verschiedenen Lebensraumtypen und geographischen Regionen sowie regelmäßig
durchgeführte Doppelerhebungen von Untersuchungsflächen, um das Ausmaß der Fehler zwischen den Bearbeitenden zu überwachen.
In dieser Studie haben wir festgestellt, dass der Pseudoturnover durch einfache Aggregationsschritte der Artenliste stark
reduziert werden kann. Bei der Analyse von Daten aus Folgeuntersuchungen empfehlen wir, solche Aggregationsschritte vor der Analyse
durchzuführen, um die Fehler zwischen den Bearbeitenden zu minimieren. Da jedoch für Artenaggregate in der Regel keine Informationen
zur Gefährdung vorliegen (Bornand et al. 2016), erschwert diese Methode eine vertiefte Analyse
von Veränderungen bei bestimmten Gruppen wie gefährdeten oder national prioritären Arten. In Monitoringprogrammen führt die möglichst
genaue Bestimmung von Taxa deshalb zu einem Mehrwert, von dem weitere Projekte profitieren können, z. B. Artenschutz- oder
Rote-Liste-Projekte. Im Gegensatz zu dem in vielen Monitoringprogrammen üblichen Verfahren schlagen wir daher vor, Artenaggregate
nicht im Vorhinein festzulegen und empfehlen stattdessen, Taxa so genau wie möglich zu bestimmen.
Eine weitere Erkenntnis unserer Studie ist, dass die häufig in ökologischen Studien verwendeten mittleren Zeigerwerte robust
gegenüber Fehlern von Bearbeitenden sind. Sie können daher eine zuverlässige Schätzung der zeitlichen und ökologischen Veränderungen
der Vegetation liefern und ihre Verwendung trägt dazu bei, die Effekte des Pseudoturnovers in Monitoringprogrammen zu
minimieren.
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