Finn Rehling, Julia Ellerbrok,
Anna Delius, Nina Farwig und Franziska Peter
Zusammenfassung
Immer mehr Windenergieanlagen (WEA) werden in Deutschland in Wirtschaftswäldern errichtet. Bisher ist wenig darüber bekannt,
ob WEA in Wäldern häufige Vögel verdrängen, deren Schutz beim Bau von WEA geringe Priorität hat. Um diese Wissenslücke zu füllen,
haben wir mittels Punkt-Stopp-Zählungen Singvögel in unterschiedlichen Distanzen zu WEA in 24 Wirtschaftswäldern in Hessen
erfasst. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Vogelgemeinschaften in Wirtschaftswäldern stark mit der Qualität des Waldes, der
Jahreszeit und dem Rotordurchmesser der WEA zusammenhingen, nicht aber mit der Entfernung zur WEA. Beispielsweise war die Anzahl
von Vögeln in strukturarmen gegenüber strukturreichen Wäldern um 38 %, in Monokulturen gegenüber Mischkulturen um 41 %, in jungen
gegenüber alten Laubwäldern um 36 % und in Wäldern mit großen statt kleinen WEA um 24 % verringert. Unsere Ergebnisse deuten
darauf hin, dass WEA in Wirtschaftswäldern häufige Vögel verdrängen. Allerdings reagierten Vogelgemeinschaften empfindlicher auf
lokale Unterschiede in der Qualität von Wäldern als auf Einflüsse der WEA. Um eine weitere Verdrängung von Vögeln zu verhindern,
sollten strukturarme Wirtschaftswälder mit niedriger Habitatqualität als Standorte für WEA bevorzugt werden.
Erneuerbare Energien − Windkraft – Klimaschutz − Vögel − Verdrängung von Tieren – Waldqualität – WalddegradierungAbstract
In Germany, more and more wind turbines are constructed in managed forests. Until now, little is known about whether wind
turbines displace common bird species in forests, whose protection is often given low priority in the construction of such
turbines. To fill this knowledge gap, we used point counts to record songbirds at different distances from wind turbines in
24 managed forests in the state of Hesse, Germany. Our results show that bird communities in managed forests are strongly related
to forest quality, season and rotor diameter of wind turbines, but not to wind turbine distance. For instance, the number of birds
was found to be reduced by 38 % in structurally poor versus structurally rich forests, by 41 % in monocultural versus mixed
forests, by 36 % in young versus old deciduous forests, and by 24 % in forests with large rather than small wind turbines. Our
findings indicate that wind turbines displace common birds in managed forests. However, bird communities were found to be more
sensitive to local differences in forest quality than to wind turbine presence. To prevent further displacement of birds,
structurally poor managed forests with low habitat quality should be preferred as sites for wind turbines.
Renewable energies – Wind energy – Climate protection – Birds – Wildlife displacement − Forest quality − Forest degradationInhalt
1 Einleitung
Windenergie ist unter den erneuerbaren Energiequellen eine der wichtigsten Alternativen zu fossilen Brennstoffen. Damit
Deutschland das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreicht, müssen rund 57 % der Energie aus Wind gewonnen werden, was nach Prognosen
einen Ausbau der Windenergie an Land um mehr als 90 GW im Vergleich zum Jahr 2018 erfordert (Prognos
et al. 2021). Für den Bau und Betrieb von Windenergieanlagen (WEA) werden große Flächen benötigt, wodurch
Landnutzungskonflikte in dicht besiedelten Regionen entstehen (Diffendorfer et al. 2019;
Dehler-Holland et al. 2022). Der gezielte Ausbau von WEA fernab von Siedlungen kann solchen
Landnutzungskonflikten vorbeugen. In der Vergangenheit wurden WEA dementsprechend vor allem auf Ackerflächen im Offenland errichtet
(FA Wind 2022). Da jedoch immer weniger Offenlandflächen für den Ausbau der Windenergie zur
Verfügung stehen und in Deutschland 36 % der Landfläche mit Wäldern bedeckt ist, wurden in den letzten Jahren immer mehr WEA in
Wirtschaftswäldern errichtet (Abb. 1a). Derzeit gibt es mindestens 2.300 WEA in Deutschlands
Wäldern, von denen 80 % erst nach 2010 errichtet wurden (FA Wind 2022).
Abb. 1: a) Windenergieanlagen (WEA) in bewirtschafteten Wäldern fernab von Siedlungen und Zugrouten von Tieren als
Modell, um Landnutzungskonflikte zwischen Gesellschaft, Natur- und Artenschutz sowie Klimaschutz zu minimieren. b) Karte von
Hessen mit den Landkreisen, in denen sich die 24 Untersuchungsflächen befanden.
(Foto: Sascha Rösner)
Fig. 1: a) Wind turbines in managed forests far from residential areas and animal migration routes as a model for
minimising land-use conflicts among society, nature conservation and climate change mitigation. b) Map of the German state of
Hesse showing the districts where the 24 study sites in managed forests with wind turbines were located.
WEA in Wirtschaftswäldern gefährden die biologische Vielfalt und die Qualität von Waldökosystemen, wodurch ein Konflikt zwischen
Naturschutz und Klimaschutz entsteht (Voigt et al. 2019). Tötungen von Vögeln und
Fledermäusen durch Kollisionen mit Rotorblättern oder durch Barotraumata sind ein wichtiges Thema im Natur- und Artenschutz,
insbesondere in Bezug auf große und winterziehende Arten, die auf Höhe der Rotoren von WEA fliegen (Thaxter et al. 2017: z. B. Großer Abendsegler – Nyctalus noctula oder Rotmilan – Milvus milvus; Hurst et al. 2020; Mattsson et al. 2022). Neben Kollisionen
können sich WEA auch auf andere Weise negativ auf Waldökosysteme auswirken. Das Errichten von WEA und Zufahrtsstraßen führt zum
Verlust von Lebensraum, zu Randeffekten und zur Fragmentierung von Wäldern (Diffendorfer et al.
2019). Infolgedessen können wichtige Mikrohabitate und Ressourcen, z. B. Nistplätze für Vögel, verloren gehen(Fernández-Bellon et al. 2019). WEA können darüber hinaus die Flugrouten von Zugvögeln blockieren und
der Betrieb von WEA kann durch den Lärm oder den Schattenwurf der rotierenden Rotorblätter Vögel stören (Larsen, Madsen 2000; Zwart et al. 2016). Die durch den Bau
von WEA verursachte Walddegradierung führt zwar nicht direkt zum Tod von Vögeln, kann aber indirekt bewirken, dass Vögel aus
ansonstengeeigneten Lebensräumen verdrängt werden (Drewitt, Langston 2006;
Hötker 2017; in gleicher Weise für Fledermäuse, Ellerbrok
et al. 2022). Wenn Vögel aus einer günstigen in eine ungünstige Umwelt mit mehr Konkurrenten oder weniger
Ressourcen gedrängt werden, können WEA indirekt zu einem Rückgang der Populationen betroffener Vogelarten führen und zum lokalen
Verlust von Arten beitragen.
Um mögliche Konflikte zwischen Natur- und Artenschutz mit dem Klimaschutz in Deutschland zu verringern, werden im Rahmen der
Anlagenzulassung vor dem Bau von WEA mögliche Eingriffsfolgen auf Natur und Landschaft geprüft (nach den Vorgaben des
Bundesnaturschutzgesetzes – BNatSchG und des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG). Solche Prüfverfahren haben das
Ziel, sicherzustellen, dass der Bau von WEA auf Wälder mit geringer Priorität für den Natur- und Artenschutz beschränkt wird. Folglich
werden WEA häufig in bewirtschafteten oder degradierten Wäldern errichtet. Frühere Studien haben jedoch gezeigt, dass Prüfverfahren
vor dem Bau nicht immer die Auswirkungen von WEA auf Vögel nach dem Bau vorhersagen konnten (Ferrer
et al. 2012; Lintott et al. 2016). Zum einen hängt dies mit der manchmal eher
nachlässigen Prüfung zusammen (Morgan 2012). Zum anderen liegt der Fokus während der
Prüfverfahren vor allem auf großen, kollisionsgefährdeten Vogelarten (§ 45b BNatSchG mit Anlage 1; LAG
VSW 2014). Kleine Singvogelarten sind bei den Prüfverfahren häufig von geringer Bedeutung, können aber mitunter ähnlich
empfindlich auf WEA reagieren, wenn sie mit diesen kollidieren (Erickson et al. 2014;
Aschwanden et al. 2018). Während im Offenland und in marinen Gebieten negative Effekte von
WEA auf Vögel nachgewiesen wurden (u. a. Pearce-Higgins et al. 2009; Sansom et al. 2016), ist wenig darüber bekannt, ob WEA in Wirtschaftswäldern in ähnlicher Weise zu
einer Störung der Vogelgemeinschaften und zu einer Verdrängung häufiger Vogelarten führen.
In der vorliegenden Studie untersuchten wir die Auswirkungen von WEA auf lokale Vogelgemeinschaften in 24 Wirtschaftswäldern in
Hessen (Abb. 1b). In den Jahren 2020 und 2021 haben wir mittels Punkt-Stopp-Zählungen ein
Singvogelmonitoring in unterschiedlichen Abständen zu WEA durchgeführt (nach Südbeck et al.
2005). An den Standorten der Zählungen haben wir verschiedene Umweltfaktoren (Baumartenzusammensetzung, Bestandsalter,
vertikaler Strukturreichtum) erfasst, um den Einfluss der WEA unabhängig vom Einfluss der Qualität der Wälder auf Vögel zu
untersuchen. Wir haben weiterhin untersucht, ob die Größe der Rotorblätter Unterschiede in den lokalen Vogelgemeinschaften der Wälder
erklärt. Moderne WEA sind höher und haben größere Rotoren als alte WEA, was ihre Energieeffizienz erhöht. Während z. B. im Jahr 2010
erbaute WEA einen Rotordurchmesser von ca. 80 m hatten, haben die Rotoren moderner WEA einen Durchmesser von über 130 m (FA Wind 2023). WEA mit größeren Rotoren können allerdings auch mehr Lärm erzeugen (Møller, Pedersen 2011) und das Kollisionsrisiko für Vögel erhöhen, da sich der durch die Rotoren
eingenommene Luftraum vergrößert (Therkildsen et al. 2021). Damit verstärken moderne WEA mit
größeren Rotoren potenziell die negativen Auswirkungen von WEA auf Vogelgemeinschaften.
Wir vermuteten negative Auswirkungen von WEA auf Singvögel in Wirtschaftswäldern. Folglich stellten wir folgende Hypothesen
auf:
Der vorliegende Artikel ist eine deutsche Kurzfassung einer in Englisch erschienenen, begutachteten Fachpublikation in der
Zeitschrift „Journal of Environmental Management“ (Rehling et al. 2023a). Er beleuchtet
zusätzlich Maßnahmen, die sich potenziell aus den Ergebnissen für den Natur-, Arten- und Klimaschutz in Deutschland ergeben. Teile
dieses Aufsatzes sind direkte Übersetzungen aus der englischsprachigen Originalpublikation.
2 Untersuchungsgebiete und Methoden
Unsere Studie wurde in Hessen durchgeführt, das eines der Bundesländer mit dem höchsten Anteil an Waldfläche ist (42 %) und wo
Wälder so bewirtschaftet werden müssen, dass Holzproduktion, Naturschutz und Erholung miteinander in Einklang gebracht werden (HMUKLV
2018). Die meisten Wirtschaftswälder in Hessen sind entweder Laubmischwälder, in denen Rotbuchen (Fagus sylvatica, 31 %
Flächenanteil) und Eichen (Quercus spp., 14 %) dominieren, oder Nadelmischwälder, in denen die Gewöhnliche Fichte (Picea
abies, 22 %) dominiert. Derzeit gibt es 472 WEA in hessischen Wäldern (FA Wind 2022).
Die Untersuchungsflächen befanden sich in 24 Wirtschaftswäldern mit Windparks, davon je 12 in Laub- und Nadelmischwäldern (Abb. 2, Tab. A im Online-Zusatzmaterial). Die Windparks bestanden aus durchschnittlich 6,3 WEA (Bereich: 3 – 12 WEA). Der mittlere
Durchmesser der Rotorblätter betrug 111,3 m (82 – 126 m) und die mittlere Anlagenhöhe 194,3 m (145 – 212 m). Das durchschnittliche
Alter (Zeitraum seit dem Bau der Anlagen) betrug 5,1 Jahre (2,0 – 13,5 Jahre). Der Rotordurchmesser, die Höhe, die Anzahl und das
Alter der WEA waren über alle Untersuchungsflächen stark miteinander korreliert, d. h. WEA mit großen Rotoren waren auch höher, wurden
in der jüngeren Vergangenheit gebaut und standen in größeren Windparks (Tab. A im Online-Zusatzmaterial).
Abb. 2: Zusammenhang zwischen der Anzahl an Vögeln und ausgewählten Eigenschaften der untersuchten Wälder:
a) Flächenanteil des Nadelwalds, b) vertikaler Strukturreichtum, c) mittlerer Brusthöhendurchmesser (BHD) der Bäume.
Zusammenhang zwischen der Anzahl an Vögeln und ausgewählten Eigenschaften der Windenergieanlagen (WEA): d) Betriebsstatus der
WEA, e) Distanz zur WEA, f) Rotordurchmesser der WEA. In a), b), d) und e) sind die Ergebnisse für Punkt-Stopp-Zählungen in
Laub-, Misch- und Nadelwäldern mit WEA mit großen Rotoren dargestellt, in c) und f) für Punkt-Stopp-Zählungen in
Laubmischwäldern mit WEA mit kleinen und großen Rotoren. In a), b), d) und e) ist ein Ausreißer (n = 25 Individuen) nicht
dargestellt. Der mittlere BHD ist ein Maß für das Bestandsalter eines Waldes. Die schwarzen Kurven zeigen Mittelwerte, die
grau hinterlegten Bereiche an den Kurven und die Antennen an den schwarzen Kreisen den Bereich von ± 95 % des
Vorhersageintervalls. Die transparenten, schwarzen Kreise zeigen Werte einzelner Punkt-Stopp-Zählungen.
Fig. 2: Relationship between bird abundance and selected characteristics of the forests studied: a) area proportion of
coniferous forest, b) vertical structure heterogeneity, c) mean diameter of trees at breast height. Relationship between bird
abundance and characteristics of the wind turbines: d) operational status of turbine, e) distance to wind turbine, f) rotor
diameter. In a), b), d) and e), results are shown for point counts in deciduous, mixed and coniferous forests with wind
turbines with large rotors, in c) and f) for point counts in deciduous forests with wind turbines with small and large rotors.
In a), b), d) and e), one outlier (n = 25 individuals) is not shown. The mean diameter of trees at breast height (“Mittlerer
BHD”) is a proxy for forest stand age. The black curves show mean values, the grey shaded areas and whiskers show the
95 %-prediction interval, and the transparent black circles show values of individual point counts.
Sowohl 2020 als auch 2021 fanden Punkt-Stopp-Zählungen der Waldvögel auf jeder Untersuchungsfläche an fünf Standorten in einer
Entfernung von 80 m, 130 m, 250 m, 450 m und 700 m zur WEA statt. Die Zählungen wurden auf jeder Untersuchungsfläche in beiden
Studienjahren jeweils viermal im Zeitraum von März bis Juni von einer erfahrenen Person durchgeführt (Südbeck et al. 2005) und zwar zwischen Sonnenaufgang und 11 Uhr an regenfreien, windstillen Tagen. Bei jeder
Punkt-Stopp-Zählung wurden innerhalb eines Zeitraums von 10 min alle Vögel gezählt, die in einem Radius von 20 m um den Standort der
aufnehmenden Person gehört oder gesehen wurden. Vögel, die die Baumkronen überflogen, wurden nicht berücksichtigt. Das gewählte
Studiendesign ist besonders geeignet, um die lokale Häufigkeit häufiger Singvögel zu erfassen, nicht aber die von Greifvögeln oder
nachtaktiven Vögeln. Da wir davon ausgingen, dass der Betrieb von WEA die Vögel stören könnte, wurde außerdem festgehalten, ob die WEA
während der Punkt-Stopp-Zählungen in Betrieb war („Betriebsstatus“). Während 740 der 860 Punkt-Stopp-Zählungen (86 %) waren die WEA in
Betrieb. An den Standorten der Punkt-Stopp-Zählungen wurden zusätzlich drei Variablen aufgenommen, von denen bekannt ist, dass sie die
Anzahl, den Artenreichtum und die Artenzusammensetzung von Waldvögeln beeinflussen: die Baumartenzusammensetzung(Nadel-, Laub- und
Mischwald), der Strukturreichtum (die vertikale Heterogenität der Vegetation) und das Bestandsalter des Waldes.
Mithilfe von gemischten linearen Modellen und Analysen zur Zusammensetzung der Artengemeinschaft haben wir mit dem Programm R
(R Core Team 2021) untersucht, ob Unterschiede in Anzahl, Artenreichtum oder Zusammensetzung
der Gemeinschaft der Vögel in Wäldern mit WEA durch die Größe der WEA oder die Distanz zur WEA erklärt werden. In allen
Modellen haben wir Unterschiede in der Struktur der Wälder und beim Zeitpunkt der Aufnahmen (Monat, Jahr) korrigiert. Da es nur in
Laubmischwäldern WEA mit großen und kleinen Rotoren gab, wurde die Analyse des Einflusses der Größe von WEA mit einem entsprechenden
Teildatensatz durchgeführt. Für mehr Informationen zur Analyse verweisen wir auf die ausführliche Methodenbeschreibung in der
Originalpublikation (Rehling et al. 2023a).
3 Ergebnisse
Während der zweijährigen Studie wurden bei 860 Punkt-Stopp-Zählungen 2.231 Vögel aus 45 Arten erfasst, mit einem Durchschnitt von
3,6 Vögeln und 2,8 Vogelarten pro Punkt-Stopp-Zählung. Die häufigste Vogelart war der Buchfink (Fringilla coelebs, 10,5 %),
gefolgt von der Blaumeise (Parus caeruleus, 8,9 %), der Kohlmeise (P. major, 8,9 %), der Tannenmeise (P. ater,
8,2 %) und dem Rotkehlchen (Erithacus rubecula, 7,7 %). Eine Liste aller beobachteten Vogelarten und ihrer Häufigkeit befindet
sich im Anhang (Tab. B im Online-Zusatzmaterial).
Die Anzahl und der Artenreichtum der Vögel in Wäldern mit WEA stand in engem Zusammenhang mit dem Beobachtungszeitraum (Monat und
Jahr) und der Waldstruktur (Baumartenzusammensetzung, Strukturreichtum und Bestandsalter; Abb. 2a – c). So war bspw. die Anzahl der Vögel in Wäldern, in denen entweder nur Laub- (1,9 ± 0,4;
Mittelwert ± 95 %-Konfidenzintervall) oder nur Nadelbäume (1,9 ± 0,5) dominierten um 41 % geringer als in Mischwäldern (3,2 ± 0,7).
Die Anzahl der Vögel verringerte sich in strukturarmen gegenüber strukturreichen Wäldern um 38 % (von 4,2 auf 2,6; in strukturarmen
gegenüber strukturreichen Laubwäldern um 53 %, von 3,4 auf 1,6) und mit abnehmendem Alter der Laubmischwälder um 36 % (von 2,8 auf
1,8). In gleicher Weise war auch die Zusammensetzung der Vogelgemeinschaften von der Zusammensetzung der Baumarten, dem
Strukturreichtum und dem Bestandsalter der Wälder abhängig. Während zum Beispiel der Fichtenkreuzschnabel (Loxia curvirostra)
mit relativ jungen Nadelwäldern assoziiert war, kamen der Waldlaubsänger(Phylloscopus sibilatrix) und der Kleiber (Sitta
europaea) vor allem in älteren Laubmischwäldern vor.
Waren die WEA während der Erfassungen in Betrieb, waren die Anzahl der Vögel um 21,7 % und der Artenreichtum um 22,8 % geringer im
Vergleich zu Erfassungen bei stillstehenden WEA (Abb. 2d). Es bestand kein Zusammenhang
zwischen der Anzahl oder dem Artenreichtum von Waldvögeln und der Entfernung zu den WEA – und dies unabhängig vom Betriebsstatus der
WEA (Abb. 2e). Die Anzahl und der Artenreichtum der Vögel in Laubmischwäldern nahmen mit
zunehmendem Rotordurchmesser der WEA ab. So wurden an Anlagen mit kleinen Rotoren (Durchmesser = 82 m) im Durchschnitt
2,73 Vogelindividuen und 1,92 Vogelarten gezählt, an Anlagen mit großen Rotoren (Durchmesser = 126 m) dagegen nur 2,07 Vogelindividuen
(− 24 %) und 1,68 Vogelarten (− 13 %; Abb. 2f). Auch die Zusammensetzung der
Vogelgemeinschaften hing vom Rotordurchmesser der WEA ab. So waren bspw. die beiden sehr häufigen Vogelarten Buchfink und Sumpfmeise
(Parus palustris) vor allem mit WEA mit kleinen Rotoren assoziiert. Im Gegensatz dazu waren mit WEA mit großen Rotoren viele
verschiedene, teilweise weniger häufige Vogelarten assoziiert.
4 Diskussion
Unsere Studie zeigte, dass die lokale Waldstruktur (Baumartenzusammensetzung, vertikaler Strukturreichtum, Bestandsalter) die
Anzahl und den Artenreichtum von Waldvögeln sowie die Zusammensetzung ihrer Gemeinschaften stark beeinflusst. So waren bspw. die
Anzahl und der Artenreichtum häufiger Waldvögel in gemischten, strukturreichen und alten Wäldern am höchsten. Der Abstand zu den WEA
hatte keinen Einfluss auf die Gemeinschaft der Vögel. Wie erwartet waren jedoch größere Rotordurchmesser von WEA mit Veränderungen in
der Zusammensetzung der Gemeinschaft und einem allgemeinen Rückgang der Anzahl und des Artenreichtums von Vögeln in Wirtschaftswäldern
verbunden. Diese Veränderungen im Vorkommen der Vögel wurden weitestgehend durch eine Verdrängung von vier häufigen Vogelarten,
nämlich Buchfink, Sumpfmeise, Kleiber und Kohlmeise, in Wäldern mit WEA mit größeren Rotoren erklärt. Solche beobachteten
Verdrängungen von Vögeln durch WEA können weitreichende Folgen haben, da Rückzugsgebiete in den verbliebenen Wäldern oft klein und
fragmentiert sind. Wenn nun immer mehr WEA in diesen Wäldern gebaut werden, werden Vögel in ungünstige Umgebungen mit stärkerer
Konkurrenz oder weniger Ressourcen verdrängt. Somit könnten WEA zum Rückgang und zum Verlust lokaler Populationen von Vögeln
beitragen. Zukünftig werden Studien bezüglich Nistplatzwahl und Reproduktionserfolg im Einflussbereich der WEA relevant sein, um
konkrete ökologische Auswirkungen auf das Wachstum von Vogelpopulationen beurteilen zu können.
Wenn die WEA während der Erfassungen in Betrieb waren, zählten wir weniger Vögel. In einer erweiterten Analyse konnten wir
allerdings auch zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, die einzelnen Vogelarten in den Wäldern anzutreffen, unabhängig vom Betrieb der
WEA war. Da wir Vögel nur innerhalb eines Radius von 20 m gezählt haben, ist eine akustische Maskierung der Vogelrufe durch den
Betrieb der WEA unwahrscheinlich. Die geringere Anzahl gezählter Vögel deutet also eher darauf hin, dass die Vögel aufgrund von
Unterschieden im Geräuschpegel (Zwart et al. 2016) oder im Wetter (Wolf, Walsberg 1996) stiller oder inaktiver waren und folglich seltener gezählt wurden, wenn die WEA
zeitgleich in Betrieb waren.
Damit gleichen die Ergebnisse unserer Studie denen einer Reihe anderer Studien aus marinen Gebieten oder aus dem Offenland, die
ebenfalls Verdrängungseffekte von WEA auf Vogelgemeinschaften nachgewiesen haben (u. a. Pearce-Higgins
et al. 2009; Sansom et al. 2016). Allerdings waren die Auswirkungen von WEA auf
die Anzahl an Vögeln in den untersuchten Wirtschaftswäldern eher gering (– 24 %) und Effekte der Habitatqualität von Wäldern auf die
Anzahl an Vögeln waren im Vergleich dazu bedeutend stärker (zwischen – 36 % und – 41 %). Auch haben WEA offenbar nicht zu einer
vollständigen Verdrängung häufiger Singvogelarten geführt.
Es gibt mehrere Gründe, die die relativ geringen Auswirkungen von WEA auf Waldvögel erklären könnten (für eine ausführliche
Diskussion der Ergebnisse verweisen wir auf die Originalpublikation). In erster Linie vermuten wir, dass die in Deutschland üblichen
Prüfverfahren im Vorfeld des Baus der WEA sichergestellt haben, dass Wälder mit geringer Priorität für den Naturschutz ausgewählt
wurden und dass wenige gegenüber WEA empfindliche Arten in den untersuchten Gebieten vorkamen. Die untersuchten Wälder waren klein und
fragmentiert, stark degradiert, intensiv bewirtschaftet oder eine Kombination daraus. Dementsprechend wurden spezialisierte Waldvögel,
die in Hessen auf der Roten Liste stehen (HMUKLV 2016), sehr selten oder gar nicht
beobachtet (lediglich drei Beobachtungen des Baumpiepers – Anthus trivialis). Spechtarten, die Indikatoren für die Qualität des
Waldes und der Vogelvielfalt sind, wurden sehr selten (bis zu zwei Arten pro Standort) erfasst. Dies unterstreicht den relativ
geringen ökologischen Wert der untersuchten Wirtschaftswälder.
Stattdessen wurden die Vogelgemeinschaften von kleinen Wald- und Nahrungsgeneralisten dominiert, wie Meisen oder Drosseln.
Generalistische Vogelarten sind dafür bekannt, niedrig zu fliegen und auch härtere Bedingungen als die in den untersuchten Wäldern
herrschenden tolerieren zu können, wie z. B. Lärm in Städten. Daher trugen der geringe ökologische Wert der Wirtschaftswälder, das
Fehlen sehr sensibler Arten und das überwiegende Vorkommen generalistischer Arten möglicherweise dazu bei, dass negative Zusammenhänge
zwischen der lokalen Häufigkeit und dem Artenreichtum häufiger Vögel und Eigenschaften von WEA in Wäldern relativ gering
ausgeprägt waren. Im Gegensatz dazu zeigte eine aktuelle Studie, dass Vogelarten, die gemeinhin mit ökologisch wertvollen Wäldern
assoziiert sind, in der Nähe von WEA deutlich weniger aktiv waren (Reichenbach et al. 2022).
So stieg z. B. die Wahrscheinlichkeit, verschiedene Spechtarten oder den Waldkauz (Strix aluco) an WEA mit großen Rotoren in
Wäldern zu beobachten, von 2 – 13 % in der Nähe von WEA auf 7 – 55 % in 1.000 m Entfernung zu WEA (Reichenbach et al. 2022).
Die Unterschiede in der Zusammensetzung der Vogelgemeinschaften, die geringere Anzahl und der geringere Artenreichtum der Vögel in
der Nähe von WEA mit größeren Rotoren könnten in unserer Studie mit den erhöhten Geräuschemissionen zusammenhängen, die von WEA mit
großen Rotoren ausgehen können (Møller, Pedersen 2011), und die Vermutung stützen, dass
durch diesen Effekt die Konkurrenz zwischen Vogelarten zunimmt (Zwart et al. 2016). Jedoch
war der Rotordurchmesser der WEA mit dem Alter, der Höhe und der Anzahl der WEA in Wäldern korreliert. Die beobachteten Veränderungen
der Vogelgemeinschaften in Wäldern mit WEA mit größerem Rotordurchmesser könnten also auch darauf zurückzuführen sein, dass Vögel
Wälder mit mehr oder höheren WEA eher meiden. In ähnlicher Weise kann die Höhe der WEA den Abstand der Rotorblätter zum Kronendach des
Waldes bestimmen. Kleine WEA könnten zum Rückgang von Vogelarten geführt haben, die bevorzugt in der Baumkronenschicht vorkommen.
Alternativ könnten einzelne Vogelarten eventuell auch mit zunehmendem Betriebsalter der WEA eine Gewöhnung an die baubedingten
Habitatveränderungen und betriebsbedingten Störungen gezeigt haben (vgl. Madsen, Boertmann
2008).
Zudem halten wir es für unwahrscheinlich, dass die geringere Anzahl und der geringere Artenreichtum der Vögel in Wäldern mit
großen und vielen WEA auf eine geringere Aktivität bestimmterVogelarten zurückzuführen ist, weil eine geringere Aktivität bestimmter
Vogelarten nicht die beobachtete Veränderung in der Zusammensetzung der Vogelgemeinschaft erklärt. Daher gehen wir hier von
tatsächlichen Effekten großer WEA auf die Anzahl und den Artenreichtum der Vögel sowie auf die Zusammensetzung der Artengemeinschaft
(und nicht auf die Aktivität) der Vögel aus. Es bleibt allerdings unklar, welcher Faktor (Alter, Größe oder Anzahl der WEA,
Rotorgröße) oder welche Kombination von Faktoren entscheidend für die Verdrängung häufiger Vögel in Wirtschaftswäldern mit großen WEA
und einer hohen Anzahl an WEA war. Künftige Studien sollten daher gezielt WEA unterschiedlicher Größe, Anzahl und Rotorgröße in
Wirtschaftswäldern verschiedener Qualität miteinander vergleichen, um die Mechanismen zu verstehen und auf dieser Basis wirksame
Maßnahmen zur Erhaltung häufiger Vögel in Wäldern zu entwickeln.
5 Schlussfolgerungen
Unsere Studie hat gezeigt, dass häufige Waldvögel in bewirtschafteten Wäldern weniger empfindlich auf nahe gelegene WEA reagieren
als auf das Bestandsalter, die Baumartenzusammensetzung und den Strukturreichtum von Wäldern. Dies könnte damit zusammenhängen, dass
Singvögel generell in geringerer Höhe fliegen als große, kollisionsgefährdete Vögel und potenziell durch WEA wenig beeinträchtigt
werden. Alternativ könnte der schwache Zusammenhang zwischen WEA und Waldvögeln auf die vergleichsweise geringe Qualität der intensiv
bewirtschafteten Wälder zurückzuführen sein, deren Artengemeinschaft von generalistischen und weniger störungsempfindlichen
Waldvogelarten dominiert war. Dennoch wurden häufige Vögel im Wald teilweise durch WEA verdrängt, vor allem in Wirtschaftswäldern mit
neueren und größeren WEA und einer hohen Anzahl von WEA. Diese Ergebnisse decken sich mit den Ergebnissen einer Studie zur Aktivität
von Fledermäusen auf denselben Untersuchungsflächen (Ellerbrok et al. 2022) und einer
Studie, die eine verringerte Aktivität von Spechten und Waldkäuzen in der Nähe großer WEA in Wäldern zeigte(Reichenbach et al. 2022). Wenn Vögel oder Fledermäuse verdrängt werden, können WEA indirekt zu einem
Rückgang ihrer Populationen beitragen. Dies würde letztlich Waldökosysteme schwächen, da häufige Vögel und Fledermäuse wichtige
Ökosystemfunktionen in Wäldern erfüllen (Gaston 2010; Rehling et al. 2023b). Außerdem zeigt unsere Studie, dass negative ökologische Auswirkungen von WEA auf Waldökosysteme
bestehen können, selbst wenn vor dem Anlagenbau entsprechende Prüfverfahren durchgeführt wurden. Um Konflikte zwischen Naturschutz und
Klimaschutz in Deutschland zu entschärfen, empfehlen wir, Verdrängungseffekte von WEA auf Tiere nach Möglichkeit zu reduzieren und zu
kompensieren (siehe Kasten 1).
Kasten 1: Schlussfolgerungen für den praktischen Naturschutz in Deutschland.
Box 1: Recommendations for practical conservation measures in Germany.
Auch wenn das Ausmaß der Verdrängung von Vögeln in Wirtschaftswäldern durch Windenergieanlagen (WEA) moderat war, empfehlen
wir, diese Effekte der WEA weiterhin zu minimieren. Selbst kleine Effekte von WEA können ökologisch bedeutsam werden, wenn das
Ausmaß durch den fortschreitenden Ausbau der Windenergie groß genug wird. Wir sehen zwei mögliche Wege, in Zukunft negative
Effekte von WEA auf deren Umwelt weiterhin zu reduzieren:
● Erstens sollte bei der Raumplanung für WEA jenen Wäldern Vorrang eingeräumt werden, die am stärksten durch den
Menschen degradiert oder geschädigt sind, da solche Wälder die wenigsten Tiere enthalten. Dies gilt insbesondere für
Wälder, die in mehrfacher Weise und langfristig negativ beeinflusst sind, wie z. B. kleine und fragmentierte
Monokulturen in der Nähe von Hauptverkehrsrouten (Autobahnen oder Bahngleise). Die Bewertung von Eigenschaften, die
mit der Qualität von Wäldern in Zusammenhang stehen (Bestandsalter, vertikaler Strukturreichtum,
Baumartenzusammensetzung), wird bei der Ermittlung der am stärksten degradierten Wälder hilfreich sein. Wälder, die
strukturreich sind, viel Totholz enthalten oder eine hohe Vielfalt an Baumarten und Altersklassen aufweisen, sollten
als WEA-Standorte gemieden werden. Um eine überregionale Vergleichbarkeit zu gewährleisten, können Methoden der
Fernerkundung (z. B. Daten von Sentinel-2) oder Daten der Bundeswaldinventur (BWI) zur Ermittlung der Qualität von
Wäldern herangezogen werden.
Zudem sollte auch die lokale Bevölkerung (z. B. Waldbesitzerinnen/Waldbesitzer, Försterinnen/Förster, Anwohnerinnen/Anwohner)
in die Standortfindung einbezogen werden, da diese konkrete Hinweise zum ökologischen Zustand und/oder zur
kulturellen/ästhetischen Bedeutung von Wäldern für die Region geben können. Da die Minimierung negativer Effekte von WEA auf die
Natur der Bevölkerung wichtig ist (Voigt et al. 2019), fördern die Berücksichtigung des
Natur- und Artenschutzes während der Standortfindung und die Einbeziehung der Bevölkerung in diese Prozesse die lokale Akzeptanz
des WEA-Ausbaus (Leiren et al. 2020).
● Zweitens sollten Ausgleichsmaßnahmen für den Bau von WEA nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten
Auswirkungen von WEA auf deren Umgebung berücksichtigen. Hier gibt es allerdings noch Forschungslücken, inwiefern
Verdrängungseffekte von WEA auf Tiere umweltabhängig sind (Offenland, degradierter oder strukturreicher Wald) und wie
diese kompensiert werden, wenn sie großskalig sind (> 1.000 m Entfernung zur WEA) oder saisonal auftreten (z. B.
während des Winterzugs von Tieren). Bis diese Forschungslücken geschlossen sind, könnten Ausgleichsmaßnahmen für den
Bau von WEA näherungsweise anhand allgemeiner Verdrängungseffekte von anthropogenen Infrastrukturen auf Tiere
abgeschätzt werden (siehe z. B. Benítez-López et al. 2010).
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Förderung und Dank
Wir danken allen Eigentümern, die uns den Zugang zu den Waldflächen für die gemeinsame Arbeit ermöglicht haben. Wir danken den
vier anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachtern der Originalpublikation und der anonymen Gutachterin bzw. dem anonymen Gutachter von
„Natur und Landschaft“ für wertvolle Kommentare, die die Qualität des Manuskripts verbessert haben. Wir danken dem Expertengremium,
das während der gesamten Laufzeit dem Projekt beratend zur Seite stand. Das Projekt wurde durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt
(DBU; 34123/01) gefördert. Die Daten und der R-Code für die Analyse der Originalpublikation sind online im Dryad Digital Repository
verfügbar (https://doi.org/10.5061/dryad.rfj6q57d8).