Karsten Grunewald, Roland Zieschank
und Beyhan Ekinci
Zusammenfassung
Mehr als 50 Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Praxis trafen sich im November 2021 in Hannover zur zweiten Nationalen
Konferenz für ein Ecosystem Accounting in Deutschland, um den gegenwärtigen Stand und die anstehenden Herausforderungen in diesem
Forschungs- und Entwicklungsfeld zu erörtern. Das Thema des Ecosystem Accountings – auch als Natural Capital Accounting bezeichnet –
gewinnt nicht nur auf gesamtwirtschaftlicher Ebene an Bedeutung, sondern inzwischen auch bei Unternehmen und im Finanzsektor. Darüber
hinaus ist seit der ersten Nationalen Konferenz zum Ecosystem Accounting in Deutschland im März 2020 eine neue internationale Dynamik
zu verzeichnen. Vor allem gewinnt das nun vorliegende UN-Statistiksystem zum Ecosystem Accounting (System of Environmental Economic
Accounting – Ecosystem Accounting – SEEA-EA), das seit März 2021 in großen Teilen als internationaler Standard gilt, für die weitere
Ausarbeitung und Gestaltung von Ökosystembilanzierungen in Deutschland erheblich an Bedeutung.
Biodiversität – Gesellschaftlicher Wohlstand – Naturkapital – Ökosystemleistungen – Politische Entscheidungsgrundlagen – Umweltindikatoren – Umweltökonomische Gesamtrechnungen – WirtschaftsberichterstattungAbstract
More than 50 experts from science, politics and practice met in Hanover in November 2021 for the 2nd National
Conference for Ecosystem Accounting in Germany to discuss the current status and upcoming challenges in this field of research and
development. The topic of ecosystem accounting – also known as natural capital accounting – is gaining importance not only at the
macroeconomic level, but now also among companies and in the financial sector. Furthermore, since the 1st National
Conference on Ecosystem Accounting in Germany in March 2020, a new international dynamic has been established. Above all, the UN
Statistical System on Ecosystem Accounting (System of Environmental Economic Accounting – Ecosystem Accounting – SEEA-EA), which has
become an international standard in large parts since March 2021, is gaining considerable importance for the further development and
design of ecosystem accounting in Germany.
Biodiversity – Societal well-being – Natural capital – Ecosystem services – Policy-making – Environmental indicators – Environmental economic accounts – Economic reportingInhalt
1 Einleitung
Die zweite Nationale Konferenz für ein Ecosystem Accounting in Deutschland (https://bit.ly/2_Nat_Konferenz_2021), die im November 2021 in Hannover stattfand, wurde im Rahmen des Forschungs- und
Entwicklungsprojekts (F + E-Projekts) des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) „Ökosystemleistungen und
Umweltökonomische Gesamtrechnung (Accounting II)“ durchgeführt, das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Umweltministeriums
(BMUV) gefördert wird (Abb. 1). Mitausrichter und Kooperationspartner der Veranstaltung war
das deutsche Team des EU-Projekts „MAIA“ (Mapping and Assessment for Integrated Ecosystem Accounting),
angesiedelt an der Leibniz Universität Hannover (LUH).
Abb. 1: Sitzungsatmosphäre auf der zweiten Nationalen Konferenz für ein Ecosystem Accounting in Deutschland, Hannover, 8. – 9.
November 2021.
Fig. 1: Meeting atmosphere at the 2nd National Conference for Ecosystem Accounting in Germany, Hannover, 8 – 9
November 2021.
2 Politischer Hintergrund – Wohlstand auf Kosten der Natur
Auf internationaler und europäischer Ebene gibt es zur Berücksichtigung von Ökosystemen in staatlichen Berichtssystemen schon länger
politische Zielfestlegungen (Sustainable Development Goals – SDGs für 2030, Biodiversitätsziele global und in der EU
für 2020), die auch in dem neuen globalen Post-2020-Rahmen für Biodiversität (Convention on Biological Diversity 2021 –
COP 15) aufgegriffen wurden. Aktuell werden diese Ziele von verschiedenen Organisationen wie der UN und der International
Union for Conservation of Nature (IUCN) sowie auf EU-Ebene vorangetrieben. So fordert die
EU-Biodiversitätsstrategie 2030 die Förderung einer internationalen Initiative zur Bilanzierung des Naturkapitals (Europäische Kommission 2020). Die Berücksichtigung von Ökosystemen und deren Leistungen in den
Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR) würde daher einen Meilenstein bei der ökonomisch-ökologischen Berichterstattung und darauf
begründbaren politischen Entscheidungen bedeuten (Zieschank et al. 2018; Grunewald et al. 2019).
Bei der Einbeziehung der Ökosysteme in die UGR sind jedoch noch vielfältige methodische und datentechnische Detailprobleme zu lösen.
Für Deutschland wäre es aber wichtig, deutlich zu machen, wie stark der zentrale Wirtschaftsindikator „Bruttoinlandsprodukt“ von den
Leistungen der Natur abhängt und inwieweit gesellschaftlicher Wohlstand letztlich auch auf der Degradierung unserer Lebensgrundlagen und
dem Verlust an Biodiversität beruht. Insofern sind die Aussagen im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 der Bundesregierung ermutigend (SPD et al. 2021: 32): „Wir wollen im Jahreswirtschaftsbericht eine Wohlstandsberichterstattung
integrieren, die neben ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Dimensionen des Wohlstands erfasst.“
Inhaltlich ging es auf der interdisziplinären Konferenz im November 2021 in erster Linie darum, das Ecosystem Accounting mit
Unterstützung des Statistischen Bundesamtes in Deutschland weiter voranzubringen und zu diskutieren: Welche
Ökosystemleistungen (ÖSL) sind prioritär zu untersuchen und zu bewerten, wer beteiligt sich an einer Kooperation
der Informationserstellung, wo ist der fachliche und politische Bedarf, welche Notwendigkeiten für eine bessere institutionelle
Verankerung ergeben sich, was könnten die nächsten Schritte sein?
3 Umwelt- und naturschutzpolitische Bedeutung des Ecosystem Accountings
Das Konzept des Ecosystem Accountings könne als Bindeglied zwischen dem Naturschutz und allen anderen Politikbereichen genutzt
werden. Das machten sowohl Roland Zieschank, Projektleiter am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung gemeinnützige GmbH
(IZT) in Berlin, in seinen einführenden Worten als auch Christiane Schell, Abteilungsleiterin Grundsatzangelegenheiten, Integrativer
Naturschutz und nachhaltige Nutzung am BfN, zu Konferenzbeginn deutlich.
Indem über das Accounting Zusammenhänge auch zu ökonomischen Aktivitäten und deren Veränderungen aufgezeigt würden, eröffne sich die
Möglichkeit, Veränderungen bei Ökosystemen und daraus resultierende veränderte ÖSL in Sektoren einzubeziehen, die sich mit Themen wie
nachhaltige Entwicklung, nachhaltige Finanzen, Wasser, Gesundheit und Klimawandel befassen würden. Darüber hinaus könnten Fragestellungen
beantwortet werden wie: Wieviel Grünland wurde in Ackerland umgewandelt? Wie teilt sich die Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und
Verkehr auf Ackerland, Grünland, Gebüsche etc. auf oder werden festgesetzte Überschwemmungsgebiete in Flussauen weiter überbaut?
Sowohl Christiane Schell (BfN) als auch Roland Zieschank (IZT) sahen die Chance, dass diese neue Berichtsform zu einer höheren
Wertschätzung von Biodiversität in Deutschland beitrage. Die Argumente des fachlichen Naturschutzes verlören indessen dadurch nicht an
Einfluss, sie sollten jedoch um ökonomisch-werthaltige Argumente ergänzt werden. Dies zeige sich nicht zuletzt anhand des Problems, dass
Standorte mit seltenen Arten in der Regel nicht „produktiv“ im Sinne von ÖSL seien, allenfalls im Sinne eines erweiterten Verständnisses
„kultureller“ ÖSL. Im Ergebnis würde ein systematisches Ecosystem Accounting auf Bundesebene jedoch eine bessere Grundlage für politische
Entscheidungen ermöglichen, z. B. über die Zuweisung von Mitteln für die Renaturierung geschädigter Ökosysteme im Sinne einer aktiven
Wiederherstellung eines möglichst naturnahen Zustands sowie über Investitionen in grüne Infrastruktur. Schließlich würde sich die
Naturschutzpolitik weiterentwickeln, von einer Schutzstrategie zu einer Investitionsstrategie in Naturgüter als
Teil des gesellschaftlichen Wohlstands und Wohlergehens.
4 Stand der Konkretisierung des Ecosystem Accountings in Deutschland und der EU
Ecosystem Accounting ist ein komplexes und interdisziplinäres Thema (siehe Kasten 1).
Deshalb sind ein gemeinsames Ziel sowie eine für alle Seiten verständliche Sprache notwendig. Zudem sind allgemein akzeptierte
Bewertungsmethoden basierend auf geeigneten Indikatoren sowie effektive Kommunikationswege erforderlich. Dieser Prozess wurde auf der
Konferenz in einer kooperativen Atmosphäre deutlich vorangetrieben.
Kasten 1: Verständnis von Ecosystem Accounting sowie Bezüge zur Initiative „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB)
und zu Unternehmensbilanzen.
Box 1: Understanding of ecosystem accounting and references to the initiative “The Economics of Ecosystems and
Biodiversity” (TEEB) and to corporate balance sheets.
Im Kern geht es beim Ecosystem Accounting darum, die vielfältigen Leistungen der Natur für die Gesellschaft zu erfassen, zu
dokumentieren und die Ergebnisse öffentlich zugänglich zu machen, damit sie in Entscheidungsprozesse auf verschiedenen Ebenen
integriert werden können. Aus Sicht der amtlichen Statistik handelt es sich um ein „objektives buchhalterisches System“, das kohärente
Daten zu Ausmaß, Zustand und Leistungen der Ökosysteme des Landes enthält, über das berichtet wird.
Viele Ökosystemleistungen (ÖSL) sind öffentliche Güter und die ökonomische Perspektive ist nur ein (ergänzender) Weg, um die Werte
der Natur und ihre vielfältigen Leistungen aufzudecken. Hierzu kann u. a. aus den Erfahrungen von TEEB-Deutschland (https://www.ufz.de/teebde/) gelernt werden. Bernd Hansjürgens, Leiter des
Themenbereichs Umwelt und Gesellschaft sowie des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) zog im ersten
Vortragsblock zwei Schlussfolgerungen: Der Zusammenhang bzw. Konflikt zwischen privatem Nutzen und gesellschaftlichen Kosten zeige sich
eklatant am Beispiel des Maisanbaus auf Moorböden. Insofern gelte es „vom Ziel her zu denken“ und vor allem Landnutzungsänderungen zu
erfassen, statt umfangreiche Biodiversitätsindizes zu entwickeln. Außerdem gelte: Viele Ökosystemdaten zu entsprechenden Leistungen
seien bereits als solche sinnvoll – auch ohne eine Monetarisierung.
In der Ökonomie gebe es Ansätze zu einer „ökologischen Marktwirtschaft“. Das heißt, Preise sollten die ökologische Wahrheit sagen
und Werte der Natur sollten die bisherige einseitige Orientierung an Wirtschaftswachstum auf der Makro-Ebene oder an
Unternehmensgewinnen auf der Mikro-Ebene ergänzen. Dies bedeute zum Beispiel, dass die Folgewirkungen der Aktivitäten von Unternehmen
auf die Natur über ein Naturkapital-Accounting messbar und überprüfbar sein sollten und sich dadurch der unternehmensinterne „Kompass“
ändern könne. Auf diese Überlegungen gingen auch Johannes Förster vom UFZ Leipzig und Jörg von Walcke, Vertreter der Value Balancing
Alliance (VBA), im vierten Vortragsblock ein.
Seit der ersten Nationalen Konferenz zum Ecosystem Accounting in Deutschland im März 2020 ist eine neue internationale Dynamik zu
verzeichnen, die v. a. durch das nun vorliegende UN-Statistiksystem zum Ecosystem Accounting (System of Environmental
Economic Accounting – Ecosystem Accounting – SEEA-EA) geprägt wird, das seit März 2021 in großen Teilen als
internationaler Standard gilt (UN 2021, Abb. 2:
Buchtitel der United Nations 2021/Fig. 2: Book cover by United Nations 2021). Dies hat für die weitere Ausarbeitung und Gestaltung von
Ökosystembilanzierungen in Deutschland erhebliche Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund umfassten die Schwerpunkte der zweiten Nationalen Konferenz eine Beurteilung der Chancen wie auch der
Herausforderungen des SEEA-EA sowie eine Bestandsaufnahme wesentlicher Projekte und bereits laufender Aktivitäten in Deutschland. Damit
verbunden waren u. a. Erörterungen hinsichtlich ökosystemarer Zustandsbilanzen, zukünftiger Biodiversitätsbilanzen und Fragen der
Erfassung kultureller ÖSL (siehe Kasten 2). Dass hier methodische, normative, institutionelle
und umweltpolitische Aspekte eng miteinander verknüpft seien, mache das Thema für die Forschungsseite durchaus spannend, führe aber auf
Seiten politischer Adressaten und möglicher gesellschaftlicher Nutzerinnen und Nutzer leicht zu Intransparenz, wenn nicht gar zu Barrieren
der Informationsnutzung, wie u. a. der Politikwissenschaftler Roland Zieschank (IZT) in seinem Einführungsreferat analysierte. Die
Konferenz verstand sich insofern nicht nur als Bestandsaufnahme zum „State of the Art“ und als fachliche Wissensdrehscheibe, sondern die
Initiatoren beabsichtigten erstmals, auch den Dialog mit Stakeholdergruppierungen aufzunehmen, um über die zukünftige Ausgestaltung des
Ecosystem Accountings eine Wertschätzung von ÖSL und Biodiversität in weiteren Kreisen der Gesellschaft (neu) zu begründen.
Kasten 2: Ökosysteme und deren Leistungen.
Box 2: Ecosystems and their services.
Ein Ökosystem wird durch seine Lebensgemeinschaft (Biozönose) und deren Lebensraum (Biotop/Habitat) gekennzeichnet. Es lassen sich
ökologische Einheiten abgrenzen. So unterscheidet der Ökosystematlas des Statistischen Bundesamtes die Abteilungen Siedlungsflächen und
Verkehrsinfrastruktur, Wälder und Gehölz, Agrarland, semi-natürliches Offenland, Binnengewässer sowie Meeresgewässer, die weiter in 74
Klassen gegliedert werden (siehe https://www.destatis.de/DE/Service/Statistik-Visualisiert/Oekosystematlas/_inhalt.html).
Ökosystemleistungen (ÖSL) beschreiben Güter und Leistungen, die von der Natur erbracht und von Menschen genutzt werden. Dies sind
Versorgungsleistungen (z. B. Bereitstellung von Nahrung), Regulationsleistungen (z. B. Erosionsschutz) und kulturelle Leistungen (z. B.
für naturnahe Erlebnisse und landschaftliche Grundlagen des Tourismus). Außerdem bilden Basisleistungen wie Bodenbildung die Grundlage
für diese ÖSL-Kategorien. Einen aktuellen Bericht über Ökosysteme, Ökosystemzustände und -leistungen in Deutschland liefern Grunewald
et al. (2021).
Zu Beginn wurden Rahmenbedingungen und Arbeiten weltweit (SEEA-EA) sowie in der EU durch Jan-Erik Petersen erörtert, der als
langjähriger Ecosystem-Accounting-Experte im Programm „Natural Capital and Ecosystems“ der Europäischen Umweltbehörde (European
Environment Agency – EEA) arbeitet. Er führte u. a. aus, dass ein EU-Gesetz zum Ecosystem Accounting in Vorbereitung sei.
Zugleich wurde das Problem deutlich, dass für die europäische Ebene bei der Beschreibung von Ökosystemzuständen gegenwärtig nur ein bis
zwei Variablen für jeden Ökosystemtyp in Betracht gezogen werden (könnten). Hintergrund sei zum einen die Verfügbarkeit geeigneter
Monitoringdaten in den beteiligten Staaten, zum anderen die begrenzte Personalkapazität der EEA. Dies wiederum erscheine aus der Sicht von
Ökosystemforscherinnen und -forschern als ungenügend, sodass eine Botschaft aus der Konferenz ist, zukünftig mehr in (zielführende)
Datengrundlagen zu investieren.
Sven Kaumanns, Referatsleiter Monetäre UGR und Nachhaltigkeitsberichterstattung am Statistischen Bundesamt, schloss mit
Einschätzungen zum Status des Ecosystem Accountings im Kontext der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) und UGR aus deutscher
Sicht an (Abb. 3). Während der Beschluss der Statistikkommission der UN hinsichtlich der
Kapitel 1 – 7 des neuen SEEA-EA-Regelwerks nun als Standard gelte, bestehe eine Kontroverse fort, was die monetäre Bewertung und
integrierende Bilanzierung von Ökosystemen bzw. deren Wert als „assets“ anbelange. Mit der Gründung einer Task Force „Sustainability and
Wellbeing“ beginne außerdem eine intensivere Diskussion um eine mögliche Revision der internationalen VGR.
Abb. 3: Aufbau eines bundesweiten Ecosystem Accountings.
(Quelle: Statistisches Bundesamt 2021)
Fig. 3: Structure of nationwide ecosystem accounting.
(Source: Federal Statistical Office 2021)
Mit der Erweiterung der EU-Verordnung 691/2011 (statistische Berichtspflichten für EU-Mitgliedsstaaten) um zusätzliche Anhänge würden
die Datengewinnung und -dokumentation sowie deren methodische Verarbeitung in den Mitgliedsstaaten angepasst. Sie beinhalte auch
Neuerungen zu Ergebnissen der Waldgesamtrechnung, zu den umweltbezogenen Subventionen und ähnlichen Transferzahlungen sowie – hier
besonders hervorzuheben – zu den Ökosystemgesamtrechnungen, die für Deutschland ab 2026 avisiert würden. Erste Ergebnisse aus dem
Ecosystem Extent Account als Grundlage für alle weiteren Accounts wurden anschließend von Mitarbeitern des Statistischen Bundesamtes
präsentiert (Johannes Oehrlein, Simon Schürz). Als ein wichtiges Kriterium für Fortschritte wurde die öffentliche Datenverfügbarkeit
diskutiert.
Die Arbeitsschwerpunkte und vorläufigen Ergebnisse des Accounting-II-Projekts stellten der Projektleiter Karsten Grunewald und
Ralf-Uwe Syrbe (beide IÖR) vor. Aufbauend auf Beispielfällen für ein erstes Ecosystem Accounting (Grunewald et al. 2021) würden Methoden weiterentwickelt und weitere ÖSL erarbeitet, z. B. zur Kohlenstoffspeicherung und
Vermeidung von Klimagasen. Unterstützung für das deutsche Ecosystem Accounting biete das EU-Horizon-2020-Projekt MAIA (https://maiaportal.eu) über Informationsmaterialien, Schulungsangebote (Workshops und
Webinare) und spezielles Methodentraining, wie Benjamin Burkhard, Sabine Lange (beide LUH) und Beyhan Ekinci (BfN) berichteten.
Fragen zu Herausforderungen und SEEA-EA-Ansätzen der Ecosystem Condition Accounts (welche Daten und Parameter, mit welchen
Zielsetzungen, für welche Ökosysteme?) wurden durch Karsten Grunewald (IÖR) und Marius Bellingen (Statistisches Bundesamt) thematisiert.
Schon Anfang 2023 sollen offiziell erste Accounts vorliegen und es werde parallel auch an der Berechnung von ÖSL in physischer und
monetärer Form gearbeitet. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit des Themas beim Statistischen Bundesamt – die erforderlichen
Ressourcen seitens des Amtes werden dafür bereit gestellt. Über die Mitgliedschaft im UN Committee of Experts on
Environmental-Economic Accounting (UNCEEA) und in der London Group on Environmental Accounting sowie in der intensiven
Zusammenarbeit mit Eurostat werden die Arbeiten am Statistischen Bundesamt zugleich international widergespiegelt.
5 Forschungslandschaft in Deutschland und grundsätzliche Herausforderungen
Das Statistische Bundesamt kann ein deutsches Ecosystem Accounting nicht allein bewerkstelligen. Neben der Unterstützung hinsichtlich
Bewertungsmethoden, bspw. durch die Methodenkonvention 4.0 des Umweltbundesamtes (UBA) oder durch das Projekt ValuGaps des Deutschen
Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv, vertreten durch Martin Quaas), geht es insbesondere um die Datenbereitstellung zur
Erfassung verschiedener Ökosysteme. Das Statististische Bundesamt verstehe sich hier primär als „Buchhalter“ von Daten und sei dabei auf
externe Datenlieferungen verschiedener anderer Organisationen und der Forschung angewiesen. Nur so könne letztlich die Bedeutung der
Multifunktionalität von Ökosystemen und ihrer wirtschaftlichen Vorteile durch deren Leistungen dokumentiert und sichtbar gemacht werden.
Ecosystem Accounting erfordere damit eine kontinuierliche Erfassung von Daten zum Umfang und Zustand von Ökosystemen über die 6- bzw.
10-jährigen Berichtszyklen der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie oder der Bundeswaldinventur
hinaus.
Die Notwendigkeit einer regelmäßigen Dokumentation würde umgekehrt aber auch Umfang und Aktualität der naturschutzrelevanten
Datenbanken verbessern, wie Beyhan Ekinci vom BfN betonte. Viele Daten und Indikatoren würden bislang im Rahmen der sektoralen
Umweltbeobachtung von Institutionen wie UBA, BfN, Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG), Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) und Thünen-Institute regelmäßig erhoben (Auen-, Wald-, Gewässerzustand etc.). Das Thema der besseren Vernetzung für diverse
Umweltdaten-Pools, Datenlabore (Kabinettsbeschluss der Bundesregierung vom 27.1.2021), Monitoringzentren und Statistiken (inklusive UGR)
ist ein wichtiges Anliegen der Umwelt- und Naturschutzbehörden wie auch der Forschungseinrichtungen. Wie das Datenmanagement für das
Ecosystem Accounting konkret ausgestaltet wird und welche Rolle im Aufbau befindliche neue Institutionen wie das Nationale
Monitoringzentrum für Biodiversität (NMZB, https://www.monitoringzentrum.de/) und die Nationale Forschungsdateninfrastruktur(NFDI, https://www.nfdi.de/) einnehmen werden, soll in naher Zukunft in Expertenforen geklärt
werden.
In diesem Kontext brachten die Vertreter der Thünen-Institute für die Bereiche Waldwirtschaft (Peter Elsasser) und Agrar/Klima/Boden
(Nikolas Lampkin, Bernd Osterburg) wichtige neue Impulse in die Diskussion ein. Dabei ging es einerseits um Daten für Ökosysteme wie Wald
und Moore sowie Bewertungen und Aggregierungen. Andererseits wurden aber auch nachhaltigere Landnutzungen, Bestände und Leistungen dieser
Ökosysteme thematisiert und beziffert. Darauf aufbauend könnten schließlich die Fragen zu einer zukünftigen Honorierung für öffentliche
Güter und Leistungen fundierter erörtert werden.
Das als Teil der Ecosystem Accounts vorgesehene Biodiversitäts-Accounting betreffe neben der Erfassung von Biotopen auch eine
Quantifizierung von Artenbeständen über das bisherige Vogelmonitoring hinaus (Beyhan Ekinci, BfN). So könnte endlich eine wichtige
Wissenslücke bei der Einschätzung von Stand und Trend der biologischen Vielfalt in Deutschland geschlossen werden. Eine regelmäßige Bilanz
würde die Rolle des Naturschutzes für die Erhaltung der Lebensgrundlagen deutlicher machen und könnte insofern auch das „Mainstreaming“
von Naturschutzbelangen in andere Politikbereiche unterstützen.
Es sei dabei hilfreich, Belange des Naturschutzes explizit in ökonomische Szenarien für die Politikberatung zu integrieren – hier
bestünden seit Jahren erhebliche Defizite aufgrund des Beharrungsvermögens traditioneller ökonomischer Sichtweisen. Auch für Unternehmen
würde es dann – nach anfänglichem Aufwand – einfacher werden, mithilfe von Ökobilanzen für Produkte, die ebenfalls die Datengrundlage der
UGR nutzten, die Nachhaltigkeit beispielsweise ihrer Lieferkette zu optimieren.
Erste Statements seitens potenzieller Nutzer eines Ecosystem Accountings wurden auf der Konferenz vom World Wide
Fund (WWF) Deutschland (Matthias Kopp), dem Deutschen Verband für Landschaftspflege e. V. (Sönke Beckmann) sowie dem Deutschen
Forstwirtschaftsrat e. V. (Franz Thoma) eingebracht. Die wissenschaftlichen Fortschritte bei der Erfassung von ÖSL, nicht zuletzt in
monetärer Form, könnten eine wichtige Basis bilden für eine anstehende gesellschaftliche Honorierung von Leistungen der Landwirte sowie
Forstwirte zur Erhaltung intakter Ökosysteme und Biodiversität – Leistungen, die nun als „öffentliche Güter“ verstanden würden.
Schließlich war an der Diskussion um das neue SEEA-EA zu erkennen, dass die ökonomische Bewertung physischer ÖSL als Teil der UGR ein
weiterhin umstrittenes Thema ist. Besonders schwierig ist die Frage, wie die biologische Vielfalt als Wert an sich („Existenzwert“)
thematisiert werden kann und ob es hier ebenfalls monetäre Werte geben sollte. Das SEEA-EA Konzept spricht hier von „ecosystem and species
appreciation services“, also von Leistungen für die Wertschätzung von Lebensräumen und Arten (Beitrag von Burkhard Schweppe-Kraft, BfN
i. R.; Abb. 4). Die Diskussion, welche Methoden der ökonomischen Bewertung aus Sicht der
„Community“ geeignet und weithin akzeptiert seien, werde ein zentraler Baustein bei der weiteren Entwicklung des Ecosystem Accountings
sein. Dies wurde nicht zuletzt im Beitrag von Martin Quaas (iDiv) und seinen Erläuterungen zur Terminologie von Naturkapital deutlich,
einschließlich der damit verbundenen Frage des Umgangs mit Unsicherheit. Auf EU-Ebene bietet inzwischen das KIP-INCA Projekt
(Knowledge Innovation Project on Integrated System for National Capital and Ecosystem Services
Accounting in the EU) – neben den oben erwähnten Kapiteln des SEEA-EA-Konzepts – gleichfalls ein Spektrum an methodischen
Bewertungsverfahren an (siehe European Environment Agency et al. 2021).
Abb. 4: Biotopwert der Ökosysteme Deutschlands nach der Punkteskala der Bundeskompensationsverordnung zur Eingriffsregelung.
Fig. 4: Biotope value of Germany's ecosystems according to the point scale of the Federal Compensation Ordinance for the Impact
Regulation.
Johannes Förster vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig informierte stellvertretend über ein weiteres
Projekt, das enge Bezüge zur Integration eines Ecosystem Accountings in die UGR aufweist, in einem zentralen Baustein aber auch darüber
hinausgeht. Das Projekt „Bio-Mo-D: Wertschätzung von Biodiversität – zur Modernisierung der Wirtschaftsberichterstattung in
Deutschland“ (https://bio-mo-d.ioer.info) ist im Herbst 2021 gestartet
und basiert auf der Annahme, dass sich die bessere Berücksichtigung von Ökosystemen sowohl auf der Ebene staatlicher Berichterstattung als
auch auf der Ebene von Unternehmensberichten im Effekt auf die gesellschaftliche Wertschätzung von Biodiversität auswirken werde.
Untersucht werden sollen Unterschiede, Schnittstellen und Synergien zwischen der Makro- und der Mikroebene von
Accountingansätzen.
Das wichtige Themenfeld, welche politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zur Etablierung eines Ecosystem
Accountings bereits vorhanden sind und welche zusätzlichen Ressourcen und sonstigen Voraussetzungen, v. a. für die Datengewinnung,
erforderlich sind, konnte aus zeitlichen Gründen nicht mehr tiefer erörtert werden. Das eingangs genannte Forschungsprojekt des BfN will
sich in einem nächsten Schritt intensiver mit der Frage befassen, welche Funktion ein wissenschaftliches, politiknahes Begleitgremium
haben könnte und welche institutionelle Ausgestaltung gegebenenfalls sinnvoll wäre.
6 Fazit: Ecosystem Accounting ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Die Aufgaben und Herausforderungen im Ecosystem Accounting sind so umfangreich, dass es gemeinsamer Anstrengungen bedarf. Zugleich
unterstützen hier politische Rahmenbedingungen (z. B. EU Biodiversitätsstrategie, globaler Post-2020-Rahmen für Biodiversität/CBD) und
Forschungsprojekte (z. B. Accounting II, MAIA). Die Orientierung an internationalen Standards für die UGR ist obligatorisch. Schließlich
sollte auch die Wertschätzung von Biodiversität und ÖSL als „Eigenwert“, neben den Accounting-Bemühungen, bewusst bleiben.
„Der Ecosystem-Accounting-Zug fährt“ – ist letztlich festzustellen und er wird künftig noch an Relevanz und Legitimität gewinnen. Die
Integration von Ökosystemen und deren Leistungen in die UGR ist anspruchsvoll, aber machbar und lohnend. Schließlich wurde der Bedarf nach
einer dritten nationalen Konferenz seitens der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgesprochen.
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