Birthe Thormann, Lennart
Kümper-Schlake und Barbara Engels
Zusammenfassung
Im Dezember 2022 haben die 196 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological
Diversity – CBD) auf der Weltnaturkonferenz in Montreal eine globale Vereinbarung zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der
Natur verabschiedet. Der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF)
hat den Anspruch, die weltweite Naturzerstörung zu stoppen und die dringend benötigte Trendwende zum Schutz von Arten und
Ökosystemen einzuleiten. Der Beitrag beschreibt wichtige Inhalte des GBF und nimmt eine erste Bewertung vor. Der
Verhandlungsverlauf hin zu einer Einigung wird erläutert, wobei die wichtigsten strittigen Verhandlungspositionen anhand von
Beispielen dargestellt werden. Im Ergebnis ist der GBF ein robustes Rahmenwerk mit klarem Ambitionsniveau und einem
vielversprechenden Umsetzungsmechanismus. Ein Ausblick macht deutlich, dass es jetzt auf eine erfolgreiche Umsetzung ankommt und
nennt Potenziale, die diese ermöglichen können.
Übereinkommen über die biologische Vielfalt – internationaler Naturschutz – Weltnaturkonferenz – Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – Biodiversität – KlimawandelAbstract
In December 2022, the 196 state parties to the Convention on Biological Diversity (CBD) adopted a global agreement on
conservation and sustainable use of nature. The Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) strives to halt global
destruction of nature and initiate the urgently needed turnaround for conservation of species and ecosystems. This article
describes key elements of the GBF and provides a first assessment. It outlines the negotiation process towards the agreement,
depicting the main sticking points with examples. In summary, the GBF is a robust framework with an explicit level of ambition and
a promising mechanism for implementation. The outlook sets out that what matters now is successful implementation and identifies
the potential that can make it happen.
Convention on Biological Diversity – International nature conservation – CBD COP 15 – Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – Biodiversity – Climate changeInhalt
1 Einleitung
Nach zahlreichen durch die Corona-Pandemie bedingten Verschiebungen sowie teils virtuellen und insgesamt langwierigen
Vorverhandlungen fand die ursprünglich für das Jahr 2020 geplante 15. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties – COP) des
Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) im Dezember 2022 in Montreal, Kanada, statt.
Nachdem in den letzten zwei Jahren international kaum größere Verhandlungsrunden möglich waren, stellte die CBD COP 15, die in der
Öffentlichkeit oft als Weltnaturkonferenz bezeichnet wird, den Abschluss und Höhepunkt eines ergebnisreichen zweiten Halbjahres 2022
in der internationalen Biodiversitäts- und Umweltpolitik dar. Die 14. Vertragsstaatenkonferenz der Ramsar-Konvention zum globalen
Schutz der Feuchtgebiete (Ramsar COP 14) tagte im November in Genf, Schweiz. Während hier ein bestimmter Ökosystemtyp im Fokus der
Verhandlungen stand, ging es im Rahmen der 27. Weltklimakonferenz (United Nations Framework Convention on Climate Change – UNFCCC
COP 27), ebenfalls im November in Sharm el Sheikh, Ägypten, um die konkrete Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Während die
Konferenzergebnisse insgesamt gemischt bewertet wurden, konnte das Verständnis der Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und
Klimawandel sowie das Bewusstsein für die Bedeutung gemeinsamer Lösungsansätze wie des natürlichen Klimaschutzes in vielen
Entscheidungen gestärkt werden. Zudem fand die 19. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES
COP 19) – auch Weltartenkonferenz genannt – Ende November in Panama statt. Das Übereinkommen regelt den internationalen Handel mit
gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen und wird durch die Verhängung von Handelsbeschränkungen und -verboten wirksam. Die
in Panama beschlossene Unterschutzstellung zahlreicher weiterer Arten darf als Erfolg für den internationalen Artenschutz gewertet
werden.
Die CBD COP 15 war bereits im Herbst 2021 in Kunming, China, offiziell als COP 15.1 eröffnet worden. Da die Durchführung der
eigentlichen, beschlussfassenden Konferenz (COP 15.2) in China aufgrund der sehr restriktiven Corona-Regularien nicht möglich war,
wurde sie schließlich nach Drängen der internationalen Staatengemeinschaft in Montreal, dem Sitz des CBD-Sekretariats, aber unter
chinesischer Präsidentschaft abgehalten. Die Konferenz war mit der hohen Erwartung verbunden, die Verhandlungen für eine
globale Vereinbarung zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Natur mit einem Zielhorizont bis zum Jahr 2050 erfolgreich
abzuschließen. Sie hatte, um es mit den Worten des UN-Generalsekretärs António Guterres zu sagen, „die dringende Aufgabe, Frieden mit
der Natur zu schließen“, d. h. die Treiber des globalen Biodiversitätsverlusts zu adressieren und damit eine Trendwende gegen das
Artenaussterben und den Verlust natürlicher Ökosysteme einzuleiten. Entsprechend wurde die Konferenz mit großem Interesse und hoher
Aufmerksamkeit auch von der Öffentlichkeit erwartet und mitverfolgt.
Der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) war seit 2019 in
mehreren Verhandlungsrunden im Rahmen einer für alle Vertragsstaaten und Beobachtergruppen offenen Arbeitsgruppe (Open-ended Working
Group − OEWG) vorbereitet worden (Leipold et al. 2022). Der GBF folgt auf den
Strategischen Plan 2011 – 2020 der CBD mit den 20 sog. Aichi-Zielen, von denen keines vollumfänglich erreicht werden konnte. Für das
Nichterreichen der meisten der Aichi-Ziele werden insbesondere mangelnde Umsetzungsmechanismen einschließlich unzureichender
Finanzierung verantwortlich gemacht (CBD 2022a). Sowohl das globale Assessment des
Weltbiodiversitätsrates IPBES (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) zu Biodiversität und
Ökosystemleistungen (IPBES 2019) als auch der „Global Biodiversity Outlook 5“ (SCBD 2020) hatten zuletzt auf den dramatischen Verlust der Biodiversität weltweit hingewiesen, die
Haupttreiber explizit benannt und die Notwendigkeit eines ambitionierten neuen globalen Rahmenwerks untermauert.
Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse und der Verhandlungsverlauf der CBD COP 15 beschrieben. Es schließen sich eine
Einordnung und ein Ausblick an. Die Autorinnen und der Autor waren aktiv an den Verhandlungen beteiligt; dieser Beitrag reflektiert
deren Perspektive und hat nicht den Anspruch, alle Ergebnisse differenziert zu bewerten. Weitere Informationen über Themenfelder,
Initiativen und Aktivitäten in Vorbereitung zur CBD COP 15 liefert die Rubrikenreihe von „Natur und Landschaft“ zum Übereinkommen über
die biologische Vielfalt, die seit 2020 den Blick auf die internationalen Prozesse gerichtet hat. Eine umfangreiche Zusammenfassung
und Analyse der gesamten CBD COP 15 bietet das „Earth Negotiations Bulletin“ des International Institute for Sustainable Development
(IISD) unter https://bit.ly/cop15-summary.
2 Ergebnisse der CBD COP 15
Zentrales Ergebnis der CBD COP 15 ist der GBF, der in den frühen Morgenstunden des letzten COP-Tags mit einem „Hammerschlag“ des
chinesischen COP-Vorsitzenden verabschiedet wurde (CBD 2022b; Abb. 1). Der Rahmen wurde als Paket-Lösung („package deal“) gemeinsam mit fünf weiteren
Beschlussdokumenten zum Monitoring-Rahmen, Umsetzungsmechanismus, Kapazitätsaufbau, zur Ressourcenmobilisierung und zu digitalen
Sequenzinformationen (digital sequence information – DSI) angenommen (Abb. 2). Damit
umfasst dieses Entscheidungspaket alle zentralen, kontrovers diskutierten Aspekte der vorangegangenen Verhandlungsrunden.
Abb. 1: Die Verabschiedung des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global
Biodiversity Framework − GBF) ist Anlass zur Freude.
(Foto: IISD/ENB | Mike Muzurakis)
Fig. 1: The adoption of the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) is a cause for celebration.
Abb. 2: Die Elemente des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity
Framework − GBF) und die fünf zusammen mit dem GBF im Paket verabschiedeten Beschlüsse (Bearbeitung: Rebekka Morath).
Fig. 2: The elements of the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) and the five decisions that are part of
the package (editing: Rebekka Morath).
Der GBF enthält neben den vielbeachteten Zielformulierungen weitere wichtige Elemente: Er beginnt mit einleitenden übergeordneten
Überlegungen, die bei der Umsetzung zu beachten sind (sog. considerations), darunter u. a. die Berücksichtigung der Rechte indigener
Völker und lokaler Gemeinschaften (indigenous peoples and local communities – IPLCs), die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen
und gesamtstaatlichen Ansatzes sowie die Bedeutung der Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Gesundheit. Es folgen „Vision und
Mission“ des GBF sowie die konkreten Zielformulierungen bis zu den Jahren 2050 und 2030. Der GBF folgt der Vision, dass die Menschheit
im Jahr 2050 vollkommen im Einklang mit der Natur lebt. Bis 2030 soll der Verlust der biologischen Vielfalt gestoppt und der bislang
negative Trend für eine Wiederherstellung der Natur umgekehrt werden. Dafür setzen sich die Staaten vier langfristige Statusziele bis
2050 (goals) und 23 Handlungsziele (targets), die sie bis 2030 gemeinsam erreichen wollen. Den Abschluss des Rahmenwerks bilden
Abschnitte zu nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionsplänen, Berichterstattung und Transparenz sowie zu Kommunikation, Bildung
und Bewusstsein.
Ein besonderes Augenmerk galt bei der Erarbeitung des GBF – deutlich stärker als bei den Aichi-Zielen – dem Bereich der Umsetzung,
Überprüfung und Rechenschaftslegung. Zur Überprüfung der Zielerreichung wurde erstmals ein Monitoring-Rahmen mit Indikatoren
vereinbart, die für alle Staaten ein verpflichtender Bestandteil der insgesamt gestärkten Berichterstattung sind. In den Verhandlungen
konnte eine Einigung zu vielen dieser Indikatoren erzielt werden, noch fehlende Indikatoren müssen bis zur CBD COP 16 (Ende 2024) in
einem nun festgelegten Prozess erarbeitet werden. Jedes Land verpflichtet sich, in seiner nationalen Biodiversitätsstrategie
darzustellen, wie es zum Erreichen der globalen Ziele beiträgt. Mithilfe nationaler Berichte wird alle zwei Jahre überprüft, ob die
Anstrengungen ausreichen, um die globalen Ziele zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Überprüfung werden genutzt, um Staaten dazu zu
ermutigen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Damit kommt den nationalen Biodiversitätsstrategien eine deutlich stärkere
Bedeutung als bisher zu.
Der GBF umfasst auch klare Zielvereinbarungen zu Finanzierung und Ressourcenmobilisierung: Länder des Globalen Südens sollen bei
der Umsetzung der neuen Vereinbarung bis zum Jahr 2025 jährlich mit 20 Mrd. USD aus staatlichen und privaten Quellen unterstützt
werden; bis 2030 soll die jährliche Unterstützung auf 30 Mrd. USD steigen. Bis 2030 sollen weltweit insgesamt 200 Mrd. USD mobilisiert
werden (Handlungsziel 19). Bis 2030 sollen außerdem 500 Mrd. USD biodiversitätsschädlicher Anreize abgebaut werden (Handlungsziel 18).
Ein neuer globaler Biodiversitätsfonds (GBF Trust Fund) als Treuhandfonds bei der Globalen Umweltfazilität (Global Environment
Facility – GEF) soll Länder des Globalen Südens gezielt bei der Umsetzung des GBF unterstützen.
Entscheidenden Anteil an der Annahme des GBF hatte die Einigung im Bereich DSI (Wußmann
2022). Einige Staaten hatten sogar zeitweise ihre Zustimmung zum GBF davon abhängig gemacht. Die Vertragsstaaten konnten
sich darauf einigen, als Teil des GBF einen multilateralen Mechanismus für das Teilen der Vorteile aus der Nutzung digitaler
Sequenzinformationen zu genetischen Ressourcen zu etablieren, der auch einen globalen Fonds enthalten soll. Zugleich wurde
beschlossen, den Mechanismus in einem fairen, transparenten, inklusiven und zeitgebundenen Prozess bis zur CBD COP 16 weiter
auszugestalten und zu operationalisieren.
Wesentlicher Bestandteil der CBD COP 15 waren neben dem GBF insgesamt 25 weitere Entscheidungen zu einer großen
Bandbreite von Themen. Diese reichen von fachlichen Themen wie Meeresnaturschutz oder Synthetischer Biologie (Tab. 1) bis zu strategischen oder prozeduralen Themen wie Kooperation mit anderen internationalen
Konventionen oder Haushalt. Besonders hervorzuheben ist die Verabschiedung einer Reihe von Aktionsplänen und Strategien, die den GBF
ergänzen und dessen Umsetzung unterstützen: eine langfristige Strategie zum Kapazitätsaufbau, ein Gender-Aktionsplan, ein Aktionsplan
zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Bodenbiodiversität, ein Aktionsplan für subnationale und lokale Regierungen sowie ein
Aktionsplan für Mainstreaming. Ein globaler Aktionsplan für Biodiversität und Gesundheit soll bis zur CBD COP 16 erarbeitet
werden.
Thematischer Tagesordnungspunkt
|
Inhalt der Beschlüsse
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Biodiversität und Klimawandel | Rein prozeduraler Beschluss: Vertagung der Entscheidung auf SBSTTA (Subsidiary Body on Scientific, Technical
and Technological Advice) und 16. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD
COP 16) Probleme: u. a. CBDR-RC (common-but differentiated responsibilities and respective capabilities – Prinzip der
gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und jeweiligen Fähigkeiten), NbS (Nature-based Solutions –
naturbasierte Lösungen), vgl. Abschnitt 4 |
Biodiversität und Landwirtschaft | Verabschiedung eines Aktionsplans zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Bodenbiodiversität (Ausweitung
über Landwirtschaft hinaus auf bewirtschaftete Ökosysteme) |
Biodiversität und Gesundheit | Beschluss zur Fortsetzung der Arbeit an einem globalen Aktionsplan für Biodiversität und Gesundheit zur
Verabschiedung durch die CBD COP 16 |
Schutz und naturverträgliche Nutzung küstennaher und mariner Biodiversität | Betonung der Notwendigkeit, den Druck auf die Ozeane durch menschliche Aktivitäten zu verringern, und
ambitionierte Aufforderungen u. a. in Bezug auf Tiefseebergbau, Unterwasserlärm und Plastikmüll Verweis auf die laufenden Verhandlungen zu Biodiversität außerhalb nationaler Hoheitsgebiete (Biodiversity
Beyond National Jurisdiction – BBNJ) |
EBSAs | Aufnahme von 17 ökologisch oder biologisch bedeutsamen Meeresgebieten (Ecologically or Biologically
Significant Marine Areas – EBSAs) im Nordostatlantik in das CBD-EBSA-Verzeichnis (EBSA repository) Weiterer EBSA-Prozess: Entscheidung vertagt auf CBD COP 16 |
Synthetische Biologie | Etablierung des Prozesses für Horizon Scanning der Synthetischen Biologie für einen Zyklus, d. h. (nur) bis
zur CBD COP 16 und Einrichtung einer multidisziplinären technischen Arbeitsgruppe |
Natur und Kultur | Verabschiedung eines neuen gemeinsamen Arbeitsprogramms von CBD-Sekretariat, UNESCO (United Nations
Educational, Scientific and Cultural Organization), IUCN (International Union for Conservation of Nature) und
weiteren Partnern wie IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem
Services) |
Invasive gebietsfremde Arten | Beschluss zu weiterer Arbeit an den Guidance-Dokumenten zu Maßnahmen für bestimmte Aspekte im Umgang mit
invasiven gebietsfremden Arten bis zur CBD COP 16 |
Nachhaltiges Wildtiermanagement | Beschluss zur Fortsetzung der Arbeit an weiteren Leitfäden |
Mainstreaming von Biodiversität: Einbindung subnationaler/lokaler Regierungen | Verabschiedung eines Aktionsplans zu Städten und Gemeinden |
Gender | Verabschiedung eines Gender-Aktionsplans |
Tab. 1: Ergebnisse ausgewählter fachlicher Tagesordnungspunkte der CBD COP 15 (15. Vertragsstaatenkonferenz des
Übereinkommens über die biologische Vielfalt).
Table 1: The results of selected technical agenda items of the CBD COP 15 (15th Conference of the Parties to
the Convention on Biological Diversity).
3 Verhandlungsverlauf
3.1 Verhandlungsverlauf und strittige Verhandlungspositionen
Insgesamt verliefen die Verhandlungen konstruktiv und der Wille, einen ambitionierten GBF zu verabschieden, war im Gesamtverlauf
spürbar. Dies zeigte sich z. B. in ergebnisorientierten Verhandlungsrunden zu einem Teil der Ziele oder zum
Monitoring-Rahmen. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit eines solchen Abkommens war sehr deutlich, die große Aufmerksamkeit und die
hohe Erwartungshaltung der Öffentlichkeit haben den Druck erhöht, einen guten Kompromiss zu erzielen. Dennoch schien ein positiver
Ausgang zwischenzeitlich fraglich. So verließen kurz vor Beginn des Ministerinnen- und Minister-Segments zahlreiche Delegierte des
Globalen Südens mehrfach geschlossen einzelne Sitzungen, ausgelöst vor allem durch divergierende Standpunkte zur globalen
Biodiversitäts-finanzierung.
Fünf zentrale und inhaltlich miteinander verbundene Punkte mit kontroversen Verhandlungspositionen hatten sich in den Diskussionen
schon früh herauskristallisiert und konnten erst ganz zum Schluss der Konferenz gelöst werden. Diese betrafen das Ambitionsniveau (vor
allem bei den am „Schutz“ orientierten Zielen), Umsetzungsmechanismen (u. a. Planung, Berichterstattung und Monitoring), die
Ressourcenmobilisierung, den Kapazitätsaufbau (einschließlich Finanzierung, Strukturen, Wissenschafts- sowie Technologietransfer) und
DSI. In diesen Diskussionspunkten setzt sich ein in der Geschichte der CBD tief verwurzelter Interessenkonflikt zwischen Globalem
Norden und Globalem Süden fort (Korn 2020). Dabei geht es um Fragen von klassischem
Naturschutz, Rechten an Ressourcen und wirtschaftlicher Entwicklung (Stichwort: Armutsbekämpfung). Diese Konflikte sind teilweise in
neokolonialistische Diskurse eingebettet und involvieren die Annahme, dass der Reichtum des Globalen Nordens zu großen Teilen auf der
Ausbeutung natürlicher Ressourcen des Globalen Südens aufbaut. Daher vertreten Länder des Globalen Südens in Fragen von
Ausgleichszahlungen, Biodiversitätsfinanzierung und Ressourcenmobilisierung eine deutlich fordernde Position. Ähnliches gilt für
Fragen des gerechten Ausgleichs von Vorteilen, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Dies wurde bei der CBD COP 15
unter dem Themenfeld DSI verhandelt. Auch hier verläuft eine deutliche Trennlinie: Während es dem Globalen Süden um die Kontrolle über
die Nutzung und damit Inwertsetzung seiner reichen biologischen Vielfalt geht, strebt der Globale Norden nach einem möglichst leichten
Zugang zu eben diesen vielfältigen genetischen Ressourcen sowie den davon abgeleiteten DSI. Klar ist, dass die globalen
Biodiversitätsziele ohne Finanzierung und ohne zusätzlichen Kapazitätsaufbau nicht umgesetzt werden können. Besonders deutlich
sprechen dies die BRICS-Staaten an, ein loser Zusammenschluss der großen aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien,
China und Südafrika.
Allerdings verlaufen die Trennlinien bei den Positionen zu anderen Verhandlungsfragen nicht eindeutig zwischen Globalem Norden und
Globalem Süden, sondern es bilden sich auch neue Koalitionen. Ein gutes Beispiel dafür ist die sog. High Ambition Coalition (HAC) for
Nature and People, zu der über 100 Länder aus allen fünf UN-Regionen unter der Co-Führung Costa Ricas gehören. Auch wenn sich dieses
Bündnis v. a. auf das Handlungsziel 3 (Flächenschutz; siehe Kasten 1) konzentriert,
setzten sich die hier organisierten Länder auf der CBD COP 15 für einen insgesamt ambitionierten GBF und einen effektiven
Umsetzungsmechanismus ein. Für eine integrierte Sicht auf die Zwillingskrisen Biodiversitätsverlust und Klimawandelfolgen sowie für
eine ambitionierte Antwort darauf machen sich dagegen neben Ländern des Globalen Nordens v. a. kleine Inselentwicklungsländer (Small
Island Developing States – SIDS) stark. Bei diesen Fragen nehmen die BRICS-Staaten eher bremsende Positionen ein.
Kasten 1: 30 × 30-Ziel zum Flächenschutz (Handlungsziel 3).
Box 1: 30 × 30 target on area conservation (Target 3).
Das Handlungsziel 3 zum Flächenschutz – das sog. 30 × 30-Ziel – hat nicht nur eine deutlich höhere Medienaufmerksamkeit als
andere Ziele erhalten, sondern wurde auch in Montreal engagiert diskutiert und intensiv verhandelt.
Was beinhaltet das Ziel?
● Effektiver Schutz von (jeweils) 30 % Land- und Küsten-/Meeresgebieten bis zum Jahr 2030.
● Fokus auf Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität aber auch für Ökosystemleistungen.
● Schließt neben klassischen Schutzgebieten auch andere effektive, flächenbezogene Naturschutzmaßnahmen (other
effective area-based conservation measures – OECMs) ein. ● Benennt ökologische Repräsentativität und Konnektivität und die Integration in die umgebende
(Normal)landschaft. ● Nachhaltige Nutzung nur, wenn im Einklang mit den Naturschutzzielen.
● Anerkennung und Beachtung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (indigenous peoples and local
communities – IPLCs) sowie die Anerkennung indigener und traditioneller Territorien.
Das Ziel ist mit der 30 %-Forderung deutlich ambitionierter als sein Vorgänger (Aichi-Ziel 11). Neu ist die prominente
Verankerung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften und die explizite Hervorhebung und Anerkennung von deren
Territorien. Dies war von IPLC-Vertreterinnen und -Vertretern in den Verhandlungen auch explizit gefordert worden.
Für die Umsetzung dieses ambitionierten Ziels werden weitere Anstrengungen nötig sein, nicht nur um den Umfang unter Schutz
gestellter Flächen zu erhöhen, sondern auch um die Forderungen nach effektivem Management umzusetzen. Zur Messung des Erreichten
wird ein verpflichtender Indikator zu Schutzgebieten und OECMs, der bereits heute in der „World Database on Protected Areas“
(WDPA) hinterlegt ist, verwendet. Für das Messen der Managementeffektivität fehlt bisher eine geeignete globale Messgröße. Diese
ist umso wichtiger, als es gilt, keine weiteren „paper parks“ zu kreieren und existierende Schutzgebiete wirkungsvoll zu
ertüchtigen.
3.2 Verhandlungsdynamiken und Rolle Chinas
China, dessen internationaler Führungsanspruch sich auch im Auftreten in der internationalen Umweltpolitik niederschlägt, hatte
mit Übernahme der COP-Präsidentschaft durch das Einbringen eigener Konzepte wie „Ecological Civilisation“ (Kümper-Schlake, Stärz 2021) und durch die Ankündigung eines „Kunming Biodiversity Fund“
erste Signale für die Verhandlungen gesetzt, blieb ansonsten aber eher passiv und hinter den Erwartungen vieler Beobachterinnen und
Beobachter zurück. Nach langem Festhalten an der Ausrichtung der COP 15.2 im eigenen Land musste China diesbezüglich nachgeben. Damit
wurde die COP-Präsidentschaft für China nicht einfacher, zumal es zwischen Kanada und China seit einigen Jahren bilaterale Spannungen
gibt. Dennoch hat China seine Rolle insgesamt erfolgreich ausgefüllt. So setzte China auf der COP 15.2 nach der ersten, eher
konfrontativen Verhandlungsphase während des Ministerinnen- und Minister-Segments für besonders strittige Themen international
erfahrene Verhandlerinnen und Verhandler als Vermittler auf hochrangiger politischer Ebene ein, u. a. Jochen Flasbarth, Staatssekretär
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Diese loteten für einige Tage Spielräume in den
Verhandlungspositionen aus, auf deren Basis die chinesische COP-Präsidentschaft den finalen Entwurf des GBF und der damit direkt
zusammenhängenden Verhandlungspapiere, das spätere „package“, vorlegte. Mit leichten Anpassungen wurde dieser Entwurf nach einer
langen Verhandlungsnacht vom chinesischen Vorsitzenden, Umweltminister Huang Runqiu, auch gegen prozedurale Kritik aus dem Plenum
erfolgreich durchgesetzt. Einige Handlungsziele tragen die Handschrift Chinas, so bspw. das Ziel 1 zur Raumplanung, das einen sehr
funktionalen Zugang zur Fläche hat und sehr gut mit dem chinesischen Konzept des„Ecological Red-Lining“ harmoniert (Kümper-Schlake, Stärz 2021).
3.3 Organisation und Rolle der EU
Die Europäische Union (EU) und ihre 27 Mitgliedsstaaten sprechen und verhandeln bei den Vertragsstaatenkonferenzen der CBD mit
einer Stimme. Das verleiht der EU im Verhandlungskontext eine besonders gewichtige Rolle – bedeutet aber zugleich, dass unter den
Mitgliedsstaaten umfangreiche Abstimmungen nötig sind. Sobald die Sitzungsdokumente vorliegen, beginnt der Abstimmungsprozess, der
sich bis zum Ende der COP zieht, da die Positionen kontinuierlich an die aktuellen Verhandlungsstände angepasst werden müssen. Damit
sind der EU im dynamischen Verhandlungsgeschehen der COP selbst immer wieder Grenzen gesetzt. Die Verhandlerinnen und Verhandler
können unter Druck geraten, da kurzfristige Rücksprachen mit den Mitgliedsstaaten nicht einfach zu realisieren sind.
Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft konzentrierte sich während der COP 15 vorwiegend auf die Organisation der
Positionsabstimmungen und bekam hierfür viel Anerkennung. Für die inhaltliche Vorbereitung und auch das Verhandeln einzelner Themen
hatte sich die Präsidentschaft Verstärkung v. a. von Seiten der Europäischen Kommission (Generaldirektion Umwelt) und von anderen
Delegationen wie Deutschland, aber auch Frankreich, Belgien oder Schweden erbeten. Insgesamt gelang es der EU fast durchgehend, eine
intern abgestimmte Position zu entwickeln und damit verhandlungsbereit zu sein. Bei einigen Themen (Tiefseebergbau und Genderfragen)
war dies aber nicht der Fall. Die EU ist insgesamt ein sehr aktiver Verhandler in der Konvention, der sich grundsätzlich inhaltlich
vielfach einbringt, ein hohes Ambitionsniveau verlangt und in Fragen zu Finanzierung/Ressourcenmobilisierung, DSI/Zugang zu
genetischen Ressourcen und gerechtem Vorteilsausgleich eine klassische Perspektive des Globalen Nordens einnimmt. Der EU kommt dabei
zugute, dass sie als große Delegation alle Verhandlungsstränge gut besetzen kann und auf eine große Fachexpertise und sehr gute
Vernetzung zurückgreifen kann. So gelang es der EU insgesamt gut, zahlreiche Positionen in die einzelnen Entscheidungen und den GBF
einzubringen, bspw. die sehr ambitionierten Handlungsziele 2 (Wiederherstellung von Ökosystemen) und 6 (invasive gebietsfremde Arten).
Die Prioritäten der EU waren teilweise durch die bereits 2019 veröffentlichte EU-Biodiversitätsstrategie gesetzt worden.
4 Einordnung der CBD COP 15
Mit über 16.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter mehr als 100 Ministerinnen und Minister, war die CBD COP 15 die bisher
größte in der 30-jährigen Geschichte der CBD. Auch die mediale Aufmerksamkeit erlangte ein bisher nur von Klimakonferenzen bekanntes
Ausmaß.
4.1 Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)
Die Verabschiedung des GBF kann insgesamt als großer Erfolg gewertet werden. Nach dem Ende der Vorverhandlungen und auch im
Verlauf der CBD COP 15 war nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Einigung kommen würde, und unklar, ob die Ergebnisse den Erwartungen
an einen ambitionierten GBF gerecht werden würden. Sogar noch der Textentwurf, den die chinesische Präsidentschaft am Morgen des
18. Dezember vorgelegt hatte, blieb vor allem in den Formulierungen einiger Handlungsziele hinter den Erwartungen zurück. Die dann zur
Annahme präsentierte Fassung überzeugte jedoch durch ein gesteigertes Ambitionsniveau gerade bei einigen der klassischen
Naturschutzziele. Die Worte des erfahrenen Vertreters Namibias, Pierre du Plessis, im abschließenden Plenum zum GBF machen dessen
Kompromisscharakter deutlich: „Ein Ergebnis, mit dem alle gleichermaßen unglücklich sind, sei das Geheimnis, eine Einigung
zu erzielen.“
Der Kompromisscharakter hat viele Facetten. So überzeugt der breitgefächerte Zielkatalog des GBF u. a. durch:
Abb. 3: Die Handlungsziele (targets, in hellblauen Kreisen mit Angabe der Ziel-Nummer, für weitere Erläuterungen siehe
Abb. 2) des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF), die
mit konkreten quantifizierbaren Zielwerten unterlegt sind (links), in denen marine Themen (Mitte) sowie die Rechte und
Beiträge indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLCs, rechts) verankert sind (Bearbeitung: Rebekka Morath).
Fig. 3: Targets (light blue circles indicating the target number, for further explanations see Fig. 2) of the
Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) containing concrete quantifiable target values (left), addressing marine
issues (middle) and the rights and contributions of indigenous peoples and local communities (IPLCs, right) (editing: Rebekka
Morath).
● insgesamt neun Ziele, die mit konkreten quantifizierbaren Zielwerten unterlegt sind (siehe Abb. 3), darunter ein starkes Ziel zur Eindämmung von Verschmutzung (Handlungsziel 7:
Reduzierung Pestizide und Nährstoffeinträge) und das vielbeachtete 30 × 30-Ziel zum Flächenschutz (siehe Kasten 1); dazu weitere Ziele, die zumindest Formulierungen wie „signifikant“ oder
„substanziell“ enthalten oder auf eine Halbierung bspw. von Nahrungsmittelabfällen drängen; ● die Verankerung mariner Themen explizit und implizit in insgesamt 12 Handlungszielen (Abb. 3);
● die explizite Verankerung und damit deutliche Stärkung der Sichtbarkeit der Beiträge der IPLCs zum Schutz der Natur
und deren nachhaltiger Nutzung sowie die Anerkennung der Rechte der IPLCs an Wissen, Praktiken, Territorien und Ressourcen
(Abb. 3 und 4); ● starke Zielformulierungen zu Klima, Mainstreaming und Unternehmen.
Abb. 4: Die Beiträge indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLCs) zum Schutz der Natur und deren nachhaltiger
Nutzung sowie die Anerkennung der Rechte der IPLCs an Wissen, Praktiken, Territorien und Ressourcen sind gut im Globalen
Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) verankert.
(Foto: IISD/ENB | Mike Muzurakis)
Fig. 4: The contributions of indigenous peoples and local communities (IPLCs) to conservation and sustainable use of
nature and the recognition of their rights to knowledge, traditional practices, territories and resources are well captured in
the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF).
Kritisch zu sehen ist hingegen,
Die neuen Vorgaben für Umsetzung, Monitoring, Reporting und Stocktake (Bestandsaufnahme) mit der Möglichkeit zum Nachjustieren in
einem festlegten strukturierten Prozess können ebenfalls als Erfolg bewertet werden, auch wenn sich nicht nur einige
Nichtregierungsorganisationen einen stärkeren globalen Mechanismus zur Überprüfung nationaler Zielformulierungen gewünscht hätten. Der
Kompromisscharakter wird auch deutlich in den nicht gelösten bzw. noch offenen Fragen des GBF, z. B. fehlen noch Indikatoren und der
multilaterale Mechanismus zu DSI muss noch weiter ausgearbeitet werden. Auch (noch) fehlende Definitionen zeugen von der zeitlichen
Enge, unter der der Kompromiss beschlossen wurde.
Bei aller Euphorie über die gelungene Verabschiedung des GBF ist festzustellen, dass der nun folgende Umsetzungsprozess erst noch
erweisen muss, ob der GBF den hohen Erwartungen gerecht werden kann. An dem sehr ambitionierten Finanzierungsziel werden
sich die Länder des Globalen Nordens messen lassen müssen.
4.2 Biodiversität und Klimawandel – ein thematisches Ergebnis
Für die Wissenschaft ist klar – Biodiversität und Klimawandel sind untrennbar miteinander verbunden und den entsprechenden Krisen
kann nur gemeinsam erfolgreich begegnet werden (Pörtner et al. 2021, 2023). Allerdings sind die Interessen und Positionen der verhandelnden Länder nicht so eindeutig.
Das Ergebnis der COP-Verhandlungen zu diesem wichtigen Themenfeld spiegelt dies gut wider und beinhaltet positive wie negative
Aspekte. Als sehr erfreulich sind die Handlungsziele 8 (Klimawandel), 11 (Ökosystemleistungen) sowie 19 (e) (Ressourcenmobilisierung)
des GBF zu be-werten, die die Zusammenhänge, Synergien und möglichen Zielkonflikte zwischen biologischer Vielfalt, Klimaschutz und
Anpassung an Klimafolgen sowie die synergetische Finanzierung zur Begegnung der Zwillingskrisen umfassend widerspiegeln. Dabei werden
naturbasierte Lösungen (Nature-based Solutions – NbS) gemeinsam mit ökosystembasierten Ansätzen (Ecosystem-based Approaches – EbApr)
als Konzepte zur integrierten Bewältigung von Herausforderungen im Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel klar benannt.
Dies war nach intensiven Verhandlungen auch bei anderen internationalen Konferenzen, wie im Spätherbst 2022 bei der COP der
Klimarahmenkonvention und der COP der Ramsar-Konvention, nicht selbstverständlich (Stadler, Kümper-Schlake 2022). Es bleibt aber
festzuhalten, dass zu den beiden Konzepten NbS und EbApr auf der CBD COP 15 keine Definitionen festgelegt wurden, da ein Glossar zu
den Schlüsselbegriffen des GBF nicht mehr verabschiedet werden konnte.
Neben dem GBF wurden die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Klimawandel in den Verhandlungssträngen zu mariner Biodiversität
und zu Küstenbiodiversität, Landwirtschaft und Bodenbiodiversität sowie zur Kommunikation gut aufgenommen. Im Themenfeld Kooperation
mit anderen Konventionen, internationalen Organisationen und Initiativen findet sich zudem ein Verweis zu einem international
akzeptierten Definitionsansatz von NbS (UNEP 2022). Dieser Verweis war – wie überhaupt
schon die Aufnahme von NbS in den GBF – sehr umstritten, denn nach dieser Definition handelt es sich nicht um NbS, wenn Zielkonflikte
nicht bewusst berücksichtigt und negative Auswirkungen auf biologische Vielfalt ausgehend von Maßnahmen im Klimaschutz nicht vermieden
werden.
Die Verhandlungen, die explizit dem Themenkomplex Biodiversität und Klimawandel gewidmet waren, gestalteten sich sehr schwierig
und endeten ohne inhaltliches Ergebnis. Kritische Punkte waren:
Generell war zu beobachten, dass es unterschiedliche Auffassungen davon gibt, in welchem internationalen Forum (UNFCCC und/oder
CBD; Intergovernmental Panel on Climate Change − IPCC und/oder IPBES) die Schnittstelle von Biodiversität und Klimawandel ausgehandelt
werden sollte. Auch dies verzögert maßgeblich, den Problemlagen der Zwillingskrise angemessen und entschlossenen zu begegnen.
5 Ausblick
Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Verabschiedung des GBF entschieden, dem globalen Biodiversitätsverlust entschlossen
entgegenzutreten. Das ist ein wichtiges Signal, zugleich aber mehr als das: Mit dem GBF liegt ein robustes Rahmenwerk mit klarem
Ambitionsniveau und einem vielversprechenden Umsetzungsmechanismus vor. Dies ist eine gute Ausgangslage – aber wird die tatsächliche
Umsetzung diesmal auch gelingen?
Verglichen mit den Aichi-Zielen ist der GBF inklusiver und holistischer angelegt. Hierin liegt ein großes Potenzial, das Anlass zu
Optimismus gibt. Der gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Ansatz sowie Mainstreaming – d. h. die aktive Berücksichtigung von
Biodiversitätsbelangen in allen Entscheidungen, Politikbereichen, Strategien und Plänen des öffentlichen und privaten Sektors – sind
an vielen Stellen im GBF verankert. Dies gilt besonders für die „considerations“, die einleitenden übergeordneten Überlegungen, die
der Umsetzung zugrunde liegen. Hier sind Prinzipien wie ein menschenrechtsbasierter Ansatz, Geschlechter- und
Generationengerechtigkeit oder die Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Biodiversität und Gesundheit festgeschrieben. Zudem wird
Bezug genommen auf verschiedene Wertesysteme, u. a. auf das Konzept des Lebens in Einklang mit Mutter Erde. Die Beteiligung aller
relevanten Akteure, einschließlich des Privatsektors, an der Umsetzung des GBF ist unerlässlich für die Zielerreichung. Der
Umsetzungsmechanismus stärkt dies auch formal: Im Format der nationalen Berichte ist erstmals eine Rubrik für weitere nichtstaatliche
Akteure enthalten. Durch die Teilhabe verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure und deren expliziten Einsatz für das hohe
Ambitionsniveau entsteht eine Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten, auch tatsächlich zu „liefern“.
Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit, die die Konferenz erfahren hat, zeigt die Bedeutung des Themas für viele Menschen. Dies
erzeugt ebenfalls Druck, den Beschlüssen nun schnell Taten folgen zu lassen. Die Biodiversitätskrise ist auf den politischen Agenden
vorgerückt, was wichtigen Rückenwind für den Naturschutz in Deutschland gibt. Es ist nun notwendig, dass Staaten vorangehen, die Ziele
ambitioniert an nationale Rahmenbedingungen anpassen und rasch umsetzen. Für Deutschland bedeutet das im ersten Schritt, die Ziele und
Inhalte des GBF in die Neuauflage der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS), die gerade erarbeitet wird (Demant et al. 2023), gut zu integrieren. International ist die Unterstützung von Partnerländern bei
der schnellen und effektiven Umsetzung des GBF wichtig, auch durch Kapazitätsaufbau. Zentrale Bausteine sind – neben der Unterstützung
von Initiativen zur Umsetzung der neuen Ziele – die zügige Einrichtung des neuen GBF-Fonds bei der Globalen Umweltfazilität und die
Mobilisierung weiterer Finanzquellen, bspw. im Bereich des Privatkapitals, und neuer Geberländer.
Ob das Aufhalten des Biodiversitätsverlusts und eine Trendwende tatsächlich gelingen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Der
neue Monitoring-Rahmen erlaubt eine bessere Messbarkeit und Überprüfbarkeit. Entscheidend ist, dass die grundlegenden Treiber des
Biodiversitätsverlusts erfolgreich adressiert werden, besonders die, die zusammenhängen mit wachsender Ungleichheit und mit
Wirtschaftssystemen, die auf nicht nachhaltiges Wachstum ausgerichtet sind. Dies kann nur gelingen, wenn der Schutz und die
nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt tatsächlich ein politisches und gesellschaftliches Leitprinzip werden.
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Dank
Die Fotos von der CBD COP 15 stammen aus der Berichterstattung des Earth Negotiations Bulletin des International Institute for
Sustainable Development (IISD) unter https://enb.iisd.org/un-biodiversity-conference-oewg5-cbd-cop15.