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Die Weltnaturkonferenz CBD COP 15 und der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal – ein Meilenstein internationaler Umweltpolitik

CBD COP 15 and the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – A milestone in international environmental policy

DOI: 10.19217/NuL2023-08-04 • Manuskripteinreichung: 22.2.2023, Annahme: 16.5.2023

Birthe Thormann, Lennart Kümper-Schlake und Barbara Engels

Zusammenfassung

Im Dezember 2022 haben die 196 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) auf der Weltnaturkonferenz in Montreal eine globale Vereinbarung zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Natur verabschiedet. Der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) hat den Anspruch, die weltweite Naturzerstörung zu stoppen und die dringend benötigte Trendwende zum Schutz von Arten und Ökosystemen einzuleiten. Der Beitrag beschreibt wichtige Inhalte des GBF und nimmt eine erste Bewertung vor. Der Verhandlungsverlauf hin zu einer Einigung wird erläutert, wobei die wichtigsten strittigen Verhandlungspositionen anhand von Beispielen dargestellt werden. Im Ergebnis ist der GBF ein robustes Rahmenwerk mit klarem Ambitionsniveau und einem vielversprechenden Umsetzungsmechanismus. Ein Ausblick macht deutlich, dass es jetzt auf eine erfolgreiche Umsetzung ankommt und nennt Potenziale, die diese ermöglichen können.

Übereinkommen über die biologische Vielfalt – internationaler Naturschutz – Weltnaturkonferenz – Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – Biodiversität – Klimawandel

Abstract

In December 2022, the 196 state parties to the Convention on Biological Diversity (CBD) adopted a global agreement on conservation and sustainable use of nature. The Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) strives to halt global destruction of nature and initiate the urgently needed turnaround for conservation of species and ecosystems. This article describes key elements of the GBF and provides a first assessment. It outlines the negotiation process towards the agreement, depicting the main sticking points with examples. In summary, the GBF is a robust framework with an explicit level of ambition and a promising mechanism for implementation. The outlook sets out that what matters now is successful implementation and identifies the potential that can make it happen.

Convention on Biological Diversity – International nature conservation – CBD COP 15 – Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – Biodiversity – Climate change

Inhalt

1 Einleitung

2 Ergebnisse der CBD COP 15

3 Verhandlungsverlauf

3.1 Verhandlungsverlauf und strittige Verhandlungspositionen

3.2 Verhandlungsdynamiken und Rolle Chinas

3.3 Organisation und Rolle der EU

4 Einordnung der CBD COP 15

4.1 Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)

4.2 Biodiversität und Klimawandel – ein thematisches Ergebnis

5 Ausblick

6 Literatur

Dank

1 Einleitung

Nach zahlreichen durch die Corona-Pandemie bedingten Verschiebungen sowie teils virtuellen und insgesamt langwierigen Vorverhandlungen fand die ursprünglich für das Jahr 2020 geplante 15. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties – COP) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) im Dezember 2022 in Montreal, Kanada, statt. Nachdem in den letzten zwei Jahren international kaum größere Verhandlungsrunden möglich waren, stellte die CBD COP 15, die in der Öffentlichkeit oft als Weltnaturkonferenz bezeichnet wird, den Abschluss und Höhepunkt eines ergebnisreichen zweiten Halbjahres 2022 in der internationalen Biodiversitäts- und Umweltpolitik dar. Die 14. Vertragsstaatenkonferenz der Ramsar-Konvention zum globalen Schutz der Feuchtgebiete (Ramsar COP 14) tagte im November in Genf, Schweiz. Während hier ein bestimmter Ökosystemtyp im Fokus der Verhandlungen stand, ging es im Rahmen der 27. Weltklimakonferenz (United Nations Framework Convention on Climate Change – UNFCCC COP 27), ebenfalls im November in Sharm el Sheikh, Ägypten, um die konkrete Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Während die Konferenzergebnisse insgesamt gemischt bewertet wurden, konnte das Verständnis der Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und Klimawandel sowie das Bewusstsein für die Bedeutung gemeinsamer Lösungsansätze wie des natürlichen Klimaschutzes in vielen Entscheidungen gestärkt werden. Zudem fand die 19. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES COP 19) – auch Weltartenkonferenz genannt – Ende November in Panama statt. Das Übereinkommen regelt den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen und wird durch die Verhängung von Handelsbeschränkungen und -verboten wirksam. Die in Panama beschlossene Unterschutzstellung zahlreicher weiterer Arten darf als Erfolg für den internationalen Artenschutz gewertet werden.

Die CBD COP 15 war bereits im Herbst 2021 in Kunming, China, offiziell als COP 15.1 eröffnet worden. Da die Durchführung der eigentlichen, beschlussfassenden Konferenz (COP 15.2) in China aufgrund der sehr restriktiven Corona-Regularien nicht möglich war, wurde sie schließlich nach Drängen der internationalen Staatengemeinschaft in Montreal, dem Sitz des CBD-Sekretariats, aber unter chinesischer Präsidentschaft abgehalten. Die Konferenz war mit der hohen Erwartung verbunden, die Verhandlungen für eine globale Vereinbarung zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Natur mit einem Zielhorizont bis zum Jahr 2050 erfolgreich abzuschließen. Sie hatte, um es mit den Worten des UN-Generalsekretärs António Guterres zu sagen, „die dringende Aufgabe, Frieden mit der Natur zu schließen“, d. h. die Treiber des globalen Biodiversitätsverlusts zu adressieren und damit eine Trendwende gegen das Artenaussterben und den Verlust natürlicher Ökosysteme einzuleiten. Entsprechend wurde die Konferenz mit großem Interesse und hoher Aufmerksamkeit auch von der Öffentlichkeit erwartet und mitverfolgt.

Der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) war seit 2019 in mehreren Verhandlungsrunden im Rahmen einer für alle Vertragsstaaten und Beobachtergruppen offenen Arbeitsgruppe (Open-ended Working Group − OEWG) vorbereitet worden (Leipold et al. 2022). Der GBF folgt auf den Strategischen Plan 2011 – 2020 der CBD mit den 20 sog. Aichi-Zielen, von denen keines vollumfänglich erreicht werden konnte. Für das Nichterreichen der meisten der Aichi-Ziele werden insbesondere mangelnde Umsetzungsmechanismen einschließlich unzureichender Finanzierung verantwortlich gemacht (CBD 2022a). Sowohl das globale Assessment des Weltbiodiversitätsrates IPBES (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) zu Biodiversität und Ökosystemleistungen (IPBES 2019) als auch der „Global Biodiversity Outlook 5“ (SCBD 2020) hatten zuletzt auf den dramatischen Verlust der Biodiversität weltweit hingewiesen, die Haupttreiber explizit benannt und die Notwendigkeit eines ambitionierten neuen globalen Rahmenwerks untermauert.

Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse und der Verhandlungsverlauf der CBD COP 15 beschrieben. Es schließen sich eine Einordnung und ein Ausblick an. Die Autorinnen und der Autor waren aktiv an den Verhandlungen beteiligt; dieser Beitrag reflektiert deren Perspektive und hat nicht den Anspruch, alle Ergebnisse differenziert zu bewerten. Weitere Informationen über Themenfelder, Initiativen und Aktivitäten in Vorbereitung zur CBD COP 15 liefert die Rubrikenreihe von „Natur und Landschaft“ zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt, die seit 2020 den Blick auf die internationalen Prozesse gerichtet hat. Eine umfangreiche Zusammenfassung und Analyse der gesamten CBD COP 15 bietet das „Earth Negotiations Bulletin“ des International Institute for Sustainable Development (IISD) unter https://bit.ly/cop15-summary.

2 Ergebnisse der CBD COP 15

Zentrales Ergebnis der CBD COP 15 ist der GBF, der in den frühen Morgenstunden des letzten COP-Tags mit einem „Hammerschlag“ des chinesischen COP-Vorsitzenden verabschiedet wurde (CBD 2022b; Abb. 1). Der Rahmen wurde als Paket-Lösung („package deal“) gemeinsam mit fünf weiteren Beschlussdokumenten zum Monitoring-Rahmen, Umsetzungsmechanismus, Kapazitätsaufbau, zur Ressourcenmobilisierung und zu digitalen Sequenzinformationen (digital sequence information – DSI) angenommen (Abb. 2). Damit umfasst dieses Entscheidungspaket alle zentralen, kontrovers diskutierten Aspekte der vorangegangenen Verhandlungsrunden.

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Abb. 1: Die Verabschiedung des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) ist Anlass zur Freude.
(Foto: IISD/ENB | Mike Muzurakis)
Fig. 1: The adoption of the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) is a cause for celebration.
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Abb. 2: Die Elemente des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) und die fünf zusammen mit dem GBF im Paket verabschiedeten Beschlüsse (Bearbeitung: Rebekka Morath).
Fig. 2: The elements of the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) and the five decisions that are part of the package (editing: Rebekka Morath).

Der GBF enthält neben den vielbeachteten Zielformulierungen weitere wichtige Elemente: Er beginnt mit einleitenden übergeordneten Überlegungen, die bei der Umsetzung zu beachten sind (sog. considerations), darunter u. a. die Berücksichtigung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (indigenous peoples and local communities – IPLCs), die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Ansatzes sowie die Bedeutung der Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Gesundheit. Es folgen „Vision und Mission“ des GBF sowie die konkreten Zielformulierungen bis zu den Jahren 2050 und 2030. Der GBF folgt der Vision, dass die Menschheit im Jahr 2050 vollkommen im Einklang mit der Natur lebt. Bis 2030 soll der Verlust der biologischen Vielfalt gestoppt und der bislang negative Trend für eine Wiederherstellung der Natur umgekehrt werden. Dafür setzen sich die Staaten vier langfristige Statusziele bis 2050 (goals) und 23 Handlungsziele (targets), die sie bis 2030 gemeinsam erreichen wollen. Den Abschluss des Rahmenwerks bilden Abschnitte zu nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionsplänen, Berichterstattung und Transparenz sowie zu Kommunikation, Bildung und Bewusstsein.

Ein besonderes Augenmerk galt bei der Erarbeitung des GBF – deutlich stärker als bei den Aichi-Zielen – dem Bereich der Umsetzung, Überprüfung und Rechenschaftslegung. Zur Überprüfung der Zielerreichung wurde erstmals ein Monitoring-Rahmen mit Indikatoren vereinbart, die für alle Staaten ein verpflichtender Bestandteil der insgesamt gestärkten Berichterstattung sind. In den Verhandlungen konnte eine Einigung zu vielen dieser Indikatoren erzielt werden, noch fehlende Indikatoren müssen bis zur CBD COP 16 (Ende 2024) in einem nun festgelegten Prozess erarbeitet werden. Jedes Land verpflichtet sich, in seiner nationalen Biodiversitätsstrategie darzustellen, wie es zum Erreichen der globalen Ziele beiträgt. Mithilfe nationaler Berichte wird alle zwei Jahre überprüft, ob die Anstrengungen ausreichen, um die globalen Ziele zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Überprüfung werden genutzt, um Staaten dazu zu ermutigen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Damit kommt den nationalen Biodiversitätsstrategien eine deutlich stärkere Bedeutung als bisher zu.

Der GBF umfasst auch klare Zielvereinbarungen zu Finanzierung und Ressourcenmobilisierung: Länder des Globalen Südens sollen bei der Umsetzung der neuen Vereinbarung bis zum Jahr 2025 jährlich mit 20 Mrd. USD aus staatlichen und privaten Quellen unterstützt werden; bis 2030 soll die jährliche Unterstützung auf 30 Mrd. USD steigen. Bis 2030 sollen weltweit insgesamt 200 Mrd. USD mobilisiert werden (Handlungsziel 19). Bis 2030 sollen außerdem 500 Mrd. USD biodiversitätsschädlicher Anreize abgebaut werden (Handlungsziel 18). Ein neuer globaler Biodiversitätsfonds (GBF Trust Fund) als Treuhandfonds bei der Globalen Umweltfazilität (Global Environment Facility – GEF) soll Länder des Globalen Südens gezielt bei der Umsetzung des GBF unterstützen.

Entscheidenden Anteil an der Annahme des GBF hatte die Einigung im Bereich DSI (Wußmann 2022). Einige Staaten hatten sogar zeitweise ihre Zustimmung zum GBF davon abhängig gemacht. Die Vertragsstaaten konnten sich darauf einigen, als Teil des GBF einen multilateralen Mechanismus für das Teilen der Vorteile aus der Nutzung digitaler Sequenzinformationen zu genetischen Ressourcen zu etablieren, der auch einen globalen Fonds enthalten soll. Zugleich wurde beschlossen, den Mechanismus in einem fairen, transparenten, inklusiven und zeitgebundenen Prozess bis zur CBD COP 16 weiter auszugestalten und zu operationalisieren.

Wesentlicher Bestandteil der CBD COP 15 waren neben dem GBF insgesamt 25 weitere Entscheidungen zu einer großen Bandbreite von Themen. Diese reichen von fachlichen Themen wie Meeresnaturschutz oder Synthetischer Biologie (Tab. 1) bis zu strategischen oder prozeduralen Themen wie Kooperation mit anderen internationalen Konventionen oder Haushalt. Besonders hervorzuheben ist die Verabschiedung einer Reihe von Aktionsplänen und Strategien, die den GBF ergänzen und dessen Umsetzung unterstützen: eine langfristige Strategie zum Kapazitätsaufbau, ein Gender-Aktionsplan, ein Aktionsplan zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Bodenbiodiversität, ein Aktionsplan für subnationale und lokale Regierungen sowie ein Aktionsplan für Mainstreaming. Ein globaler Aktionsplan für Biodiversität und Gesundheit soll bis zur CBD COP 16 erarbeitet werden.

Thematischer Tagesordnungspunkt Inhalt der Beschlüsse
Biodiversität und Klimawandel
Rein prozeduraler Beschluss: Vertagung der Entscheidung auf SBSTTA (Subsidiary Body on Scientific, Technical and Technological Advice) und 16. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP 16)
Probleme: u. a. CBDR-RC (common-but differentiated responsibilities and respective capabilities – Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und jeweiligen Fähigkeiten), NbS (Nature-based Solutions – naturbasierte Lösungen), vgl. Abschnitt 4
Biodiversität und Landwirtschaft
Verabschiedung eines Aktionsplans zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Bodenbiodiversität (Ausweitung über Landwirtschaft hinaus auf bewirtschaftete Ökosysteme)
Biodiversität und Gesundheit
Beschluss zur Fortsetzung der Arbeit an einem globalen Aktionsplan für Biodiversität und Gesundheit zur Verabschiedung durch die CBD COP 16
Schutz und naturverträgliche Nutzung küstennaher und mariner Biodiversität
Betonung der Notwendigkeit, den Druck auf die Ozeane durch menschliche Aktivitäten zu verringern, und ambitionierte Aufforderungen u. a. in Bezug auf Tiefseebergbau, Unterwasserlärm und Plastikmüll
Verweis auf die laufenden Verhandlungen zu Biodiversität außerhalb nationaler Hoheitsgebiete (Biodiversity Beyond National Jurisdiction – BBNJ)
EBSAs
Aufnahme von 17 ökologisch oder biologisch bedeutsamen Meeresgebieten (Ecologically or Biologically Significant Marine Areas – EBSAs) im Nordostatlantik in das CBD-EBSA-Verzeichnis (EBSA repository)
Weiterer EBSA-Prozess: Entscheidung vertagt auf CBD COP 16
Synthetische Biologie
Etablierung des Prozesses für Horizon Scanning der Synthetischen Biologie für einen Zyklus, d. h. (nur) bis zur CBD COP 16 und Einrichtung einer multidisziplinären technischen Arbeitsgruppe
Natur und Kultur
Verabschiedung eines neuen gemeinsamen Arbeitsprogramms von CBD-Sekretariat, UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization), IUCN (International Union for Conservation of Nature) und weiteren Partnern wie IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services)
Invasive gebietsfremde Arten
Beschluss zu weiterer Arbeit an den Guidance-Dokumenten zu Maßnahmen für bestimmte Aspekte im Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten bis zur CBD COP 16
Nachhaltiges Wildtiermanagement
Beschluss zur Fortsetzung der Arbeit an weiteren Leitfäden
Mainstreaming von Biodiversität: Einbindung subnationaler/lokaler Regierungen
Verabschiedung eines Aktionsplans zu Städten und Gemeinden
Gender
Verabschiedung eines Gender-Aktionsplans
Tab. 1: Ergebnisse ausgewählter fachlicher Tagesordnungspunkte der CBD COP 15 (15. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt).
Table 1: The results of selected technical agenda items of the CBD COP 15 (15th Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity).

3 Verhandlungsverlauf

3.1 Verhandlungsverlauf und strittige Verhandlungspositionen

Insgesamt verliefen die Verhandlungen konstruktiv und der Wille, einen ambitionierten GBF zu verabschieden, war im Gesamtverlauf spürbar. Dies zeigte sich z. B. in ergebnisorientierten Verhandlungsrunden zu einem Teil der Ziele oder zum Monitoring-Rahmen. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit eines solchen Abkommens war sehr deutlich, die große Aufmerksamkeit und die hohe Erwartungshaltung der Öffentlichkeit haben den Druck erhöht, einen guten Kompromiss zu erzielen. Dennoch schien ein positiver Ausgang zwischenzeitlich fraglich. So verließen kurz vor Beginn des Ministerinnen- und Minister-Segments zahlreiche Delegierte des Globalen Südens mehrfach geschlossen einzelne Sitzungen, ausgelöst vor allem durch divergierende Standpunkte zur globalen Biodiversitäts-finanzierung.

Fünf zentrale und inhaltlich miteinander verbundene Punkte mit kontroversen Verhandlungspositionen hatten sich in den Diskussionen schon früh herauskristallisiert und konnten erst ganz zum Schluss der Konferenz gelöst werden. Diese betrafen das Ambitionsniveau (vor allem bei den am „Schutz“ orientierten Zielen), Umsetzungsmechanismen (u. a. Planung, Berichterstattung und Monitoring), die Ressourcenmobilisierung, den Kapazitätsaufbau (einschließlich Finanzierung, Strukturen, Wissenschafts- sowie Technologietransfer) und DSI. In diesen Diskussionspunkten setzt sich ein in der Geschichte der CBD tief verwurzelter Interessenkonflikt zwischen Globalem Norden und Globalem Süden fort (Korn 2020). Dabei geht es um Fragen von klassischem Naturschutz, Rechten an Ressourcen und wirtschaftlicher Entwicklung (Stichwort: Armutsbekämpfung). Diese Konflikte sind teilweise in neokolonialistische Diskurse eingebettet und involvieren die Annahme, dass der Reichtum des Globalen Nordens zu großen Teilen auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen des Globalen Südens aufbaut. Daher vertreten Länder des Globalen Südens in Fragen von Ausgleichszahlungen, Biodiversitätsfinanzierung und Ressourcenmobilisierung eine deutlich fordernde Position. Ähnliches gilt für Fragen des gerechten Ausgleichs von Vorteilen, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Dies wurde bei der CBD COP 15 unter dem Themenfeld DSI verhandelt. Auch hier verläuft eine deutliche Trennlinie: Während es dem Globalen Süden um die Kontrolle über die Nutzung und damit Inwertsetzung seiner reichen biologischen Vielfalt geht, strebt der Globale Norden nach einem möglichst leichten Zugang zu eben diesen vielfältigen genetischen Ressourcen sowie den davon abgeleiteten DSI. Klar ist, dass die globalen Biodiversitätsziele ohne Finanzierung und ohne zusätzlichen Kapazitätsaufbau nicht umgesetzt werden können. Besonders deutlich sprechen dies die BRICS-Staaten an, ein loser Zusammenschluss der großen aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Allerdings verlaufen die Trennlinien bei den Positionen zu anderen Verhandlungsfragen nicht eindeutig zwischen Globalem Norden und Globalem Süden, sondern es bilden sich auch neue Koalitionen. Ein gutes Beispiel dafür ist die sog. High Ambition Coalition (HAC) for Nature and People, zu der über 100 Länder aus allen fünf UN-Regionen unter der Co-Führung Costa Ricas gehören. Auch wenn sich dieses Bündnis v. a. auf das Handlungsziel 3 (Flächenschutz; siehe Kasten 1) konzentriert, setzten sich die hier organisierten Länder auf der CBD COP 15 für einen insgesamt ambitionierten GBF und einen effektiven Umsetzungsmechanismus ein. Für eine integrierte Sicht auf die Zwillingskrisen Biodiversitätsverlust und Klimawandelfolgen sowie für eine ambitionierte Antwort darauf machen sich dagegen neben Ländern des Globalen Nordens v. a. kleine Inselentwicklungsländer (Small Island Developing States – SIDS) stark. Bei diesen Fragen nehmen die BRICS-Staaten eher bremsende Positionen ein.

Kasten 1: 30 × 30-Ziel zum Flächenschutz (Handlungsziel 3).
Box 1: 30 × 30 target on area conservation (Target 3).

Das Handlungsziel 3 zum Flächenschutz – das sog. 30 × 30-Ziel – hat nicht nur eine deutlich höhere Medienaufmerksamkeit als andere Ziele erhalten, sondern wurde auch in Montreal engagiert diskutiert und intensiv verhandelt.

Was beinhaltet das Ziel?

Effektiver Schutz von (jeweils) 30 % Land- und Küsten-/Meeresgebieten bis zum Jahr 2030.

Fokus auf Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität aber auch für Ökosystemleistungen.

Schließt neben klassischen Schutzgebieten auch andere effektive, flächenbezogene Naturschutzmaßnahmen (other effective area-based conservation measures – OECMs) ein.
Benennt ökologische Repräsentativität und Konnektivität und die Integration in die umgebende (Normal)landschaft.

Nachhaltige Nutzung nur, wenn im Einklang mit den Naturschutzzielen.

Anerkennung und Beachtung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (indigenous peoples and local communities – IPLCs) sowie die Anerkennung indigener und traditioneller Territorien.

Das Ziel ist mit der 30 %-Forderung deutlich ambitionierter als sein Vorgänger (Aichi-Ziel 11). Neu ist die prominente Verankerung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften und die explizite Hervorhebung und Anerkennung von deren Territorien. Dies war von IPLC-Vertreterinnen und -Vertretern in den Verhandlungen auch explizit gefordert worden.

Für die Umsetzung dieses ambitionierten Ziels werden weitere Anstrengungen nötig sein, nicht nur um den Umfang unter Schutz gestellter Flächen zu erhöhen, sondern auch um die Forderungen nach effektivem Management umzusetzen. Zur Messung des Erreichten wird ein verpflichtender Indikator zu Schutzgebieten und OECMs, der bereits heute in der „World Database on Protected Areas“ (WDPA) hinterlegt ist, verwendet. Für das Messen der Managementeffektivität fehlt bisher eine geeignete globale Messgröße. Diese ist umso wichtiger, als es gilt, keine weiteren „paper parks“ zu kreieren und existierende Schutzgebiete wirkungsvoll zu ertüchtigen.

3.2 Verhandlungsdynamiken und Rolle Chinas

China, dessen internationaler Führungsanspruch sich auch im Auftreten in der internationalen Umweltpolitik niederschlägt, hatte mit Übernahme der COP-Präsidentschaft durch das Einbringen eigener Konzepte wie „Ecological Civilisation“ (Kümper-Schlake, Stärz 2021) und durch die Ankündigung eines „Kunming Biodiversity Fund“ erste Signale für die Verhandlungen gesetzt, blieb ansonsten aber eher passiv und hinter den Erwartungen vieler Beobachterinnen und Beobachter zurück. Nach langem Festhalten an der Ausrichtung der COP 15.2 im eigenen Land musste China diesbezüglich nachgeben. Damit wurde die COP-Präsidentschaft für China nicht einfacher, zumal es zwischen Kanada und China seit einigen Jahren bilaterale Spannungen gibt. Dennoch hat China seine Rolle insgesamt erfolgreich ausgefüllt. So setzte China auf der COP 15.2 nach der ersten, eher konfrontativen Verhandlungsphase während des Ministerinnen- und Minister-Segments für besonders strittige Themen international erfahrene Verhandlerinnen und Verhandler als Vermittler auf hochrangiger politischer Ebene ein, u. a. Jochen Flasbarth, Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Diese loteten für einige Tage Spielräume in den Verhandlungspositionen aus, auf deren Basis die chinesische COP-Präsidentschaft den finalen Entwurf des GBF und der damit direkt zusammenhängenden Verhandlungspapiere, das spätere „package“, vorlegte. Mit leichten Anpassungen wurde dieser Entwurf nach einer langen Verhandlungsnacht vom chinesischen Vorsitzenden, Umweltminister Huang Runqiu, auch gegen prozedurale Kritik aus dem Plenum erfolgreich durchgesetzt. Einige Handlungsziele tragen die Handschrift Chinas, so bspw. das Ziel 1 zur Raumplanung, das einen sehr funktionalen Zugang zur Fläche hat und sehr gut mit dem chinesischen Konzept des„Ecological Red-Lining“ harmoniert (Kümper-Schlake, Stärz 2021).

3.3 Organisation und Rolle der EU

Die Europäische Union (EU) und ihre 27 Mitgliedsstaaten sprechen und verhandeln bei den Vertragsstaatenkonferenzen der CBD mit einer Stimme. Das verleiht der EU im Verhandlungskontext eine besonders gewichtige Rolle – bedeutet aber zugleich, dass unter den Mitgliedsstaaten umfangreiche Abstimmungen nötig sind. Sobald die Sitzungsdokumente vorliegen, beginnt der Abstimmungsprozess, der sich bis zum Ende der COP zieht, da die Positionen kontinuierlich an die aktuellen Verhandlungsstände angepasst werden müssen. Damit sind der EU im dynamischen Verhandlungsgeschehen der COP selbst immer wieder Grenzen gesetzt. Die Verhandlerinnen und Verhandler können unter Druck geraten, da kurzfristige Rücksprachen mit den Mitgliedsstaaten nicht einfach zu realisieren sind.

Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft konzentrierte sich während der COP 15 vorwiegend auf die Organisation der Positionsabstimmungen und bekam hierfür viel Anerkennung. Für die inhaltliche Vorbereitung und auch das Verhandeln einzelner Themen hatte sich die Präsidentschaft Verstärkung v. a. von Seiten der Europäischen Kommission (Generaldirektion Umwelt) und von anderen Delegationen wie Deutschland, aber auch Frankreich, Belgien oder Schweden erbeten. Insgesamt gelang es der EU fast durchgehend, eine intern abgestimmte Position zu entwickeln und damit verhandlungsbereit zu sein. Bei einigen Themen (Tiefseebergbau und Genderfragen) war dies aber nicht der Fall. Die EU ist insgesamt ein sehr aktiver Verhandler in der Konvention, der sich grundsätzlich inhaltlich vielfach einbringt, ein hohes Ambitionsniveau verlangt und in Fragen zu Finanzierung/Ressourcenmobilisierung, DSI/Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechtem Vorteilsausgleich eine klassische Perspektive des Globalen Nordens einnimmt. Der EU kommt dabei zugute, dass sie als große Delegation alle Verhandlungsstränge gut besetzen kann und auf eine große Fachexpertise und sehr gute Vernetzung zurückgreifen kann. So gelang es der EU insgesamt gut, zahlreiche Positionen in die einzelnen Entscheidungen und den GBF einzubringen, bspw. die sehr ambitionierten Handlungsziele 2 (Wiederherstellung von Ökosystemen) und 6 (invasive gebietsfremde Arten). Die Prioritäten der EU waren teilweise durch die bereits 2019 veröffentlichte EU-Biodiversitätsstrategie gesetzt worden.

4 Einordnung der CBD COP 15

Mit über 16.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter mehr als 100 Ministerinnen und Minister, war die CBD COP 15 die bisher größte in der 30-jährigen Geschichte der CBD. Auch die mediale Aufmerksamkeit erlangte ein bisher nur von Klimakonferenzen bekanntes Ausmaß.

4.1 Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)

Die Verabschiedung des GBF kann insgesamt als großer Erfolg gewertet werden. Nach dem Ende der Vorverhandlungen und auch im Verlauf der CBD COP 15 war nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Einigung kommen würde, und unklar, ob die Ergebnisse den Erwartungen an einen ambitionierten GBF gerecht werden würden. Sogar noch der Textentwurf, den die chinesische Präsidentschaft am Morgen des 18. Dezember vorgelegt hatte, blieb vor allem in den Formulierungen einiger Handlungsziele hinter den Erwartungen zurück. Die dann zur Annahme präsentierte Fassung überzeugte jedoch durch ein gesteigertes Ambitionsniveau gerade bei einigen der klassischen Naturschutzziele. Die Worte des erfahrenen Vertreters Namibias, Pierre du Plessis, im abschließenden Plenum zum GBF machen dessen Kompromisscharakter deutlich: „Ein Ergebnis, mit dem alle gleichermaßen unglücklich sind, sei das Geheimnis, eine Einigung zu erzielen.“

Der Kompromisscharakter hat viele Facetten. So überzeugt der breitgefächerte Zielkatalog des GBF u. a. durch:

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Abb. 3: Die Handlungsziele (targets, in hellblauen Kreisen mit Angabe der Ziel-Nummer, für weitere Erläuterungen siehe Abb. 2) des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF), die mit konkreten quantifizierbaren Zielwerten unterlegt sind (links), in denen marine Themen (Mitte) sowie die Rechte und Beiträge indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLCs, rechts) verankert sind (Bearbeitung: Rebekka Morath).
Fig. 3: Targets (light blue circles indicating the target number, for further explanations see Fig. 2) of the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) containing concrete quantifiable target values (left), addressing marine issues (middle) and the rights and contributions of indigenous peoples and local communities (IPLCs, right) (editing: Rebekka Morath).
    insgesamt neun Ziele, die mit konkreten quantifizierbaren Zielwerten unterlegt sind (siehe Abb. 3), darunter ein starkes Ziel zur Eindämmung von Verschmutzung (Handlungsziel 7: Reduzierung Pestizide und Nährstoffeinträge) und das vielbeachtete 30 × 30-Ziel zum Flächenschutz (siehe Kasten 1); dazu weitere Ziele, die zumindest Formulierungen wie „signifikant“ oder „substanziell“ enthalten oder auf eine Halbierung bspw. von Nahrungsmittelabfällen drängen;

    die Verankerung mariner Themen explizit und implizit in insgesamt 12 Handlungszielen (Abb. 3);

    die explizite Verankerung und damit deutliche Stärkung der Sichtbarkeit der Beiträge der IPLCs zum Schutz der Natur und deren nachhaltiger Nutzung sowie die Anerkennung der Rechte der IPLCs an Wissen, Praktiken, Territorien und Ressourcen (Abb. 3 und 4);

    starke Zielformulierungen zu Klima, Mainstreaming und Unternehmen.

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Abb. 4: Die Beiträge indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLCs) zum Schutz der Natur und deren nachhaltiger Nutzung sowie die Anerkennung der Rechte der IPLCs an Wissen, Praktiken, Territorien und Ressourcen sind gut im Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework − GBF) verankert.
(Foto: IISD/ENB | Mike Muzurakis)
Fig. 4: The contributions of indigenous peoples and local communities (IPLCs) to conservation and sustainable use of nature and the recognition of their rights to knowledge, traditional practices, territories and resources are well captured in the Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF).

Kritisch zu sehen ist hingegen,

    dass eine Zielformulierung fehlt, alle vom Menschen verursachten Aussterbeprozesse zu stoppen (Ziel 4 bezieht sich nur auf „bekanntermaßen bedrohte Arten“),
    dass die meisten 2030-Zwischenergebnisse („Meilensteine“) verloren gegangen sind, wobei einige nun in Ziel 4 enthalten sind,
    dass Begrifflichkeiten wie „nachhaltige Intensivierung“ und „biodiversitätsbasierte Produkte und Dienstleistungen, die die biologische Vielfalt verbessern“ nicht definiert sind und daher nicht zwangsläufig positive Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben,
    dass das Wiederherstellungsziel in Prozent der geschädigten Ökosysteme ausgedrückt wurde anstatt in einem Flächenmaß (z. B. Hektar),

    dass für das Handlungsziel 17 (Biotechnologie) nur eine Minimalvariante erzielt werden konnte.

Die neuen Vorgaben für Umsetzung, Monitoring, Reporting und Stocktake (Bestandsaufnahme) mit der Möglichkeit zum Nachjustieren in einem festlegten strukturierten Prozess können ebenfalls als Erfolg bewertet werden, auch wenn sich nicht nur einige Nichtregierungsorganisationen einen stärkeren globalen Mechanismus zur Überprüfung nationaler Zielformulierungen gewünscht hätten. Der Kompromisscharakter wird auch deutlich in den nicht gelösten bzw. noch offenen Fragen des GBF, z. B. fehlen noch Indikatoren und der multilaterale Mechanismus zu DSI muss noch weiter ausgearbeitet werden. Auch (noch) fehlende Definitionen zeugen von der zeitlichen Enge, unter der der Kompromiss beschlossen wurde.

Bei aller Euphorie über die gelungene Verabschiedung des GBF ist festzustellen, dass der nun folgende Umsetzungsprozess erst noch erweisen muss, ob der GBF den hohen Erwartungen gerecht werden kann. An dem sehr ambitionierten Finanzierungsziel werden sich die Länder des Globalen Nordens messen lassen müssen.

4.2 Biodiversität und Klimawandel – ein thematisches Ergebnis

Für die Wissenschaft ist klar – Biodiversität und Klimawandel sind untrennbar miteinander verbunden und den entsprechenden Krisen kann nur gemeinsam erfolgreich begegnet werden (Pörtner et al. 2021, 2023). Allerdings sind die Interessen und Positionen der verhandelnden Länder nicht so eindeutig. Das Ergebnis der COP-Verhandlungen zu diesem wichtigen Themenfeld spiegelt dies gut wider und beinhaltet positive wie negative Aspekte. Als sehr erfreulich sind die Handlungsziele 8 (Klimawandel), 11 (Ökosystemleistungen) sowie 19 (e) (Ressourcenmobilisierung) des GBF zu be-werten, die die Zusammenhänge, Synergien und möglichen Zielkonflikte zwischen biologischer Vielfalt, Klimaschutz und Anpassung an Klimafolgen sowie die synergetische Finanzierung zur Begegnung der Zwillingskrisen umfassend widerspiegeln. Dabei werden naturbasierte Lösungen (Nature-based Solutions – NbS) gemeinsam mit ökosystembasierten Ansätzen (Ecosystem-based Approaches – EbApr) als Konzepte zur integrierten Bewältigung von Herausforderungen im Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel klar benannt. Dies war nach intensiven Verhandlungen auch bei anderen internationalen Konferenzen, wie im Spätherbst 2022 bei der COP der Klimarahmenkonvention und der COP der Ramsar-Konvention, nicht selbstverständlich (Stadler, Kümper-Schlake 2022). Es bleibt aber festzuhalten, dass zu den beiden Konzepten NbS und EbApr auf der CBD COP 15 keine Definitionen festgelegt wurden, da ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen des GBF nicht mehr verabschiedet werden konnte.

Neben dem GBF wurden die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Klimawandel in den Verhandlungssträngen zu mariner Biodiversität und zu Küstenbiodiversität, Landwirtschaft und Bodenbiodiversität sowie zur Kommunikation gut aufgenommen. Im Themenfeld Kooperation mit anderen Konventionen, internationalen Organisationen und Initiativen findet sich zudem ein Verweis zu einem international akzeptierten Definitionsansatz von NbS (UNEP 2022). Dieser Verweis war – wie überhaupt schon die Aufnahme von NbS in den GBF – sehr umstritten, denn nach dieser Definition handelt es sich nicht um NbS, wenn Zielkonflikte nicht bewusst berücksichtigt und negative Auswirkungen auf biologische Vielfalt ausgehend von Maßnahmen im Klimaschutz nicht vermieden werden.

Die Verhandlungen, die explizit dem Themenkomplex Biodiversität und Klimawandel gewidmet waren, gestalteten sich sehr schwierig und endeten ohne inhaltliches Ergebnis. Kritische Punkte waren:

    das Einbringen von Formulierungen aus dem Kontext der Klimarahmenkonvention (UNFCCC), wie „common-but differentiated responsibilities and respective capabilitites“ (CBDR-RC, Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und jeweiliger Fähigkeiten),
    die Etablierung des Konzepts der NbS mit robusten Vorgaben zur Vermeidung biodiversitätsschädlicher Aktivitäten,
    die klare Benennung von Landnutzungsformen im Spannungsfeld von Biodiversitätserhaltung und Klimaschutz bspw. beim großflächigen Anbau von Bioenergiepflanzen und

    die Quellen und Richtung der Finanzierung von Maßnahmen zur Eindämmung der Zwillingskrisen.

Generell war zu beobachten, dass es unterschiedliche Auffassungen davon gibt, in welchem internationalen Forum (UNFCCC und/oder CBD; Intergovernmental Panel on Climate Change − IPCC und/oder IPBES) die Schnittstelle von Biodiversität und Klimawandel ausgehandelt werden sollte. Auch dies verzögert maßgeblich, den Problemlagen der Zwillingskrise angemessen und entschlossenen zu begegnen.

5 Ausblick

Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Verabschiedung des GBF entschieden, dem globalen Biodiversitätsverlust entschlossen entgegenzutreten. Das ist ein wichtiges Signal, zugleich aber mehr als das: Mit dem GBF liegt ein robustes Rahmenwerk mit klarem Ambitionsniveau und einem vielversprechenden Umsetzungsmechanismus vor. Dies ist eine gute Ausgangslage – aber wird die tatsächliche Umsetzung diesmal auch gelingen?

Verglichen mit den Aichi-Zielen ist der GBF inklusiver und holistischer angelegt. Hierin liegt ein großes Potenzial, das Anlass zu Optimismus gibt. Der gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Ansatz sowie Mainstreaming – d. h. die aktive Berücksichtigung von Biodiversitätsbelangen in allen Entscheidungen, Politikbereichen, Strategien und Plänen des öffentlichen und privaten Sektors – sind an vielen Stellen im GBF verankert. Dies gilt besonders für die „considerations“, die einleitenden übergeordneten Überlegungen, die der Umsetzung zugrunde liegen. Hier sind Prinzipien wie ein menschenrechtsbasierter Ansatz, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit oder die Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Biodiversität und Gesundheit festgeschrieben. Zudem wird Bezug genommen auf verschiedene Wertesysteme, u. a. auf das Konzept des Lebens in Einklang mit Mutter Erde. Die Beteiligung aller relevanten Akteure, einschließlich des Privatsektors, an der Umsetzung des GBF ist unerlässlich für die Zielerreichung. Der Umsetzungsmechanismus stärkt dies auch formal: Im Format der nationalen Berichte ist erstmals eine Rubrik für weitere nichtstaatliche Akteure enthalten. Durch die Teilhabe verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure und deren expliziten Einsatz für das hohe Ambitionsniveau entsteht eine Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten, auch tatsächlich zu „liefern“.

Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit, die die Konferenz erfahren hat, zeigt die Bedeutung des Themas für viele Menschen. Dies erzeugt ebenfalls Druck, den Beschlüssen nun schnell Taten folgen zu lassen. Die Biodiversitätskrise ist auf den politischen Agenden vorgerückt, was wichtigen Rückenwind für den Naturschutz in Deutschland gibt. Es ist nun notwendig, dass Staaten vorangehen, die Ziele ambitioniert an nationale Rahmenbedingungen anpassen und rasch umsetzen. Für Deutschland bedeutet das im ersten Schritt, die Ziele und Inhalte des GBF in die Neuauflage der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS), die gerade erarbeitet wird (Demant et al. 2023), gut zu integrieren. International ist die Unterstützung von Partnerländern bei der schnellen und effektiven Umsetzung des GBF wichtig, auch durch Kapazitätsaufbau. Zentrale Bausteine sind – neben der Unterstützung von Initiativen zur Umsetzung der neuen Ziele – die zügige Einrichtung des neuen GBF-Fonds bei der Globalen Umweltfazilität und die Mobilisierung weiterer Finanzquellen, bspw. im Bereich des Privatkapitals, und neuer Geberländer.

Ob das Aufhalten des Biodiversitätsverlusts und eine Trendwende tatsächlich gelingen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Der neue Monitoring-Rahmen erlaubt eine bessere Messbarkeit und Überprüfbarkeit. Entscheidend ist, dass die grundlegenden Treiber des Biodiversitätsverlusts erfolgreich adressiert werden, besonders die, die zusammenhängen mit wachsender Ungleichheit und mit Wirtschaftssystemen, die auf nicht nachhaltiges Wachstum ausgerichtet sind. Dies kann nur gelingen, wenn der Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt tatsächlich ein politisches und gesellschaftliches Leitprinzip werden.

6 Literatur

  CBD/Convention on Biological Diversity (2022a): Review of progress in the implementation of the Convention and the Strategic Plan for Biodiversity 2011 – 2020 and the achievement of the Aichi Biodiversity Targets. CBD/COP/15/L4. CBD. Montreal: 2 S.

  CBD/Convention on Biological Diversity (2022b): Decision adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity at its fifteenth meeting. 15/4. Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework. CBD/COP/DEC/15/4. CBD. Montreal: 14 S.

  Demant L., Hoffmann U., Schuster B. (2023): Neuauflage der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Natur und Landschaft 98(4): 204 – 205.

  IPBES/Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (2019): Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. IPBES Secretariat. Bonn: 1.148 S. DOI: 10.5281/zenodo.3831673

  Korn H. (2020): Das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt – Rückblick über die vergangenen 25 Jahre. Natur und Landschaft 95(2): 74 – 79. DOI: 10.17433/2.2020.50153777.74-79

  Kümper-Schlake L., Stärz C. (2021): Biodiversitätspolitik in China – ein Blick auf das Gastgeberland der CBD COP 15. Natur und Landschaft 96(11): 544 – 547.

  Leipold T., Bertram M., Kleinschmidt S. (2022): Verhandlungen zum neuen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt – auf der Zielgeraden zur Weltnaturkonferenz. Natur und Landschaft 97(11): 518 – 520.

  Pörtner H.O., Scholes R.J. et al. (2021): IPBES-IPCC co-sponsored workshop report on biodiversity and climate change. IPBES, IPCC. Bonn: 24 S. DOI: 10.5281/zenodo.4782538

  Pörtner H.O., Scholes R.J. et al. (2023): Overcoming the coupled climate and biodiversity crises and their societal impacts. Science 380(6.642): abl4481. DOI: 10.1126/science.abl4881

  SCBD/Secretariat of the Convention on Biological Diversity (2020): Global Biodiversity Outlook 5. SCBD. Montreal: 208 S.

  Stadler J., Kümper-Schlake L. (2022): Naturbasierte Lösungen zur Bewältigung der globalen Biodiversitäts- und Klimakrise – aktuelle politische Entwicklungen. Natur und Landschaft 97(3): 144 – 146.

  UNEP/United Nations Environment Programme (2022): Resolution adopted by the United Nations Environment Assembly on 2 March 2022. UNEP/EA.5/Res.5. UNEP. Nairobi: 3 S.

  Wußmann K. (2022): Digitale Sequenzinformationen (DSI) – ein Nadelöhr auf dem Weg zu einer erfolgreichen Weltnaturkonferenz. Natur und Landschaft 97(12): 575 – 577.

Dank

Die Fotos von der CBD COP 15 stammen aus der Berichterstattung des Earth Negotiations Bulletin des International Institute for Sustainable Development (IISD) unter https://enb.iisd.org/un-biodiversity-conference-oewg5-cbd-cop15.

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Dr. Birthe Thormann

Korrespondierende Autorin

Bundesamt für Naturschutz

Fachgebiet I 2.4 „Internationaler Naturschutz“

Konstantinstraße 110

53179 Bonn

E-Mail: birthe.thormann@bfn.de

Die Autorin studierte Biologie (Diplom) an der Universität Bonn und promovierte am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig mit einer Arbeit zur Diversität von Blattkäfern in einem Bergregenwald in den Ecuadorianischen Anden. Im Anschluss war sie am Graduiertenzentrum der Hochschule Koblenz im Bereich Hochschulmanagement und wissenschaftliche Nachwuchsförderung tätig. Seit 2019 arbeitet sie im Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Fachgebiet Internationaler Naturschutz als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit den Schwerpunkten CBD, UNESCO-MAB-Programm und Jugendpartizipation.

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Lennart Kümper-Schlake

Bundesamt für Naturschutz

Fachgebiet I 2.4 „Internationaler Naturschutz“

Konstantinstraße 110

53179 Bonn

E-Mail: lennart.kuemper-schlake@bfn.de

Barbara Engels

Bundesamt für Naturschutz

Fachgebiet I 2.4 „Internationaler Naturschutz“

Konstantinstraße 110

53179 Bonn

E-Mail: barbara.engels@bfn.de

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