Corinna Hölzer, Cornelis Hemmer, Dominik Jentzsch und Birgit Netz-Gerten
Zusammenfassung
Wohnungsbauunternehmen haben Flächen und Mittel zur Verfügung, um einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt zu leisten. Bislang hat die Wohnungswirtschaft ihr Potenzial kaum erkannt, allerdings gibt es einige Vorreiter im ökologischen Umbau von Freiflächen in Wohnquartieren, die im vorliegenden Beitrag vorgestellt werden. Im Rahmen des im Bundesprogramm Biologische Vielfalt (BPBV) geförderten Projekts „Treffpunkt Vielfalt“ wurden Freiflächen in verschiedenen Städten naturnah umgestaltet. Das Projekt zeigt, dass naturnahe Strukturen in Wohnquartieren nachweislich zu stark steigenden Artenzahlen bei Wildbienen und Tagfaltern führen. Umfragen vor und nach der ökologischen Umgestaltung zeigen, dass bei Mieterschaft, Hauswartinnen und Hauswarten sowie Vorständinnen und Vorständen durch begleitende Umweltbildungsmaßnahmen eine Akzeptanz für die neuen Sehgewohnheiten hergestellt werden kann. Partizipative Prozesse der Umgestaltung eröffnen sowohl den Eigentümerinnen und Eigentümern als auch den Mieterinnen und Mietern neue Perspektiven auf die Bandbreite der Maßnahmen, mit denen Biodiversität, Naturverständnis und Aufenthaltsqualität gesteigert werden können. Gartendienstleisterinnen und -dienstleister können durch Vor-Ort-Trainings und Pflegepläne an die ökologisch aufgewerteten Flächen herangeführt werden. Im Projekt wurde ein Handlungsleitfaden erstellt und eine Online-Lernplattform für naturnahes Grün eingerichtet, die allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Grünflächengestaltung – Naturnähe – Wohnumfeld – Aufenthaltsqualität – Biodiversität – Umweltbildung – Partizipation – GrünflächenmanagementAbstract
Housing companies have land and resources at their disposal to make a decisive contribution to the preservation and promotion of biodiversity. So far, the housing industry has hardly recognised its potential. Nonetheless, there are some pioneers in the ecological conversion of open spaces in residential areas, which are presented in this article. As part of the Treffpunkt Vielfalt project funded by the German Federal Programme for Biological Diversity (BPBV), open spaces in various cities have been redesigned to be close to nature. The project shows that near-natural structures in residential areas demonstrably lead to a sharp increase in the number of species of wild bees and butterflies. Surveys before and after ecological redesign show that acceptance of the new visual habits can be achieved among tenants, caretakers and board members through accompanying environmental education measures. Participatory redesign processes open up new perspectives for both owners and tenants on the range of measures that can be used to increase biodiversity and improve the understanding of nature and quality of stay. Garden service providers can be introduced to the ecologically enhanced areas through on-site training and maintenance plans. The project produced a guideline for action and set up a browser-based learning platform for near-natural green spaces which are available to all interested parties.
Green space design – Closeness to nature – Housing environment – Quality of stay – Biodiversity – Environmental education – Participation – Green space managementInhalt
1 Einleitung
Die Urbanisierung führt zunehmend zu einem Verlust von Stadtnatur. Der Masterplan Stadtnatur (BMU 2019), das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (BMUV 2023) und andere Programme der Bundesregierung zeigen, dass die Förderung von Biodiversität auch im urbanen Raum auf der politischen Agenda angekommen ist. Die Freiflächen im Umfeld von 1,42 Mio. ha Wohnbauflächen in Deutschland bergen großes Potenzial für naturnahe Gestaltungen und können dazu beitragen, die Lebensqualität der Mieterinnen und Mieter und die biologische Vielfalt zu fördern (Destatis 2023).
Ein inspirierendes Beispiel, wie naturnahe Flächen im Wohnungsbau angelegt werden können, bietet das im Bundesprogramm Biologische Vielfalt (BPBV) geförderte Projekt „Treffpunkt Vielfalt − Naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen in Wohnquartieren“. Dieses Modellprojekt, das von den Projektpartnern Stiftung für Mensch und Umwelt und dem Wissenschaftsladen Bonn e. V. (WILA Bonn) gemeinsam durchgeführt wurde, zeigt, wie ein ökologischer Umbau im Wohnumfeld möglich ist. Neben der Einrichtung naturnaher Flächen ging es v. a. auch darum, eine hohe Akzeptanz der Anwohnerinnen und Anwohner der Wohnquartiere für die Maßnahmen zu erreichen. Daher begleiteten passende Umweltbildungsmaßnahmen die Umgestaltung mit einheimischen Pflanzen, Totholz, Natursteinen und Nisthilfen. Denn trotz des Bewusstseins über den fortschreitenden Verlust der Biodiversität gibt es Vorbehalte der Bevölkerung gegen Maßnahmen, die diesem Verlust im urbanen Raum entgegenwirken können (Schleer, Wisniewski 2023). Naturnahe Gestaltungen lösen bei manchen Menschen aufgrund deren ungewohnter Ästhetik und Komplexität Unsicherheit oder sogar Ablehnung aus, da sie als zu wild oder unkontrollierbar empfunden werden (Kowarik et al. 2016). Um diesen Vorbehalten zu begegnen, entwickelten die beiden Projektpartner Konzepte für eine verbesserte Kommunikation und Bildungsarbeit und verknüpften diese mit konkreten Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität auf Freiflächen in der unmittelbaren Wohnumgebung.
Im Folgenden wird das Projekt mit seinen naturnahen Modellflächen auf unterschiedlichen Grünflächentypen vorgestellt (siehe Abschnitt 2) und es werden die Grundsätze der Gestaltung und Pflege eines ökologischen Grünflächenmanagements aufgezeigt (siehe Abschnitt 3). Zudem werden sowohl Schulungsmöglichkeiten (siehe Abschnitt 4) als auch der richtige Umgang mit Entscheiderinnen und Entscheidern und der Mieterschaft dargestellt (siehe Abschnitt 5). Die Möglichkeiten eines Monitorings ausgewählter Artengruppen zur Erfolgskontrolle werden in Abschnitt 6 aufgezeigt.
2 Grünflächentypen im Projekt „Treffpunkt Vielfalt“
2.1 Offene Hofanlagen, Abstandsgrün, Innenhöfe, Vorgärten
Die Stiftung für Mensch und Umwelt hat im Rahmen des Projekts „Treffpunkt Vielfalt“ bei der ökologischen Umgestaltung von Grünflächen auf 6.000 m² in fünf Berliner Wohnquartieren wertvolle Erfahrungen gesammelt. Die Stiftung kooperierte dabei mit drei Berliner Wohnungsbaugenossenschaften (WBG). Ob Wiese und Hügelbeet auf weitem Abstandsgrün zwischen zwei Häuserriegeln in Berlin-Reinickendorf (Abb. 1a, b), ein teilentsiegelter Innenhof in Berlin-Spandau oder der zu Magerbeeten mit Trockenmauern umgestaltete Vorgarten in Berlin-Neukölln (Abb. 1c, d) – das Projekt hat gezeigt, dass eine naturnahe Gestaltung die Aufenthaltsqualität der Menschen steigert und neuen Lebensraum für Pflanzen und Tiere schafft. Inzwischen entstanden auf knapp 20 Berliner Flächen verschiedener WBG – auch außerhalb des Modellprojekts − strukturreiche Blühflächen. Schon im ersten Jahr nach der Umgestaltung gab es sowohl eine merkliche ökologische Aufwertung als auch einen gesteigerten Erholungswert für die Mieterschaft. Schon eine einfache Bank in einer neuen Ausbuchtung des Fußwegs hin zur Haustür, im Rücken ein Staudenbeet an einer Trockenmauer, kann zu mehr sozialer Interaktion in der Nachbarschaft beitragen. Rasenpfade, gepflasterte Wege oder Sitzbänke in einer Wiese machen die neue Vielfalt erlebbar.
Abb. 1: a) Ausgangszustand der Modellfläche in Berlin-Reinickendorf: 1.600 m² Abstandsgrün mit geringer Aufenthaltsqualität. b) Ein Jahr nach Umgestaltung der Modellfläche in Berlin-Reinickendorf: 360 m² Blumenwiese und 9 Staudenbeete, eingefasst von Trockenmauern oder Findlingen, sowie ein langer Saum. c) Ausgangszustand der Modellfläche in Berlin-Neukölln, Ortsteil Britz. d) Ein Jahr nach Umgestaltung der Modellfläche in Berlin-Neukölln: einheimische Pflanzen, Trockenmauer, Sitzbank und ein Eingriffeliger Weißdorn (Crataegus monogyna) prägen den neuen Vorgarten.
(Quelle: Stiftung für Mensch und Umwelt)
Fig. 1: a) Initial state of the model area in Berlin-Reinickendorf: 1,600 m² of green space with low amenity value. b) One year after redesigning the model area in Berlin-Reinickendorf: 360 m² of flower meadow and nine forb beds, bordered by dry stone walls or boulders, and a long fringe. c) Initial state of the model area in Berlin-Neukölln, Britz district. d) One year after the redesign of the model area in Berlin-Neukölln: native plants, a dry stone wall, a bench and a common hawthorn (Crataegus monogyna) characterise the new front garden.
(Source: Stiftung für Mensch und Umwelt)
2.2 PikoParks – kleine, naturnahe Nachbarschaftsparks
In den Städten Bonn, Dortmund (Abb. 2a), Erfurt (Abb. 2b), Remscheid und Speyer schuf der WILA Bonn gemeinsam mit Mieterinnen und Mietern sowie Quartiersakteurinnen und -akteuren insgesamt fünf kleine, naturnahe Nachbarschaftsparks, sog. PikoParks. Der Begriff steht für einen kleinen (abgeleitet vom italienischen „piccolo“), naturnahen Park, der Biodiversität mit einem Plus an Aufenthaltsqualität verbindet. Bei einem PikoPark handelt es sich um einen neuen Grünflächentyp für den urbanen Raum, der mit einer Flächengröße von etwa 300 m² besonders gut auf großen, halböffentlichen Rasenflächen zwischen Häuserriegeln, dem sog. Abstandsgrün, platziert werden kann. Diese Art der Flächenwahl erhöht die öffentliche Wahrnehmung im Sinne der Biodiversitätsförderung und die Strahlkraft der PikoParks nach außen.
Abb. 2: a) PikoPark Dortmund-Westerfilde, zwischen Kiepeweg und Zum Luftschacht. b) Mieterinnen im PikoPark Erfurt, Sofioter Straße 1 – 3. c) Magerbeet mit Recyclingelementen auf der Modellfläche in Berlin-Köpenick; Reste von Betonmauern aus dem Abriss der alten Vorgärten bilden Lebensräume für Tiere.
(Fotos: a), b) WILA Bonn e. V., c) Sebastian Runge)
Fig. 2: a) PikoPark Dortmund-Westerfilde, between Kiepeweg and Zum Luftschacht. b) Tenants in PikoPark Erfurt, Sofioter Straße 1 3. c) Lean bed with recycled elements on the model area in Berlin-Köpenick; remnants of concrete walls from the demolition of old front gardens form habitats for animals.
Ein PikoPark bietet einen nutzerintegrierten und damit für die Wohnungsunternehmen kundenorientierten Einstieg in eine naturnahe Flächengestaltung. Die kleinen Parks fördern wie die in Abschnitt 2.1 genannten Grünflächentypen die Naturerfahrung und Erholung von Bürgerinnen und Bürgern. Darüber hinaus laden sie in besonderer Weise auch zur Begegnung mit der Nachbarschaft ein, direkt vor der eigenen Haustür. Die geringe Größe der PikoParks ermöglicht, dass sich die Mieterinnen und Mieter an der Planung, Anlage und langfristigen Pflege beteiligen können. Hier erleben sie den Wert der Natur, werden zu Akteurinnen und Akteuren für den Schutz der biologischen Vielfalt und erfahren ihre Selbstwirksamkeit sowie oft eine neue Gemeinschaft in der Nachbarschaft. Eine externe Evaluation bestätigte den Mehrwert der aktiven Beteiligung: „Die Anwohnerinnen und Anwohner berichten über mehr Pflanzenkenntnisse“ und „die Befragten geben an, nach dem Durchlaufen des Prozesses mehr Kontakte zu haben“, was eine positive soziale Wirkung unterstreicht (Gyimóthy 2023). Auch für die Wohnungsunternehmen bietet die überschaubare Größe der PikoParks einen finanziell niedrigschwelligen Einstieg in die naturnahe Flächengestaltung.
Die Umsetzung des neuen Grünflächentyps PikoPark auf weiteren Flächen wird seit 2023 über zwei große Förderprogramme unterstützt (Umweltprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau − KfW, Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz − ANK). Außerhalb bundesweiter Förderkulissen wurden von der Stiftung für Mensch und Umwelt inzwischen vier PikoParks in Berlin erfolgreich angelegt.
3 Anlage und Pflege naturnaher Grünflächen
3.1 Grundsätze und Vorteile des naturnahen Gärtnerns
Die Integration naturnaher Gärten im städtischen Wohnungsbau stellt eine bedeutende Strategie zur Förderung der biologischen Vielfalt dar, die ökologische Nachhaltigkeit mit urbaner Lebensqualität verbindet. Durch die Anwendung von Grundsätzen des naturnahen Gärtnerns, wie der Förderung einheimischer Pflanzenarten und einer angepassten Pflege, werden nicht nur resiliente, sondern auch artenreiche Grünflächen geschaffen. Es gibt dabei noch weitere Prinzipien, die folgende Vorzüge mit sich bringen:
● Einheimische Wildpflanzen und deren naturnahe Zuchtformen werden einmalig gepflanzt und vermehren sich nachfolgend eigenständig.
● Wildpflanzen sind meist robuster gegenüber Krankheitserregern und Witterung (Witt 2020).
● Artenreiche Blühwiesen werden nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht, Stauden im Herbst kaum geschnitten.
● Arbeitsschritte wie Mulchen, Düngen oder häufiges Mähen entfallen.
● Stoffkreisläufe werden geschlossen, Laub und Gehölzschnitt verbleiben möglichst auf der Fläche und fördern die natürliche Mineralisierung und Humifizierung bei der Bodenbildung.
● Entsorgungskosten für Falllaub, Schnitt- und Rupfgut entfallen, es entstehen Winterquartiere für Igel und andere Wildtiere.
● Gebrauchte Baustoffe werden wiederverwertet (Gehwegplatten, Steine, Holz etc.; Abb. 2c)
● Es ist kaum Wässerung nötig, außer bei ungewöhnlich langer Trockenheit, bei Neuansaaten und in den ersten zwei Jahren nach Gehölzpflanzungen.
● Durch die Wahl trockenheitsverträglicher („klimafitter“) Wildpflanzen ist der Niederschlag in aller Regel ausreichend, um die gepflanzte und spontan auftretende Vegetation im Rahmen der Unterhaltungspflege zu erhalten.
3.2 Mit Strukturreichtum zu mehr Artenvielfalt
Naturnahe und strukturreiche Gestaltungen fördern nicht nur die Biodiversität, das Naturerleben und die Aufenthaltsqualität, sondern fordern auch die ansässige Mieterschaft sowie Passantinnen und Passanten heraus, indem sie traditionelle Vorstellungen und Wahrnehmungsmuster aufbrechen und neue Sehgewohnheiten etablieren. Deshalb sollten Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität stets von Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz begleitet sein.
Stehendes und liegendes Totholz kann Versteck, Kinderstube, Nahrungsrevier, Sitzwarte und Feuchtigkeitsspender für verschiedene Tierarten sein, was vielen Menschen nicht bewusst ist. Infotafeln können hier zu neuen Erkenntnissen führen. Holz mit Rinde gilt als ökologisch wertvoller als Holz ohne Rinde und größere Totholzstücke befördern mehr Arten als dünne Äste (Seibold et al. 2015; David 2020). Liegendes Totholz ist gestalterisch wirkungsvoll, ebenso wie stehendes Totholz, das in repräsentativen Beeten − besonders in Kombination mit Steinen − einen eindrucksvollen Anblick bietet (Abb. 3). Bei der Gestaltung einer naturnahen Fläche ist es generell ratsam, ästhetische Belange der Anwohnerinnen und Anwohner zu berücksichtigen. Auch Beeteinfassungen aus Ästen und Stämmen eignen sich, sofern Harthölzer (bspw. Robinie oder Eiche) verwendet und am besten auf Schotter gebettet werden, damit sie nur langsam verrotten. Betrachtet man die ökologische Wertigkeit, so sind Laubhölzer gegenüber Nadelhölzern vorzuziehen, da hierzulande eine insgesamt größere Anzahl an Pilzen, Flechten, Moosen, Farnen, Insekten, Reptilien, Vögeln und Säugetieren von Laubhölzern profitiert (Kennedy, Southwood 1984; Stokland et al. 2012; Schuch et al. 2024). Auch der Gehölzschnitt kann als sog. Benjeshecke ästhetisch aufgeschichtet und als Raumteilung und Sichtschutz genutzt werden.
Abb. 3: Totholz und Steine bieten im Wohnungsbau viele Gestaltungsmöglichkeiten und wertvollen Unterschlupf für die Tierwelt. Die Abbildungen a – d zeigen verschiedene Beispiele aus dem Projekt.
(Quelle: Stiftung für Mensch und Umwelt)
Fig. 3: Deadwood and stones offer many design options in home construction and valuable shelter for wildlife. Figures a – d show various examples from the project.
(Source: Stiftung für Mensch und Umwelt)
Weitere Möglichkeiten der Nutzung und Gestaltung mit Totholz sind „Käferkeller“ (Abb. A im Online-Zusatzmaterial unter https://www.natur-und-landschaft.de/extras/zusatzmaterial/) und „Laub-Reisig-Habitate“. Während Käferkeller etwa einen Meter tief in die Erde hineingebaut und mit Holzschnitzeln, Rinde und Ästen versehen werden, können längere Zweige und eine große Menge Laub zu Laub-Reisig-Habitaten aufgebaut und somit „entsorgt“ werden. Sie schaffen bei einem stabilen Aufbau u. a. Kleinsäugern wie Igeln Unterschlupf für den Winter.
Findlinge, Mauersteine, Kies und Schotter sind wichtige Strukturelemente, die auf allen Modellflächen des Projekts verbaut wurden. Steinspalten in einem Lesesteinhaufen oder einer Trockenmauer bieten Lebensraum u. a. für Eidechsen, Wildbienen, Kröten und Kleinsäuger. Sofern die Natursteinarrangements ausreichend besonnt werden, entwickeln sie durch die Wärmespeicherung zudem ein besonderes Mikroklima für wärmeliebende Arten. Auch Recyclingsteine (z. B. Betonplatten, Pflaster- und Kantensteine, Beton-recyclingschotter) können CO2-schonend ohne Transportkosten aus dem Bestand vielseitig wiederverwertet werden. Mauern, Findlinge oder Steinquader bieten naturnahe Sitzmöglichkeiten, die zum Verweilen und Beobachten einladen.
3.3 Pflege naturnaher Flächen
Wie das klassische Grünflächenmanagement unterscheidet auch der Naturgartenbau die Entwicklungs- von der Unterhaltungspflege (Dauerpflege). Auch naturnahe Grünflächen brauchen anfangs eine Entwicklungspflege von bis zu drei Jahren. Nach der Fertigstellung müssen besonders die Ansaaten in Beeten gewässert werden, größere Wiesenflächen dagegen fast nie. Das Entfernen von Konkurrenzkräutern kann in der Anfangszeit aufwändig sein (Schulte et al. 2016). Dieses selektive Gärtnern fördert den Artenreichtum und die Artenvielfalt der Pflanzengemeinschaften, weil konkurrenzschwache Pflanzenarten auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, sich zu etablieren.
Die größte Artenvielfalt erreicht man auf mageren Standorten mit kontrollierter Konkurrenz durch vier- bis fünfmaliges Unkrautjäten pro Entwicklungspflegejahr (Hilgenstock, Witt 2017). Im Projekt erfolgte die Sicherstellung der Pflege durch gemeinsame Pflegegänge und Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verantwortlichen Gartenbaufirmen. Viele Tätigkeiten in der Pflege naturnaher Anlagen ähneln den bekannten Arbeitsschritten der Garten- und Landschaftsbau(GaLaBau)-Unternehmen. Doch die entscheidenden Unterschiede müssen niedrigschwellig vermittelt werden. Das Mähen mit Balkenmähern (Abb. 4), das Stehenlassen verblühter Samenstände und das Zulassen spontaner Entwicklungen und Veränderungen der Pflanzen gehören bisher nicht zu den alltäglichen Pflegeroutinen der Gartendienstleisterinnen und -dienstleister und stoßen zunächst auf Unverständnis, im besten Fall aber auf Neugier.
Abb. 4: Schonende Wiesenmahd mit Balkenmäher auf der Modellfläche in Berlin-Reinickendorf.
(Foto: Jan Kraus)
Fig. 4: Gentle meadow mowing with a bar mower on the model area in Berlin-Reinickendorf.
4 Schulungsmöglichkeiten zur Gestaltung und Pflege naturnaher Grünflächen
Eine eigens konzipierte Online-Lernplattform für naturnahes Grün bietet auf Grundlage der Projekterfahrungen einen umfassenden Überblick über die Anlage und Pflege naturnaher Freiflächen in Wohnquartieren (Abb. B im Online-Zusatzmaterial). Der Kurs besteht aus fünf Modulen und gibt Inspiration für die Gestaltungsmöglichkeiten im Wohnungsbau. Ein umfangreiches Hintergrundwissen zu Pflanzen-Tier-Interaktionen, Standortanpassungen von Pflanzen und zur zielgerichteten Kommunikation mit Auftraggeberinnen und Auftraggebern, Passantinnen und Passanten sowie der Mieterschaft gehören ebenso zu den Lerninhalten wie Anlage und Pflege naturnaher Freiflächen. Das Konzept naturnaher Gärten soll auf diesem Weg theoretisch vermittelt werden. Die Lernplattform stellt Lehrvideos, Quizeinheiten, Arbeitshefte, Pflanzlisten und einen umfangreichen Handlungsleitfaden (Stiftung für Mensch und Umwelt 2023) mit Praxistipps für Planung, Anlage und Pflege naturnaher Freiflächen mit Fokus auf Wohnquartiere auf der Projektwebsite unter https://www.treffpunkt-vielfalt.de/info-material.html zum Download und als Printausgaben zur Verfügung.
Die Lernplattform richtet sich neben interessierten Laien vornehmlich an Landschaftsarchitektinnen und -architekten, GaLaBau-Dienstleisterinnen und -Dienstleister, Studentinnen und Studenten einschlägiger Fachrichtungen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Wohnungsunternehmen, die mit den Außenanlagen betraut sind. Sie trägt dazu bei, das Bewusstsein und das Fachwissen für naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen zu erweitern und macht Mut, auf dieser fachlichen Basis neue Wege einzuschlagen.
5 Umgang mit Entscheiderinnen und Entscheidern sowie der Mieterschaft
5.1 Wertschätzung von Entscheiderinnen und Entscheidern
In einer Zeit, in der ein Großteil der Bevölkerung in städtischen Gebieten lebt, wird auch die Wichtigkeit von Biodiversität und der Pflege naturnaher Grünflächen immer deutlicher, die entscheidend sind für die Lebensqualität und Gesundheit der Stadtbewohnerinnen und -bewohner (Obrist et al. 2012). Da die naturnahe Gestaltung von Außenflächen für die allermeisten technischen und kaufmännischen Vorständinnen und Vorstände von Wohnanlagen bisher weder monetär noch inhaltlich oder technisch eine Rolle gespielt hat, sind anfängliche Bedenken nachvollziehbar. Nach Aussagen des kaufmännischen Vorstands eines beteiligten Wohnungsunternehmens gäbe es „[…] keine Erfahrungswerte und Wissen darüber, welche finanzielle Tragweite naturnahe Umgestaltung und Pflege mit sich bringen bzw. wie die eingesetzten Mittel gerechtfertigt werden können“. Zudem gäbe es „keine Fachkenntnisse, weder im Vorstand noch bei der GaLaBau-Firma oder bei Gärtnerinnen und Gärtnern bezüglich naturnaher Gestaltung und v. a. Pflege, was zu großen Unsicherheiten führt“.
Entsprechend positiv bestärkt es Entscheiderinnen und Entscheider, wenn sie als mutige, zukunftsgerichtete, verantwortungsvolle Akteurinnen und Akteure wahrgenommen werden, sollten sie ihre Flächen trotz Erfahrungsmangel für einen naturnahen Umbau zur Verfügung stellen. Das gilt umso mehr, wenn sie für den Umbau keinerlei Förderung erhalten. Der Zuspruch der Mieterschaft und eine positive Berichterstattung in den Medien schaffen eine Grundlage, die es leicht macht, Entscheiderinnen und Entscheider für die Gestaltung und Pflege naturnaher Freiflächen in Wohnquartieren zu begeistern.
5.2 Beteiligung von Mieterschaft, Hauswartinnen und Hauswarten sowie Quartiersmanagement
Information und Evaluation in der Planungsphase
Die Erfahrungen bestätigen den Wert gemeinschaftlicher Planungsprozesse. Vor der ökologischen Umgestaltung wurden die Mieterinnen und Mieter stets eingeladen, sich im „Mietertreff“ oder einer nahegelegenen Gaststätte zu Informationsabenden mit Präsentationen und Diskussionsrunden zusammenzufinden. Hier lernten sie das Prinzip des naturnahen Gärtnerns kennen: Strukturvielfalt statt Einheitsrasen, kleinblütige, kurzlebige, vielfältige, Samen und Früchte tragende einheimische Pflanzen statt Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) und gefüllter Zierblumen. Auch die zu erlernenden neuen Sehgewohnheiten − besonders im Herbst und Winter, wenn Laubhaufen, Samenstände und braune Stängel auf den Flächen zu finden sind − wurden betont. Meist wurden Planungsentwürfe für die naturnahen Außenflächen vorgestellt, wobei die Anwohnerinnen und Anwohner oft zwischen zwei Szenarien wählen durften (Berliner Projektansatz).
Was die PikoParks betrifft, führte der WILA Bonn sowohl die Planung als auch die Umsetzung und Pflege gemeinsam mit den Menschen im Quartier unter Anleitung von Naturgartenfachkräften durch (Abb. 5, Abb. C im Online-Zusatzmaterial). Neben den Bewohnerinnen und Bewohnern beteiligten sich auch Vor-Ort-Akteure wie Schulen, Kirchengemeinden und Quartierbüros an dem naturnahen Umgestaltungsprozess. Der Planungsworkshop für den PikoPark wird nach dem sog. Dillinger Modell durchgeführt − einer Moderationsmethode, die an der Lehrerakademie Dillingen von Manfred Pappler und Reinhard Witt entwickelt und vom WILA Bonn und der Landschaftsplanerin Ulrike Aufderheide für die Mieterschaft angepasst wurde (Pappler, Witt 2001; WILA Bonn 2024).
Abb. 5: Die gemeinsame Pflanzaktion sorgt für eine Partizipation der Mieterinnen und Mieter im PikoPark in Bonn.
(Quelle: WILA Bonn e. V.)
Fig. 5: The joint planting campaign ensures tenant participation in the PikoPark in Bonn.
(Source: WILA Bonn e. V.)
Auf den Informationsabenden wurden erste Fragebögen ausgeteilt, weitere wurden per Post an die Mieterschaft versandt. Quantitative Befragungen und qualitative Interviews vor den Umgestaltungen und nach der Fertigstellung halfen dabei, die Akzeptanz seitens der Mieterinnen und Mieter zu erfassen. So wurde bspw. abgefragt, wie groß die Bereitschaft der Mieterinnen und Mieter ist, höhere monatliche Betriebskosten für die Pflege naturnaher Freiflächen zu zahlen (Abb. 6). Neben den soziodemographischen Daten wurden Fragen zur Wahrnehmung der bestehenden Grünräume, zur Einstellung zur Wohnumgebung und zu den Grünräumen, zum Verhalten und Aufenthalt auf den Freiflächen und zum Wissen zu Tieren und Pflanzen gestellt. Durch diese externe Projektevaluation konnte zugleich ein Stimmungsbild abgeleitet werden.
Abb. 6: Umfrageergebnisse zur Bereitschaft der Mieterinnen und Mieter der Wohnquartiere der Modellflächen in Berlin-Lübars, Berlin-Spandau und Berlin-Köpenick, höhere monatliche Betriebskosten für die Pflege naturnaher Freiflächen zu zahlen.
Fig. 6: Survey results on the willingness of tenants in the residential neighbourhoods of the model areas in Berlin-Lübars, Berlin-Spandau and Berlin-Köpenick to pay higher monthly operating costs for the maintenance of natural open spaces.
Im Projekt informierten jeweils Hauswurfsendungen und Aushänge am Schwarzen Brett während der Umgestaltung über den Fortschritt der Maßnahme und die Unterschiede zur klassischen Freiraumgestaltung. Sowohl das magere schotter- und sandreiche Pflanzsubstrat als auch der Sachverhalt, dass aus Samen schließlich kräftig blühende, einheimische Pflanzen wachsen können, war erklärungsbedürftig. Besonders die Sinnhaftigkeit, im Herbst die braunen Stängel und Samenstände stehen zu lassen, und der Fakt, dass einheimische Pflanzen in Form ihrer Früchte den einheimischen Tieren Nahrung zur Verfügung stellen, mussten immer wieder betont werden (Abb. D im Online-Zusatzmaterial). Erfahrungsgemäß zerstreuten sich die Vorbehalte bereits im Laufe des ersten Jahres und die Anfangszeit mit der etwas karg erscheinenden Vegetation geriet in Vergessenheit. Dieser Effekt ließ sich bei aller Aufklärungsarbeit nicht immer beschleunigen, als hilfreich erwiesen sich allerdings gemeinsame Pflanz- und Pflegeaktionen.
Das Erleben auf der Fläche
Wichtig ist, dass die naturnahen Grünflächen einen persönlichen Nutzen bieten. Besonders bei den PikoParks ist durch die klare Struktur des neu gestalteten Freiraums auf einer großen Rasenfläche der angebotene Nutzen in dreierlei Hinsicht augenfällig: Hier stehen Entspannung, Naturerfahrung und Begegnung im Vordergrund und laden zum Verweilen ein. Ein PikoPark und alle anderen naturnahen Grünflächentypen verbinden die sozialen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner mit der Stärkung der biologischen Vielfalt im Wohnumfeld. Besonders in großen Wohnanlagen zeichnet sich die Mieterschaft durch ihre Vielfalt bezüglich Altersstruktur, Bildungsstand und kulturellem Hintergrund aus. Die großen Rasenflächen sind dort allerdings alles andere als vielfältig. Deshalb erscheint es hier besonders sinnvoll, das Augenmerk auf die Einbindung der Anwohnerinnen und Anwohner zu legen und als Einstieg einen PikoPark anzulegen. Als Empfehlung kann der Satz im Evaluationsbericht gewertet werden: „Zur Akzeptanz und positiven Schönheitsbewertung trägt bei, wenn die Anwohner sich das Gebiet aneignen und nutzen. Es sollte daher stets darauf geachtet werden, standortspezifische Nutzungsangebote für die Anwohner zu schaffen“ (Gyimóthy 2023).
Die einzelnen Beteiligungsformate wurden durch Naturgartenfachleute in Kombination mit Umweltbildungsfachleuten angeleitet und erweiterten die Kompetenzen und das Naturverständnis der Quartiersbewohnerinnen und -bewohner (Stichwort „Bildung für nachhaltige Entwicklung“). So erlebten und verstanden die Anwohnerinnen und Anwohner bei gemeinsamen Pflanzaktionen den Wert naturnaher Gestaltung und begriffen sich durch ihre tatkräftige Beteiligung als Akteurinnen und Akteure für den Schutz der biologischen Vielfalt. Die Mieterfeste zur offiziellen Einweihung der Anlage boten stets eine sehr gute Gelegenheit für Feedbackgespräche und offenen Austausch. Hier wurden Infotafeln eingeweiht, Wissensquiz durchgeführt und letzte Pflanzen eingepflanzt. Die Vorständinnen und Vorstände erklärten der Mieterschaft ihre Motivation, die Außenflächen naturnah zu gestalten und riefen zu Blüh- und Pflegepatenschaften auf.
Viele Flächen werden inzwischen von unterschiedlichen Gruppen und zu unterschiedlichen Gelegenheiten aufgesucht, z. B. von Studentinnen und Studenten der Landschaftsarchitektur oder von Vorständinnen und Vorständen anderer Wohnungsunternehmen; es finden Runde Tische der Grünflächenämter, Mieterfeste und Kindergeburtstage statt. Für derlei Zusammenkünfte eignen sich die PikoParks und auch große Hinterhöfe mit Sitzgelegenheiten und Flächen für Zelte besonders gut.
6 Monitoring von Wildbienen und Tagfaltern
Auf den umgestalteten Flächen sowie Kontrollflächen in Berlin erfassten Entomologinnen und Entomologen Tagfalter und Wildbienen im Zeitraum 2018 – 2022. Es zeigte sich ein deutlicher Zuwachs des Artenspektrums in diesen beiden Gruppen auf den Modellflächen. So wurden bspw. auf einer umgestalteten Fläche in Berlin-Reinickendorf dreimal so viele Arten gefunden wie auf dem benachbarten klassischen Abstandsgrün, das als Kontrollfläche diente. Die Methodik umfasste bei den Wildbienen mehrere Sichtbeobachtungen von April bis August, ergänzt durch das Fangen und Bestimmen einzelner Exemplare. Bei den Tagfaltern erfolgten die Kartierungen primär in den Monaten von April bis August unter optimalen Witterungsbedingungen, wobei die Falter teils eingefangen und anschließend freigelassen wurden. Die Daten umfassten quantitative Angaben sowie Beobachtungen zu Verhalten und Habitatnutzung. Die Zunahme der Artenvielfalt war nicht auf allen Flächen gleichmäßig, was auf unterschiedliche Habitatqualitäten, Flächengrößen und mikroklimatische Bedingungen zurückgeführt werden kann.
6.1 Ergebnisse des Wildbienen-Monitorings
Die Hymenopterologinnen und Hymenopterologen zählten in den Jahren 2018 – 2022 in Summe 131 unterschiedliche Wildbienenarten auf insgesamt 6.000 m² neu gestalteter Flächen in Berliner Wohnquartieren (Abb. 7). Neben häufigen Vertretern der Berliner Wildbienenfauna fanden sich nach der ökologischen Umgestaltung auch seltene und gefährdete Arten auf den Modellflächen, so z. B. die Filzzahn-Blattschneiderbiene (Megachile pilidens), die vom Aussterben bedrohte Östliche Zwergwollbiene (Pseudoanthidium nanum) und die Veränderliche Hummel (Bombus humilis). Sie alle zählen zu den 26 für Berlin identifizierten Rote-Liste-Arten der Wildbienen (Rothe 2023). Im teilentsiegelten, naturnah gestalteten Innenhof in Spandau wurde unerwartet eine Berliner Zielart nachgewiesen (SenMVKU 2023): Die Weibchen der Östlichen Felsen-Mauerbiene (Osmia mustelina) nutzten die Spalten der neuen Trockenmauern bereits im zweiten Jahr nach der Umgestaltung. Neben den pollensammelnden Wildbienen wurden auch Nachweise parasitierender Kuckucksbienen erbracht, darunter die für Berlin auf der Vorwarnliste geführte Zwerg-Düsterbiene (Stelis minuta) und die stark gefährdete Schuppenhaarige Kegelbiene (Coelioxys afra).
Abb. 7: Entwicklung der Anzahl der Wildbienenarten auf den Berliner Modellflächen mit einer Gesamtgröße von 6.000 m2 in den Jahren 2018 – 2022. Nicht jede Art wurde in jedem Jahr wieder gesichtet. Über den gesamten Zeitraum wurden auf allen Flächen zusammengenommen 131 Wildbienenarten nachgewiesen.
Fig. 7: Development of the number of wild bee species on the Berlin model areas with a total size of 6,000 m2 in the years 2018 – 2022. Not every species was sighted every year. Over the entire period, a total of 131 wild bee species were recorded on all plots combined.
6.2 Ergebnisse des Tagfalter-Monitorings
Das blütenreiche Abstandsgrün bietet auch Nahrung und Lebensraum für zahlreiche Tagfalter: Beobachtet wurden Hauhechel-Bläulinge (Polyommatus icarus) beim Ablegen ihrer Eier am Hornklee (Lotus) im Spandauer Innenhof, Kleines Wiesenvögelchen (Coenonympha pamphilus), Kleiner Perlmuttfalter (Issoria lathonia), Kleiner Sonnenröschen-Bläuling (Aricia agestis) oder Malven-Dickkopffalter (Carcharodus alceae). Als Neuankömmling für Berlin wurde im neuen Naturgarten im Reinickendorfer Ortsteil Lübars der Karstweißling (Pieris mannii) nachgewiesen. Die Berliner Erstnachweise dieser Art datieren auf das Jahr 2020. Im Rahmen des Monitorings wurde festgestellt, dass sowohl Artenzahl als auch Individuendichte schon nach kurzer Zeit zunahmen. Dabei saugen die Tagfalter nicht nur Nektar, sondern reproduzieren sich auch auf den Flächen.
7 Fazit
Die Wohnungswirtschaft entdeckt gerade ein weiteres Maßnahmenfeld im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens – die Erhaltung biologischer Vielfalt durch ein ökologisches Grünflächenmanagement. So kann die Branche künftig auf ihre Weise einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) vor Ort leisten und gleichzeitig klimarelevant wirken. Begleitende Umweltbildungsmaßnahmen für die Anwohnerinnen und Anwohner sind dabei essenziell, genau wie die Schulung der GaLaBau-Firmen und Planungsbüros. Der überwiegende Teil der Mieterschaft sieht in den umgestalteten Flächen für sich einen Mehrwert. Dies ergab die Befragung unmittelbar nach der Umgestaltung. Erfreulicherweise bestätigte sich diese Haltung in weiteren Befragungen im zweiten und dritten Jahr. Daher liegt es künftig in der Hand verantwortungsbewusster Wohnungsunternehmen, diesen Trend voranzutreiben.
Das Projekt „Treffpunkt Vielfalt“ liefert Umsetzungsbeispiele, die auch auf Wohnquartiere in anderen Städten übertragbar sind. Die Projektbroschüren, weitere Veröffentlichungen der Projektpartner (Stiftung für Mensch und Umwelt 2021; WILA Bonn 2021; Stiftung für Mensch und Umwelt 2022, 2023) und die Online-Lernplattform können Inspiration und Orientierung für die Entscheiderinnen und Entscheider, die Mieterschaft, Planerinnen und Planer sowie die GaLaBau-Firmen liefern, um eigenständig aktiv zu werden. Mehr Informationen zu den Berliner Modellflächen und zu den PikoParks finden sich auf den Projektwebsites unter https://www.treffpunkt-vielfalt.de und https://www.pikopark.de.
8 Literatur
↑
BMU/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2019): Masterplan Stadtnatur. Maßnahmenprogramm der Bundesregierung für eine lebendige Stadt. BMU. Berlin: 24 S.
↑
BMUV/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Hrsg.) (2023): Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Kabinettsbeschluss vom 19. März 2023. BMUV. Berlin: 86 S.
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9 Online-Zusatzmaterial
Weitere Abbildungen zu Modellflächen und ein Pflegeplan des Projekts „Treffpunkt Vielfalt − Naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen in Wohnquartieren“ sind als Online-Zusatzmaterial unter https://www.natur-und-landschaft.de/extras/zusatzmaterial/ abrufbar.
Förderung und Dank
Das Projekt „Treffpunkt Vielfalt“ wurde von September 2017 bis August 2023 im Bundesprogramm Biologische Vielfalt (BPBV) durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums (BMUV) gefördert. Unser Dank gilt auch den Wohnungsunternehmen, die ihre Flächen für das Modellvorhaben zur Verfügung gestellt haben.