Horst Wilkens
Zusammenfassung
Im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogrammes (NHWSP) gibt es Planungen zu einer Deichrückverlegung im Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiet „Aland-Elbe-Niederung nördlich von Seehausen“ (Biosphärenreservat „Mittelelbe“, Sachsen-Anhalt). Im vorliegenden Beitrag wird eine
alternative Deichtrasse zur behördlich vorgesehenen Trasse vorgeschlagen. Hierbei würde der erst vor wenigen Jahrzehnten abgedeichte Garbe-Polder seine historische Funktion als Überschwemmungsraum für Elbhochwässer wiedererhalten. Die bei Elbhochwässern überflutbare Fläche würde
dadurch von etwa 450 ha auf etwa 1.500 ha wachsen. Zudem würde die vollständig neu zu erbauende Deichstrecke um mehr als die Hälfte verkürzt werden, wenn ein vorhandener Deich lediglich verstärkt wird. Eingriffe in die Landschaft würden reduziert und geschützte
Lebensraumtypen im Gegensatz zur kleinräumigeren Variante der behördlich vorgesehenen Trassenführung nicht durchschnitten und beeinträchtigt werden. Durch die weitgehende Erniedrigung der vorhandenen Deiche würde der Scheitel extremer Elbhochwässer gekappt werden. Zur Integration von
Hochwasser- und Naturschutz sollte ein Überschwemmungsmanagement orientiert am alljährlichen Hochwasserrhythmus erfolgen. Die Managementvorschläge sollten auch auf andere vorhandene oder geplante Flutpolder, die üblicherweise bislang ausschließlich dem Hochwasserschutz dienen,
übertragen werden. Dies würde die negativen Folgen der zunehmenden Tendenz zu niedrigen oder ausbleibenden Elbhochwässern mindern und der ökologischen Stabilisierung der Auen an der Mittelelbe dienen. Im Zusammenhang mit räumlich nahe gelegenen Naturschutzgroßprojekten des Bundesamts
für Naturschutz (BfN) und FFH-Schutzgebieten würde im UNESCO-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ einer der vielfältigsten, länderübergreifend beide Elbseiten einschließenden Biotopverbünde mit den charakteristischen Ökosystemen des Unteren Mittelelbtals entstehen.
Aland-Elbe-Niederung – Rückdeichung – Renaturierung – Management – HochwasserrhythmusAbstract
In the context of the German river flood control programme (NHWSP), a dike relocation is planned at the Sites of Community Importance under the Habitats Directive of the Aland-Elbe lowlands (“Middle Elbe” Biosphere Reserve, Saxony-Anhalt). In this paper, an alternative dike route
to the officially planned one is proposed to restore the original function of the Garbe Polder, which would increase water retention potential from approx. 450 ha to approx. 1,500 ha. In addition, the length of the dike to be constructed would be shortened by about
50 % if an existing dike were merely reinforced. Interventions in the landscape would be reduced and protected habitat types would not be intersected and impaired, in contrast to the smaller-scale variant. By deconstruction of dikes, peak discharges of Elbe river floods would
be lowered. To combine nature conservation with flood control, flooding management in the polders should be practised and oriented towards the annual flood rhythm. The management proposals should also be applied to other existing or planned flood polders of the Elbe River, which have
usually served flood protection exclusively to date. This approach would mitigate the negative consequences of Elbe River water discharges having become increasingly low or entirely absent and would boost ecological stability. Together with nearby large-scale nature conservation
projects that are being carried out by Germany's Federal Agency for Nature Conservation (BfN) and with linkages to areas protected under the EU Habitats Directive, one of the most varied habitat networks with characteristic ecosystems including both sides of the Lower Middle Elbe
River would emerge within the “Elbe River Landscape” UNESCO Biosphere Reserve.
Aland-Elbe lowlands – Dike relocation – Restoration – Management – Flooding rhythmInhalt
1 Einleitung
Nach den starken Hochwässern im Juni 2013 im Elbe- und Donaugebiet beschloss die Umweltministerkonferenz (UMK) die Erarbeitung eines länderübergreifenden Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) unter Koordinierung des Bundes. Dieses sieht Deichrückverlegungen, Projekte
zur gesteuerten Hochwasserrückhaltung (z. B. Flutpolder) sowie Maßnahmen zur Beseitigung von Schwachstellen vor. Das Potenzial von NHWSP-Maßnahmen soll – wo möglich – auch zu Verbesserungen in Hinblick auf Natur-, Gewässer- und Klimaschutz genutzt werden
(„integrierte Sichtweise“; LAWA 2014; Buschhüter et al. 2018; Mehl et al. 2019).
An der Unteren Mittelelbe ist bei Wahrenberg (Gemeinde Aland, Landkreis Stendal) im nordöstlichsten Sachsen-Anhalt eine Deichrückverlegung in Planung, deren genaue Trassierung noch diskutiert wird (MULE 2020). Bei dem Gebiet handelt es sich
um Teile der Niederungen der Elbe und ihres Nebenflusses Aland, der bei Schnackenburg (Landkreis Lüchow-Dannenberg, Niedersachsen) in die Elbe mündet. Es ist der nordöstlichste Teil des Naturschutzgebiets „Aland-Elbe-Niederung“ und gehört zum sachsen-anhaltischen Biosphärenreservat
„Mittelelbe“ und dem 2.573 ha großen Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiet „Aland-Elbe-Niederung nördlich Seehausen“ (Röper et al. 2010). Nördlich direkt angrenzend liegt das Naturschutzgebiet (Gebietsteil C) „Untere Alandniederung“ im
Biosphärenreservat „Niedersächsische Elbtalaue“ (Abb. 1).
Abb. 1: Der nördliche Teil des Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiets „Aland-Elbe-Niederung nördlich Seehausen“. A = Alandschlauch (Aland und Aue), AD = Alanddeiche, ED = Elbdeiche, GD = Grenzdeich zu Niedersachsen,
GP = Garbe-Polder, HG = Hartholzaue Hohe Garbe, RD = Reetz-Wische-Deich, S = Sperrwerk, UA = Untere Alandniederung (Niedersachsen), Ü = Überlauf des Alands in die Seege,
WaP = Wahrenberger Polder, WP = Wrechow-Polder.
Fig. 1: The northern part of the “Aland-Elbe wetlands north of Seehausen”, a Site of Community Importance under the Habitats Directive. A = Aland River wetlands, AD = Aland River dikes, ED = Elbe River dikes,
GD = frontier dike between Lower Saxony and Saxony-Anhalt, GP = Garbe Polder, HG = Hohe Garbe riparian forest, RD = Reetz-Wische dike, S = flood barrier, UA = downstream Aland River wetlands (Lower
Saxony), Ü = overflow drain of Aland River into Seege River, WaP = Wahrenberg Polder, WP = Wrechow Polder.
(Karte: © GeoBasis-DE/LGB 2019, dl-de/by-2-0, verändert)(map: © GeoBasis-DE/LGB 2019, dl-de/by-2-0, modified)
Die Mittelelbe ist – trotz der hohen Verluste an Überschwemmungsflächen (Faulhaber 2013) – zusammen mit den Unterläufen von Mulde, Saale und Havel eine wesentliche Achse im bundesweiten Biotopverbund; sie sollte durch
großflächige Renaturierungsmaßnahmen noch weiter aufgewertet werden (BMU, BfN 2021). Das FFH-Gebiet „Aland-Elbe-Niederung nördlich Seehausen“ ist aufgrund seines biologischen Werts prädestiniert für die im Rahmen des NHWSP geforderten Synergien
zwischen optimalem Hochwasser- und Naturschutz. Dies ist auch insbesondere deswegen gegeben, da der unmittelbar angrenzende Auenwald der Hohen Garbe – gleichfalls Teil dieses FFH-Gebiets –, der durch das Bundesprogramm Biologische Vielfalt (BPBV) des Bundesamts für
Naturschutz (BfN) gefördert wurde (Kleinwächter et al. 2020), mit dem hier erörterten Gebiet eine hydrologische Funktionseinheit bildet und in biologischer Wechselwirkung steht.
Zunächst wird die Historie des Deichbaus und damit verbundener wasserwirtschaftlicher Eingriffe dargestellt (Abschnitt 2). Diese Eingriffe sind für die zurzeit bestehende Untergliederung des Gebiets verantwortlich. Es folgt eine kurze
biologische Charakterisierung der Teilgebiete (Abschnitt 3). Danach wird neben der behördlich vorgesehenen Rückdeichungstrasse (Trasse 1) eine vom Autor entwickelte Trasse 2 dargestellt, die eine weit größere Möglichkeit zur Absenkung des
Hochwasserscheitels bietet (Abb. 2a, b; Abschnitt 4). Nach der Erläuterung der abiotischen Faktoren, die die Biologie der Unteren Mittelelbe prägen, werden die Maßnahmen beschrieben,
die für die Zusammenführung von Hochwasser- und Naturschutz notwendig sind (Abschnitt 5). Die hier dargestellten Ideen aus dem langjährigen Erfahrungsschatz von Forschung und ehrenamtlichem Naturschutz sollen den bereits laufenden behördlichen
Planungsprozess unterstützen und modifizieren.
Abb. 2: a) Verlauf der vom Land Sachsen-Anhalt vorgeschlagenen Trasse 1 (eingetragen nach Landesportal Sachsen-Anhalt 2021b) und b) der in diesem Beitrag entwickelten Trasse 2; NABU-Flächen = Flächenbesitz des
Naturschutzbunds Deutschland, Landesverband Hamburg; für Abkürzungen siehe
Abb. 1.
Fig. 2: a) Course of route 1 proposed by the state of Saxony-Anhalt (marked according to Landesportal Sachsen-Anhalt 2021b) and b) route 2 developed in this paper. NABU-Flächen = property of Nature and Biodiversity Conservation Union,
Hamburg regional association; for abbreviations see
Fig. 1.
(Karte: © GeoBasis-DE/LGB 2019, dl-de/by-2-0, verändert)(map: © GeoBasis-DE/LGB 2019, dl-de/by-2-0, modified)
2 Historie von Deichbau und wasserwirtschaftlichen Maßnahmen
Vor dem Beginn des Deichbaus bildeten die Auen der Elbe und des Alands eine räumliche Einheit. Der Aland selbst ist in seinem unteren Verlauf wie viele Seitenzuflüsse der Unteren Mittelelbe aus einem Nebenarm der Elbe hervorgegangen, der durch den Bau des Elbdeichs an seinem
Oberlauf vom Hauptstrom abgeschnitten wurde. Die Aue war dem biologisch prägenden Hochwasserrhythmus der Elbe ausgesetzt (Abb. 1; Wilkens 1999, 2021).
Zur Zeit der Kurhannoverschen Landesaufnahme im 18. Jahrhundert (Blatt 81 und 82) noch nicht eingedeicht, umgaben im 19. Jahrhundert zunächst niedrige Sommerdeiche den zwischen Elbe und Aland östlich des Alands gelegenen sog. Garbe-Sommerpolder, der auch den
Elbebogen der Hohen Garbe ursprünglich einschloss. Diese Sommerdeiche konnten aufgrund ihrer geringen Höhe in der Regel nur die niedrigen Frühsommerhochwässer im Mai oder Juni, die durch Regenfälle im Quellgebiet bedingt sind, abwehren(Messmer
et al. 2015). Die von der Schneeschmelze ausgelösten höheren Frühjahrs-/Winterhochwässer überströmten sie jedoch meist. Der Garbe-Polder grenzt im Süden an den Wahrenberger Polder, der gegen Überschwemmungen durch den bereits 1865 ausgebauten Reetz-Wische-Deich
geschützt wird (Abb. 1). Westlich des Alands weicht der linke Alanddeich ins Binnenland zurück und übernahm ursprünglich gleichzeitig die Funktion des linksseitigen Elbdeichs. Die so entstandene Fläche, der etwa 200 ha große sog.
Wrechow, geht auf niedersächsischem Gebiet in die nach einer nahen Ortschaft Gummern-Wiesen genannten Teile des Naturschutzgebiets (Gebietsteil C) „Untere Alandniederung“ im Biosphärenreservat „Niedersächsische Elbtalaue“ über.
Die gesamten zuvor umrissenen Niederungen vom Reetz-Wische-Deich (Landkreis Stendal, Sachsen-Anhalt) bis Schnackenburg (Landkreis Lüchow-Dannenberg, Niedersachsen) mit einer Fläche von insgesamt 1.367 ha waren ursprünglich wegen der niedrigen Deiche bzw. des gänzlichen
Fehlens von Deichen dem Überschwemmungsrhythmus der Elbhochwässer ausgesetzt. Über den Aland und seiner Aue erfolgte bei Hochwasser zudem ein Rückstau bis weit in die Altmärkische Wische (Sachsen-Anhalt) hinein (Mierau 1909).
Mitte der 1980er-Jahre begann die DDR nach Übereinkunft mit der Bundesrepublik Deutschland mit der Umsetzung eines vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammenden Plans zur Überleitung des Alands in den Oberlauf des niedersächsischen Elbnebenflusses Seege (Mierau 1909; Wilkens 1999). Das Vorhaben hatte das Ziel, das Vordringen der Elbhochwässer über den Aland bis in die Altmärkische Wische zwecks Optimierung der landwirtschaftlichen Nutzung zu unterbinden
(siehe Kasten 1).
Kasten 1: Überleitung von Hochwasser des Alands in die Seege.
Box 1: Overflow of floodwaters of the Aland into the Seege River.
Das Projekt der Alandüberleitung in die Seege setzt sich aus mehreren Funktionsteilen zusammen:
1. Entlang der Grenze zu Niedersachsen wurde in den 1980er-Jahren ein Deich errichtet, der an seinem nordöstlichen Endpunkt unter Ausschluss des Elbbogens der Hohen Garbe rechtwinklig nach Südosten biegt und am Wahrenberger Polder an den dortigen Elbdeich stößt (Abb. 1, Abb. A, B, C im Online-Zusatzmaterial). Dadurch entstanden zwei vom direkten Hochwasser
der Elbe und der niedersächsischen Unteren Alandniederung abgeschnittene Teilgebiete, der Wrechow-Polder (184 ha) und der Garbe-Polder (678 ha). 862 ha Überschwemmungsraum gingen hierdurch verloren. 2. Das Volumen des Retentionsraums des Alands und seiner Aue wurden auf einer Fläche von 760 ha durch ein 1991 fertiggestelltes Sperrwerk verringert, da das Sperrwerk bei beginnendem Einstrom der Elbe in den Aland („Kentern“ der Fließrichtung) geschlossen
wird. 3. Das Eigenwasser des Alands wird anfangs in diesem selbst gestaut und nach Erreichen des Bemessungshochwassers von 20,77 m über Normalhöhennull (NHN) zunächst in den Wrechow-Polder und nach dessen Füllung in den Garbe-Polder geleitet. Diese sind festgesetzte
Überschwemmungsgebiete gemäß § 99 Abs. 5 Wassergesetz für das Land Sachsen-Anhalt (WG LSA; Landesportal Sachsen-Anhalt 2021a). Die sich dann vollziehende Polderbefüllung soll bis in Höhe der auf Wällen verlegten
Deichverteidigungswege der Elbdeiche (21,20 – 21,30 m über NHN) erfolgen. 4. Nach der Ausschöpfung des Speichervolumens des Alands und der beiden Polder wird das Alandhochwasser über ein Überleitungsbauwerk in den Oberlauf der Seege geführt. Dieser Fluss mündet 15 km weiter elbabwärts auf niedersächsischem Gebiet in die Elbe. Hierdurch
entsteht ein Fließgefällegewinn von etwa 2 m (Mierau 1909; Wilkens 1999; Abb 1).
Nach dem Fortfall der direkten Überschwemmungen im Wrechow-Polder und Garbe-Polder konnte die landwirtschaftliche Nutzung intensiviert werden. Ökologisch abträglich wirkt sich zudem aus, dass durch das Fehlen der Strömungsdynamik bei Überschwemmung durch Aland und Elbe die
Altwässer zu verschlammen beginnen. Allerdings besteht für beide Polder im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zur Überleitung von Alandwasser in die Seege ein bereits gegenwärtig praktizierter Managementplan als ökologische Ausgleichsmaßnahme. Ziel ist die Überflutung von
50 % der Polderflächen, woraus sich die maximale Höhe von 18,00 m über NHN ableitet (Abb. 4). Die Flutung bei Elbhochwasser kann nicht direkt, sondern muss über Siele erfolgen, die auch der Entwässerung dienen. Diese sind
vom 15.11. bis 15.4. eines jeden Jahres geöffnet und werden, wenn das Überschwemmungsziel von 50 % der Fläche erreicht ist, geschlossen. Am 16.4. werden die Siele geöffnet und der Wasserstand abgesenkt, um die landwirtschaftliche Nutzung zu ermöglichen. Eine geringfügige
„Nachfüllung“ der Altwässer ist bei Frühsommerhochwässern, die nach diesem Termin auflaufen, möglich.
3 Teilgebiete
Durch den Bau der Deiche wurde das ursprünglich zusammenhängende Überschwemmungsgebiet von Elbe und Aland in folgende Teilräume unterteilt: Hohe Garbe, Garbe-Polder und Wrechow-Polder, Aland und dessen Aue, Wahrenberger Polder sowie die „Untere Alandniederung“. Die Untere
Alandniederung ist dem Hochwassergang der Elbe bis zur Landesgrenze nach wie vor direkt ausgesetzt. Sie umfasst eine Fläche von 305 ha und steht als Gebietsteil C des Biosphärenreservats „Niedersächsische Elbtalaue“ unter Naturschutz (Abb. 1).
Hohe Garbe
Die etwa 400 ha große Hohe Garbe liegt in der weiten Schleife eines Elbbogens. Im Rahmen des durch das BPBV geförderten Projekts „Lebendige Auen für die Elbe“ wurde durch Schlitzung des niedrigen Deichs, der die Auen ursprünglich umgab, und die Reaktivierung alter Flutrinnen
erreicht, dass dieses Gebiet heute wieder dem direkten Einfluss der Elbhochwässer und deren Abflussdynamik ausgesetzt ist. Nunmehr kann sich hier der mit 200 ha größte verbliebene, dem Prozessschutz unterliegende Hartholzauenwald im Bereich der Unteren Mittelelbe naturnah
entwickeln (Kleinwächter et al. 2020; Abb. 3).
Abb. 3: In der Hohen Garbe ist der letzte größere Rest der Hartholzaue an der Unteren Mittelelbe erhalten. Eine von menschlicher Nutzung unbeeinträchtigte Fortentwicklung ist als Kernzone des UNESCO-Biosphärenreservats „Mittelelbe“ sichergestellt.
Fig. 3: In the Hohe Garbe, the only larger remnant of riparian hardwood forest of the downstream Middle Elbe River wetlands has been conserved. Its development as a core zone of the “Middle Elbe” UNESCO Biosphere Reserve without human utilisation is
safeguarded.
(Foto: Ulrike Strecker, 2021)
Garbe-Polder und Wrechow-Polder
Der besondere Wert von Garbe-Polder und Wrechow-Polder besteht darin, dass in ihnen das natürliche, durch die Kraft des Stroms entstandene Geländerelief der Aue weitgehend erhalten ist (Abb. 1, Abb. 4). Die Vegetation wird vor allem von weiten Grünlandflächen gebildet, die von ausdauernden Altwässern und Flutrinnen unterschiedlicher Verlandungsgrade durchzogen sind (Abb. 5). Elbtaltypische Stromtalwiesen wie
Brenndoldenwiesen und Magere Flachland-Mähwiesen mit den stark gefährdeten Arten (Rote-Liste-Kategorie 2 – stark gefährdet; Metzing et al. 2018) Brenndolde (Selinum dubium), Schildhelmkraut (Scutellaria
hastifolia), Grabenveilchen (Viola stagnina) oder Gottesgnadenkraut (Gratiola officinalis) kommen hier vor – vor allem noch im Wrechow-Polder (Abb. 6; Kaprolat, Dietrich
1994). Beide Polder werden aufgrund der elbtaltypischen teilweise sandigen Bodenverhältnisse bei Elbhochwasser jedoch auch nach der Eindeichung von Sickerwässern und steigenden Grundwasserständen beeinflusst. Mehr oder weniger langfristig bestehende Qualmwasserbiotope bieten
insbesondere der stark gefährdeten Rotbauchunke (Bombina bombina) Laichmöglichkeiten (Rote-Liste-Kategorie 2 – stark gefährdet; Rote-Liste-Gremium Amphibien und Reptilien [2020]). Die biologisch wertvollsten Anteile konzentrieren sich um die Altwässer, die aus
Mäandern oder ursprünglichen Nebenarmen des Alands und in ihn mündender Flutrinnen hervorgegangen sind (Abb. 5). Besonders auffällig sind reiche Vorkommen der gefährdeten Krebsschere (Stratiotes aloides;
Rote-Liste-Kategorie 3 – gefährdet; Metzing et al. 2018; Abb. D im Online-Zusatzmaterial).
Abb. 4: Bei unterschiedlichen Wasserständen wird sichtbar, dass das natürliche Relief der Aland-Elbe-Niederung im Wrechow-Polder und im Garbe-Polder weitgehend unverfälscht erhalten ist; Angabe in m über Normalhöhennull (NHN), Bearbeitungsstand 2/2010, Abkürzungen
siehe Abb. 1, S. 244.
Fig. 4: Different water levels reveal that the natural relief of the Aland-Elbe wetlands in the Wrechow Polder and the Garbe Polder is conserved nearly unaltered; ground level above standard elevation zero (NHN), processing date Feb. 2010, for abbreviations see
Fig. 1, p. 244.
(Quelle: © GeoBasis-DE/LVermGeo LSA, 010312, mit Genehmigung der Planungsgesellschaft für Wasserbau & Wasserwirtschaft mbH PROWA Neuruppin als Ersteller und durch den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt)(source: © GeoBasis-DE/LVermGeo LSA, 010312, authorised by Planungsgesellschaft für Wasserbau & Wasserwirtschaft mbH PROWA Neuruppin as originator and Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt)
Abb. 5: Im Mäanderhals abgedeichte frühere Flussschlinge des Alands im Garbe-Polder mit abwechselnden Flutrinnen und sandigen Rücken des Gleithangs.
Fig. 5: Former meander of the Aland River in the Garbe Polder cut off by the Aland River dike constructed across the meander neck exhibiting flood channels alternating with sandbanks of the slipoff slope.
(Foto: Horst Wilkens, 2019)
Abb. 6: Eine extensive Nutzung sorgt für die Erhaltung bunt blühender Stromtalwiesen.
Fig. 6: Extensive land use conserves colourfully blossoming marsh meadows.
(Foto: Ulrike Strecker, 2020)
Wegen des Ausbleibens direkter Überschwemmungen nach der Abdeichung und infolge intensiver landwirtschaftlicher Nutzung hat sich in beiden Poldern ein starker, flächenweise kompletter Rückgang vieler Tier- und Pflanzenarten vollzogen. Erfolgreich brüten gegenwärtig nur noch wenige
Paare der gefährdeten Arten Kiebitz (Vanellus vanellus), Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus) oder Braunkehlchen (Saxicola rubetra). Die ursprüngliche Bedeutung beider Polder als potenziell wertvolle Brutgebiete für Vögel macht eine Kartierung deutlich, die
wenige Jahre nach der Eindeichung erfolgt ist (Tab. 1; Plinz 1992). Beide Polder sind jedoch bei geeignetem Wassermanagement (siehe Abschnitt 5) nach
wie vor wichtige Rastgebiete für Zugvögel (Tab. 2, Abb. 7, 8, 9, 10, Abb. E im Online-Zusatzmaterial; Bruch 2006; Riesch, Bruch
2006; schriftliche Mitteilung Achim Bruch 2021).
Abb. 7: Blässgänse (Anser albifrons) bleiben bei Vorhandensein ausgedehnter Wasserflächen bis in den April im Wrechow-Polder.
Fig. 7: White-fronted geese (Anser albifrons) roost in the Wrechow Polder until April as long as extensive flooded areas exist.
(Foto: Ulrike Strecker, 2021)
Abb. 8: Singschwäne (Cygnus cygnus) finden im Winter in den verschiedenen Röhrichten der überschwemmten Flutrinnen des Wrechow-Polders und des Garbe-Polders Nahrung.
Fig. 8: Whooper swans (Cygnus cygnus) feed in the various reeds growing in the inundated flood channels of the Wrechow Polder and the Garbe Polder in winter.
(Foto: Ulrike Strecker, 2016)
Abb. 9: Von März bis Mai sind die überschwemmten Flächen im Garbe-Polder und Wrechow-Polder Rastbiotop für viele verschiedene Entenarten wie Löffelenten (Anas clypeata), Spießenten (A. acuta), Pfeifenten (A. penelope) und Krickenten (A.
crecca).
Fig. 9: From March to May many duck species, including shovellers (Anas clypeata), pintails (A. acuta), widgeons (A. penelope) and teals (A. crecca), rest in the Wrechow Polder and the Garbe Polder flooded wetlands.
(Foto: Ulrike Strecker, 2019)
Abb. 10: Anzahl rastender Löffelenten (Anas clypeata) von März bis Juni in den Jahren von 2011 bis 2021 im Wrechow-Polder.
Fig. 10: Numbers of shovellers (Anas clypeata) resting in the Wrechow Polder from 2011 to 2021.
(Zählungen: Achim Bruch)(census: Achim Bruch)
Tab. 1: Brutvogelbestand im Wrechow-Polder und Garbe-Polder 1991/1992 kurz nach der Eindeichung.
Table 1: Numbers of breeding birds in the Wrechow Polder and the Garbe Polder in 1991/1992 shortly after diking.
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Deutscher Artname (wissenschaftlicher Artname)
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Anzahl der Brutpaare
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Rote-Liste-Kategorie
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Bekassine (Gallinago gallinago) | 3 | 1 |
Großer Brachvogel (Numenius arquata) | 1 | 1 |
Braunkehlchen (Saxicola rubetra) | 21 | 2 |
Kiebitz (Vanellus vanellus) | 20 | 2 |
Knäkente (Anas querquedula) | 6 | 2 |
Krickente (Anas crecca) | 3 | 3 |
Löffelente (Anas clypeata) | 3 | 3 |
Rohrweihe (Circus aeruginosus) | 1 | * |
Rotschenkel (Tringa totanus) | 2 | 3 |
Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus) | 14 | * |
Schnatterente (Mareca strepera) | 10 | * |
Tafelente (Aythya ferina) | 6 | * |
Uferschnepfe (Limosa limosa) | 3 | 1 |
Wasserralle (Rallus aquaticus) | 1 | * |
Wiesenpieper (Anthus pratensis) | 15 | 2 |
Rote-Liste-Kategorien nach Ryslavy et al. (2020): 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, * = ungefährdet |
Tab. 2: Maximalzahlen der Individuen rastender Vogelarten im Wrechow-Polder und Garbe-Polder im Jahr 2021 (Zählungen: Achim Bruch).
Table 2: Maximum numbers of individuals of resting bird species in the Wrechow Polder and the Garbe Polder in 2021 (census: Achim Bruch).
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Deutscher Artname (wissenschaftlicher Artname)
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Max. Zahl der Individuen
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Rote-Liste-Kategorie
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Blässgans (Anser albifrons) | 2.000 | * |
Kiebitz (Vanellus vanellus) | 5.000 | 2 |
Krickente (Anas crecca) | 550 | 3 |
Löffelente (Anas clypeata) | 450 | 3 |
Pfeifente (Anas penelope) | 1.600 | * |
Spießente (Anas acuta) | 600 | 3 |
Singschwan (Cygnus cygnus) | 140 | * |
Weißwangengans (Branta leucopsis) | 2.000 | * |
Reiherente (Aythya fuligula) | 300 | * |
Tafelente (Aythya ferina) | 300 | * |
Schnatterente (Anas strepera) | 300 | * |
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Aland
Der 27 km lange Fluss Aland bildet den Unterlauf eines Flusssystems, das die Altmärkische Wische entwässert. Trotz vieler Begradigungen sind etliche Mäander erhalten (Abb. 1). Die streckenweise noch ausgedehnte Aue
umfasst Alt- und Kleingewässer sowie die charakteristischen Grünlandgesellschaften des Elbtals. Flussbegleitend wachsen vielerorts beträchtliche Anteile der gemäß FFH-Richtlinie prioritär geschützten Weichholzauenwälder (Abb. 11). Die
Lebensräume der Alandaue unterliegen außendeichs im Vorland wie binnendeichs im Bereich der Druck- bzw. Qualmwasserbiotope nach wie vor dem Hochwasserrhythmus der Elbe, dessen Umfang durch das Sperrwerk allerdings eingeschränkt ist. Die zeitliche Dauer der Überschwemmungen und deren Höhe
sind verkürzt, wodurch weniger Wasser in die Qualmwasserbiotope des Binnendeichraums sickern kann und diese Biotope an Zahl und Fläche schrumpfen.
Abb. 11: Im ufernahen Bereich des Alands wachsen streckenweise ausgedehnte Bestände des nach der FFH(Fauna-Flora-Habitat)-Richtlinie prioritär geschützten Lebensraumtyps der Weichholzaue.
Fig. 11: The shores of the Aland River are partly covered by extensive riparian softwood forest stands, which are priority habitat types under the Habitats Directive.
(Foto: Ulrike Strecker, 2021)
Wahrenberger Polder
Der 1.741 ha große, zwischen der Elbe und dem Aland liegende Wahrenberger Polder ist seit 1865 von direkter Überschwemmung ausgenommen (Jährling 1994; Abb. 1). Er wird
landwirtschaftlich intensiv, überwiegend ackerbaulich genutzt und über ein Schöpfwerk in den Aland entwässert. Ein in seinem Westteil gelegenes, etwa 100 ha großes Gebiet unterliegt aufgrund seiner geringen Geländehöhe stärkerem Andrang von Qualmwasser. Hier haben sich
elbtaltypische Auenwiesen und Röhrichtgesellschaften mit charakteristischen Tier- und Pflanzenarten erhalten. Zudem wurden Kohärenzflächen für durch den Deichbau am Aland verlorengegangene Brenndoldenwiesen geschaffen, deren adäquate Pflege dem Landesverband Hamburg des Naturschutzbunds
Deutschland (NABU) als Eigentümer des Gebiets übertragen wurde (NABU-Flächen in Abb. 1).
4 Verlauf und Bewertung der Deichtrassen
Der Verlauf von Trasse 1 (Abb. 2a) entspricht einem Vorschlag des Landes Sachsen-Anhalt (MULE 2020). Mit ungefähr 450 ha ist die bei Realisation dieser
Trassenvariante ausgedeichte Fläche relativ kleinräumig (Tab. 3). Der Stauraum für Alandhochwässer wird verkleinert (siehe Kasten 1). Beginnend nahe der Ortschaft Wahrenberg zieht die
Trasse 1 durch den Wahrenberger Polder und stößt im Bereich der Hohen Garbe an den Elbdeich (Abb. 2a). Sie verläuft zunächst auf ackerbaulich genutzten Flächen, durchschneidet dann aber etliche gemäß Natura 2000
geschützte Lebensraumtypen wie Brenndoldenwiesen und Flachland-Mähwiesen sowie Weichholzauenwälder (Tab. 3) und die erwähnten Kohärenzflächen im westlichen Teil des Wahrenberger Polders (NABU-Flächen in Abb. 2a). Da der bisherige Elbdeich seine Funktion mit Errichtung der Trasse 1 verloren hat, wird er zwischen Wahrenberg und der Hohen Garbe entwidmet. Der Grenzdeich am Garbe-Polder und das Anschlussstück entlang der Hohen
Garbe sowie Teile des Reetz-Wische-Deichs bleiben als Deiche erhalten (Abb. 2a).
Tab. 3: Vergleich der alternativen Deichtrassen.
Table 3: Comparison of the alternative dike routes.
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Ausdeichungsfläche
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Art des Hochwasserschutzes
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Deichbau (Länge der Trassen)
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Beeinträchtigte Lebensraumtypen (Natura 2000)
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Fläche renaturierter Aue
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Bodenentnahmeflächen
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Trasse 1
| 453 ha | Beseitigung einer Engstelle | • Trasse komplett neu: 7 km • Stauraum für Alandhochwasser verkleinert | • Brenndoldenwiesen (LRT 6440) • Flachland-Mähwiesen (LRT 6510) • Weichholzaue (LRT 91E0, prioritär) | 453 ha | Notwendig |
Trasse 2
| 1.440 ha | • Beseitigung einer Engstelle • Absenkung des Hochwasserscheitels | • Trasse komplett neu: 3,5 km • Trassenverstärkung: 5,5 km | Keine | 1.440 ha | Minimiert |
Im vorliegenden Beitrag wird alternativ eine Trasse 2 vorgeschlagen, die die Öffnung eines weitaus großräumigeren Überflutungsraums von mindestens 1.500 ha und damit eine viel umfangreichere Kappung von Extremhochwässern ermöglicht (Tab. 3; Wilkens 1999;Zielaskowski, Lüderitz 2005). Sie folgt im Wahrenberger Polder zunächst Trasse 1, zweigt dann aber östlich vor dem zuvor genannten
schutzwürdigen Teilgebiet im Besitz des NABU ab (NABU-Flächen in Abb. 2b), um nahe dem Schöpfwerk Wahrenberg in den rechtsseitigen Alanddeich überzugehen. Von hier ab soll künftig der bestehende Alanddeich bis zum Sperrwerk der
Elbdeich werden. Der für diese Strecke als Elbdeich notwendige Deichverteidigungsweg kann alandseitig verlaufen, weil er hier durch das Sperrwerk im Hochwasserschutz liegt (Wilkens 1999). Mit der alternativen Trasse 2 könnte der
Garbe-Sommerpolder wieder seiner ursprünglichen Funktion für den Hochwasserschutz – der Kappung des Hochwasserscheitels – zugeführt werden. Für den Naturschutz sensible Bereiche werden durch die alternative Trasse 2 umgangen.
Desgleichen sind Kostenersparnisse durch die Umsetzung der Trasse 2 möglich (Tab. 3). So erübrigt sich beispielsweise der komplette Neubau von mehr als der Hälfte des geplanten Deichs der Trasse 1. Der
Landschaftsverbrauch durch die Neutrassierung ist weitaus geringer. Aus den entwidmeten Deichen stammendes Bodenmaterial kann für den Neubau des Teilstücks des neuen Deichs im Wahrenberger Polder und die Ertüchtigung des derzeitigen Alanddeichs zum Elbdeich verwendet werden, wodurch
Ankauf und Flächenverbrauch für Bodenentnahmen bei entsprechender Substrateignung minimiert werden können. Mindestens 6 km Strecke an entwidmeten Deichen müssen nicht mehr unterhalten werden. Es ist außerdem davon auszugehen, dass bei Realisierung der Trasse 2 der etwa
100 ha große, im Besitz des NABU (Landesverband Hamburg) stehende Feuchtgrünland- und Waldkomplex ohne Kosten für Flächenankauf in die Rückdeichung eingehen kann (NABU-Flächen in Abb. 2b).
5 Zusammenführung von Hochwasser- und Naturschutz
Der biologische Charakter der Lebensräume im Tal der Mittleren Elbe wird durch den Hochwassergang und die davon ausgelösten Überschwemmungen entscheidend bestimmt (Walther 1973, 1977; Faulhaber 2013; Wilkens 2021). Ein wesentliches abiotisches Charakteristikum ist, dass Überschwemmungen der Aue der Mittleren Elbe unregelmäßig auch im Frühsommer im Mai oder Juni während der
Vegetationsperiode durch Regenfälle in Mitteleuropa ausgelöst werden können (Messmer et al. 2015). Ihre Auswirkungen sind biologisch besonders nachhaltig, da dies die Hauptperiode pflanzlichen Wachstums ist. Durch den hier vorgeschlagenen
Ausbau des rechten Alanddeichs zum Elbdeich (Trasse 2 in Abb. 2b) eröffnen sich mehrere Möglichkeiten der Nutzung des Garbe-Polders als Retentionsraum, die jedoch von dessen Funktion als Stauraum für Hochwässer des Alands
abhängig sind (siehe Kasten 1):
1. Eine erste Nutzungsmöglichkeit bestünde darin, den Grenzdeich, den Reetz-Wische-Deich und den bisherigen Elbdeich bis auf die Höhe der Deichverteidigungswege abzubauen. Auf diese Weise bliebe das Stauvolumen für Alandwasser unangetastet, da die Deichverteidigungswege die
Obergrenze des Einstaus markieren und nicht überflutet werden dürfen, um die Befahrbarkeit zu gewährleisten (siehe Kasten 1). Höhere Elbhochwässer würden jedoch über die niedrigen Wälle einströmen können und so würde
eine Scheitelkappung erfolgen. 2. Die zweite, vom Autor vorgeschlagene Nutzungsmöglichkeit böte eine Reihe von Vorteilen. Sie bestünde darin, den Grenzdeich zu Niedersachsen sowie den Reetz-Wische-Deich mitsamt deren Deichverteidigungswegen komplett abzubauen und den bisherigen Elbdeich zu einem Sommerdeich
zu erniedrigen, dessen Oberkante unterhalb der Höhe des bisherigen Deichverteidigungswegs läge. Der Stauraum könnte dadurch sogar vergrößert werden, indem man die niedersächsischen, vom historischen Polderwall umgebenen Anteile des Garbe-Polders und die ausgedeichte Fläche des
Wahrenberger Polders einbezöge (Abb. 2b). Die derzeitige Funktion des Garbe-Polders, der bei geschlossenem Sperrwerk im Hochwasserfall Eigenwasser des Alands aufnehmen soll, könnte trotz der Deicherniedrigung durch die
flächenmäßige Vergrößerung des Stauraums des Garbe-Polders kompensiert werden, da das geplante Stauvolumen für Alandwasser durch die nahezu verdoppelte Fläche ausgeglichen werden kann (siehe Kasten 1). Diese Lösung ist auch aus
Naturschutzsicht vorteilhaft: Die Strömungsdynamik der Elbe, die das Relief formt und immer wieder neue Lebensräume schafft, könnte sich im Garbe-Polder im räumlichen Verbund mit der direkt angrenzenden Hohen Garbe wieder großflächig auswirken, da wegen der geringen Höhe des
Sommerdeichs mit der Funktion eines „Überlaufdeichs“ dieser häufiger überströmt würde (Abb. 2b).
In beiden Fällen soll das Wassermanagement in der Fläche jedoch nach wie vor über die vorhandenen Ein- bzw. Auslasssiele (verschließbare Durchlässe) erfolgen und sich am alljährlichen Rhythmus der Elbhochwässer mit Überschwemmungen im Frühjahr und im Frühsommer orientieren. Dies
dient der ökologischen Stabilisierung. Es entstehen Lebensräume, die vor den Eingriffen des Menschen in die Flusslandschaft in den Rückstauräumen der Nebenflüsse oder hinter natürlichen Geländewällen bestanden und seltener oder gar nicht der direkten Strömungsdynamik unterlagen (Walther 1977). Dieses Wassermanagement ist aus Naturschutzsicht positiv zu bewerten, da aufgrund strombaulicher Maßnahmen die Hochwässer die Elbe sehr viel schneller durchlaufen als es früher der Fall war, wodurch die Wasserrückhaltung in der gesamten
Aue verringert wird (Wilkens 2021). Weiterhin ist ein verringerter Abfluss von Elbehochwässern in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachten (Wechsung et al. 2006; BfG 2019). Diese Effekte werden dadurch verstärkt, dass fast jede Senke in den überschwemmbaren Räumen durch Gräben schnell entwässert wird, sodass biologisch notwendige aquatische Lebensräume in Gestalt von Restgewässern unterschiedlicher
zeitlicher Dauer nicht erhalten bleiben. Der zu schnelle Rückgang der Überschwemmungen bei sinkendem Elbhochwasser kann so verzögert werden.
Im Rahmen des Projekts der Überleitung des Alands in die Seege wird bereits gegenwärtig ein Wassermanagement im Garbe-Polder und im Wrechow-Polder betrieben, das sich an den Erfordernissen von Fauna und Flora des Elbtals orientiert (siehe Kasten 1). Allerdings sollte das Wasser nicht zu früh in der Brut- und Fortpflanzungsphase abgesenkt werden. Hiervon sind auch die rastenden Vogelarten betroffen, deren Zugaktivität sich bis Mitte Mai entfaltet (Abb. 10). Es wird vorgeschlagen, das Wasser vor Ort versickern zu lassen, was wegen des teilweise sandigen Untergrunds des Tals der Mittelelbe schnell geschieht. Auch die essenziellen kurzfristigen Überschwemmungen durch Frühsommerhochwässer im Mai/Juni müssten bis
zur Überstauung von etwa 50 % der Polder einfließen können (siehe Kasten 2). Hiervon würde neben anderen Tier- und Pflanzenarten insbesondere die Rotbauchunke (Bombina bombina) profitieren (Wilkens, Köhler 1977; Wilkens 1979, 2021).
Wasserrückhaltung in den Auen in Zeiten des Klimawandels trägt durch die Speicherung von Kohlenstoff im Boden zum Klimaschutz bei und nutzt außerdem der Landwirtschaft (Heger et al. 2021). In diesem Zusammenhang sollte geprüft
werden, ob bei zu geringem oder ausbleibendem Elbhochwasser durch einen kurzfristigen, niedrigen Rückstau im Aland mithilfe des Sperrwerks eine teilweise Flutung des Wrechow-Polders und des Garbe-Polders über einzelne Siele im zuvor beschriebenem zeitlichen Rahmen und flächenmäßigen
Umfang möglich ist.
Das Entwicklungsziel der Erhaltung bzw. Renaturierung der artenreichen Grünlandgesellschaften und der Wiederbesiedlung durch verdrängte Tierarten des Grünlands hängt au-ßer vom Hochwasserrhythmus entscheidend von einer extensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung ab
(Zielaskowski, Lüderitz 2005). Die Einrichtung eines dauerhaften Programms „Naturnahe Landwirtschaft im UNESCO-Biosphärenreservat ‚Flusslandschaft Elbe‘“ ist zwingend erforderlich (siehe Kasten 2).
Kasten 2: Ökologisch verträgliche Nutzung der vorhandenen und geplanten Hochwasserflutpolder.
Box 2: Ecologically sound agricultural land use in existing and planned flood polders.
Ein Programm zu Schutz und Erhaltung seltener und gefährdeter Arten und Biotope in den Auen der Mittelelbe sollte folgende Komponenten umfassen:
1. ökologische Stabilisierung der Ökosysteme der Mittelelbe durch Überschwemmungsmanagement der Hochwasserschutz-Flutpolder durch
a) flache Überschwemmung von maximal 50 % der Fläche im charakteristischen Rhythmus der Elbhochwässer im Frühjahr und Frühsommer und
b) allmähliche Entleerung der Überschwemmungsbereiche durch Versickerung bzw. über Siele nicht vor Juni und
2. Erhaltung der vorwiegend in Flutpoldern zu findenden, gefährdeten Arten des in der Urlandschaft durch Hochwasserereignisse und Eisgang entstandenen offenen Auengrünlands durch
a) extensive landwirtschaftliche Nutzung durch Mahd und/oder Beweidung und
b) Einrichtung eines dauerhaften länderübergreifenden Programms „Naturnahe Landwirtschaft im UNESCO-Biosphärenreservat ‚Flusslandschaft Elbe‘“.
6 Fazit
Die großflächige Öffnung des Garbe-Polders als Überschwemmungsraum durch die alternative Deichtrasse 2 im FFH-Gebiet „Aland-Elbe-Niederung nördlich Seehausen“ ermöglicht eine Kappung der Hochwasserscheitel; in Verbindung mit einem Überschwemmungsmanagement im Rhythmus der
Elbhochwässer kann der Naturschutz profitieren (Abb. 2b). Die Strömungsdynamik nicht anthropogen regulierter Flüsse bewirkt, dass neben Auenwäldern auf natürliche Weise offene Lebensräume durch Hochwasserereignisse und Eisgang
regelmäßig neu entstehen. In der rezenten, vom Menschen überformten Landschaft muss die Regeneration und Revitalisierung von Auen daher nicht nur als Entwicklung von Auenwäldern, sondern auch als Erhaltung gefährdeter Arten des offenen Auengrünlands einer historischen Kulturlandschaft
verstanden werden. Letztere sind vorwiegend in den Flutpoldern zu finden, die in Sachsen-Anhalt etwa 50 % (MULE 2020), in Brandenburg sogar den überwiegenden Anteil von über 20.000 ha bei der Wiedergewinnung von Ausbreitungs- und
Retentionsflächen im Rahmen der Planungen zum NHWSP ausmachen (MLUK 2020). Die Übertragung des im Garbe-Polder und Wrechow-Polder vorgesehenen Überschwemmungsmanagements sollte auch auf andere vorhandene oder geplante Flutpolder an der
Mittelelbe geprüft werden. Dies dient der überregionalen ökologischen Stabilisierung der Lebensräume an der Unteren Mittelelbe (siehe Kasten 2).
Im Rahmen des Projekts „Lebendige Auen für die Elbe“ wurde bereits die Entwicklung des Auenwalds der Hohen Garbe als Teil des FFH-Gebiets „Aland-Elbe-Niederung nördlich Seehausen“, zu dem auch der Garbe-Polder und der Wrechow-Polder gehören, durch das BPBV des BfN gefördert
(BfN 2021). Das FFH-Gebiet steht zudem in engem räumlichen Verbund mit dem BfN-Naturschutzgroßprojekt „Lenzener Elbtalaue“ (Neuschulz, Purps 2003; Damm
2013; BfN 2022), den diversen FFH-Gebieten der Löcknitzniederung („Untere Rhinowwiesen“ in der Lenzer Wische sowie „Löcknitz-Altlauf“ und Binnendünen bei Klein Schmölen) zwischen Dömitz und Lenzen (Wilkens 2021) und dem einzigen verbliebenen Rückstauraum ohne Sperrwerk an der Mittleren Elbe – den Niederungen der Seege bei Gartow (Niedersachsen; Wilkens 1973; Walther 1977). Es
wäre weiterhin aus Gründen des Hochwasserschutzes sinnvoll, auch die gegenüberliegende Elbschleife des Naturschutzgebiets „Elbdeichhinterland“ (Brandenburg) zwischen Müggendorf und Cumlosen auszudeichen (Abb. 1). Insgesamt kann hier einer
der wohl vielseitigsten Biotopverbünde geschaffen werden, der länderübergreifend auf beiden Elbseiten die charakteristischen Ökosysteme des Unteren Mittelelbtals innerhalb des UNESCO-Biosphärenreservats „Flusslandschaft Elbe“ umfasst.
Zusatzmaterial zum Beitrag
Wilkens H. (2022): Die Aland-Elbe-Niederung im UNESCO-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“: integrierter Natur- und Hochwasserschutz durch Wiederherstellung eines historischen großräumigen Retentionsraums.
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Dank
Frau Dr. Ulrike Strecker sei für die Zurverfügungstellung vieler in diesem Beitrag verwendeter Fotos, die Bearbeitung der kartographischen und der graphischen Abbildungen sowie für die kritische Durchsicht des Manuskripts gedankt. Herrn Achim Bruch danke ich für die Überlassung
ornithologischer Daten, insbesondere über die Anzahl rastender Löffelenten, Herrn Werner Plinz für historische Bestandserfassungen von Brutvögeln. Mein Dank gilt weiterhin den Herren Hans-Jörg Steingraf (Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt,
Flussbereichsleitung Osterburg) und Jörg Priebe (Planungsgesellschaft für Wasserbau & Wasserwirtschaft mbH PROWA Neuruppin) sowie Herrn Janek Dreibrodt (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg) für fachliche Informationen. Ich danke weiterhin
zwei Gutachterinnen/Gutachtern sowie nicht zuletzt insbesondere Frau Karin Roth und Herrn Dr. Ulrich Sukopp für wertvolle, kritische Hinweise und einem besseren Verständnis dienende Eingriffe im Rahmen des Lektorats.