Sebastian Seibold und Simon Thorn
Zusammenfassung
Durch natürliche Störungen entstehen frühe Waldentwicklungsphasen, die sich v. a. durch eine hohe Verfügbarkeit von Totholz und Licht auszeichnen. Die räumlich-zeitliche Variabilität von Störungen und die heterogene Verjüngungssituation erzeugen ein Mosaik aus
unbeeinflussten Altbeständen, frisch gestörten Bereichen sowie unterschiedlich alten Verjüngungsbereichen und somit eine hohe Habitatvielfalt auf Landschaftsebene. Frühe Sukzessionsphasen nach Störungen gehören zu den artenreichsten Phasen der Waldentwicklung. Zu den Profiteuren von
Störungen gehören viele gefährdete Arten der Roten Listen. Die gängige Praxis der Räumung von Störungsflächen reduziert die Artenvielfalt. Um die Artengemeinschaften von Störungswäldern zu erhalten, sollte ein Teil der Störungsflächen belassen bleiben. Es stehen alternative Methoden
zur Buchdruckerbekämpfung wie das Rindenschlitzen zur Verfügung, die nicht zum Verlust von Artenvielfalt führen. Störungen fördern nicht nur die Artenvielfalt, sondern helfen auch dabei, naturferne Wälder vielfältiger und stabiler gegenüber künftigen Störungen zu machen. Daher sollten
Störungen nicht als Katastrophe betrachtet werden, sondern vielmehr als Werkzeug im praktischen Naturschutz und im Waldumbau genutzt werden.
Biologische Vielfalt – Borkenkäfer – natürliche Störungen – Totholz – natürliche Waldentwicklung – Sanitärhiebe – WindwurfAbstract
Natural disturbances create early successional forest stages which are characterised by high availability of deadwood and light. Due to spatio-temporal variability in disturbance events and heterogeneous regeneration, patchy mosaics of undisturbed forest, recently disturbed
forest and different successional stages develop and provide high habitat heterogeneity at landscape scale. Early successional forest stages after disturbances are among the most species-rich stages of forest development, especially promoting threatened red-listed species. Salvage
logging is the common management form of disturbed forests, but this affects biodiversity negatively. To maintain and promote biodiversity, disturbed forests should be partially spared from salvage logging. Furthermore, alternative methods which reduce bark beetles but maintain the
biodiversity of other species, such as bark gouging, should be applied more widely. Disturbances promote biodiversity and help to restore forests towards a more natural state. Thus, disturbances should not be considered catastrophic but rather as tool for biodiversity conservation and
forest restoration.
Biodiversity – Bark beetle – Natural disturbance – Deadwood – Natural forest development – Salvage logging – WindthrowInhalt
Störungsereignisse in Wäldern, ausgelöst durch Borkenkäfer, Windwurf und regional durch Waldbrände, haben in den letzten Jahrzehnten in Europa zugenommen, und dieser Trend wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft weiter fortsetzen (Seidl
et al. 2017). Hinzu kommt, dass starke Trockenheit und Hitzewellen in den letzten Jahren zu erhöhter Mortalität bei verschiedene Baumarten in Mitteleuropa geführt haben (Senf et al. 2020a; speziell zu Wildverbiss: vgl.
Kasten 1). Unter dem Begriff „Waldsterben 2.0“ bekommt dieses Phänomen seit 2019 deutschlandweit eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Besonders der Umgang mit absterbenden und abgestorbenen Bäumen wird kontrovers und heftig
diskutiert (Thorn et al. 2019).
Kasten 1: Wild im Wald mit Zukunft. Ergebnisse des BioWild-Projekts der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft Deutschland (ANW).
Box 1: Deer in sustainable forests. Results of the BioWild project of the Working Group for Nature-Oriented Forest Management in Germany (ANW).
1 Wälder der Zukunft
Die Konsequenzen des Klimawandels sind fast überall in Deutschland auch für das ungeübte Auge wahrnehmbar. Die nächste Waldgeneration muss den Herausforderungen des Klimawandels möglichst besser standhalten. Hierfür müssen alle von Menschen direkt beeinflussbaren Belastungen des
Ökosystems Wald auf den Prüfstand gestellt werden. Ein bisher von der Gesellschaft kaum wahrgenommener Belastungsfaktor sind oft überhöhte, nicht an die natürlichen Habitate angepasste Bestände von Rehen, örtlich auch von Hirschen, Dam- oder Muffelwild. Sie fressen bis zu 63 %
der seltenen, für den Aufbau des stabilen Mischwalds zwingend gebrauchten Baumarten auf.
Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft Deutschland e. V. (ANW) 2015 die Waldbelastung durch Schalenwild in einem sechsjährigen, vom Bundesministerium für Umwelt (BMU) geförderten Projekt „auf die Hörner“ genommen. Zusammen mit der Universität
Göttingen, der Technischen Universität (TU) Dresden und der TU München wurden die Auswirkungen auf Vegetation, biologische Vielfalt, Waldstabilität sowie einzelne Waldfunktionen untersucht und bewertet. Unterstützt wurde das Projekt von der Firma re:member in den Bereichen
Konfliktmanagement und Kommunikationsstrategie.
Wichtige Ziele des Projekts sind:
● Erarbeiten objektiver Grundlagen zur Beurteilung des Wald-Wild-Verhältnisses,
● Darstellung wesentlicher wald- und jagdrelevanter Ergebnisse,
● Angebot von Lösungsideen für identifizierte Probleme.
2 Objektive Grundlagen zur Erfassung der Wald-Wild-Situation
Die TU München hat ein Verfahren zur objektiven Auswahl von Weisergatterstandorten (Abb. K1-1) entwickelt, das signifikant alle relevanten Waldsituationen abbildet. Die TU Dresden hat zusammen mit der ANW Störfaktoren für das Wild
erfasst. Waldbesucherinnen und -besucher, die die Wege nicht verlassen, stören das Wild kaum. Werden die Wege verlassen, dann ist die Störung umso nachhaltiger, je „heimlicher“ sich die betreffenden Menschen verhalten. Im Gegensatz zu Waldarbeiterinnen und -arbeitern oder Reiterinnen
und Reitern führen pirschende Jägerinnen und Jäger zur langfristigen Meidung der Region durch das Wild. Die vergleichende Aufnahme der Vegetation innerhalb und außerhalb von 248 Weisergattern durch die Universität Göttingen ist der entscheidende objektive Weiser für das Ausmaß
des Wildeinflusses auf die nachwachsende Waldgeneration.
Abb. K1-1: Weisergatter des BioWild-Projekts.
Fig. K1-1: A wisegate as part of the BioWild project.
(Foto: Stefan Schneider)
Die Bewertung von Deckung, Abschusshöhe und Abschussverteilung rundet die objektive Erfassung des Wildlebensraums sowie seiner waldbaulichen und jagdlichen Nutzung ab. Schlussendlich ist es gelungen, objektive Entscheidungsgrundlagen für eine Herleitung der Abschusshöhe
bereitzustellen, wenn die Waldbesitzerin oder der Waldbesitzer ein belastbares Ziel formuliert.
3 Darstellung wesentlicher wald- und jagdrelevanter Ergebnisse
3.1 Vegetation (Universität Göttingen)
Schalenwild beeinflusst Artenzahl und Dichte der Gehölze signifikant negativ. Die krautige Vegetation scheint hingegen zu profitieren.
● Die Anzahl der Baumarten im Gatter ist durchschnittlich 2,5-mal so groß wie außerhalb.
● Seltene Baumarten werden insbesondere von Rehwild bis zu 63 % selektiert (Entmischung; Abb. K1-2).
Abb. K1-2: Zäunungen verringern durch Verbiss bedingte Ausfälle deutlich. „Andere“ umfasst 73 weitere Gehölzarten mit sehr hohen Verbissraten.
Fig. K1-2: Fencing significantly reduces browsing-related losses. “Other” includes 73 other woody species with very high browsing rates (modified after Torsten Vor).
(verändert nach Torsten Vor)
● Die Dichte der Gehölze zwischen 50 und 130 cm Höhe ist in Revieren mit nicht angepassten Wildbeständen ca. 30 % niedriger.
● Wild beeinflusst die Zusammensetzung der holzigen Vegetation. Außerhalb der Gatter findet man mehr Pionierbaumarten (z. B. Birke, Eberesche), im Gatter mehr Hauptbaumarten wie Eiche oder Buche.
3.2 Wild (TU Dresden)
Wildeinflüsse auf die Zusammensetzung der heranwachsenden Waldgenerationen sind unter Wahrung des Tierschutzes mit jagdlichen Mitteln beeinflussbar.
● Intervalljagd steigert die Abschusshöhe in den Jagdzeiten und gewährt dem Wild vier bis fünf Monate absolute Jagdruhe.
● Die Anpassung der Erlegungszeiten an die Biologie des Wilds steigert die Effizienz der Bejagung und verringert den Störfaktor „Jagd“.
● Ungestörte Flächen haben ein höheres Wildaufkommen mit längerer Verweildauer und höherer Verbissintensität.
3.3 Ökonomie (TU München)
Wildverbiss beeinflusst die Entwicklung seltener Baumarten stärker als Licht- oder Klimavariablen.
● Die Gefahr, dass eine verbissene Pflanze erneut verbissen wird, ist größer als die eines Neuverbisses.
● Überschreitet die Verbisswahrscheinlichkeit einen bestimmten Schwellenwert (bei der Weißtanne bspw. 7 %), brechen Höhenzuwachs und Überlebenschance dieser Baumart drastisch ein.
● Wildeinfluss kann zu einem beträchtlichen Rentabilitätsverlust für die Betriebe führen.
● Ab einer nachhaltigen Strecke von 10 Stück pro 100 ha und Jahr in Rehwildrevieren scheinen Verbissintensität und Entmischung erkennbar zu sinken (Abb. K1-3).
Abb. K1-3: In der gesamten BioWild-Region sinkt der Verbiss langlebigen Laubholzes jenseits einer Abschussrate von 9 Stück Rehwild pro 100 ha und Jahr signifikant.
Fig. K1-3: In the entire BioWild region, browsing of long-lived hardwoods decreases significantly beyond a shooting rate of 9 deer per 100 ha and year.
(Quelle: Kai Bödeker)(Source: Kai Bödeker)
3.4 Kommunikation
Ein intensiver partizipativer Kontakt zu Waldbesitzerinnen und -besitzern sowie zu Jägerinnen und Jägern kann eine „Brücke zu gemeinsamem Handeln“ sein. Wichtige Elemente auf dem Weg zum Miteinander sind u. a.,
● keinen Schuldigen, sondern Lösungen zu suchen,
● von Waldbesitzerinnen und -besitzern klare Zielsetzungen für deren Wald einzufordern,
● einen jährlichen Waldbegang mit Waldbesitzerinnen und -besitzern sowie Jägerinnen und Jägern durchzuführen und Jahresmaßnahmen zu protokollieren sowie
● ehrenamtliche Jagdgenossenschaftsvorstände durch forstliche Zusammenschlüsse und/oder Betreuungsförster zu unterstützen.
4 Zusammenfassung
Der Einfluss des Schalenwilds auf die nachwachsende Waldgeneration ist unerwartet groß. Deren Beeinträchtigung durch nicht an das Habitat angepasste Schalenwildbestände muss so weit wie möglich reduziert werden. Dass geeignete Jagd das Ausmaß des Wildeinflusses beeinflussen kann,
macht Mut, etwas zu ändern. Eine Verbesserung der Waldstabilität wird jedoch nur gelingen, wenn die Waldbesitzerin oder der Waldbesitzer klare Waldziele formuliert und diese in enger Kooperation mit den Jägerinnen und Jägern unter Einsatz geeigneter Maßnahmen verfolgt. Den
angestrebten strukturreichen Mischwald wird es jedenfalls nicht geben, wenn die meisten Partner so weiter machen wie bisher.
Förderung
Das BioWild-Projekt wird im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt (BPBV) durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums (BMUV) gefördert.
Autor
Hans von der Goltz
In der Dormecke 30
57392 Schmallenberg
E-Mail:
hansvdgoltz@gmail.com
1 Auswirkungen auf die Artenvielfalt
Durch das Absterben von Bäumen entstehen strukturreiche frühe Waldentwicklungsphasen (Abb. 1a, b), die sich durch hohe Totholzmengen und -vielfalt sowie hohe Lichtverfügbarkeit und Temperaturschwankungen auszeichnen (Swanson et al. 2011; Hilmers et al. 2018; Thom et al. 2020). Diese frühen Waldentwicklungsphasen nach Störungen gehören neben den spätesten
Waldentwicklungsphasen (Terminal- und Zerfallsphase) zu den artenreichsten Phasen für verschiedenste Tier- und Pflanzengruppen (Hilmers et al. 2018). Da in der Regel Wälder in eher artenärmeren, mittleren Waldentwicklungsphasen von
Störungen betroffen sind, führen Störungsereignisse in temperaten Wäldern meist zu einem Anstieg der Artenvielfalt (Lindenmayer, Noss 2006; Beudert et al. 2015; Thom, Seidl 2016). Ausschlaggebend für die hohe Artenvielfalt auf (ungeräumten) Störungsflächen ist v. a. ein gesteigertes Totholz- und Lichtangebot, das Totholzbewohner, die Vegetation und viele Bewohner der Kraut- und Strauchschicht fördert (Lehnert et al. 2013; Seibold et al. 2016a, b; Thorn et al. 2016a, b; Penone et al. 2019).
Abb. 1: Durch natürliche Störungen entstehen frühe Waldentwicklungsphasen (a, b), die sich durch eine hohe Habitatheterogenität und eine besonders hohe Tier- und Pflanzenartenvielfalt auszeichnen. Im Zuge der Sukzession entwickeln sich daraus baumartenreiche (c)
und gestufte Bestände (d).
Fig. 1: Natural disturbances create early forest development phases (a, b), which are characterised by high habitat heterogeneity and a particularly high diversity of animal and plant species. In the course of succession, tree-species-rich (c) and vertically
structured stands (d) develop from these.
(Fotos: Sebastian Seibold; a) Naturwaldreservat Brunnstube, Steigerwald, Bayern; b) Nationalpark Berchtesgaden, Bayern; c) Nationalpark Berchtesgaden, Bayern; d) Nationalpark Bayerischer Wald)
Die Auswirkungen von Störungen auf lokale Artengemeinschaften verschwinden mit der Zeit, wenn das Totholz abgebaut wird und sich die Kronen der jungen Bäume schließen (Hilmers et al. 2018). Von großer Bedeutung für die Artenvielfalt
ist daher, dass auf Landschaftsebene immer das gesamte Spektrum an Waldentwicklungsphasen gleichzeitig vorhanden ist. Durch zeitliche und räumliche Variabilität im Auftreten und in der Stärke von Störungen entstehen Lebensraummosaike aus unbeeinflussten Altbeständen, frisch
gestörten Bereichen und unterschiedlich alten Verjüngungsbereichen (Abb. 1c, d; Winter et al. 2015; Senf et al. 2020b). Somit führen
Störungen zu einem Anstieg der Habitatheterogenität, d. h. der Vielfalt an Lebensräumen und Nischen, auf Landschaftsebene (Senf et al. 2020b). Habitatheterogenität ist generell ein starker Treiber der Artenvielfalt quer über alle
Artengruppen hinweg (Heidrich et al. 2020). Insbesondere im Kontext natürlicher Störungen führt sie zu einer hohen Artenvielfalt auf Landschaftsebene, der so genannten Gamma-Diversität (Winter
et al. 2017).
Unter den Profiteuren von Störungen sind keineswegs nur Generalisten, sondern auch viele gefährdete Arten der Roten Listen (Beudert et al. 2015). Insbesondere lichtliebende Totholzbewohner sind stärker gefährdet als Arten der
geschlossenen, schattigen Wälder und profitieren von Störungen (Seibold et al. 2015). Als Beispiele für solche Arten können hier die Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella), der Jagdkäfer Peltis grossa oder der
Schnellkäfer Lacon lepidopterus angeführt werden. Von diesen Arten waren nur noch kleine Reliktvorkommen bekannt oder sie galten in Deutschland als ausgestorben. Auf Störungsflächen in den Nationalparks Bayerischer Wald und Sächsische Schweiz konnten diese Arten jetzt aber
wiederentdeckt werden, und teilweise erfolgte bereits eine erfolgreiche Ausbreitung innerhalb dieser Schutzgebiete (Bässler, Müller 2010; Busse et al. 2022). Doch nicht nur totholzabhängige Pilze
und Insekten profitieren von Störungen, sondern auch Arten der Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie, wie die Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus), das Auerhuhn (Tetrao urogallus) oder das Haselhuhn (Tetrastes bonasia) (Kortmann et al. 2018a, b).
2 Störungen als Werkzeuge für den Naturschutz und Waldumbau?
Der Waldbau der letzten ca. 150 Jahre hat in vielen Regionen dazu geführt, dass gleichaltrige Bestände aus wenigen, wirtschaftlich interessanten Baumarten auf großer Fläche entstanden sind. Störungen führen nun dazu, dass diese homogenen Altersstrukturen aufgebrochen werden
und gestufte Wälder entstehen (Abb. 1d; Senf et al. 2020b). Auch die Baumartenzahl steigt in der Regel nach Störungen (Abb. 1c), da durch
die heterogenen Verjüngungsbedingungen neben den Hauptbaumarten auch Pionierbaumarten aufwachsen (Winter et al. 2015; Zeppenfeld et al. 2015). In den Kernzonen von Schutzgebieten wie
Nationalparks, in denen natürliche Dynamiken uneingeschränkt ablaufen, wurde der Wert dieses natürlichen „Waldumbaus“ erkannt und erforscht. In Berchtesgaden bspw. helfen Störungen, die aus der Salinenwirtschaft hervorgegangenen gleichaltrigen Fichtenbestände zu naturnahen
Bergmischwäldern zu renaturieren (Baier et al. 2021). Während dazu in der Vergangenheit aktive Maßnahmen, wie Femelhiebe und Pflanzung, eingesetzt wurden, wird heute nur noch in Borkenkäferlöchern in der Pflegezone gepflanzt, wenn
potenzielle Samenbäume von Buche und Tanne fehlen. Nicht nur in Schutzgebieten, auch in Wirtschaftswäldern kann natürlicher Waldumbau durch Störungen von Vorteil sein. Simulationsmodelle zeigen, dass aus Störungsflächen hervorgegangene Wälder auf Grund ihrer höheren Baumarten- und
Strukturvielfalt künftig weniger anfällig für Störungen sind (Seidl et al. 2014, 2016; Sommerfeld et al. 2021).
3 Umgang mit Störungen
Von Störungen betroffene Bestände werden in der Regel geräumt, d. h., geschädigte Stämme werden entfernt und vermarktet. Die Hauptgründe für die Räumung von Störungsflächen sind die ökonomische Verwertung des Holzes, die Bekämpfung von Schadinsekten insbesondere bei Fichten,
und die Zugänglichkeit der Flächen für anschließende waldbauliche Maßnahmen. Studien weltweit zeigen jedoch, dass sich die Räumung von Störungsflächen negativ auf die Artenvielfalt (Thorn et al. 2018) und auf regulierende
Ökosystemleistungen (Leverkus et al. 2020) auswirkt. Die Verjüngung erreicht zwar auf geräumten Flächen schneller eine größere Deckung als ohne Räumung, allerdings ist die Strukturvielfalt geringer und somit die Anfälligkeit gegenüber
künftigen Störungen auf geräumten Flächen potenziell größer als auf ungeräumten Flächen (Senf et al. 2019).
Erschwerend kommt hinzu, dass die eigentlichen Ziele der Räumung, also die wirtschaftlich gewinnbringende Vermarktung des Holzes und die Eindämmung von Schadinsekten, unter bestimmten Umständen nicht erreicht werden können (Leverkus et al.
2018). So führen Holzpreiseinbrüche bei großflächigem Schadholzanfall regelmäßig dazu, dass Schadholz nicht gewinnbringend vermarktet werden kann, so dass in einigen Ländern staatliche Hilfen gewährt werden, um Einbußen zumindest teilweise zu kompensieren (Thorn et al. 2019; Müller et al. 2019). Auch die Bekämpfung des Buchdruckers (Ips typographus) ist oft wenig erfolgreich, da die Entfernung von 95 % des brutfähigen Holzes
notwendig wäre, um Buchdruckerpopulationen effektiv zu senken und die Gefahr zukünftiger Ausbrüche zu verringern (Dobor et al. 2020). Solch hohe Räumungsraten sind in der Praxis meist nur bei kleineren Schadflächen zu realisieren
(Dobor et al. 2020).
Sollen Naturschutzaspekte in das Management von Störungsflächen integriert werden, so kann das grundsätzlich integrativ oder segregativ geschehen (Thorn et al. 2017). Ein segregativer Ansatz bedeutet, dass ein Teil der
Störungsflächen belassen und ein Teil geräumt wird. Dieser Ansatz ermöglicht die natürliche Sukzession der belassenen Flächen, bedingt aber gleichzeitig deren kompletten Nutzungsverzicht. In einer Hochrechnung basierend auf ca. 200 Datensätzen weltweit zur biologischen
Vielfalt in Störungswäldern zeigte sich, dass 90 % der natürlich vorkommenden Arten in Störungsflächen erhalten werden können, wenn drei Viertel der Fläche von Sanitärhieben ausgeschlossen werden (Thorn et al. 2020). Im Gegensatz
dazu geht ein Drittel der Arten verloren, wenn die Hälfte der Störungsfläche geräumt wird (Abb. 2). Die Angaben beziehen sich genau auf die charakteristischen Arten von Störungsflächen, wie den Jagdkäfer Peltis grossa.
Abb. 2: Artenzahl von Störungsspezialisten (in % der Artenzahl der komplett ungeräumten Fläche) im Verhältnis zum Anteil der belassenen Fläche nach einer Störung. Die beiden gestrichelten Linien kennzeichnen den Anteil der Arten, der bei der Räumung von 50 %
der Fläche verbleiben würde, bzw. den Anteil an Störungsfläche, der belassen werden müsste, um 90 % der Artenvielfalt zu erhalten.
Fig. 2: Species number of disturbance specialists (in % of the species number of the completely uncleared area) in relation to the proportion of the uncleared area left after a disturbance. The two dashed lines indicate the proportion of species that would remain
if 50 % of the area were cleared, and the proportion of disturbance area that would have to be left to maintain 90 % of the species diversity.
Ein integrativer Umgang mit Störungswäldern müsste die unterschiedlichen Interessen, bspw. Naturschutz, Borkenkäferbekämpfung, Holznutzung und Erholungsfunktion, auf derselben Fläche miteinander kombinieren. Ein Ansatz, der all diese Funktionen gleichzeitig erfüllt, existiert
allerdings nicht. Eine Möglichkeit, die zumindest Naturschutz, Borkenkäferbekämpfung und Erholungsfunktionen gewährleistet, bietet das Rindenschlitzen von Fichten zur Bekämpfung des Buchdruckers (Hagge et al. 2019). Rindenschlitzen macht
Fichten für den Buchdrucker brutuntauglich und kann den Buchdrucker in frisch befallenen Bäumen effektiv reduzieren. Dies gilt sowohl präventiv als auch für bereits befallene Bäume. Im Gegensatz zu entrindeten Stämmen werden geschlitzte Stämme jedoch von einer großen Zahl von Arten
besiedelt, sodass sich die Artenvielfalt in geschlitzten Stämmen nicht von der in unbehandelten Stämmen unterscheidet. Gegenüber einer kompletten Entrindung der Stämme stellt das Schlitzen der Rinde eine Kostenersparnis dar.
4 Fazit
Störungen in Wäldern fördern die biologische Vielfalt und helfen dabei, naturferne Wälder vielfältiger und potenziell stabiler gegenüber künftigen Störungen zu machen. Räumung ist zwar gängige Praxis, oft jedoch nicht wirtschaftlich und auch die Ziele der Borkenkäferbekämpfung
werden oft nur unzureichend oder gar nicht erreicht. Zudem werden durch Räumung die positiven Effekte der Störungen teilweise zunichte gemacht. Anstatt Störungen nur als Katastrophe zu betrachten, sollten sie vielmehr als Werkzeug in der Naturschutzplanung und im Waldumbau genutzt
werden. Teile der Störungsflächen können bspw. belassen werden und Schlitzen kann als alternative Methode zur Borkenkäferbekämpfung gefördert werden.
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