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Auswirkungen nächtlicher Außenbeleuchtung auf den Menschen

Effects of artificial outdoor light at night on humans

DOI: 10.19217/NuL2023-09-08 • Manuskripteinreichung: 30.12.2022, Annahme: 18.6.2023

Annette Krop-Benesch

Zusammenfassung

Künstliche Außenbeleuchtung während der Nacht wird verstärkt als Risiko für die menschliche Gesundheit diskutiert. Epidemiologische Studien aus verschiedenen Teilen der Welt fanden Korrelationen zwischen der Helligkeit einer Region in der Nacht und der Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten. Für diese Erkrankungen sind kausale Zusammenhänge sowohl mit Störungen des zirkadianen Rhythmus als auch mit Schlafstörungen bekannt. Nicht bekannt ist allerdings, ob die Lichtexposition durch nächtliche Außenbeleuchtung ausreicht, um die Produktion von Melatonin zu unterdrücken und somit die Entstehung dieser Erkrankungen zu begünstigen. Nächtliche Außenbeleuchtung könnte jedoch auch auf die Stressachse wirken und auf diese Weise das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem beeinflussen. Ein dritter denkbarer Mechanismus wäre die direkte Störung des Schlafs durch nachts in das Schlafzimmer einfallendes Licht. Die letzten beiden Mechanismen würden keine Senkung des Melatoninspiegels voraussetzen. Weitere Forschung ist nötig, um das Ausmaß und die Wirkungsmechanismen von Lichtverschmutzung auf die menschliche Gesundheit besser zu verstehen. Doch bereits jetzt gibt es ausreichend wissenschaftliche Gründe für einen sorgsameren Umgang mit nächtlicher Außenbeleuchtung.

Schlafstörungen – Stress – zirkadianer Rhythmus – Depression – Herz-Kreislauf-Erkrankungen – Übergewicht – Krebs

Abstract

The negative influence of artificial outdoor light at night on human health is frequently discussed. Epidemiological studies from different parts of the world have found correlations between outdoor brightness at night and the probability of mental diseases, obesity, cardiac diseases, and several forms of cancer. Studies have shown causal relationships between these diseases and the interruption of the circadian system and sleep problems. However, it is not known whether artificial outdoor light at night is bright enough to reduce the production of melatonin, thus contributing to the development of these diseases. Even without suppressing melatonin, artificial outdoor light at night could still activate the stress axis, thus putting strain on the cardiac and immune system. A third possible mechanism could be the direct distraction by light shining into a bedroom at night, which can interfere with sleep. This also does not necessarily include melatonin suppression. Further research is needed to understand the extent and mechanisms of light pollution impacts on human health. Nonetheless, we do have enough scientific evidence already today to call for a more prudent use of outdoor light at night.

Sleep disturbance – Stress – Circadian rhythm – Depression – Cardiac diseases – Obesity – Cancer

Inhalt

1 Einleitung

2 Außenbeleuchtung und Gesundheit

3 Mögliche Wirkmechanismen nächtlicher Außenbeleuchtung

4 Veränderung der Aktivitätszeiten und andere Stressfaktoren

5 Vorschläge zur Reduzierung von Lichtimmissionen

6 Literatur

1 Einleitung

Licht ist der wichtigste Zeitgeber des zirkadianen Systems, der Steuerung unserer Tag-Nacht-Rhythmen. Neben Schlaf und Aktivität beeinflusst es fast die gesamte Physiologie und sichert damit die Balance zwischen Aktivität und Regeneration. Störungen dieser Rhythmik können die Entstehung verschiedener Erkrankungen begünstigen, v. a. Depressionen, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten, zudem kann die Fortpflanzung beeinflusst werden (Touitou et al. 2017).

Künstliche Beleuchtung erlaubt es, unsere Aktivitätszeiten in die Nacht zu erweitern. Dadurch ergeben sich zwei Effekte: Wir erfahren nach Sonnenuntergang eine deutlich erhöhte Exposition gegenüber Kunstlicht und wir sind länger aktiv. Beides beeinflusst unsere zirkadiane Rhythmik und kann zu unphysiologischen (nicht den normalen Lebensvorgängen entsprechenden) Verschiebungen oder gar grundlegenden Störungen der 24-Stunden-Rhythmik führen. Basierend auf den Erkenntnissen zum Einfluss von Licht auf unsere Physiologie stellt sich daher die Frage, ob Lichtverschmutzung eine Belastung für die menschliche Gesundheit darstellen kann.

2 Außenbeleuchtung und Gesundheit

Eine wachsende Zahl epidemiologischer Studien beschäftigt sich mit statistischen Zusammenhängen zwischen Erkrankungen und der künstlich erzeugten Helligkeit während der Nacht im Außenraum. Die nächtliche Helligkeit wird in den meisten Fällen anhand von Satellitenbildern ermittelt, mit denen individuelle Lichtexpositionen nicht bestimmt werden können. Auch ist nicht geklärt, wie stark die Korrelation zwischen der Helligkeit im Außenraum und der in den Innenräumen ist. Dennoch geben die Studien erste Hinweise, ob nächtliche Außenbeleuchtung einen Einfluss auf die Gesundheit der betroffenen Personen haben kann.

So fanden verschiedene Studien Korrelationen der nächtlichen Helligkeit im Außenraum mit Schlafqualität bzw. -störungen (z. B. Koo et al. 2016; Franklin et al. 2020; Paksarian et al. 2020; Gabinet, Portnov 2021; Hu et al. 2022) sowie mit dem Konsum von Schlafmitteln (Min, Min 2018). Bei höheren Lichtimmissionen in der Nacht leiden Kinder, Jugendliche und Erwachsene zudem häufiger an mentalem Unwohlsein (Franklin et al. 2020) und psychischen Erkrankungen (Min, Min 2017; Paksarian et al. 2020; Esaki et al. 2022). Weitere Korrelationen zu nächtlichen Lichtimmissionen ergaben sich für Adipositas (z. B. McFadden et al. 2014; Koo et al. 2016; Park et al. 2019; Lin et al. 2022), Diabetes (Zheng et al. 2023) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Obayashi et al. 2014; Lane et al. 2017; Sun et al. 2021). Eine Studie fand in Regionen mit stärkerer Lichtverschmutzung höhere Wahrscheinlichkeiten für Komplikationen bei der Geburt bis hin zu Fehlgeburten und schlechterem körperlichem Zustand des Neugeborenen (Windsperger et al. 2022). Besondere Beachtung finden Korrelationen zwischen der Helligkeit und Brustkrebs (z. B. James et al. 2017; Kim et al. 2017; Garcia-Saenz et al. 2018; Rybnikova, Portnov 2018; Lamphar et al. 2022) sowie Prostatakrebs (z. B. Kim et al. 2017; Rybnikova et al. 2017). Zwei dieser Studien testeten speziell die Korrelation mit kurzwelligem „blauem“ Licht und fanden hier stärkere Korrelationen als mit Licht anderer Wellenlängen (Garcia-Saenz et al. 2018; Rybnikova, Portnov 2018).

Eine Schwäche dieser Studien ist die Erfassung der Lichtexposition. Die meisten von ihnen basieren auf Korrelationen mit Satellitendaten. Diese erlauben zwar Rückschlüsse auf die allgemeine nächtliche Helligkeit an einem Ort, allerdings nicht auf die vom Individuum erfahrene Lichtmenge. Anwohnerinnen und Anwohner können sich bspw. durch Rollläden vor unerwünschten Lichtimmissionen schützen. Auch ist nicht bekannt, wie lange sich Einzelpersonen draußen aufhalten und wie viel Licht sie in den Innenräumen ausgesetzt sind. So fanden Clarke et al. (2021) und Ritonja et al. (2020) in ihren Studien in Dänemark und Kanada keine Korrelation zwischen Brustkrebs und den Satellitendaten für Außenhelligkeit in der Nacht. Sie vermuten, dass sich Menschen in höheren Breitengraden abends weniger häufig draußen aufhalten und dadurch besser vor Lichtimmissionen geschützt sind, dies wurde aber bisher nicht überprüft. Auch gibt es nur wenige Längsschnittstudien, in denen Individuen oder Populationen über mehrere Jahre miteinander verglichen wurden. Viele der untersuchten Erkrankungen, v. a. Krebs, sind multifaktoriell und entstehen über einen mehrjährigen Zeitraum, die aktuelle Lichtexposition ist daher nur bedingt aussagekräftig (Lamphar et al. 2022).

Ein direkter, kausaler Zusammenhang zwischen der aktuellen nächtlichen Außenbeleuchtung und einer Erkrankung ist also schwer nachzuweisen. Dennoch gibt es Gründe, die für einen solchen Zusammenhang sprechen. Zum einen stammen die Studien aus verschiedenen Ländern und Kulturen und die Korrelationen blieben selbst nach Korrektur für andere relevante Parameter (z. B. Rauchen, Ernährung, Bildungsniveau) bestehen. Zum anderen gibt es für diese Erkrankungen Hinweise auf kausale Zusammenhänge mit Licht und gestörten zirkadianen Rhythmen. Daher ist die Annahme zulässig, dass künstliche Beleuchtung in der Nacht das Risiko für bestimmte Erkrankungen in der Bevölkerung erhöht.

3 Mögliche Wirkmechanismen nächtlicher Außenbeleuchtung

Fast unsere gesamte Physiologie wird durch endogen erzeugte Rhythmen gesteuert, die durch Zeitgeber mit der Außenwelt synchronisiert werden. Der wichtigste Zeitgeber ist Licht, daneben spielen u. a. Temperatur, Nahrungsaufnahme und Sozialkontakte eine Rolle. Licht wird über spezielle Ganglienzellen (intrinsisch photosensitive retinale Ganglienzellen – ipRGC) in der Retina aufgenommen, die das Pigment Melanopsin enthalten (Abb. 1). Dieses Pigment ist besonders empfindlich im Bereich von 460 nm bis 480 nm, also für „blaues“ Licht, reagiert bei entsprechender Signalstärke aber auch auf langwelligeres Licht. Im Hypothalamus synchronisiert der Nucleus suprachiasmaticus (SCN) das externe Signal der ipRGC mit den endogenen Rhythmen. Bei Dunkelheit stimuliert er die Produktion des Hormons Melatonin, das den menschlichen Körper in den Ruhe- und Regenerationszustand versetzt, einen gesunden Schlaf ermöglicht, das Immunsystem aktiviert und die nächtlichen Verarbeitungsprozesse im Gehirn stimuliert.

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Abb. 1: Steuerung der Körperphysiologie des Menschen durch das zirkadiane System. Der Tag-Nacht-Wechsel im Licht wird auf der Retina durch die intrinsisch photosensitiven retinalen Ganglienzellen (ipRGC) wahrgenommen und an den Nucleus suprachiasmaticus (SCN) weitergeleitet. Dieser erhält endogene Rhythmen aus dem gesamten Körper, die durch das Ablesen von Clock-Genen erzeugt werden. Im SCN werden diese endogenen Rhythmen mit dem externen Lichtrhythmus synchronisiert. Bei Dunkelheit wird das Hormon Melatonin freigesetzt, das die Aktivität weiterer Hormone und aller Organe (z. B. Gehirn, Verdauungstrakt, Gonaden und Uterus, Herz, Lunge, Niere) steuert (Abbildung zusammengestellt von der Autorin, Einzelbilder von Servier Medical Art, https://smart.servier.com/, CC 3.0 Frankreich).
Fig. 1: Control of human physiology by the circadian system. The day-night-change of light is registered by the intrinsic photosensitive retinal ganglion cells (ipRGC) on the retina and passed on to the suprachiasmatic nucleus (SCN). The SCN synchronises endogenous rhythms produced by clock genes in various organs' tissues with the external light pattern. In darkness, the hormone melatonin is produced. It controls the activity of other hormones and of all organs (i. e. brain, digestive tract, gonads and uterus, heart, lungs, kidneys) (Figure created by the author, single icons by Servier Medical Art, https://smart.servier.com/, CC 3.0 France).

Ein natürlicher 24-Stunden-Rhythmus ist essenziell für die Erhaltung der körperlichen und mentalen Gesundheit. In der heutigen Gesellschaft erfahren wir allerdings nur noch eingeschränkt den zu Grunde liegenden Wechsel im Licht. Am Tag befinden wir uns hauptsächlich in Innenräumen mit zu schwacher künstlicher Beleuchtung und zu geringem Blauanteil im Licht, während wir in den Abendstunden keine natürliche Dunkelheit mehr erleben. Die meisten Menschen leben daher in einem andauernden Dämmerlicht, das nicht mehr für eine adäquate Synchronisation ausreicht.

Bisher ungeklärt ist die Frage, ob die Lichtexposition durch gängige Außenbeleuchtung während der Nacht eine physiologisch relevante Unterdrückung der Melatoninproduktion bewirken kann. In einer Studie von Gibbons et al. (2022) reichte die normgerechte Straßenbeleuchtung von 1,0 cd/m² (cd = Candela) bei Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern bzw. bei schlafenden bzw. ruhenden Anwohnerinnen und Anwohnern dafür nicht aus. Zu bedenken ist allerdings, dass die Leuchtdichte direkt neben den Leuchten deutlich höher ist und Straßen in der Praxis durchaus heller beleuchtet werden. Auch fehlten in der Studie Lichtimmissionen durch zusätzliche gewerbliche und private Beleuchtung. In der Realität können Menschen nachts also deutlich höheren Lichtmengen ausgesetzt sein. Problematisch ist bei solchen Untersuchungen auch die Wahl der Versuchspersonen. Phillips et al. (2019) fanden hohe interindividuelle Unterschiede in der Empfindlichkeit für Licht, nämlich zwischen 6 Lux und 350 Lux für eine 50 %ige Reduktion der Melatoninproduktion. Auch ist bisher nicht bekannt, ab welcher Melatoninreduktion ein Gesundheitsrisiko besteht, insbesondere wenn diese über einen mehrjährigen Zeitraum geschieht.

Licht kann zudem über andere Mechanismen wirken (Abb. 2), nämlich – vergleichbar mit Lärm – über die Stressachse (Münzel et al. 2021). Dies kann geschehen, wenn Licht durch Ablenkung das Einschlafen erschwert oder unerwünschtes Licht aus der Beleuchtung von Straßen bzw. benachbarten Gebäuden nachts als Eingriff in die Privatsphäre empfunden wird. In letzterem Fall ist nicht nur die Lichtexposition im Schlafzimmer relevant. So kann z. B. die Aufenthaltsqualität im Garten beeinträchtigt werden, besonders helles Licht wie von Werbeanlagen kann auch im abendlichen Wohnzimmer als störend empfunden werden. Die Notwendigkeit von Rollläden kann ebenfalls als Eingriff und damit als Stressor gewertet werden (z. B. LG Wiesbaden, Urteil vom 19.12.2001 – 10 S 46/01). Stressoren erhöhen die Ausschüttung von Kortisol und Katecholaminen (z. B. Adrenalin). Dies wiederum erhöht Blutdruck, Blutgerinnung und letztendlich das Risiko für Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkte sowie Schlaganfälle. Sie verursachen zudem, gerade bei chronischem Stress, eine Schwächung des Immunsystems, oxidativen Stress und systemische Entzündungen (Münzel et al. 2021).

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Abb. 2: Direkte Effekte künstlicher Beleuchtung bei Nacht (Melatoninreduktion, Schlafstörungen, Stress) und mögliche physiologische und gesundheitliche Folgen beim Menschen. Die verschiedenen Mechanismen im Körper können sich wechselseitig verstärken. So kann künstliches Außenlicht in der Nacht eine sekundäre Verringerung des Melatoninspiegels bewirken, indem es zu nächtlicher Aktivität und Lichtexposition aufgrund von stressbedingten Schlafstörungen und zusätzlicher Nutzung von Innenbeleuchtung führt.
Fig. 2: Direct effects of artificial light at night (melatonin reduction, sleep disturbances, stress) and possible physiological and mental consequences in humans. The different mechanisms influenced by light can interact and amplify each other. Thus, artificial outdoor light at night can cause a secondary reduction of melatonin by causing late night activity and light exposure due to stress related sleep disturbance and additional use of indoor light.

Der empfundene Stress, aber auch das direkte Vorhandensein von Licht im Schlafzimmer während der Nacht kann Schlafstörungen begünstigen, ohne die Melatoninproduktion zu unterdrücken (Brown et al. 2022). Eine reduzierte Schlafdauer oder -qualität wirkt sich nicht nur negativ auf unsere Konzentrationsfähigkeit und mentale Stabilität aus, sondern wird kausal mit erhöhtem Blutdruck, reduzierter parasympathischer Aktivität (Steuerung von Ruhe und Regeneration des Körpers), oxidativem Stress und erhöhtem Risiko für Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes in Verbindung gebracht (Atrooz, Salim 2020). Laut einer Berechnung des RAND-Instituts verringert Schlafmangel die Lebenserwartung um bis zu 13 % (Hafner et al. 2016).

Schlafstörungen allein, ohne eine physiologisch relevante Melatoninunterdrückung, könnten also Gesundheitsbelastungen durch nächtliche Außenbeleuchtung erklären. Schlafstörungen können zudem eine verstärkte Aktivität in den Abendstunden und damit eine zusätzliche Exposition gegenüber künstlicher Innenbeleuchtung und Licht aus elektronischen Geräten auslösen und so sekundär eine Melatoninreduktion verursachen, die wiederum die Schlafstörungen verstärken kann.

4 Veränderung der Aktivitätszeiten und andere Stressfaktoren

Grundsätzlich verändert künstliche Beleuchtung in der Nacht den natürlichen menschlichen Aktivitätsrhythmus. Sie ermöglicht uns, mehr Zeit mit abendlichen Aktivitäten zu verbringen, wodurch wir wiederum höheren Lichtmengen ausgesetzt sind als unter natürlichen Bedingungen. Dies führt zu einer verkürzten Schlafdauer und zu Verschiebungen des Melatoninrhythmus. So kommt es zu einer wechselseitigen Verstärkung von Aktivität und Lichtexposition mit teils unerwünschten Veränderungen der Ruhezeiten. Straßen-, Sportplatz- und Werbebeleuchtung hat einen höheren Anteil an kurzwelligem Licht als für die Abendstunden empfohlen (Brown et al. 2022). Da die Melatoninproduktion nicht unmittelbar nach Ende der Lichtexposition beginnt, kann nächtliche Außenbeleuchtung uns länger wachhalten als gewünscht.

Als Argument gegen einen physiologischen Einfluss von nächtlichem Licht wird häufig angeführt, dass hohe Helligkeit im Außenbereich während der Nacht meist in urbanen Regionen zu finden ist. An solchen Orten sind Menschen nicht nur höherer nächtlicher Helligkeit ausgesetzt, sondern auch Lärm, Luftverschmutzung oder einem Mangel an Grünflächen etwa zur Erholung. Diese Parameter korrelieren ebenfalls mit psychischen Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und einigen Krebsarten (Lane et al. 2017; Franklin et al. 2020; Münzel et al. 2021). Nächtliche Außenbeleuchtung könnte also nur ein unbeteiligter Confounder* sein, während andere urbane Stressoren die kausalen Ursachen der beobachteten Erkrankungen wären. Allerdings bleibt die Korrelation zu nächtlicher Außenbeleuchtung unabhängig von Kultur und geographischer Region auch nach statistischer Korrektur anderer Stressoren signifikant, wenn auch oft mit schwächerem Einfluss.

Es ist bekannt, dass Stressoren sich wechselseitig verstärken können bzw. dass ein Stressor dafür sorgt, dass ein anderer seine Wirkung überhaupt entfalten kann, da einzelne Stressoren die Resilienz eines Organismus gegen weitere Stressoren schwächen. In Hinblick auf nächtliche Außenbeleuchtung benötigen wir weitere Studien, insbesondere unter Berücksichtigung der individuellen Lichtexposition und des individuellen Verhaltens, idealerweise als Langzeitstudien.

5 Vorschläge zur Reduzierung von Lichtimmissionen

Auch wenn die Rolle künstlicher Außenbeleuchtung während der Nacht nicht in Gänze geklärt ist, ist es nicht ratsam, die Ergebnisse weiterer Studien abzuwarten. Bereits jetzt gibt es ausreichend wissenschaftliche Daten, die einen negativen Einfluss nächtlicher Außenbeleuchtung auf die menschliche Gesundheit nahelegen. Zurzeit konzentriert sich die Lichtplanung sehr stark auf die Bedürfnisse von Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Zukünftig sollte der Schutz von Anwohnerinnen und Anwohnern gegen unerwünschte nächtliche Lichtimmissionen in deren Privatraum stärker berücksichtigt werden, um einen negativen Einfluss auf ihre Gesundheit durch Stress oder Schlafstörungen zu minimieren.

Mit heutiger Lichttechnik lassen sich Lichtimissionen während der Nacht zwar nicht ausschließlich auf die Nutzflächen (Straßen, Fußgängerbereiche, Parkplätze etc.) beschränken, die Menge an störenden Lichtimmissionen kann aber bereits deutlich reduziert werden. Mit einer guten Gesamtplanung lässt sich zudem die notwendige Helligkeit reduzieren, v. a., wenn unnötige Blendquellen vermieden werden (z. B. nicht abgeschirmte Lampen, helle Schaufenster und Werbetafeln). Dies kann durch gezielte Ausrichtung der künstlichen Lichtquellen und anwendungsorientierte Steuerung, etwa durch zeitlich gesteuerte Dimmung und Bewegungssensorik, unterstützt werden.

Die Begründung für den hohen Blauanteil in der Außenbeleuchtung liegt im Bedürfnis nach einer hohen Farbwiedergabe und einem möglichst geringen Energieverbrauch. Eine für die Praxis akzeptable Farbwiedergabe lässt sich auch mit niedrigem Blauanteil erreichen. Gerade in Hinblick auf die ökologischen Konsequenzen hellen Lichts (siehe Hölker et al. 2023, Knop 2023 und Steiof 2023 in dieser Ausgabe) sollte bei der Wahl der Lichtfarbe nicht ausschließlich nach Kriterien der Energieeffizienz entschieden werden, sondern es sollten Leuchtmittel mit geringerem Anteil an kurzwelligem Licht gewählt werden. Solche Leuchtmittel benötigen zwar etwas mehr Energie, dies ließe sich in vielen Fällen jedoch durch bessere Lichtlenkung und adäquat niedrige Helligkeiten ausgleichen.

Nicht zuletzt sollte die Notwendigkeit jeglicher Außenbeleuchtung in der Nacht grundsätzlich und in ihrer zeitlichen Komponente hinterfragt werden. Bereits der derzeitige Versuch, eine 24-Stunden-Gesellschaft zu realisieren, in der die Aktivitätszeiten durch künstliche Beleuchtung vom natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus abgekoppelt sind, stellt nachweislich eine Belastung unserer Gesundheit dar. In vielen Bereichen wäre die Erhaltung nächtlicher Dunkel- und Ruhestunden durch Beschränkung auf absolut notwendige künstliche Beleuchtung oder gar gänzliches Abschalten aller Beleuchtung eine bedenkenswerte Maßnahme zur Erhaltung von Wohlbefinden und Gesundheit der Menschen.

6 Literatur

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Dr. Annette Krop-Benesch

Krop-Benesch Lichtwissen

Im Rassdorf 11

64342 Seeheim-Jugenheim

E-Mail: annette@krop-benesch.de

Die Autorin studierte Zoologie an der Goethe-Universität Frankfurt und forschte mehrere Jahre über die Chronobiologie von Zoo- und Wildtieren. Im Jahr 2012 übernahm sie die Wissenschaftskommunikation für den Forschungsverbund „Verlust der Nacht“. Seit 2016 arbeitet sie als freiberufliche Beraterin, Autorin und medizinische Dozentin für internationale Organisationen, Ministerien, Firmen, Lichtplaner und Kommunen. Sie ist Mitglied der Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft und des hessischen Netzwerks gegen Lichtverschmutzung. Ihr Buch „Licht aus!? – Lichtverschmutzung – Die unterschätzte Gefahr“ erschien 2019 als allgemeinverständliche Einführung in das Thema.

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