Klemens Steiof
Zusammenfassung
Lichtattraktion nächtlicher Zugvögel ist seit Jahrhunderten bekannt, insbesondere an Leuchttürmen und anderen küstennahen Lichtquellen. Zunehmend treten auch durch künstliche Beleuchtung verursachte Vogelkollisionen im Binnenland in Erscheinung. In Mitteleuropa wurde der Post Tower in Bonn am gründlichsten untersucht, an dem pro Herbstsaison rund 1.000 Zugvögel zu Schaden kamen. In Hamburg und Berlin wurden bei Untersuchungen zu Vogelkollisionen an Glasfassaden weitere lichtbedingte Vogelanflüge festgestellt. Künstliche Lichtquellen in der Nacht können Zugvögel desorientieren und sie zu Richtungsänderungen und Kreisflügen veranlassen, was zu Energieverlusten führt und tödliche Kollisionen verursachen kann. Lichtinduzierte Kollisionen wurden auch bei Zugvögeln beobachtet, die ihren aktiven Zug beendet hatten und sich bodennah aufhielten; das jeweils hellste Licht der Umgebung wurde angeflogen. Zugvögel unterliegen bereits zahlreichen Gefährdungen, unter denen sich neben Glas auch die zunehmende künstliche Beleuchtung in den letzten Jahrzehnten drastisch auswirkt. Daher muss die Lichtverschmutzung reduziert werden. Nach außen wirksame Beleuchtung an Bauwerken ist künftig erheblich zu beschränken. Abstrahlungen in die Umgebung oder gar nach oben sind zu unterlassen. Helle Beleuchtung in Bodennähe ist auf das unumgänglich notwendige Maß zu reduzieren. An höheren Bauwerken sind Lichtemissionen zur Erhaltung des dunklen Luftraums notfalls durch Abschirmungsmaßnahmen zu unterbinden. Ohne diese Maßnahmen wird die biologische Vielfalt weiter gefährdet.
Lichtverschmutzung – nächtlicher Vogelzug – Desorientierung – Vogelkollisionen – Gefährdung von ZugvögelnAbstract
Light attraction of migratory birds at night has been known for centuries, especially from lighthouses and other coastal light sources. Increasingly, inland bird collisions caused by artificial lighting have also been reported. In Central Europe, the Post Tower in Bonn is the most thoroughly investigated building, with around 1,000 migratory birds harmed each autumn season. In Hamburg and Berlin, surveys of bird collisions on glass facades have revealed various types of light-related bird strikes. Artificial light sources at night can disorient migratory birds, causing them to change direction and to circle, resulting in energy loss and deadly collisions. Light-induced collisions are also observed in migratory birds that have finished their active migration and are staying close to the ground; the brightest light in the environment at a certain place is approached. Migratory birds are already subject to numerous threats, among which, besides glass, increasing artificial lighting has had a drastic effect in recent decades. Therefore, light pollution must be reduced. Light emissions from buildings must be significantly limited in the future. Radiation into the surroundings or even upwards must be avoided. Bright illumination near the ground must be reduced to the minimum necessary. On higher structures, light emissions are to be prevented by shielding measures, if necessary, in order to preserve the dark airspace. Without these measures, biodiversity will be further endangered.
Light pollution – Nocturnal bird migration – Disorientation – Bird collisions – Threats to migratory birdsInhalt
1 Einleitung
Lichtattraktion von Vögeln ist seit Jahrhunderten bekannt, insbesondere die Attraktion durch Lichtquellen an den Küsten. In erster Linie sind es Zugvögel, die von starken Lichtquellen angelockt werden können. Nachts ziehende Vögel fliegen v. a. dann künstliche Lichtquellen an, wenn die freie Sicht auf den Himmel durch Wolken oder Nebel unterbunden wird. Gerade an den Küsten oder auf dem Meer sind dann dramatische Anflüge Hunderter oder Tausender Zugvögel an Leuchttürme, beleuchtete Windräder, Ölplattformen oder Schiffe beobachtet worden (Ballasus et al. 2009; Dierschke et al. 2021). Im Binnenland sind derartige Phänomene v. a. aus Nordamerika bekannt, wo Massenanflüge u. a. an Sendemasten beschrieben wurden (Zusammenstellung bei Trapp 1998). Exponiertem Licht ausgesetzte Zugvögel können ihre Zugbahn verlassen und auf die Lichtquellen zufliegen, diese desorientiert umkreisen und mit diesen oder anderen Hindernissen kollidieren. Energieverlust und Tod sind somit mögliche Folgen.
Aus dem mitteleuropäischen Binnenland liegen eher anekdotische Feststellungen einer Lichtattraktion von Zugvögeln vor, die mit Kollisionen einhergehen. So stellte Haensel (1975) im Oktober 1967 innerhalb von 5 Tagen an der hell erleuchteten Baustelle des Fernsehturms am Alexanderplatz in Berlin 75 verunfallte Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) fest. Eine bemerkenswerte Langzeitstudie lieferte Brombach (2000): Er erfasste über mehrere Jahrzehnte hinweg tödliche Kollisionen von Zugvögeln unter einer Lichtreklame in Leverkusen, deren Anzahl erst mit der zeitweisen Abschaltung der Reklame deutlich zurückging.
In den letzten Jahren sind Vogelkollisionen an beleuchteten Bauwerken in Bonn, Hamburg und Berlin untersucht worden. Einige Ergebnisse werden nachfolgend dargestellt und um Erkenntnisse aus der Literatur ergänzt. Darüber hinaus werden Vorschläge zur Vermeidung lichtinduzierter Verluste gemacht, damit mit diesem Aspekt der zunehmenden Auswirkungen künstlicher Beleuchtung („Lichtverschmutzung“, Schröter-Schlaack et al. 2020) künftig besser umgegangen werden kann.
2 Material und Methode
In den letzten Jahren fanden in 3 deutschen Städten systematische Untersuchungen zu Vogelanprall statt, bei denen Beleuchtung von Gebäuden ein wesentlicher Faktor war: von 2006 bis 2022 am Post Tower in Bonn (Haupt 2009; Maravic 2009; Korner et al. 2022; Haupt unveröff.) sowie im Jahr 2020 an mehreren Gebäuden in Hamburg (Jödicke, Mitschke 2021) und in Berlin (Schulz 2020, 2021a, b, c). Die vorgenannten Untersuchungen werden ausgewertet und um weitere Erkenntnisse zu den Wirkungen künstlicher Beleuchtung auf Zugvögel ergänzt. Die Empfehlungen zur Minimierung der negativen Auswirkungen werden zusammengefasst.
3 Ergebnisse der Untersuchungen aus Bonn, Hamburg und Berlin
In Bonn wurde der 163 m hohe und verglaste Post Tower (Abb. 1) zwischen 2006 und 2022 v. a. im Herbst intensiv auf Zugaktivitäten und Anprallopfer untersucht. Zahlreiche durchgängige Kontrollen vom Abend bis gegen Sonnenaufgang der Folgetage erlaubten es auf Grund der hohen zeitlichen und räumlichen Auflösung, die Funde bestimmten Lichtquellen zuzuordnen. Im Verlauf der Jahre führte die Reduzierung bedeutender Lichtquellen zu einem deutlichen Rückgang der Opferzahlen. Bei anfangs vollflächiger Fassadenbeleuchtung während mehrerer Abendstunden und bei dauerhafter Anstrahlung der Firmenlogos auf dem Dach kamen pro Herbstsaison rund 1.000 Vögel zu Schaden (Haupt 2009; Maravic 2009). Bei reduziertem Betrieb dieser Anlagen wurden noch mehrere Hundert Zugvögel am Fuße des Gebäudes vorgefunden (Korner et al. 2022) und ohne die Effekt- und Werbebeleuchtungen waren es im Herbst 2021 und 2022 immer noch jeweils um die 70 Opfer (Haupt unveröff.). Denn auch die vergleichsweise schwache, zeit- und stellenweise nicht abgeschirmte Notbeleuchtung der Flure und Treppenhäuser führt zu Kollisionen (Abb. 1). Anflüge erfolgten im gesamten Nachtverlauf (Haupt 2009; Korner et al. 2022).
Abb. 1: Post Tower in Bonn bei Nacht. Auch ohne Effektbeleuchtung ist das Gebäude für Vögel aufgrund der Notbeleuchtungen an den Schmalseiten des Turms (nicht abgeschirmt) und an den Breitseiten (hier unvollständig abgeschirmt) gefährlich.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 1: Post Tower in Bonn at night. Even without effect lighting, the building is dangerous for birds because of the emergency lights on the narrow sides of the tower (not shielded) and on the broad sides (here incompletely shielded).
In Hamburg wurden an 3 Gebäudekomplexen mit 23 – 90 m hohen Fassaden im Herbst 2020 durch tägliche frühmorgendliche Kadaversuche 47 Kollisionsopfer von 14 Vogelarten ermittelt, zu 77 % Nachtzieher, allen voran Rotkehlchen (Erithacus rubecula) und Singdrosseln (Turdus philomelos; jeweils 12). Auf Grundlage von Abtragsraten ausgelegter Kadaver wurde die wahrscheinliche Anzahl der Kadaver auf 101 berechnet. Es blieb unklar, in welchen Höhen und zu welchen Zeiten die Kollisionen stattfanden. Während des Frühjahrszuges wurden keine Kollisionsopfer gefunden. Die Gebäudekomplexe unterschieden sich stark in der nächtlichen Abstrahlung ihrer Innenbeleuchtung. Es wurde ein hochsignifikanter positiver Einfluss der Beleuchtung auf die Kadaveranzahl gefunden (Jödicke, Mitschke 2021).
Ebenfalls im Jahr 2020 wurden in Berlin rund um den Hauptbahnhof 4 Bauwerke bis maximal 42 m Höhe auf Vogelkollisionen untersucht. Es erfolgten über 28 Wochen im Frühjahr, Sommer und Herbst 162 Kontrollgänge zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, bei denen sowohl Kadaver gesucht als auch die Fassaden nach Anprallspuren abgesucht wurden. Zahlreiche Kontrollen erfolgten vor Beginn der Morgendämmerung, teils als Doppelkontrollen (zweimaliges Ablaufen aller Fassaden). Bei den Anprallspuren (Gefiederabdrücke, Federn) war es meist unklar, zu welcher Tages- oder Nachtzeit die Anflüge erfolgten. Anflüge gegen Innenbeleuchtung (mit tödlichem Ausgang nach Anprall an den davor liegenden Glasscheiben) wurden v. a. am Paul-Löbe-Haus beobachtet: 4 Rotkehlchen, 4 Singdrosseln und je 1 Zilpzalp (Phylloscopus collybita) und 1 Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus) waren die Opfer. Bei der Kollision einer Wachtel (Coturnix coturnix) dürfte Licht ebenfalls der Auslöser gewesen sein (Schulz 2021c). An den anderen Bauwerken gab es spezifische Feststellungen: Am Hauptbahnhof wurden 5 Anflüge (2 Rotkehlchen, 3 drosselgroße Vögel) im Bereich einer hellen Innenbeleuchtung und einer außen liegenden Baustellenbeleuchtung registriert (Schulz 2020), am Cube ein Anflug an heller Lichtreklame (Rotkehlchen) und am Futurium ein Anflug an der bedruckten Scheibe einer kurzzeitigen Innenbeleuchtung (Singdrossel); diese Fassade war tagsüber durch eine Punktbedruckung gut vor Vogelanprall geschützt. Bei 17 von 40 gefundenen Rotkehlchen und Singdrosseln konnte als Anprallzeit ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang ermittelt werden, also mutmaßlich nach Beendigung des nächtlichen Zuges. Es zeigte sich also, dass Zugvögel auch nach Beendigung des Zuges zur jeweils hellsten Lichtquelle (auch Innenbeleuchtung) flogen und dabei gegen die Glasfassade prallten (Schulz 2021c; Abb. 2). Diese Feststellungen zeigen:
Abb. 2: Paul-Löbe-Haus in Berlin bei Nacht. Der Monitor war die hellste Beleuchtung; gegen die Scheibe davor prallten mehrere Zugvögel.
(Foto: Werner Schulz)
Fig. 2:
Paul-Löbe-Haus in Berlin at night. The monitor was the brightest illumination and several migratory birds crashed against the pane in front of it.
● Je heller eine Lichtquelle im Vergleich zu ihrer Umgebung ist, desto mehr Vögel steuern sie an. So kann auch exponierte, aber absolut gesehen eher schwache Beleuchtung fatal für Zugvögel sein, selbst innerhalb städtischer Lichtglocken (vgl. Abb. 1).
● Kollisionen können im gesamten Nachtverlauf stattfinden. Morgens, vor Sonnenaufgang, kann es nach Beendigung des Nachtzuges zu einer (weiteren) Häufung von Kollisionsereignissen kommen, wenn Zugvögel auch in Bodennähe Lichtquellen zustreben (Abb. 2).
● Helle Innenbeleuchtung lässt Vögel gegen davor befindliche Glasscheiben prallen. Markierungen an Glasflächen, die tagsüber Vogelanprall vermeiden, sind bei künstlichem Licht in der Nacht offenbar wenig wirksam, denn desorientierte Vögel fliegen sogar gegen opake Markierungen oder gegen helle Wände.
4 Vergleich mit weiteren Untersuchungen
Bereits im 19. Jahrhundert war bekannt, dass über dem Meer und in Küstennähe Zugvögel von starken Lichtquellen angelockt werden (zusammengefasst von Ballasus et al. 2009). Doch auch im Binnenland wurden damals schon Einzelfälle nächtlicher Anflüge von Zugvögeln festgestellt. Clarke (1880) beschrieb den nächtlichen Zug von Trauerenten (Melanitta nigra) über das britische Binnenland in Skipton (Yorkshire), bei dem im April 1879 viele Vögel gegen Schornsteine und Gebäude flogen, weil sie offensichtlich von den Lichtquellen der Stadt angelockt wurden. Die damaligen Gaslampen waren wenig hell, aber sie waren vermutlich die hellsten Lichtquellen nach langer Flugstrecke. In der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 1885 flog bei Oschersleben „ein großer Zug Wandervögel“ gegen die elektrisch beleuchteten Gebäude der Zuckerfabrik. Am nächsten Morgen wurden viele Leichen von Rotkehlchen, Rotschwänzen (Phoenicurus), Lerchen und einigen Drosseln (Turdus) gefunden. Das Phänomen war nicht neu: „Leuchttürme und ähnliche grell leuchtende Apparate erfordern alljährlich […] viele Opfer“ (Liebe 1885). Es wurde dazu aufgerufen, die näheren Umstände derartiger Ereignisse genau zu erfassen und nicht nur zu melden, „wie sehr eine Lichtfläche unter den armen harmlosen Wanderern aufgeräumt hat“ (Liebe 1885).
Lao et al. (2019) untersuchten die Faktoren, die in Minneapolis (USA) zu Vogelkollisionen geführt hatten, und kamen zum Ergebnis, dass künstliches Licht stärker mit hohen Kollisionsverlusten korreliert war als die jeweils vorhandene Glasfläche, der Prozentsatz verglaster Fassade oder die Größe einzelner Glasscheiben. Die starke Lichtattraktion von Zugvögeln wurde von Winger et al. (2019) für die Innenstädte von Chicago und Cleveland (USA) verdeutlicht, mit dort über 70.000 festgestellten nächtlichen Kollisionen von Zugvögeln aus 93 Singvogelarten.
Aber auch Lichtemissionen an anderen hohen Bauwerken können enorme Verluste unter Zugvögeln verursachen. Die zahlreichen Massenunfälle von Zugvögeln an Sendemasten und deren Abspannungen in Nordamerika werden im Wesentlichen auf die Flugsicherheitsbeleuchtung der teils mehrere Hundert Meter hohen Masten zurückgeführt. Dort sind besonders Langstreckenzieher unter den Zugvögeln betroffen. Bei 10 Arten überschreitet die hochgerechnete jährliche „Towerkill-Mortalität“ 2 % der Gesamtpopulation (Longcore et al. 2013). Zu den Verlustraten der in Europa betroffenen Langstreckenzieher (Abb. 3) liegen keine Abschätzungen oder Hochrechnungen vor.
Abb. 3: In Mitteleuropa gehört der Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca) zu den Langstreckenziehern, die regelmäßig Verluste an nächtlicher Beleuchtung erleiden. Der tote Vogel liegt vor dem Post Tower in Bonn.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 3: In Central Europe, the Pied Flycatcher (Ficedula hypoleuca) is one of the long-distance migrants that regularly suffers losses from nocturnal illumination. The dead bird lies in front of the Post Tower in Bonn.
Eine besondere Auswirkung auf Zugvögel haben Lichtquellen, die mehr oder weniger senkrecht nach oben abstrahlen. Dies können Fassadenanstrahlungen oder auch fehlkonzipierte Straßenleuchten (Abb. 4) sein, v. a. aber die früher zur Flugabwehr (Flakscheinwerfer), dann als Wolkenhöhenmesser (Ceilometer) und aktuell als Werbeanlagen eingesetzten Skybeamer (Himmelsstrahler; Abb. 5). Diese Lichtquellen führen zu Beeinträchtigungen besonders vieler Zugvögel, die sich aber kaum als Opfer nachweisen lassen, weil sie nur in wenigen Fällen sofort zu Boden stürzen (z. B. Spofford 1949a, b; Johnston, Haines 1957), sondern zunächst desorientiert weiterfliegen. Herrmann et al. (2006) dokumentierten in Hessen und Mecklenburg-Vorpommern zwei Beobachtungen von Kranichen, die einige Zeit (in Hessen „stundenlang“) im Lichtkegel eines Scheinwerfers umherirrten. Haupt, Schillemeit (2011) und Haupt (unveröff.) haben jeweils im Herbst der Jahre 2009 – 2013 das individuelle Flugverhalten von 980 Vögeln im Lichtkegel der vom Dach des Bonner Post Towers nach oben abstrahlenden Scheinwerfer einer Werbebeleuchtung ausgewertet. Mehr als 90 % aller Vögel, die den Lichtkegel erreichten, zeigten Verhaltensauffälligkeiten: Kreisflug, Umkehrflug, Richtungsänderungen, Geschwindigkeitsreduzierung und ungerichteten Flug. Auch nach dem Verlassen des Lichtkegels setzten abgelenkte Vögel ihren Flug in falsche Richtungen fort. Viele aus Dekorations- und ästhetischen Gründen betriebene Bodenstrahler oder ungerichtete Fassadenanstrahlungen (Abb. 6) erzeugen ebenfalls starke, nach oben gerichtete Lichtstrahlen. Eine mit nach oben abstrahlendem Licht verbundene Straßenbeleuchtung in Bonn hat in einer Nacht im Herbst 2010 zur Ansammlung von vermutlich mehr als 1.000 Vögeln geführt. Es deutete einiges darauf hin, dass einige der Vögel, die kurz darauf in 1 km Entfernung mit einem Gebäude kollidierten, durch diese Straßenbeleuchtung desorientiert wurden (Haupt 2011).
Abb. 4: Fehlkonzipierte nächtliche Straßenbeleuchtung in Bonn – es wird viel Licht nach oben in den Himmel und horizontal abgestrahlt.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 4: Misconceived street lighting at night in Bonn – A lot of light is emitted upwards into the sky and horizontally.
Abb. 5: Skybeamer wirken nachts auf Zugvögel über viele Kilometer Entfernung – hier ein Beispiel in Bonn.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 5: Sky beamers affect migratory birds over many kilometres at night – here an example in Bonn.
Abb. 6: Ungerichtete nächtliche Fassadenanstrahlungen wie am Stadthaus Bonn tragen zu hellen Lichtkuppeln über den Städten bei.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 6: Non-directional facade illumination, as on the Stadthaus Bonn, contributes to bright light domes above cities at night.
Bruderer et al. (1999) stellten im Lichtstrahl eines 200 W starken Scheinwerfers in Israel verschiedene Verhaltensänderungen von Zugvögeln fest, bspw. Veränderungen der Zugrichtung, Verlangsamung des Fluges und Anstieg der Flughöhe. Erst ab ca. 1 km Entfernung von diesem Lichtstrahl wurden keine Veränderungen mehr festgestellt. Hinweise auf Höhenwirkungen fanden van Doren et al. (2017) für die deutlich stärkeren Skybeamer, die anlässlich des alljährlichen Tribute-in-Light-Gedenkens in New York eingesetzt werden. Selbst bei guten Sichtverhältnissen veränderte sich das Verhalten der Zugvögel bis in 4 km Höhe: Vögel sammelten sich in hohen Dichten, verlangsamten die Geschwindigkeit und fingen an, im Lichtkegel zu kreisen, begleitet von häufigerem Rufen. Bei Abschalten der Lichtquelle hörten diese Verhaltensänderungen auf. Die Vögel verteilten sich, aber wann sie ihre Orientierung wiedererlangten, blieb unbekannt.
Offensichtlich beeinflusst die Gesamtheit der Lichtemissionen von Städten mittlerweile erheblich den Vogelzug: Gillings, Scott (2021) stellten in Großbritannien fest, dass nächtliche Drosselrufe, die zunächst ein Indikator für niedrigen Zug sind, über den hellsten Städten bis zu fünfmal häufiger waren als über weniger erleuchteten Ortschaften. Die Autoren führten die stärkere Rufaktivität auf die Desorientierung durch künstliches Licht zurück. Für Nordamerika stellten Horton et al. (2019) fest, dass die stark zunehmende Beleuchtung des nächtlichen Himmels eine stark zunehmende Gefährdung für nächtliche Zugvögel und damit für über 80 % aller Zugvögel darstellt. McLaren et al. (2018) fanden in den nordöstlichen USA in der Nähe hell beleuchteter Areale mehr rastende Zugvögel als einige Kilometer entfernt. Dies bestätigt zahlreiche andere Beobachtungen, dass selbst diffus erscheinende künstliche Beleuchtung nachts Zugvögel anlockt. Die Autoren weisen auf einen wichtigen Aspekt hin: Da Zugvögel auf gute Rastbiotope zur ungestörten Nahrungssuche angewiesen sind, könnte dieser Effekt ihre Fitness negativ beeinflussen, weil sie in weniger geeigneten Habitaten landen.
Inwieweit die offenbar großräumige Anlockung durch urbane Lichtglocken dazu beiträgt, Vögel zusätzlich zu besonders exponierten Lichtquellen zu leiten, ist derzeit nicht quantifizierbar. Es ist aber keinesfalls gerechtfertigt, die Auswirkung einzelner Lichtemittenten innerhalb einer ohnehin aufgehellten Umgebung zu relativieren. Die Auswirkung einer Lichtquelle hängt letztlich von deren Exposition in Bezug auf die im einzelnen betroffenen Vögel ab. Um in größeren Höhen und damit in geringer Umgebungshelligkeit Gefahren auszulösen, genügen schon vergleichsweise schwache Lichtquellen direkt in größerer Höhe aus dem Gebäude heraus oder dorthin emittiertes Licht von Bodenstrahlern, Skybeamern und ungerichteten Fassadenanstrahlungen. Bodennah sind eher die – relativ wie absolut gesehen – stärkeren Lichtquellen problematisch, die sich aus einer ohnehin stärkeren Umgebungshelligkeit herausheben (vgl. Abb. 7). Dies wird auch bei den mehrfach festgestellten Anflügen von Singdrosseltrupps, Rotkehlchen und anderen Zugvögeln nachts an der Glasfassade des Terminals 1 des Flughafens Berlin Brandenburg deutlich (Wegworth 2021). Das Gebäude ist innen sehr hell erleuchtet und für aus nordöstlichen Richtungen kommende Vögel auf große Entfernung als sehr helle Lichtquelle zu sehen. Anflüge gibt es dort auch an anderen Fassadenteilen.
Abb. 7: Doppelter Unfug: Bürobeleuchtung bei Nacht mit weithin sichtbarer Ausleuchtung der Raumdecken anstelle der Schreibtische und Beleuchtung trotz Abwesenheit von Menschen.
(Foto: Heiko Haupt)
Fig. 7: Double mischief: Office lighting at night with widely visible illumination of the room ceilings instead of the desks and lighting despite the absence of people.
Bezüglich der Hindernisbefeuerung für den Schiffs- und Flugverkehr muss beachtet werden, dass Blinklicht eine geringere Anlockwirkung auf Zugvögel zeigt als Dauerlicht. Noch günstiger ist blitzendes Licht, also der Wechsel zwischen einer kurzen Hell- und einer deutlich längeren Dunkelphase (Gehring et al. 2009; Dierschke et al. 2021). Neu errichtete Sendemasten dürfen in den USA aus Gründen des Zugvogelschutzes seit 2015 nur mit blitzendem Licht als Flugsicherheitsbefeuerung ausgestattet sein (FAA 2015). Die Vorschriften in Deutschland müssen noch an diese Erkenntnisse angepasst werden.
5 Empfehlungen
In Auswertung der vorliegenden Studien ergeben sich folgende Maßnahmen, die zum Schutz von Zugvögeln vor Lichtemissionen ergriffen werden sollten:
Eine Folge dieser Empfehlungen ist, dass bei Bauwerken oberhalb der durchschnittlichen Bebauungshöhe nutzungsangepasste Verdunkelungsmaßnahmen umzusetzen sind. Diese können sich z. B. bei Hochhäusern zwischen Wohnnutzung, Hotel- und Büroräumen unterscheiden. Die Beleuchtung von Fluren und Treppenhäusern kann hierbei gesondert betrachtet werden. Weitergehende Maßnahmen zur Eindämmung der Lichtverschmutzung sind überall wichtig, etwa die Vermeidung bestimmter Leuchtentypen wie Skybeamer, Bodenstrahler (Bruderer et al. 1999; Haupt, Schillemeit 2011; van Doren et al. 2017) und Kugelleuchten und das Unterlassen des Anstrahlens etwa von Fledermausquartieren, Vegetation oder anderen Landschaftselementen (Schröter-Schlaack et al. 2020; Rössler et al. 2022). Auch ist darauf zu achten, dass bei der Umstellung auf und Verwendung von Leuchtdioden(LED)-Licht nicht das Beleuchtungsniveau erhöht wird, da die Lichtausbeute von LEDs höher ist (Lao et al. 2019).
Mittlerweile ist die Erkenntnis der Notwendigkeit, Lichtverschmutzung zu bekämpfen, auch in der globalen Fachpolitik angekommen (UNEP/CMS 2020). In vielen Städten Nordamerikas wird zu den Vogelzugzeiten die Beleuchtung von Hochhäusern reduziert (Lao et al. 2019; Audubon 2022). Es bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung der mittlerweile zahlreichen Erkenntnisse auch in Europa erfolgt. Der deutsche Gesetzgeber bleibt jedenfalls in der Pflicht. Auch wenn der neue § 41a Bundesnaturschutzgesetz(BNatSchG), der zum Schutz von Tieren und Pflanzen vor nachteiligen Auswirkungen von Beleuchtungen eingefügt wurde, durch eine Rechtsverordnung mit Leben erfüllt wird, greift diese Bestimmung zu kurz, da sie nicht alle kritischen Lichtquellen erfasst und nur für Neuanlagen, nicht aber für den Bestand gilt. Schädliche Auswirkungen künstlichen Lichts auf Zugvögel und andere Tiere können aber weiterhin über die Bestimmungen des § 44 BNatSchG und anderer Rechtskreise verringert werden (Huggins, Schlacke 2019), auch wenn dafür mitunter die behördliche Bereitschaft erhöht werden muss (Korner et al. 2022).
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Winger B.M., Weeks B.C. et al. (2019): Nocturnal flight-calling behaviour predicts vulnerability to artificial light in migratory birds. Proceedings of the Royal Society B 286: e20190364. DOI: 10.1098/rspb.2019.0364
Dank
Ich danke Werner Schulz für viele Gespräche zum Thema und Heiko Haupt für zahlreiche Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zum Manuskript sowie für das Überlassen unveröffentlichter Beobachtungsdaten vom Post Tower, Literaturhinweise und für die Fotos.