Markus Kurth und Markus Leibenath
Zusammenfassung
Bislang ist kaum untersucht worden, wie sich die naturschutzbezogene Forschung in Deutschland in den letzten Jahren verändert hat – insbesondere mit Blick auf ökonomisch geprägte Ansätze. Um zur Schließung dieser Lücke beizutragen, wurden die Überschriften von Beiträgen,
die zwischen 1985 und 2019 in „Natur und Landschaft“ sowie „Naturschutz und Landschaftsplanung“ erschienen und in der Publikations-Datenbank DNL-online erfasst sind, quantitativ ausgewertet. Dabei zeigt sich beispielsweise, dass
„Landschaft“ zunächst häufig ist, später aber kaum noch auftaucht, während „Vielfalt“, „Biodiversität“ und „Art“ immer häufiger genutzt werden. Naturschutz wird in erster Linie als wissenschaftliche (Teil)disziplin und als Ressort der staatlichen Verwaltung präsentiert. Ökonomisch
geprägte Konzepte und Themen haben zwar einen Bedeutungszuwachs erfahren, aber auf niedrigem Niveau. Vermeintlich ökonomisch geprägte Ansätze wie das Ökosystemleistungskonzept werden zwar häufiger verwendet, allerdings weitgehend losgelöst von anderen ökonomischen Begriffen, und haben
somit eher den Charakter landschaftsökologischer Konzepte erlangt.
Naturschutz – Zeitschriftenanalyse – Lexikometrie – quantitative Trends – ÖkosystemleistungenAbstract
Recent dynamics of German conservation science have hardly been studied – especially regarding economic approaches. In order to contribute to closing this gap, we analysed quantitatively the headlines of contributions which were published between 1985 and 2019 in the two
journals “Natur und Landschaft” and “Naturschutz und Landschaftsplanung” and which are registered in the “DNL-online” publication database. The analysis shows that, for instance, “landscape” frequently appears in the early years,
but is only rarely used in later periods, while “diversity”, “biodiversity” and “species” are increasingly employed. Conservation is presented primarily as a scientific (sub-)discipline and as a branch of public administration. Economic concepts and topics receive growing attention,
although at a low level. Supposedly economic approaches such as the ecosystem services concept receive growing attention, yet largely in isolation from other economic terms, and thus have developed into technical terms within landscape ecology.
Conservation – Scientific journal analysis – Lexicometrical analysis – Quantitative trends – Ecosystem servicesInhalt
1 Einleitung
„Und was hilft es denn, wenn der Naturschutz für die Erhaltung eines Wasserfalls, eines Moores, eines Tieres, einer Landschaft kämpft, wenn auf der anderen Seite der Verbrauch aller Güter in einem Ausmaß gesteigert wird, daß er nur noch durch die Zerstörung der Natur bestritten
werden kann!“ – so schrieb Schwab (1954: 103) bereits vor über sechs Jahrzehnten. Kurz darauf warnte Engelhardt (1956: 18) hingegen vor „‚Weltverbesserern‘“, die eine „freiwillige einschneidende
Senkung des Lebensstandardes“ empfehlen und darin „auch den erstrebenswerten Weg für die Erreichung der Ziele des Naturschutzes“ sehen.
Ökonomische Themen im internationalen Naturschutz
Daran wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Naturschutz und wirtschaftlicher Entwicklung seit Langem kontrovers diskutiert wird. Das Unbehagen an Industrialisierung und Wirtschaftswachstum kann sogar als eines der Gründungsmotive des Naturschutzes betrachtet werden
(Schmoll 2006; Blackbourn 2007). Seit Mitte der 1990er-Jahre ist in der internationalen naturschutzbezogenen Forschung jedoch eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen erschienen, die sich auf
ökonomisch geprägte Konzepte wie „ecosystem services“ und „natural capital“ stützen (Chaudhary et al. 2015). Mit der Verwendung ökonomischer Argumente verbindet sich die Hoffnung, dass Naturschutzbemühungen bei politischen und
unternehmerischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern eher auf Resonanz stoßen, wenn es gelingt, sie auch als wirtschaftlich vorteilhaft darzustellen (Root-Bernstein, Jaksic 2017). Immer mehr Naturschutzprogramme und -initiativen stützten sich
daher auf ökonomische Argumente, beispielsweise das von den Vereinten Nationen koordinierte Millennium Ecosystem Assessment (MEA), das von den Umweltministerien der G8+5-Staaten in Auftrag gegebene Programm The Economics of Ecosystems & Biodiversity (TEEB) sowie die
nach dem Vorbild des Weltklimarats IPCC konzipierte Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). Ähnliche Entwicklungen gibt es auch auf der Ebene einzelner Staaten wie Schweden (Hysing, Lidskog 2018)
oder den Niederlanden (Verburg et al. 2016).
Ökonomische Themen im Naturschutz in Deutschland
In Deutschland wurden in den letzten Jahren ebenfalls intensive Debatten über das Für und Wider ökonomischer Ansätze im Naturschutz geführt (siehe die Analyse von Diskursen und Gegendiskursen in Leibenath et al. 2020). In einer
Publikation des Deutschen Bundestags wurde bereits von einer möglichen „Neujustierung der Biodiversitätspolitik“ gesprochen – „weg vom klassischen Schutzgebietsansatz […] und […] in Richtung einer stärker ökonomisch ausgerichteten Strategie“ (Deutscher Bundestag 2015: 12). Eine Analyse von Veröffentlichungen, die im Rahmen der ökonomischen Initiative „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ (TEEB-DE) erschienen sind, hat in dieser Hinsicht allerdings zu widersprüchlichen Befunden geführt: Während
einerseits eine deutlich neoliberal geprägte Sicht auf die Probleme und Herausforderungen des Naturschutzes zu erkennen ist, unterbreiten die Autorinnen und Autoren andererseits sehr heterogene – und oftmals nicht ausschließlich ökonomisch begründete – naturschutzpolitische
Empfehlungen (Leibenath 2018).
Es gibt bereits inhaltliche Analysen ökonomischer Argumente im deutschen Naturschutz (z. B. Nagel, Eisel 2003; Voigt 2015; Kirchhoff 2019). Ebenso ist
über das Für und Wider ökonomischer Ansätze im Naturschutz geforscht worden (z. B. Baumgärtner et al. 2009; Fatheuer 2014; Trepl 2014; Heiland et al. 2016).
Offen blieb indes, welche relative Bedeutung ökonomisch geprägten Themen und Argumenten in wissenschaftlichen Naturschutz-Veröffentlichungen in Deutschland – also im Verhältnis zu anderen Themen und Argumenten – zukommt, wie viel Resonanz Begriffe wie
„Ökosystemleistungen“ und „Naturkapital“ tatsächlich gefunden haben und ob diskursive Verschiebungen in Richtung ökonomisch geprägter Naturschutzkonzepte (siehe Kasten 1) zu beobachten sind, sodass von einer entsprechenden Themenkonjunktur
zu sprechen wäre. Diese Fragen sind interessant, weil Teile der wissenschaftlichen Community im deutschen Naturschutz den möglichen Mehrwert ökonomisch geprägter Begriffe und Argumente sehr betonen, zugleich aber frühzeitig deutlich geworden ist, dass es sehr starke Vorbehalte dagegen
gibt, und zwar nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis (Dehnhardt 2013). Daher könnte es sein, dass sich „Ökosystemleistungen“ und „Naturkapital“ selbst in wissenschaftlichen Kontexten viel weniger durchgesetzt haben als man mit
Blick etwa auf die zahlreichen Publikationen in Verbindung mit TEEB-DE annehmen könnte. Genau das ist bislang jedoch nicht untersucht worden.
Kasten 1: Bedeutung von „Konzept“ und „Verständnis“ im Rahmen der Studie.
Box 1: Meaning of “concept” and “understanding” in the context of the study.
Als „Konzept“ oder „Verständnis“ bezeichnen wir hier ein System sprachlicher Elemente, die im analysierten Korpus mit einer gewissen Regelmäßigkeit zueinander in Beziehung gesetzt werden. So gesehen könnte beispielsweise unterschieden werden zwischen (a) naturwissenschaftlichen
Naturschutzverständnissen, in denen „Naturschutz“ mit Elementen wie „Kartieren“, „Messen“, „Häufigkeit“, „Nahrungsbeziehung“, „Ökosystem“, „Lebensraumtyp“ und „Reproduktionsrate“ in Beziehung gesetzt wird, und (b) ethisch geprägten Naturschutzverständnissen, in denen „Naturschutz“
artikuliert wird mit „Verantwortung“, „zukünftige Generationen“ und „Eigenwert“ (vgl. die ähnlich gelagerten diskursanalytischen Definitionen von „Konzept“ und „Landschaftskonzept“ in Leibenath, Otto 2012).
Das Studiendesign
Um dieses Erkenntnisinteresse in ein Forschungsdesign zu überführen, haben wir uns für eine lexikometrische Vorgehensweise entschieden. Dabei wird in einem sogenannten Korpus von Texten (Textsammlung) die absolute oder relative Häufigkeit bestimmter Wörter und Wortgruppen
untersucht. Solche Analysen sind auch in der Naturschutz- und Nachhaltigkeitsforschung verbreitet (Kusmanoff et al. 2017; Feola, Jaworska 2019; Drupp et al.
2020). Das von uns betrachtete Korpus besteht aus den Titeln von Beiträgen, die zwischen 1985 und 2019 in „Natur und Landschaft“ sowie in „Naturschutz und Landschaftsplanung“ erschienen und in der Publikations-Datenbank DNL-online erfasst sind. Die beiden Zeitschriften wurden ausgewählt, weil sie die einzigen deutschsprachigen wissenschaftlichen Naturschutzzeitschriften mit bundesweiter Verbreitung sind. Es ist davon auszugehen, dass sie für die in diesem Bereich geführten Fachdiskussionen in
hohem Maße repräsentativ sind (für eine genauere Darstellung der Methodik siehe Abschnitt 2).
Konkret haben wir das Korpus unter dem Gesichtspunkt analysiert, welche Themen im Mittelpunkt gestanden haben, welche diesbezüglichen Veränderungsdynamiken zu beobachten sind und ob „Ökosystemleistungen“, „Naturkapital“ oder andere, thematisch verwandte Ausdrücke in den Kreis dieser
zentralen Themen aufgerückt sind (Forschungsfrage 1). Die zweite Forschungsfrage ist spezifischer angelegt und rückt die diskursive Einbettung von „Naturschutz“ in den Vordergrund: Um zu untersuchen, welche Naturschutzkonzepte im Untersuchungszeitraum dominant gewesen sind,
haben wir ermittelt, mit welchen Themen das Wort „Naturschutz“ in den Titeln in Verbindung gebracht wird, welche Naturschutzverständnisse sich darin zeigen und ob es hier eventuell zu Verschiebungen in Richtung ökonomisch geprägter Konzepte gekommen ist (Forschungsfrage 2).
Weil es sein kann, dass „Ökosystemleistungen“, „Naturkapital“ und andere ökonomisch konnotierte Wörter wie „Kosten“, „Nutzen“ oder „Effizienz“ in absoluten Zahlen gemessen zwar nicht besonders häufig vorkommen, aber doch einen relativen Bedeutungszuwachs erfahren haben, haben wir
schließlich darauf geblickt, wie sich über verschiedene Zeitschnitte hinweg die Frequenz verändert hat, mit der solche und ähnliche Wörter benutzt worden sind (Forschungsfrage 3).
Studie von Schultz (2016) im Vergleich
Für die Ausgaben von „Natur und Landschaft“, die zwischen 1920 und 2010 erschienen sind, hat bereits Alexandra Schultz (2016: 2) untersucht, „wie sich der Naturschutz im vergangenen Jahrhundert inhaltlich entwickelt hat“, „mit
welchen Themen und Fragestellungen er sich dabei befasst hat“ sowie welche „Tendenzen und Trends“ zu erkennen sind. Anhand eines Katalogs von 21 relativ weit gefassten thematischen Kategorien wie „Arten- und Biotopschutz“, „Landschaftspflege“ oder „Naturschutzökonomie“ hat die
Autorin jeden Beitrag einer Hauptkategorie und teilweise einer Nebenkategorie zugeordnet. Im Ergebnis identifiziert sie sogenannte Themenkarrieren. Hinsichtlich der uns besonders interessierenden Kategorie „Naturschutzökonomie“ kann man allerdings bis zum Ende des von Schultz gewählten
Erhebungszeitraums kaum von einer Karriere sprechen, weil sie „zu den am seltensten vergebenen Kategorien in Natur und Landschaft“ (ebd.: 180) gehört. Die Arbeit von Schultz ist aufschlussreich, beruht aber auf einem relativ groben und starren
Interpretations-Schema, das wenig Raum für Nuancen und Abstufungen lässt. Die vorliegende Studie geht in dreierlei Hinsicht darüber hinaus: Erstens berücksichtigen wir nicht nur Beiträge aus „Natur und Landschaft“, sondern auch aus „Naturschutz und Landschaftsplanung“. Zweitens ist
unsere Untersuchung deutlich feinkörniger und offener angelegt, beruht sie doch nicht auf einer interpretativen Einschätzung, ob ein Beitrag in eine bestimmte Kategorie fällt oder nicht, sondern darauf, welche Wörter in der Überschrift verwendet werden. Inhaltlich offen angelegte
lexikometrische Verfahren (Glasze 2007; Dzudzek et al. 2009) erleichtern es, auch überraschende Inhalte zu finden, die nicht bereits in einem von vornherein festgelegten Kategorien-Schema enthalten
waren. Im Gegensatz zu qualitativen Auswertungen kann ein Korpus durch eine lexikometrische Analyse erschlossen werden, ohne sofort Interpretationen vorzunehmen. Dadurch wird es möglich, „auch solche sprachlichen Muster zu erkennen, nach denen der Forschende nicht explizit gesucht hat“
(Mattissek et al. 2013: 273). Und drittens kommen wir zu aktuelleren Ergebnissen, weil wir auch das vergangene Jahrzehnt bis 2019 einbeziehen. Dieses letzte Jahrzehnt ist deswegen besonders interessant, weil es vor 2010 nur sehr
vereinzelte deutschsprachige Publikationen über Ökosystemleistungen und Naturkapital gegeben hat.
In den folgenden Abschnitten erläutern wir unsere Untersuchungsmethodik eingehender, bevor wir die Ergebnisse vorstellen und mit Diskussion und Schlussfolgerungen enden.
2 Methodik
2.1 Die ausgewählten Zeitschriften
Die Untersuchung bezieht sich auf die beiden wissenschaftlichen Naturschutzzeitschriften „Natur und Landschaft“ sowie „Naturschutz und Landschaftsplanung“. Diese Zeitschriften sind die wichtigsten Veröffentlichungsmedien für die naturschutzbezogene Forschung in Deutschland.
Gleichzeitig haben sie das Ziel, über Erfahrungen aus der Praxis zu berichten und der naturschutzbezogenen Praxis und Planung in Behörden, Verbänden und Planungsbüros Impulse zu geben. „Natur und Landschaft“ erscheint mit einer Unterbrechung (1945 – 1950) und mit
wechselnden Bezeichnungen seit 1920. Sie wird seit 1993 vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgegeben, zuvor von der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie (BFANL). „Naturschutz und Landschaftsplanung“ hingegen ist 1991 aus „Landschaft + Stadt“
hervorgegangen und wird seitdem von Personen herausgegeben, die an keine bestimmte Organisation gebunden sind.
2.2 Zusammensetzung des Korpus
Das Korpus berücksichtigt die Titel aller Beiträge, die zwischen 1985 und 2019 erschienen und in der Datenbank DNL-online des BfN gelistet sind. Bei „Naturschutz und Landschaftsplanung“ wurden auch die Jahrgänge 1985 – 1990 der Vorgänger-Zeitschrift mit einbezogen. Der
Zeitraum ist hinreichend lang, um Themenkonjunkturen und veränderte Rahmenbedingungen abzubilden und umfasst zugleich die Genese heute einflussreicher Konzepte wie z. B. nachhaltige Entwicklung. Wir haben uns ausschließlich auf die Titel der Beiträge konzentriert, also auf die
Überschriften und Unterüberschriften, und die Volltexte sowie die Abstracts außer Acht gelassen, weil allein die Titel vollständig digital vorliegen und somit keine aufwändige Digitalisierung erforderlich war.
Um zu einem aussagekräftigen und inhaltlich auswertbaren Daten-Set zu kommen, haben wir allerdings die folgenden Arten von Titeln oder Beiträgen ausgeschlossen:
● Titel eines Sonderhefts oder eines Themenschwerpunkts, der sich somit auf mehrere Einzelbeiträge bezieht (wobei die jeweiligen Einzelbeiträge durchaus berücksichtigt wurden),
● personenbezogene Beiträge wie Nachrufe, Gratulationen und Würdigungen,
● Titel, die ausschließlich aus dem Namen einer oder mehrerer Organisationen bestehen, gegebenenfalls in Verbindung mit Formulierungen wie „Aktivitäten von [Organisationsname]“ oder „Arbeitsschwerpunkte von [Organisationsname]“,
● Dubletten, also Beiträge, die in der Datenbank DNL-online mehrfach erfasst sind.
Nach dieser Eingrenzung besteht das Korpus der Untersuchung – also die Gesamtheit der analysierten Titel – aus 48 468 Wörtern in 4 513 Titeln: 2 713 Titel aus „Natur und Landschaft“ sowie 1 679 aus „Naturschutz
und Landschaftsplanung“ und 121 aus „Landschaft + Stadt“.
Das Gesamtkorpus haben wir in sieben Teilkorpora aus Fünfjahres-Scheiben unterteilt, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens ist eine wie auch immer geartete zeitliche Partitionierung nötig, um Dynamiken erfassen zu können. Zweitens ist es sinnvoll, mehrere Jahrgänge gemeinsam zu
betrachten, damit die Ergebnisse nicht durch zufällige Schwankungen zwischen einzelnen Jahren verzerrt werden. Drittens ist es aussagekräftiger, die Häufigkeit einzelner Wörter vor allem im Verhältnis zur Gesamtzahl von Wörtern eines Teilzeitraums und nicht des Gesamtzeitraums zu
berechnen, weil sich die Elemente des Gesamtkorpus sehr ungleich auf die verschiedenen Jahre verteilen. So umfasst die Titelliste der Beiträge aus den Jahren 2015 – 2019 fast doppelt so viele Wörter wie die der Jahre 1985 – 1989.
2.3 Analysemethoden und -programme
Für die Analyse wurde das Programm SketchEngine® genutzt – eines der Standardprogramme, um Worthäufigkeiten in einem Korpus digital zu errechnen (vgl. Feola, Jaworska 2019). Um zu ermitteln, welche Themen im Mittelpunkt
standen und welche Veränderungen zu beobachten sind (Forschungsfrage 1), wurde zunächst gemessen, welche Wörter in den Teilkorpora am häufigsten vorkommen. Anhand der so erstellten Listen können auch Veränderungen in der Frequenz von Wortvorkommen im Zeitverlauf berechnet werden.
Die Themen, mit denen Naturschutz in Verbindung gebracht wird (Forschungsfrage 2), haben wir über eine sogenannte Kookkurrenzanalyse identifiziert. Dabei haben wir das Lexikometrie-Programm dafür genutzt zu errechnen, welche Wörter mit welcher Häufigkeit in den Titeln vorkommen,
die auch das Wort „Naturschutz“ enthalten. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass sämtliche Beiträge in Naturschutzzeitschriften irgendeinen Naturschutzbezug aufweisen, wird längst nicht in allen Beiträgen Naturschutz explizit adressiert. Wenn man jedoch Naturschutzkonzepte im oben
beschriebenen Sinne ermitteln möchte, dann kommt es gerade darauf an, mit welchen anderen Wörtern „Naturschutz“ in Beziehung gesetzt wird. In diesen beiden Arbeitsschritten haben wir mit sogenannten Lemmatisierungen gearbeitet. Das heißt, dass unterschiedliche Beugungsformen eines Worts
wie „ökologisch“, „ökologische“ oder „ökologischen“ automatisch zu dem jeweiligen Lemma – also der Grundform – zusammengefasst wurden. In dem Beispiel wäre das „ökologisch“.
Um schließlich Aussagen über einen eventuellen Bedeutungszuwachs ökonomisch geprägter Konzepte und Themen treffen zu können (Forschungsfrage 3), haben wir literaturgestützt (anhand von: Nagel, Eisel 2003; Baumgärtner et al. 2009; Leibenath 2018) ein Set von zehn einschlägigen Schlüsselwörtern zusammengestellt; wir haben also im Unterschied zu den ersten beiden Forschungsfragen bereits eine interpretierende
Fokussierung auf bestimmte Wörter vorgenommen. Hier war es uns wichtig, nicht nur Lemmatisierungen, sondern auch Wörter und Wort-Zusammensetzungen zu berücksichtigen, die denselben Wortstamm aufweisen, zum Beispiel „effizient“, „effizienter“, „Effizienz“ und „Effizienzberechnung“, wobei
die Groß- oder Kleinschreibung keine Rolle spielt. Daher bestehen die Schlüsselwörter aus Wortstämmen, nämlich: „Effizien*“, „Koste*“, „Markt*“/ „Märkt*“, „Naturkapital*“, „Moneta*“/ „Monetä*“, „Ökonom*“, „Ökosystemdienstleist*“, „Ökosystemleist*“ und „Wirtschaft*“. Des Weiteren haben
wir den beiderseits trunkierten (durch Platzhalter versehenen) Wortstamm „*zahlung*“ verwendet, um nicht nur die Beugungsformen von „Zahlung“ und Komposita wie „Zahlungsbereitschaft“ zu erfassen, sondern auch beispielsweise „Ausgleichszahlung“.
Bei allen Analyseschritten haben wir uns auf die Wortarten konzentriert, die für die inhaltliche Analyse in erster Linie relevant sind, nämlich Nomen, Adjektive/Adverbien und Verben, jedoch nicht Hilfsverben („haben“, „sein“ und „werden“) und modale Hilfsverben („dürfen“, „können“,
„sollen“ usw.). Komplett unberücksichtigt geblieben sind darüber hinaus die Wortarten Artikel, Pronomen, Numerale, Interjektion, Konjunktion und Präposition.
3 Ergebnisse
3.1 Forschungsfrage 1
Es gibt eine Reihe von Wörtern, die zwar über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg mit großer Häufigkeit in den Überschriften der Beiträge in „Natur und Landschaft“ sowie „Naturschutz und Landschaftsplanung“ erscheinen, aber nicht auf konkrete Themen verweisen (siehe Abb. 1). Dazu gehören „Deutschland“, „Beispiel“, „Beitrag“, „Ergebnis“ und „Natur“. Andere Wörter hingegen weisen – zumindest potenziell – einen spezifischeren Themenbezug auf und unterliegen einer deutlichen Veränderungsdynamik. So
sind die Wörter „Untersuchung“ und „Bewertung“ (in Abb. 1 in gelber Schrift) sowie „Landschaft“ und „Landschaftsplanung“ (orange) in den ersten Teilkorpora sehr häufig zu finden, werden dann seltener und stehen in den letzten Teilkorpora
schließlich gar nicht mehr auf einem der 25 vorderen Ränge. Ähnlich verhält es sich mit den Wörtern „gefährdet“, „Schutz“, „Naturschutzgebiet“, „Sicherung“ und „schutzwürdig“ (rot), wobei „Schutz“ auch im jüngsten Teilkorpus wieder auf Rang 15 steht. Bildlich gesprochen
vollziehen all diese Wörter oder Wortgruppen in Abb. 1 eine Bewegung von links oben nach rechts unten.
Abb. 1: Häufigste Lemmata (Grundformen von Wörtern oder Bedeutungseinheiten) in den Zeitschnitten der sieben Teilkorpora. Die Angaben in den Klammern beziehen sich auf die Gesamtzahl von Wörtern bzw. auf die absolute Häufigkeit einzelner Wörter. Zu
Interpretationszwecken wurden einzelne Wörter und zum Teil auch mehrere sinnverwandte Wörter jeweils farblich hervorgehoben (siehe Legende).
Fig. 1: Most frequent lemmas in the time periods of the seven sub-corpora. The figures in brackets refer to the total number of words or to the absolute frequency of individual words. For interpretation purposes, individual words and, in some cases, several
related words have been highlighted in colour (see legend).
Im Gegenzug gibt es Wörter, die in den ersten zehn Jahren nicht zu den 25 häufigsten gehören, in der Mitte des Untersuchungszeitraums in den Blick geraten und gegen Ende hin statistisch signifikant häufiger benutzt werden. Sie wandern also sozusagen vom linken, unteren Rand
der Abbildung nach rechts oben. Dies gilt vor allem für „Strategie“ (pink), „Biodiversität“ und „Vielfalt“ (dunkelblau). Ein ähnlicher, wenngleich schwächer ausgeprägter Trend ist für „Umsetzung“ (pink), „Art“ und „Artenschutz“ (türkis), „Nationalpark“ (lila), „FFH-Richtlinie“,
„europäisch“ (mittelblau), „Wald“ (dunkelgrün) und „Klimawandel“ (hellgrün) zu konstatieren. Und schließlich sticht das Wort „Eingriffsregelung“ (purpur) hervor, das nur in zwei Teilkorpora zu den Top 25 gehört und daher lediglich ein vorübergehendes Verwendungshoch und keine
längerfristige Entwicklung anzeigt. Dezidiert ökonomische Wörter lassen sich in keinem der Zeitschnitte unter den jeweils 25 häufigsten Wörtern ausmachen.
3.2 Forschungsfrage 2
Schaut man ausschließlich auf die Beitragstitel, die das Wort „Naturschutz“ enthalten (siehe Abb. 2), dann fallen weniger die Veränderungen als die Kontinuitäten auf. Beispielsweise werden Wörter wie „Deutschland“, „Bundesrepublik“,
„Bundesnaturschutzgesetz“, „Naturschutzgroßprojekt“ und „national“ (in Abb. 2, in lila Schrift), die sich auf die bundesstaatliche Ebene, die zuständige Bundesbehörde oder deren Aktivitäten beziehen, in allen sieben Teilkorpora sehr häufig
in Verbindung mit „Naturschutz“ verwendet. Ähnliche Kookkurrenzen über die meisten Teilkorpora hinweg gibt es bei den wissenschaftlich getönten Ausdrücken „naturschutzfachlich“, „ökologisch“, „biologisch“ und „Ökologie“ (dunkelblau). Wie schon im Gesamtkorpus ist auch bei den Titeln, die
das Wort „Naturschutz“ enthalten, im betrachteten Zeitraum eine statistisch signifikante abnehmende Häufigkeit von „Landschaftspflege“ und „Landschaftsplanung“ (gelb) sowie von „Naturschutzgebiet“ (orange) zu beobachten, während „Vielfalt“ erst in den drei jüngeren Teilkorpora auf den
vorderen Rängen zu finden ist.
Abb. 2: Häufigste Lemmata (Grundformen von Wörtern oder Bedeutungseinheiten) in den Überschriften, die „Naturschutz“ enthalten – jeweils in den Zeitschnitten der sieben Teilkorpora. Die Angaben in den Klammern beziehen sich auf die Gesamtzahl von Wörtern
bzw. auf die absolute Häufigkeit einzelner Wörter. Zu Interpretationszwecken wurden einzelne Wörter und zum Teil auch mehrere sinnverwandte Wörter jeweils farblich hervorgehoben (siehe Legende).
Fig. 2: Most frequent lemmas in the headings containing “nature conservation” – for each time period of the seven sub-corpora. The figures in brackets refer to the total number of words or to the absolute frequency of individual words. For interpretation
purposes, individual words and, in some cases, several related words have been highlighted in colour (see legend).
3.3 Forschungsfrage 3
Hinsichtlich der Häufigkeit der von uns ausgewählten zehn Schlüsselwörter, die auf ökonomische Konzepte und Themen verweisen, lassen sich mehrere Feststellungen treffen (siehe Abb. 3). Erstens nimmt die relative Häufigkeit dieser
Wörter über den von uns betrachteten 35-Jahres-Zeitraum deutlich zu. Im ältesten Teilkorpus treten nur vier der Schlüsselwörter mit Häufigkeiten von 0,04 % oder 0,02 % in Erscheinung, während es im jüngsten Teilkorpus sechs Wörter mit Häufigkeiten von bis zu 0,19 %
sind. Zweitens haben wir es hier mit insgesamt sehr geringen Häufigkeiten zu tun. Wenn beispielsweise Wörter mit dem Wortstamm „Ökosystemleist*“ im Teilkorpus der Jahre 2015 – 2019 eine relative Häufigkeit von 0,19 % aufweisen, dann entspricht dies bei einer
Gesamtzahl von n = 8 887 einer absoluten Häufigkeit von 17. Deswegen finden sich diese Schlüsselwörter auch in keinem Teilkorpus unter den 25 am häufigsten verwendeten Wörtern (siehe Abb. 1). Drittens
stehen im Laufe des Untersuchungszeitraums unterschiedliche ökonomische Themen im Vordergrund: In den älteren Teilkorpora sind es vor allem „Koste*“ und „Effizien*“, während in den jüngsten beiden Zeitschnitten „Ökosystemdienstleist*“ und „Ökosystemleist*“ häufig zu finden sind.
Lediglich „Ökonom*“ und „Wirtschaft*“ weisen über den gesamten Zeitraum hinweg vergleichsweise hohe, wenngleich schwankende Frequenzen auf.
Abb. 3: Relative Häufigkeit ausgewählter Schlüsselwörter, die auf ökonomische Konzepte und Themen verweisen (die Prozentzahlen beziehen sich auf die Häufigkeit eines Worts im Verhältnis zur Gesamtzahl von Wörtern des jeweiligen Teilkorpus).
Fig. 3: Relative frequency of selected keywords referring to economic concepts and topics (the percentages refer to the frequency of a word in relation to the total number of words in the respective sub-corpus).
Die Schlüsselwörter mit den Wortstämmen „Markt*“/„Märkt*“, „Moneta*“/„Monetä*“, „Naturkapital*“ und „*zahlung*“ sind dagegen mit Häufigkeiten zwischen 0,00 % und 0,03 % sehr selten und spielen praktisch keine Rolle. Dies führt zum vierten, scheinbar paradoxen Befund:
Die Schlüsselwörter mit den Wortstämmen „Ökosystemdienstleist*“ und „Ökosystemleist*“ erfahren seit 2010 einen deutlichen Bedeutungszuwachs. Dieser Zuwachs ist auch im Vergleich zu den uneindeutigen Trends bei den ökonomischen Kernkonzepten wie „Effizienz“, „Kosten“, „Märkte“, „monetär“
und „Zahlungen“ statistisch signifikant und kann als Indiz dafür gelesen werden, dass „Ökosystemleistungen“ weitgehend unabhängig von ökonomischen Konzepten gebraucht wird.
4 Diskussion
Was sagen uns nun die Ergebnisse? Hinsichtlich der ersten Forschungsfrage (Themen und Veränderungsdynamiken) haben sich einige Trends gezeigt. Die steigende Häufigkeit von Wörtern wie „FFH-Richtlinie“, „europäisch“ und „Klimawandel“ belegen einmal mehr, dass der Naturschutz in
Deutschland immer stärker von Entwicklungen auf europäischer Ebene sowie von den fortschreitenden Klimaveränderungen beeinflusst wird. Überraschender ist hingegen die ausgeprägte Konjunktur von „Wald“ seit 2010. Bei genauerer Betrachtung der Wörter, die in den betreffenden
Titeln zusammen mit „Wald“ verwendet werden, erklärt sich diese Konjunktur jedoch über Verbindungen zu einigen der im Naturschutz besonders intensiv und zum Teil kontrovers diskutierten Stichworte der letzten Jahre wie „Windkraft“, „Prozessschutz“/„Wildnis“ und „FFH-Richtlinie“.
Bemerkenswert ist unseres Erachtens auch die Tatsache, dass „Landschaft“ und „Landschaftsplanung“ in den ersten fünf Teilkorpora stets auf einem der vorderen Ränge zu finden sind, dann jedoch sehr viel seltener verwendet werden, während „Vielfalt“, „Biodiversität“ und „Art“ immer
häufiger genutzt werden. Möglicherweise hat hier ein Paradigmenwechsel stattgefunden: weg von Landschaft als integrativem und stark ästhetisch geprägtem Konzept (Kirchhoff, Trepl 2009), das Menschen und außermenschliche Natur gleichermaßen
berücksichtigt, und hin zu Biodiversität als einem stärker wissenschaftlich konnotierten Konzept aus dem angelsächsischen Sprachraum, das zuvorderst auf außermenschliche Natur fokussiert ist (Jessel 2012). Ein weiterer Paradigmenwechsel deutet
sich eventuell in der Abkehr von „Untersuchung“ und „Bewertung“ sowie von „Schutz“, „Sicherung“ und „Naturschutzgebiet“ an, worunter eher expertengestützte und von staatlichen Institutionen gesteuerte Praktiken zu verstehen sind, verbunden mit der Hinwendung zu dynamischen,
politikorientierten Begriffen wie „Strategie“ und „Umsetzung“.
Das Naturschutzverständnis, das in dem von uns untersuchten Textkorpus zutage tritt (Forschungsfrage 2), ist vor allem durch Wörter mit Bezug zur bundesstaatlichen Ebene wie „Naturschutzgroßprojekt“, „national“ und der für Naturschutz zuständigen Bundesbehörde geprägt (siehe
Abb. 2 auch für den zeitlichen Verlauf). Andere Akteure wie Verbände, Städte und Gemeinden, Unternehmen oder einzelne Bürgerinnen und Bürger bleiben weitgehend außerhalb des Blickfelds. In Verbindung mit den ebenfalls sehr häufig
gebrauchten Ausdrücken „naturschutzfachlich“, „ökologisch“ und „biologisch“ entsteht eine Vorstellung von Naturschutz als behördlich-staatlicher Aufgabe mit naturwissenschaftlicher Fundierung. Insbesondere das Wort „naturschutzfachlich“ kann als Marker für die Verbindung von staatlicher
Verwaltung und ökologischer Wissenschaft gesehen werden (vgl. Haber 2006). Unter dem Strich wird Naturschutz in den von uns untersuchten Texten also in erster Linie als wissenschaftliche (Teil)disziplin und als Ressort der (bundes)staatlichen
Verwaltung präsentiert. Im Umkehrschluss könnte man schlussfolgern, dass es beispielsweise für zivilgesellschaftliche Akteure ohne das entsprechende wissenschaftliche Rüstzeug und ohne staatlich-behördliche Kompetenzen vergleichsweise schwierig sein dürfte, in einem so verstandenen
Naturschutz einen Platz zu finden. Tendenziell zeigt sich darin zudem eine Marginalisierung ästhetisch, emotional, kulturell oder sozialwissenschaftlich begründeter Ansätze des Naturschutzes und der Naturschutzforschung.
Ökonomisch geprägte Konzepte und Themen (Forschungsfrage 3) haben im wissenschaftlichen Naturschutz in Deutschland einen Bedeutungszuwachs erfahren, aber auf niedrigem Niveau. Die von manchen diagnostizierte Neujustierung unter ökonomischen Vorzeichen (Deutscher Bundestag 2015) oder gar Neoliberalisierung des Naturschutzes (Leibenath 2018) scheint vorerst – zumindest in der Breite – ausgeblieben zu sein. Wie bereits in der Diskussion zu
Forschungsfrage 2 festgestellt, ist stattdessen den altbekannten Beobachtungen, etwa von Uekötter (2008), zuzustimmen, dass der Naturschutz frühzeitig ein bis heute existierendes „Bündnis mit dem Staat“ eingegangen sei, oder von Körner (2005) und Haber (2006), dass die einstmals prominenten sozialen und kulturellen Dimensionen des Naturschutzes seit den 1960er-Jahren zugunsten einer immer stärkeren Verwissenschaftlichung zurückgedrängt
worden seien.
Wir erkennen in dem Versuch, neue Begriffe wie „Ökosystemleistungen“ und „Naturkapital“ einzuführen und eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber ökonomischen Denkansätzen zu erreichen, das Anliegen, den Naturschutz in Deutschland zu modernisieren und besser anschlussfähig zu machen
an Debatten, die außerhalb von Naturschutzkreisen in Wirtschaft und Gesellschaft geführt werden. Dieses Anliegen unterstützen wir nachdrücklich. Wir vertreten jedoch die These, die in weiteren Untersuchungen zu prüfen wäre, dass ökonomisches Vokabular und Denken in einem schwer
aufhebbaren Gegensatz zum Selbstverständnis und zu den Rationalitäten vieler Naturschutzakteure stehen. Daher hielten wir es beispielsweise für erfolgversprechender, die Schnittstellen zwischen Naturschutz und dem Ziel tiefgreifender sozial-ökologischer Transformationen zu stärken.
Entsprechende Transformationsbewegungen (beispielsweise „Fridays for Future“) haben in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung erlebt, agieren jedoch noch weitgehend getrennt von Akteuren und Organisationen des Naturschutzes in Deutschland (nähere Ausführungen und Überlegungen
dazu in Leibenath et al. 2021 und Leibenath, Kurth 2021).
Außerdem geben insbesondere die in Abb. 3 dargestellten Ergebnisse unserer Untersuchung Anlass zu der Vermutung, dass ausgehend von der Häufigkeit der Wortverwendung vermeintlich ökonomisch geprägte Ansätze wie das
Ökosystemleistungskonzept in Deutschland immer häufiger genutzt werden – dies jedoch oftmals unabhängig von ökonomischen Bezügen, da die Verwendung entsprechender Wörter nicht in gleichem Maße zunimmt. Möglicherweise haben insbesondere „Ökosystemleistungen“ und
„Ökosystemdienstleistungen“ in manchen Kontexten den Charakter landschaftsökologischer anstatt ökonomischer Konzepte erlangt und bezeichnen ähnliche Inhalte wie der ältere Begriff „Landschaftsfunktion“ (vgl. die differenzierende Diskussion in Mannsfeld,
Grunewald 2012). Diese Hypothese könnte durch eingehendere qualitative Untersuchungen geprüft werden.
Methodisch ist zu den Ergebnissen Folgendes anzumerken: Unser spezielles Korpus von Texten müsste im Kontext wissenschaftlicher Naturschutzdebatten in Deutschland, die in Teilbereichen stark internationalisiert sind, auf Differenzen zu diesen Debatten geprüft werden. Die
von uns ausschließlich untersuchten Überschriften können stets nur wenige inhaltliche Aspekte der dazugehörigen Beiträge wiedergeben, dürften jedoch die zentralen Themen der jeweiligen Artikel benennen. Für eine detailliertere Auswertung wäre zudem eine Erhebung von Volltexten oder
zumindest Abstracts und Schlagwörtern wünschenswert, um die Datenbasis zu erweitern. Weiterhin könnten in zukünftigen Untersuchungen mögliche Effekte geprüft werden, die sich bei weiterer Differenzierung zwischen den beiden untersuchten Zeitschriften sowie zwischen den unterschiedlichen
Beitragsarten (wissenschaftliche Fachbeiträge mit Review, Positionspapiere, weitere Rubriken etc.) ergeben könnten.
5 Fazit
In den Überschriften von „Natur und Landschaft“ sowie von „Naturschutz und Landschaftsplanung“ lassen sich während der letzten 35 Jahre gewisse Themenkonjunkturen erkennen. Zum Beispiel haben europäische und internationale Aspekte sowie der Klimawandel, aber auch Strategien,
Umsetzung und Biodiversität wachsende Aufmerksamkeit erfahren. Das vorherrschende Naturschutzverständnis lässt sich vor allem mit Ausdrücken wie „staatlich“, „bundesweit“, „ökologisch“ und „naturschutzfachlich“ umreißen. Dazu passt der Befund, dass ursprünglich stark ökonomisch geprägte
Wörter wie „Ökosystemleistungen“ zwar häufiger geworden sind, aber weitgehend losgelöst von sonstigen ökonomischen Stichworten benutzt werden. Offensichtlich hat die deutsche Naturschutz-Community, soweit sie Beiträge in diesen Zeitschriften veröffentlicht, einzelne Elemente des
ökonomischen Vokabulars absorbiert, das auf internationaler Ebene in den letzten 25 Jahren eine immer größere Verbreitung gefunden hat. Eine Ökonomisierung des Naturschutzes scheint damit allerdings nicht verbunden zu sein. Stattdessen steht hier nach wie vor ein
staatszentriertes, naturwissenschaftlich-bürokratisches Naturschutzverständnis im Vordergrund.
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Förderung
Der Beitrag ist im Rahmen des Projekts „Regieren mit ‚Ökosystemleistungen‘: Veränderungen von Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens in der deutschen Naturschutz- und Landschaftspflegepolitik“ entstanden, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem
Geschäftszeichen LE 2255/4-1 (Projektnummer 320 283 583) gefördert wird.