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Von der Forschung zur Praxis: Wirkung und Grenzen der Fuchsjagd am Beispiel des Auerhuhnschutzes

From research to practice: Effectiveness of restricted-area fox culls for capercaillie conservation

DOI: 10.17433/12.2020.50153857.525-531 • Manuskripteinreichung: 21.1.2020, Annahme: 15.9.2020

Jim-Lino Kämmerle, Joy Coppes, Rudi Suchant und Ilse Storch

Zusammenfassung

Der geringe Fortpflanzungserfolg vieler bodenbrütender Vogelarten in der Wald-Offenland-Matrix – darunter in Deutschland auch das Auerhuhn – wird häufig auf hohe Prädatorendichten zurückgeführt. Im praktischen Artenschutz ist die Reaktion darauf oft eine Intensivierung der Prädatorenjagd. Unterschiede in der Jagdintensität auf der Fläche haben aber unklare Auswirkungen auf Prädatorenarten und somit den Prädationsdruck auf die Zielart. Daher ist die Wirksamkeit einer räumlich und zeitlich begrenzten Prädatorenjagd häufig unklar. In diesem Beitrag verknüpfen wir verschiedene Auswertungsmodelle und nutzen deren Vorhersagen, um die Wirksamkeit verschiedener jagdlicher Szenarien für den Artenschutz räumlich zu visualisieren. Außerdem leiten wir daraus konkrete Empfehlungen für eine höhere Wirksamkeit einer Prädatorenkontrolle ab – als Beispiel dient die Fuchsjagd als Artenschutzmaßnahme zugunsten des Auerhuhns. Prädatorenkontrolle kann eine hochwirksame Maßnahme im Artenschutz sein, sie ist allerdings auch mit enormen Hürden verbunden. Um eine Wirksamkeit zu gewährleisten, sollte sie räumlich und zeitlich auf die Ökologie der Zielart abgestimmt, mindestens auf der gesamten Fläche, die für die Zielart relevant ist, koordiniert und mit maximaler Intensität durchgeführt werden.

Auerhuhn – Tetrao urogallus – Bodenbrüter – Gelegeprädation – Prädatorenkontrolle – Rotfuchs – Vulpes vulpes – Wildtiermanagement

Abstract

Many ground-nesting birds in fragmented forest landscapes suffer from low reproductive success. This is attributed in part to high mesopredator abundance. Predator control is thus commonly applied with the intention to benefit threatened prey species. However, variation in removal intensity across a relevant area (a typical scenario under German law) often has unclear effects on predator abundance and the associated predation risk, thus calling into question the effectiveness of restricted-area mesopredator culls. We combined several models into a model chain to predict the effectiveness (defined as reduction in predation risk in a relevant target area) of different spatial approaches to predator control, using red foxes (Vulpes vulpes) and capercaillie (Tetrao urogallus) as a model system. The coordinated removal of predators from the complete target area achieved the largest effect sizes and lowest variance. Effective predator control can benefit target species, but its implementation (under German hunting law) is associated with immense practical challenges. In order to be effective, removal efforts should spatially and temporally match the biology of the predator and prey species, be as intense as possible and at least focus on the whole target area.

Capercaillie – Tetrao urogallus – Ground nesting – Nest predation – Predator control – Red fox – Vulpes vulpes – Wildlife management

Inhalt

1 Einleitung

2 Material und Methoden

2.1 Ansatz

2.2 Zugrunde liegende Modelle

2.3 Bejagungs-Szenarien

3 Ergebnisse

4 Diskussion

1 Einleitung

Verlust und Fragmentierung ursprünglicher Lebensräume sind wesentliche Treiber des Rückgangs biologischer Vielfalt (Fahrig 2003; Fischer, Lindenmayer 2007). Generalistische Carnivoren wie z. B. der Rotfuchs (Vulpes vulpes) profitieren aber von Landschaften, die durch verschiedene menschliche Nutzungsformen gekennzeichnet sind (Güthlin et al. 2013; Pasanen-Mortensen, Elmhagen 2015). Dort begünstigen eine Reihe von Faktoren eine hohe Bestandsdichte des Rotfuchses: z. B. die Abwesenheit großer Beutegreifer (Elmhagen, Rushton 2007; Pasanen-Mortensen et al. 2013), die Tierseuchenbekämpfung (z. B. Tollwut; Chautan et al. 2000), die Nutzung anthropogener Nahrungsressourcen (Bino et al. 2010) und die Abnahme in der Intensität der Verfolgung. Dies kann zu einem erhöhten Prädationsdruck auf Beutetierarten des Rotfuchses führen (Prugh et al. 2009; Ritchie, Johnson 2009; siehe Übersicht in Abb. 1).

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Abb. 1: Wirkungsgefüge von Jagd, Mesoprädatorenhäufigkeit, Prädationsrisiko und der Entwicklung von Raufußhuhnpopulationen im Kontext von Lebensraum und Landschaft. Pfeile visualisieren die Effekte einer Einflussgröße auf eine andere. Prädation ist demnach nur eine – wenn auch wichtige – Komponente der Entwicklung von Raufußhuhnpopulationen. Rote Waben zeigen die Positionen der drei Modelle, die in diesem Beitrag für die Evaluation jagdlicher Strategien verwendet wurden, im Kontext des Wirkungsgefüges.
Fig. 1: Network of mesopredator removal, mesopredator abundance, predation risk and the development of grouse populations in the context of habitat and landscape composition. Arrows visualise an effect of one determinant on another. Accordingly, predation is one determinant of grouse population development amongst others, albeit an important one. The red hexagons depict the position of the three models used in the analysis of removal effectiveness in the network.

Solche Beutetierarten können bodenbrütende Vogelarten sein, bei denen ein verringerter Fortpflanzungserfolg und insbesondere erhöhte Gelegeprädationsraten beobachtet werden (Small, Hunter 1988; Kurki et al. 2000; Abb. 1). In Deutschland und Mitteleuropa gilt dies auch für Raufußhühner (Tetraonidae). Eine Abnahme der Populationsgröße und des Verbreitungsgebiets von Raufußhühnern ist über den gesamten Europäischen Kontinent hinweg zu beobachten (z. B. Jahren et al. 2016; Coppes et al. 2019). Mit dieser Entwicklung werden hohe Prädationsraten in Folge hoher Prädatorendichte in Verbindung gebracht (Baines et al. 2016; Kämmerle et al. 2017).

Hohen Prädationsraten wird im praktischen Artenschutz oft durch eine Intensivierung der Prädatorenjagd begegnet (Reynolds, Tapper 1996; Conner, Morris 2015). Die Effektivität von Prädatorenkontrolle zugunsten verschiedener Vogelarten ist experimentell zwar gut untersucht (z. B. Reviews von Côté, Sutherland 1997; Smith et al. 2010), doch die Wirksamkeit solcher Eingriffe wird in der Praxis selten evaluiert (Doherty, Ritchie 2017; Lennox et al. 2018) und ist oft durch rechtliche oder praktische Einschränkungen (z. B. Gesetzgebung, Eigentumsrechte, Ressourcen) begrenzt. Häufig gibt es auch große Unterschiede zwischen einzelnen Jagdrevieren (z. B. Langgemach, Bellebaum 2005). Hierdurch entsteht ein Mosaik verschiedener Jagdintensitäten, deren räumliche und zeitliche Dynamik unklare Auswirkungen auf Prädatorenarten und somit den Prädationsdruck auf die Zielart (d. h. die zu schützende Art) hat. In Folge dieser Unklarheit basiert die Bewertung von Prädatorenjagd zumeist entweder auf allgemeinen ökologischen Abwägungen (siehe z. B. Pegel 2004) oder auf eigener praktischer Erfahrung und ist entsprechend umstritten (Perry, Perry 2008).

In einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt sind wir der Wirksamkeit einer räumlich und zeitlich begrenzten Fuchsbejagung als Artenschutzmaßnahme zugunsten des Auerhuhns (Tetrao urogallus) im Schwarzwald nachgegangen. Da das Auerhuhn im Schwarzwald vom Aussterben bedroht ist, ist auch die Bejagung von Prädatoren als eine von vielen Maßnahmen im dortigen Managementplan vorgesehen (Suchant, Braunisch 2008). In einem Literatur-Review experimenteller Studien konnten wir bestätigen, dass Prädatorenkontrolle eine wirksame Maßnahme zugunsten von Raufußhühnern sein kann (mit Zunahmen in den gemessenen Effektgrößen von bis zu 40 %; Kämmerle, Storch 2019).

In einer Feldstudie im Schwarzwald fanden wir heraus, dass die Fuchshäufigkeit auf Jagdrevierebene unmittelbar nach einer intensiven Winterbejagung messbar reduziert war (Kämmerle et al. 2019b). Die Reduktion in der Fuchshäufigkeit war jedoch im Vergleich zur Tragfähigkeit der Landschaft klein, räumlich begrenzt und zeitlich schnell kompensiert (Kämmerle et al. 2019a, b), sodass der Effekt die kritische Brut- und Aufzuchtzeit der Auerhühner verfehlte. Wir konnten somit die mangelnde Wirksamkeit der Fuchsjagd im Sinne des Auerhuhnschutzes aufzeigen, jedoch noch keine Vorschläge für die Verbesserung der Jagd liefern.

In diesem Beitrag verknüpfen wir verschiedene Auswertungsmodelle aus dem Forschungsprojekt und nutzen deren Vorhersagen, um die Wirksamkeit (d. h. die Reduktion im Prädationsrisiko) verschiedener jagdlicher Szenarien räumlich zu visualisieren und daraus konkrete Praxisempfehlungen für eine höhere Wirksamkeit einer Prädatorenkontrolle zugunsten bedrohter Arten abzuleiten. Basierend auf den Ergebnissen diskutieren wir das Potenzial und die Grenzen von Fuchsjagd als Artenschutzinstrument.

2 Material und Methoden

2.1 Ansatz

Als Grundlage diente uns eine Reihe von Modellen, die wir zu einer Modellkette verknüpft haben (Tab. 1; Abb. 1). Mittels dieses Ansatzes haben wir die Wirksamkeit verschiedener jagdlicher Szenarien räumlich visualisiert und vergleichend untersucht. Wirksamkeit war dabei als „Reduktion im Prädationsrisiko in einer für den Schutz der Zielart relevanten Zielfäche“ definiert. Diesen Ansatz haben wir zum einen für das reale Untersuchungsgebiet der zugrunde liegenden Modelle im südlichen Hochschwarzwald in Baden-Württemberg (detaillierte Beschreibung in Kämmerle et al. 2019b) und zum anderen für ein idealisiertes Untersuchungsgebiet (Simulation) durchgeführt.

Tab. 1: Modelle der Modellkette zur Evaluation verschiedener jagdlicher Szenarien, jeweils mit Input und Output. Die räumliche Auflösung aller Daten war identisch. Siehe auch Abb. 1 für die ökologische Einordung der Modelle. RAI = relativer Häufigkeitsindex.
Table 1: Overview of the models used in the model chain to predict the effectiveness of predator removal under different scenarios. The table provides input and output parameters for all models. The spatial resolution was the same for all data. See Figure 1 for the ecological background of the models. RAI = relative abundance index.
Modell
Quelle
Input
Output
Datenformat
M1 – Fuchsdichte

Randliniendichte Wald-Offenland

Diversität der Landnutzung (Shannon Index)

Produktivität (Tage ≥ 10 °C)

Bodenqualität (Index)

Fuchshäufigkeit
Relativer Häufigkeitsindex (RAI; Anzahl Fuchsevents an Wildkamera)
Jagd
Jagdstrecken-Statistik

Jagdstrecke normalisiert mit Jagdreviergröße (Füchse/km²)

Jagdintensität (interpoliert)
Erlegte Füchse/km²
M2 – Jagdlicher Einfluss auf Fuchsdichte

Fuchshäufigkeit (RAI)

Jagdintensität (Füchse/km²)

Weitere Parameter konstant

Fuchshäufigkeit (Veränderung gegenüber Referenzwert)
Relativer Häufigkeitsindex (RAI; Anzahl Fuchsevents an Wildkamera)
M3 – Prädationsrisiko

Fuchshäufigkeit (RAI)

Weitere Parameter konstant

Prädationsrisiko (Veränderung gegenüber Referenzwert)
Risiko (0 – 1) der Kunstgelegeprädation

Reales Untersuchungsgebiet

Das reale Untersuchungsgebiet im südlichen Hochschwarzwald umfasst eine von fragmentiertem Bergmischwald dominierte Fläche von ca. 500 km² mit einer zentralen und für den Artenschutz relevanten Zielfläche von 3 000 ha, die aus dem tatsächlichen Auerhuhnvorkommen im Gebiet (Braunisch, Suchant 2006) abgeleitet wurde (Abb. 2a). In der Auswertung wurden reale Jagdreviergrenzen verwendet, um die unregelmäßige Verzahnung von Besitzverhältnissen auf der Fläche abzubilden. Die durchschnittliche Größe der Jagdreviere war sehr unterschiedlich (mit Standardabweichung von ca. 400 ha um

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Abb. 2: a) Visualisierung der drei jagdlichen Szenarien für die Bewertung der Wirksamkeit von Fuchsbejagung auf Jagdrevierebene in Simulation (sim1, sim2, sim3) und realem Untersuchungsgebiet (real1, real2, real3). Farbliche Intensitäten zeigen die erzeugte Effektstärke nach topographischem Farbschema (weiß = höchste Effektstärke; grün = keine Veränderung im Prädationsrisiko; separat für die Szenarien im realen Gebiet bzw. der Simulation). Für den räumlichen Bezug der Bejagungsschwerpunkte siehe Methodenteil (Abschnitt 2). b) Erzielte mittlere Effektgröße (Differenz im Prädationsrisiko) über die Zielfläche mit 95 %-Quantilbereich in Abhängigkeit von zunehmender jagdlicher Intensität in den beteiligten Revieren in allen Szenarien (siehe a). Eine koordinierte Jagd auf der Gesamtfläche führt jeweils zum größten mittleren Effekt bei geringster Streuung der Effektgröße über die Zielfläche (vgl. Jagd auf der Gesamtfläche in Simulation und realem Gebiet).
Fig. 2: a) Spatial model predictions of predator removal effectiveness (quantified as the change in predation risk at a site) following three scenarios for predator removal and for a simulated (“Simulation”; sim1, sim2, sim3) and real study area (“Reales Gebiet”; real1, real2, real3). Effect size corresponds to colour intensity along a topographic colour scheme (white = highest effect size; green = no difference in predation risk; separately for real and simulated study area). Crosses mark focal sites for removal effort in the models. b) Mean achieved effect size (difference in predation risk) across the whole target area (see lines in a) with 95 % quantile range, as a function of increasing removal intensity at the focal sites. A coordinated removal of foxes in both the target site and in adjacent concessions had the largest mean effect and the smallest variance both in the simulation and the real study area (compare sim3 and real3).

Simuliertes Untersuchungsgebiet

Das simulierte Untersuchungsgebiet entsprach im Verhältnis von Zielfläche zu Gesamtgröße dem realen Untersuchungsgebiet, jedoch mit deutlich reduzierter Komplexität. Es bestand aus 36 quadratischen Jagdrevieren mit einer Größe von jeweils 500 ha (gesamt 180 km²) mit einer zentralen Zielfläche von 1 000 ha in einer gleichförmigen Landschaft. Die Fuchsdichte im Gebiet wurde als konstant angenommen und auf den Mittelwert des Index der Fuchsdichte im realen Gebiet gesetzt (Kämmerle et al. 2019b).

2.2 Zugrunde liegende Modelle

Modell M1: Fuchsdichte und Bejagungsintensität

Um Unterschiede in der Fuchsdichte innerhalb des realen Untersuchungsgebiets vorherzusagen, haben wir auf ein in diesem Gebiet entwickeltes Landschaftsmodell zurückgegriffen (Güthlin et al. 2013, 2014). Dieses Modell quantifiziert Unterschiede in der Fuchshäufigkeit basierend auf vier zentralen Einflussgrößen: Fragmentierungsgrad, Diversität der Landnutzung, Produktivität und Bodenqualität. Das Modell ist damit zwar räumlich, aber nicht zeitlich explizit (d. h. keine Darstellung der jährlichen Dynamik in der Fuchsdichte). Das von uns genutzte Modell (Güthlin et al. 2014) sagt Unterschiede in einem relativen Häufigkeitsindex (RAI) vorher (Tab. 1) und basiert auf Daten aus Kamerafallen.

Unterschiede in der Bejagungsintensität und deren räumliche Effekte wurden mittels räumlicher Interpolation der standardisierten Jagdstrecken (d. h. erlegte Füchse pro km² Revierfläche) abgebildet. Es wurde eine flexible Oberfläche erzeugt, die durch die Zentralpunkte aller Jagdreviere verläuft (im R-Paket „fields“; Nychka et al. 2017). Dieser Ansatz wurde gewählt, um die Anforderungen des Folgemodells zu erfüllen, das Unterschiede in der Fuchshäufigkeit als Folge der Jagd mittels einer solchen Oberfläche quantifiziert (Kämmerle et al. 2019b).

Modell M2: Einfluss der Fuchsbejagung

Der Einfluss der Fuchsjagd auf die Fuchshäufigkeit wurde mittels eines Modells quantifiziert, das mithilfe auf Landschaftsebene erhobener Kamerafallendaten trainiert wurde (Kämmerle et al. 2019b). Dieses Modell kombiniert den vorhergesagten relativen Index der Fuchshäufigkeit und die jagdliche Intensität (Interpolation) als unabhängige Variablen und sagt damit einen veränderten Index der Fuchshäufigkeit voraus.

Modell M3: Veränderung im Prädationsrisiko

Im letzten Schritt wurden Veränderungen im Prädationsrisiko als Folge jagdlicher Effekte auf die Fuchsdichte mittels eines Modells für die Wahrscheinlichkeit der Kunstgelegeprädation vorhergesagt (Kämmerle et al. 2019a). Dieses Modell nutzte wiederum die in Modell M2 vorhergesagten Änderungen im relativen Index der Fuchshäufigkeit als Prädiktor basierend auf einem linearen Zusammenhang zwischen Fuchshäufigkeit und Kunstnestprädation (Kämmerle et al. 2019a).

Weitere Variablen (z. B. Plot-Charakteristika, Vegetationsbedeckung) wurden in dieser Auswertung konstant gehalten. Detaillierte Informationen zu den Modellen und deren Parametern sind den zitierten Primärveröffentlichungen zu entnehmen, die alle als Open-Access-Publikationen online verfügbar sind.

2.3 Bejagungs-Szenarien

Es wurden drei jagdliche Strategien auf ihre Wirksamkeit untersucht, die denkbaren Ansätzen in der Praxis entsprechen:

    Szenario 1: eine Jagd zentral auf der Zielfläche,

    Szenario 2: eine intensive Bejagung in einzelnen Jagdrevieren angrenzend an die Zielfläche und

    Szenario 3: eine koordinierte Jagd auf der Gesamtfläche der Zielfläche inklusive aller angrenzenden Jagdreviere.

Die Modellkette wurde für jedes Szenario angewandt, jeweils für das reale Untersuchungsgebiet (Szenarien real1, real2, real3) sowie in vereinfachter Form für den Simulationsansatz (Szenarien sim1, sim2, sim3). Die räumliche Verortung der Szenarien auf der Fläche ist in Abb. 2 dargestellt.

Für jedes Szenario wurden jeweils neun Unterszenarien gerechnet, in denen die jagdliche Intensität auf den bejagten Flächen jeweils zwischen 0,5 und 8,0 erlegten Füchsen pro km² variierte (54 Kombinationen; Werte von ≥ 5 Füchsen/km² entsprachen einer starken Bejagung im realen Gebiet). Die tatsächliche Fuchsdichte im realen Gebiet ist nicht bekannt, mittlere Streifgebietsgrößen von ≥ 200 ha (Kaphegyi 2002) weisen jedoch auf eine geschätzte Spanne von 2 – 5 Füchsen/km² hin (vgl. Šálek et al. 2015).

Die jagdliche Intensität auf Füchse wurde den Jagdrevieren, die als aktiv jagend gewertet wurden, entsprechend dem jeweiligen Szenario an deren Mittelpunkt zugewiesen (Kreuze in Abb. 2) und anschließend interpoliert (alle unbeteiligten Reviere erhielten den Wert 0). Eine Ausnahme bilden sim1 und real1, in denen die Bejagung zentral auf der Zielfläche verortet wurde. Für die Szenarien 1 und 2 wurde jeweils ein Bejagungsschwerpunkt pro 1 000 ha Zielfläche ausgewählt, in Szenario 3 wurden alle angrenzenden Reviere selektiert (d. h. der jagdliche Aufwand war höher).

Die räumlichen Effekte wurden jeweils bei einer jagdlichen Intensität von 6 erlegten Füchsen pro km² visualisiert (entsprechend einem sehr hohen Wert im realen Untersuchungsgebiet). Die Veränderung im Prädationsrisiko innerhalb der Zielfläche als Folge der Jagd wurde schließlich mit dem vorhergesagten Prädationsrisiko bezogen auf die Fuchsdichte im Gebiet vor der Jagd verglichen (d. h. Wirksamkeit als prozentuale Veränderung). Der gesamte Ansatz ist damit räumlich explizit, berücksichtigt jedoch keine zeitliche Kompensation durch die Fuchspopulation zwischen den einzelnen Modellschritten (d. h. zwischen M2 und M3). Die vorhergesagten Effekte entsprechen damit den erwarteten Effekten im Frühjahr unmittelbar nach Ende der Jagdzeit (bei einer konzentrierten Winterjagd im Studiengebiet).

Die Effektgröße bezieht sich auf Veränderungen im vorhergesagten Risiko einer Kunstgelegeprädation und kann daher keinesfalls absolut (d. h. im Sinne eines Effekts auf die Zielart), sondern nur relativ (d. h. im Vergleich der einzelnen Szenarien untereinander) interpretiert werden.

3 Ergebnisse

Eine koordinierte Jagd auf der Gesamtfläche (alle angrenzenden Reviere; Szenario sim3, real3) hatte die höchste mittlere Effektgröße (reduziertes Prädationsrisiko) und die geringste Varianz auf der Fläche (Abb. 2). Eine Bejagung im Randbereich angrenzend an die Zielfläche hatte die geringste mittlere Effektgröße und die größte Varianz auf der Fläche (Szenario sim2, real2). Die zentrale Jagd auf der Zielfläche erreichte mittlere Werte (Szenario sim1, real1).

Die Ergebnisse der beiden Ansätze „Simulation“ und „reales Gebiet“ glichen einander größtenteils, jedoch bei unterschiedlicher mittlerer Effektgröße. Im realen Untersuchungsgebiet lagen die mittleren Effektgrößen unter Berücksichtigung der landschaftlichen Variation sowie der asymmetrischen Besitzverhältnisse deutlich unter denen der Simulation (Abb. 2b).

4 Diskussion

Die Prädatorenjagd und ihre Angemessenheit sind gesellschaftlich umstritten. Da dabei Tiere getötet werden, fordert das Tierschutzgesetz zudem einen „vernünftigen Grund“. Falls Prädatorenjagd zugunsten gefährdeter Tierarten angewendet wird, sollte dies darum auf eine Art und Weise geschehen, die eine ausreichend hohe Wirksamkeit garantiert. Aber wie ist Wirksamkeit in diesem Zusammenhang zu beurteilen? Sie ist in der Praxis schwer zu bewerten, da sie selten quantifiziert wird (Doherty, Ritchie 2017; Lennox et al. 2018).

Der Gedanke, dass „ein toter Fuchs schon mal kein Beutetier mehr frisst“, dient deshalb so oder in ähnlicher Form häufig als Leitmotiv. Wie wir aber wissen, wird ein toter Fuchs schnell ersetzt (z. B. Newsome et al. 2014; Lieury et al. 2015). Gemeint ist damit, dass eine Prädatorenkontrolle mit jagdlichen Mitteln nur dann für die Zielart effektiv wirksam sein kann, wenn es durch die Maßnahme zu einer geringeren Kontaktrate zwischen Beute und Prädator kommt. Im einfachsten Fall wird dies durch eine jagdlich bedingte Senkung der Prädatorendichte erreicht. Sind die jagdlichen Eingriffe aber so strukturiert, dass die erlegten Tiere vor dem Zielzeitraum ausgeglichen werden (z. B. durch Einwanderung nicht-territorialer Füchse) oder die Eingriffe räumlich an der falschen Stelle wirken, dann sind die Maßnahmen für den Artenschutz nicht wirksam.

In dieser Auswertung haben wir uns der Frage einer räumlichen Diskrepanz zwischen lokalen Effekten auf Ebene der Jagdreviere und der Zielflächen für den Artenschutz gewidmet. Aufgrund des deutschen Revierjagdsystems findet eine Bejagung oft dort statt, wo eine entsprechende Motivation zur Fuchsbejagung oder wo entsprechende Ressourcen verfügbar sind, und damit nicht zwingend dort, wo es für die Zielart am relevantesten wäre (siehe z. B. Szenario real2, Abb. 2a).

Mithilfe der Modellkette konnten wir die räumlich stark begrenzte Beschaffenheit der herbeigeführten Effekte auf Fuchshäufigkeit und Prädationsrisiko visualisieren (Abb. 2a). Eine Bejagung in allen an die Zielfläche angrenzenden Jagdrevieren (sim3, real3) erreichte konstant die größten Effekte auf der gesamten Zielfläche (vgl. Varianz um mittlere Effektgrößen in Abb. 2b), jedoch mit deutlich höherem jagdlichem Aufwand. Das bedeutet, dass diese Bejagungsform auf der gesamten Zielfläche wirksam war. Zwar erreichte eine Bejagung in einzelnen Revieren am Rand der Zielfläche (sim2, real2) ebenfalls punktuell vergleichbar große Effekte (d. h. am Bejagungsschwerpunkt, Abb. 2a), jedoch waren auf großen Teilen der Zielfläche nur sehr geringe oder keine Effekte zu erwarten (grüne Flächen in Abb. 2a).

In der Praxis bedeutet dies, dass eine Bejagung in einzelnen Randlagen – ungeachtet ihrer Intensität – auf einem erheblichen Teil der Zielfläche nicht wirksam ist. Eine höhere Varianz war auch bei einer zentralen Bejagung auf der Zielfläche (sim1, real1) zu beobachten (Abb. 2b unten), jedoch stellt eine zentrale Bejagung in der Praxis möglicherweise eine kostengünstigere, wenngleich potenziell weniger wirksame Alternative dar.

Die erzielten Effektgrößen im realen Untersuchungsgebiet waren deutlich geringer als in der Simulation, auch wenn diese nicht vollständig miteinander vergleichbar sind. Dies ist auf die ungleichmäßige Verzahnung der Jagdreviergrenzen (z. B. aufgrund der Gegebenheiten des Landbesitzes), auf Unterschiede in der landschaftlichen Ausstattung (und damit in der Fuchsdichte) und auf die ungleichmäßige Form der Zielfläche (die aber den Lebensraumansprüchen der Zielart entspricht) zurückzuführen. Wenngleich die Effektgrößen in unserem Ansatz nicht in den tatsächlichen Reproduktionserfolg der Zielart übersetzt werden können, so zeigen die geringeren Effektgrößen im realen Gebiet doch die hohe Komplexität und die Grenzen der Prädatorenjagd auf großen Flächen im Kontext einer fragmentierten Waldlandschaft (z. B. im Vergleich zum oft kleinräumigen Schutz bekannter Brutgebiete von Bodenbrütern im Offenland).

Eine gezielte Bejagung kann zwar eine lokale Reduktion der Fuchshäufigkeit erreichen (Kämmerle et al. 2019b; Porteus et al. 2019). Die notwendige jagdliche Intensität auf der Fläche herbeizuführen, bedeutet in der Praxis jedoch einen hohen Aufwand, wie es z. B. beim großflächigen Raufußhuhn-Management in Großbritannien mit Berufsjägerinnen und -jägern der Fall ist. Konkret lassen sich die Herausforderungen an einem Beispiel verdeutlichen: Im realen Untersuchungsgebiet im Schwarzwald liegt die erwartete Fuchsdichte (basierend auf Streifgebietsgrößen) bei bis zu 5 Tie-ren/km²; das bedeutet, dass diese bei einer jagdlichen Intensität von 5 Füchsen/km² abgeschöpft oder überschritten wird.

Die größten Effektgrößen werden mit einer koordinierten Jagd in allen Revieren erzielt, die an die Auerhuhn-Zielfläche angrenzen (sim3; real3); davon sind im Beispiel knapp 10 000 ha Revierfläche direkt betroffen. Demnach müssten auf dieser Fläche in der Wintersaison zwischen Dezember und Anfang Februar mindestens ca. 500 Füchse erlegt werden. Das entspricht dem zwei- bis dreifachen der Jagdstrecke, die gegenwärtig mit einer stark heterogenen Verteilung der Bejagungsintensität erreicht wird.

Eine flächig intensive Bejagung über Jagdreviergrenzen hinweg ebenso wie eine zentral koordinierte Bejagung stellen damit vor allem eine enorme praktische Herausforderung dar, da diese von den Revierinhaberinnen und -inhabern selbst oder unter Einsatz von Berufsjägerinnen und -jägern realisiert werden müsste, auch wenn die rechtlichen Voraussetzungen für eine zentrale Steuerung zu Naturschutzzwecken gegeben sind (z. B. § 36 Jagd- und Wildtiermanagementgesetz Baden-Württemberg).

Weiterhin ist neben der räumlichen Verteilung der Mortalität auch der Zeitpunkt ein wichtiger Faktor für die Wirksamkeit. Für Bodenbrüter soll meistens das Prädationsrisiko in der Reproduktions-zeit gesenkt werden. Unsere Untersuchungen zeigten allerdings, dass eine durch gezielte Fuchsjagd herbeigeführte Reduktion innerhalb von ca. 10 Wochen nach Ende der Jagd schon nicht mehr nachzuweisen war und damit den für die Zielart relevantesten Zeitraum verfehlte (Kämmerle et al. 2019a, b). Eine Bejagung während der Reproduktionszeit der Zielart steht in unserem Beispiel in Baden-Württemberg aber in klarem Widerspruch zum Jagdrecht und zu dem darin enthaltenen Gedanken des Tierschutzes.

Prädatorenkontrolle kann zwar eine hochwirksame Maßnahme im Artenschutz sein, ist allerdings auch mit enormen Hürden (z. B. gesetzliche Restriktionen, Ressourcen, geringe Akzeptanz in der Bevölkerung, möglicherweise geringe Effektgrößen) verbunden. Es ist zu bedenken, dass der Eingriff wahrscheinlich wirkungslos bleibt, wenn die Bejagung nicht räumlich und zeitlich auf die Ökologie der Zielart abgestimmt ist. Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Bejagung bestenfalls auf der gesamten für die Zielart relevanten Fläche koordiniert und mit maximaler Intensität durchgeführt werden sollte. Eine koordinierte zentrale Bejagung auf der Zielfläche kann eine kostengünstigere Alternative mit potenziell geringerer Wirksamkeit darstellen. Im besten Fall wird die Wirksamkeit auch durch ein (Erfolgs)monitoring begleitet.

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Dr. Jim-Lino Kämmerle

Korrespondierender Autor

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA)

FVA-Wildtierinstitut

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: jim-lino.kaemmerle@forst.bwl.de Der Autor (Jahrgang 1988) ist studierter Umweltwissenschaftler und momentan am FVA-Wildtierinstitut der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg tätig. Er interessiert sich für angewandte ökologische Forschung an der Schnittstelle von Menschen und Wildtieren und setzt diesen Schwerpunkt zurzeit hauptsächlich am Beispiel des Auerhuhns um. In den letzten Jahren hat er zu den Auswirkungen von Fuchsbejagung an der Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement der Universität Freiburg promoviert.

NuL_12_2020_Kaemmerle_Vita.jpg

Dr. Joy Coppes

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA)

FVA-Wildtierinstitut

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: joy.coppes@forst.bwl.de

Dr. Rudi Suchant

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA)

FVA-Wildtierinstitut

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: rudi.suchant@forst.bwl.de

Prof. Dr. Ilse Storch

Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Tennenbacherstraße 4

79106 Freiburg i. Br.

E-Mail: ilse.storch@wildlife.uni-freiburg.de

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