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Menschliche Aktivitäten und ihre Auswirkungen auf die Meeresumwelt

Human activities and their impact on the marine environment

DOI: 10.19217/NuL2022-01-05 • Manuskripteinreichung: 5.5.2021, Annahme: 13.10.2021

Franziska Junge, Kathrin Ammermann, Michael Räder und Alexander Schroeder

Zusammenfassung

Mit Verabschiedung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) im Jahr 2008 besteht neben der Verpflichtung zum Zustandsmonitoring auch eine Verpflichtung, die menschlichen Nutzungen der Meeresumwelt systematisch zu erfassen und deren Entwicklung zu dokumentieren. Die vielfältigen Nutzungen, die in der deutschen Nordsee und insbesondere in den Schutzgebieten stattfinden, und die daraus resultierenden Belastungen für Arten und Habitate sind Gegenstand dieses Beitrags. Die unterschiedlichen Nutzungsansprüche können zu Konflikten untereinander sowie mit dem Meeresumwelt- und Meeresnaturschutz führen. Somit befinden sich die Schutzgebiete der Nordsee in einem ständigen Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Nutzung und dem Schutz der Naturgüter. In diesem Beitrag kann nur ein allgemeiner Überblick gegeben werden, eine schutzgebietsspezifische Darstellung findet sich z. B. auf den Internetseiten der für die Schutzgebiete jeweils zuständigen Behörden.

Menschliche Aktivitäten – Meeresnutzungen – Belastungen – Auswirkungen für die Meeresumwelt – Nordsee – Schutzgebiete – Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL)

Abstract

With the adoption of the Marine Strategy Framework Directive (MSFD) in 2008, in addition to the obligation to monitor status there is also an obligation to systematically record human activities in the marine environment and document their development. This article provides an overview of the diverse activities that take place in the German North Sea, particularly in the protected areas, and the resulting pressures on species and habitats. The various utilisation claims can lead to conflicts among themselves or with marine environmental protection and marine nature conservation. The protected areas of the North Sea are thus in a constant state of conflict between economic use and the protection of natural assets. This article can only provide a general overview; a more detailed analysis for each protected area can be found on the websites of the authorities responsible for the protected areas.

Human activities – Uses – Pressures – Impacts on marine environment – North Sea – Protected areas – Marine Strategy Framework Directive (MSFD)

Inhalt

1 Einführung

2 Nutzungen und Aktivitäten in der deutschen Nordsee und deren Auswirkungen

2.1 Nicht zulassungspflichtige Nutzungen und Aktivitäten

2.2 Zulassungspflichtige Vorhaben

3 Weitere Belastungen der Meeresumwelt: Aktivitäten außerhalb der Meere, Einträge in die Meere

4 Kumulative Wirkungen

5 Informationsaustausch

6 Fazit und Ausblick

7 Literatur

1 Einführung

Während das Zustandsmonitoring im Meer auf eine lange Tradition zurückblicken kann, gibt es erst mit der Verabschiedung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) im Jahr 2008 auch eine Verpflichtung, für die gesamten Meeresgebiete die menschlichen Nutzungen der Meeresumwelt systematisch zu erfassen und deren Entwicklung zu dokumentieren. Weiterhin spielt die marine Raumordnung hier eine zentrale Rolle, die u. a. darauf abzielt, auf einer übergeordneten Ebene alle (geplanten) menschlichen Aktivitäten auf dem Meer zu erfassen, vorhandene Nutzungskonflikte zu minimieren sowie zukünftigen Problemen vorzubeugen. Rechtsgrundlage für die Aufstellung von Raumordnungsplänen ist das Raumordnungsgesetz des Bundes (ROG), das 2004 auf die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) ausgeweitet und zuletzt 2017 in Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union (EU) zur maritimen Raumplanung angepasst wurde (BSH 2021a).

Der gesamte Nordseeraum, einschließlich der darin liegenden Schutzgebiete, unterliegt einer Vielzahl von Nutzungen und Aktivitäten, die sich teilweise räumlich überlagern und in Konkurrenz zueinander stehen. Neben den traditionellen Nutzungen Schifffahrt und Fischerei gewinnen weitere Nutzungen der marinen Räume wie der Ausbau der Offshore-Windenergienutzung oder die Verlegung von Rohrleitungen und Seekabeln an Bedeutung. Diese vielfältigen Nutzungsansprüche können zu Konflikten untereinander, aber v. a. auch mit dem Meeresumwelt- und Meeresnaturschutz führen, da sie sehr häufig mit Belastungen für Arten und Habitate einhergehen. Somit befinden sich die Schutzgebiete der Nordsee in einem ständigen Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Nutzung und dem Schutz der Naturgüter.

In diesem Artikel kann nur ein allgemeiner Überblick über Nutzungen und Aktivitäten in der Meeresumwelt bzw. in Bezug auf alle Schutzgebiete der Nordsee gegeben werden. Er basiert in wesentlichen Teilen auf den Bewertungen von Nutzungen und Aktivitäten und deren Auswirkungen, die im Rahmen der MSRL-Berichtspflichten vorgenommen und von Deutschland an die EU gemeldet wurden (BMU 2018), sowie auf den Bestandserfassungen, die im Rahmen des Gebietsmanagements für die Natura-2000-Gebiete erstellt wurden (BfN 2017). Letztere enthalten sehr umfangreiche und ausführliche Zusammenstellungen von Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf alle relevanten Schutzgüter der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee. Weitere detaillierte schutzgebietsspezifische Darstellungen finden sich z. B. auf den Internetseiten der für die Schutzgebiete jeweils zuständigen Behörden, u. a. auf der Website des Bundesamtes für Naturschutz (siehe BfN 2021). Einen Eindruck von der räumlichen Verteilung der verschiedenen Nutzungen und deren Dichte vermitteln die Karten I und II in Abb. 1 und Abb. 2.

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Abb. 1: Nutzungen und Aktivitäten in der deutschen Nordsee. Die abgebildeten Informationen geben einen Überblick auf Basis der genannten Datenquellen und dienen dazu, einen Eindruck über die Dichte der in der deutschen Nordsee und den Schutzgebieten stattfindenden Nutzungen und Aktivitäten zu vermitteln. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schiffsbewegungen und Fischereiaktivitäten sind nicht dargestellt, ebenso wenig sehr kleinflächige Aktivitäten wie Flächen der Muschelkulturwirtschaft und Verbringungsstellen für Baggergut. AWZ = ausschließliche Wirtschaftszone, BSH = Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, SKN = Seekartennull.
Fig. 1: Human activities in the German North Sea. The information in the map provides an overview based on the data sources mentioned above in order to give an impression of the density of the uses and activities taking place in the German North Sea and the protected areas. They do not claim to be complete. Ship movements, fishing activities and very small-scale activities such as areas for shellfish culture and dumping areas for dredged material are not shown. AWZ = exclusive economic zone (EEZ), BSH = Federal Maritime and Hydrographic Agency, SKN = nautical chart zero.
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Abb. 2: Intensität der Belastung durch bodenberührende Fischerei auf den Meeresböden in der deutschen Nordsee 2017. Die Belastung ist als SAR angegeben, die den Anteil der pro Jahr befischten Fläche einer definierten Zelle angibt bzw. die Anzahl der Befischungen pro Jahr. Eine SAR von 1 bedeutet, dass theoretisch die gesamte Zellenfläche einmal befischt wurde. AWZ = ausschließliche Wirtschaftszone, OSPAR = Oslo-Paris-Konvention, SAR = Swept Area Ratio.
Fig. 2: Intensity of the impact of bottom-contacting fisheries on the seafloor in the German North Sea in 2017. The impact is given as swept area ratio (SAR), which indicates the proportion of the area fished per year of a defined cell or the number of times it is fished per year. A SAR of 1 means that the entire cell area was fished once. AWZ = exclusive economic zone (EEZ), OSPAR = Oslo-Paris Convention.

2 Nutzungen und Aktivitäten in der deutschen Nordsee und deren Auswirkungen

In den deutschen Meeresgebieten einschließlich der darin liegenden Schutzgebiete finden Nutzungen und Aktivitäten statt, die übergeordneten, d. h. internationalen, europäischen oder nationalen Regelungen unterliegen (siehe Abschnitt 2.1). Für Nutzungen, Aktivitäten und Vorhaben im Meer können zudem verschiedene Zulassungsverfahren nach unterschiedlichen fachrechtlichen Grundlagen sowie Umweltprüfungen erforderlich sein (siehe Abschnitt 2.2). In den Meeresschutzgebieten sind aber besondere Maßstäbe an diese Verfahren anzulegen, z. B. sind die Vorhaben auf die Vereinbarkeit mit den Schutzzielen der jeweiligen Schutzgebietsverordnungen bzw. auf die Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets (Fauna-Flora-Habitat[FFH]-Verträglichkeitsprüfung) zu prüfen. Weiterhin wirken auf die Meeresgebiete auch Einflüsse von außen ein, die nicht innerhalb des einzelnen Schutzgebiets selbst geregelt werden können, z. B. landseitige Nährstoffeinträge (siehe Abschnitt 3).

2.1 Nicht zulassungspflichtige Nutzungen und Aktivitäten

In diesem Abschnitt werden die Nutzungen und Aktivitäten beschrieben, die in der gesamten deutschen Nordsee einschließlich der Schutzgebiete stattfinden und die keinen spezifischen Zulassungsverfahren unterliegen, sondern allgemeinen internationalen, europäischen oder nationalen Regelungen folgen. Zu den einzelnen Nutzungen und Aktivitäten werden deren wesentliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt benannt (vgl. auch Tab. 1).

Tab. 1: Übersicht über menschliche Nutzungen/Aktivitäten und deren Auswirkungen in der Meeresumwelt und den Meeresschutzgebieten (Quelle: verändert nach WG GES 2015; BfN 2017). Table 1: Overview of human activities and their impacts in the marine environment and the marine protected areas (source: modified after WG GES 2015; BfN 2017).
Nutzungen/Aktivitäten
Wirkungen/Belastungen
Auswirkungen auf physikalische Bedingungen
Auswirkungen auf hydrologische Bedingungen
Auswirkungen auf biologische Komponenten
Stoffliche Einträge
Einträge von Energie
Verlust und Störung des Meeresbodens
Änderung hydrographischer Bedingungen
Einträge von Wasser (Prozesswasser)
Entnahme von Wasser
Trübung
Entnahme von Arten/Fang von Ziel- und Nichtzielarten
Störung von Arten (inkl. visuell)
Barrierewirkung
Kollisionsrisiko
Eintrag nicht einheimischer Arten
Eintrag von Pathogenen
Eintrag von Nährstoffen/organischen Stoffen
Eintrag von Schadstoffen
Eintrag von Abfällen
Eintrag von Impulsschall
Eintrag von Dauerschall
Eintrag von Wärme
Eintrag von Licht
Eintrag von elektromagnetischen Feldern
Berufsschifffahrt
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Freizeitschifffahrt
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Luftverkehr
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Berufsfischerei
Grundberührende Fischerei
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Pelagische Schleppnetzfischerei
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Stellnetzfischerei
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Reusen und Fallen
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Freizeitfischerei
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Tourismus (ohne Infrastruktur)
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Militärische Aktivitäten
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Militärische Altlasten und deren Beseitigung
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Offshore-Windenergieanlagen
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Kabel, Rohrleitungen und Pipelines
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Öl- und Gasförderung
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Erkundung von Öl- und Gasvorkommen
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Sand- und Kiesgewinnung
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Fahrrinnenunterhaltung einschl. Verbringung der Sedimente
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Landwirtschaft
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Siedlungsgebiete
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Industrie
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Aquakultur
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Hinweis: Alle dargestellten Nutzungen und Aktivitäten finden in der gesamten deutschen Nordsee und in unterschiedlichem Maße auch in den Meeresschutzgebieten statt. Zum Teil erfolgen sie unmittelbar in den Schutzgebieten, zum Teil wirken sie in die Schutzgebiete hinein. Eine gebietsspezifische Differenzierung und Zuordnung ist in dieser überblicksartigen Darstellung nicht möglich. Hierzu sind detaillierte Informationen u. a. aus den Managementplänen der einzelnen Schutzgebiete zu gewinnen, die z. B. über die Internetseiten der für die Verwaltung der Schutzgebiete zuständigen Behörden verfügbar sind.
Erläuterung:
+ = Auswirkungen (potenziell) vorhanden
Für zulassungspflichtige Vorhaben: t temporäre Wirkung (v. a. während der Bauphase); d dauerhafte Wirkung (durch Anlage und Betrieb)
Für alle Eintragungen +, d und t gilt: Genannt sind Auswirkungen, die eine Aktivität potenziell haben kann, je nach Intensität und Ausführung kann diese Auswirkung stärker oder schwächer ausfallen oder im Einzelfall gar nicht vorhanden sein (z. B. aufgrund besonders umweltschonender Methoden und Verfahren) bzw. können auch weitere Wirkungen möglich sein.

Die Schifffahrt findet grundsätzlich nahezu im gesamten deutschen Meeresgebiet und auch in den Meeresschutzgebieten statt. Der kommerzielle Seeverkehr (Abb. 3) in der deutschen Nordsee konzentriert sich v. a. auf die Verkehrstrennungsgebiete vor den ostfriesischen Inseln, weiter seewärts gelegene Vorranggebiete für die Schifffahrt (vgl. auch BSH 2021b) und die Anfahrten zu den Seehäfen (siehe auch Abb. 1). Eine dieser Hauptrouten verläuft auch durch das Naturschutzgebiet (NSG) „Borkum Riffgrund“. Ansonsten verlaufen die Hauptschifffahrtsstraßen eher außerhalb der Schutzgebiete. Die Schifffahrt umfasst darüber hinaus Fähr- und Ausflugsschiffe, Fischereifahrzeuge sowie Verkehre im Zusammenhang mit der Rohstoff- und Energiegewinnung, Forschung und militärischen Aktivitäten. Hinzu kommt die Freizeitschifffahrt, die sich eher in küstennäheren Gewässern und damit auch in den Wattenmeernationalparks (Weltnaturerbe der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, UNESCO) konzentriert.

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Abb. 3: Containerschiff.
Fig. 3: Container ship.
(Foto: Wera Leujak)

Auswirkungen des Schiffsverkehrs sind v. a. Emissionen von Stickoxiden und anderen Schadstoffen sowie von Unterwasserlärm. Solche dauerhaften Belastungen durch Schallemissionen können z. B. Verhaltensänderungen bei Schweinswalen (Phocoena phocoena) auslösen (Teilmann et al. 2013). Über Ballastwasser und Schiffsrumpfbewuchs können gebietsfremde Arten eingeschleppt werden. Hinzu kommt, v. a. in der kommerziellen Seeschifffahrt, das Risiko größerer Havarien mit massiven Verseuchungen durch Öl oder andere umweltgefährdende Stoffe und mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Meeresumwelt, wie z. B. die Verölung von Seevögeln.

Regelungen bzw. Einschränkungen der Schifffahrt sind auf Gebietsebene nur begrenzt möglich. Insbesondere in Bezug auf den internationalen Seeverkehr bedürfen Regelungen gewöhnlich eines Antrags an die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO).

In nahezu der gesamten deutschen Nordsee und allen Meeresschutzgebieten findet Fischerei statt, wenn auch mit verschiedenen Methoden und in unterschiedlicher Intensität. Wie Abb. 2 zeigt, wird in vielen Bereichen jeder Quadratmeter mehrfach pro Jahr mit Grundschleppnetzen befischt. Vorherrschend ist die kommerzielle Fischerei mit unterschiedlichen Schleppnetzen – von pelagischen Schleppnetzen ohne Grundkontakt über Grundscherbrettnetze und leichte Baumkurren zum Garnelenfang bis hin zu schweren Baumkurrengeschirren für die Plattfischfischerei sowie Muscheldredgen. Schwerpunkte intensiver Fischerei in der AWZ finden sich auch in Schutzgebieten wie dem NSG „Doggerbank“ und in Teilen des NSG „Sylter Außenriff“ (BfN 2017). Die Garnelenfischerei konzentriert sich v. a. vor den Inseln und Küsten und damit auf die Wattenmeernationalparks. Hinzu kommen in geringerem Umfang die Industriefischerei hauptsächlich von Sandaalen (nicht für den menschlichen Verzehr) sowie die Stellnetzfischerei. Letztere findet z. B. auf der Doggerbank, dem Sylter Außenriff und zum Teil in den Nationalparks statt. Lokal, z. B. bei Helgoland, kommen auch Krebskörbe zum Einsatz. Im küstennahen Bereich spielt zudem die Freizeitfischerei eine Rolle.

Auswirkungen der Fischerei entstehen durch die Entnahme von Zielarten, den Beifang (Nichtzielarten) sowie die Beeinträchtigung des Meeresbodens. Die Entnahme von Ziel- und Nichtzielarten kann, v. a. wenn sie intensiv betrieben wird, erhebliche negative Effekte auf die Bestände dieser Arten (Überfischung) haben. So befinden sich z. B. die Bestände von Kabeljau (Gadus morhua), Wittling (Merlangius merlangus), Seezunge (Solea solea), Makrele (Scomber scombrus) und Sandaalen (Ammodytidae) derzeit nicht in einem guten Zustand (BMU 2018). Über Nahrungsnetze kann die Überfischung auch Auswirkungen auf andere Schutzgüter wie Meeressäugetiere (BfN 2017) oder Seevögel (Cury et al. 2011) haben. Vor allem in Stellnetzen besteht die Gefahr des Beifangs mariner Säugetiere und tauchender Seevögel, die darin verenden. Grundberührende Fischerei wirkt auf den Meeresboden und dessen Flora und Fauna ein. Grundschleppnetze, v. a. die schweren Plattfisch-Baumkurrengeschirre mit zahlreichen Scheuchketten, verursachen massive Störungen des Meeresbodens und verletzen oder töten zahlreiche Arten der Bodenfauna. Die in weiten Meeresgebieten beobachtete Dominanz opportunistischer Arten und der Rückgang oder das Verschwinden langlebiger und riffbildender Arten in der Meeresbodenfauna werden zu großen Teilen der intensiven, jahrzehntelangen grundberührenden Fischerei zugeschrieben (Jennings et al. 1999).

Grundsätzlich sind nur wenige Flächen von der kommerziellen Fischerei ausgenommen. Dies gilt z. B. für Offshore-Windparks, die aus Sicherheitsgründen bisher nicht befahren werden dürfen, sowie kleinflächige Fischereiausschlusszonen in den Nationalparks. Fischereibeschränkungen, die für alle zugangsberechtigten Fischer gelten, sind grundsätzlich nur im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU zu regeln. So werden Fangquoten vereinbart, um Bestände von Zielarten zu erhalten, aber auch räumliche Ausschlussgebiete sind möglich. Nur innerhalb der 3-Seemeilen-Zone können rein nationale Regelungen erfolgen. Von niederländischen Gewässern entlang der gesamten deutschen Küste bis nach Dänemark spannt sich die sog. Schollenbox, ein Plattfischschutzgebiet der EU, das seit 1994 für größere Baumkurrenkutter geschlossen ist (TI 2021) und auch große Teile des NSG „Borkum Riffgrund“ und die küstennäheren Bereiche des NSG „Sylter Außenriff“ sowie die Wattenmeernationalparks beinhaltet.

Muschelfischerei bzw. Muschelkulturwirtschaft finden in den Küstengewässern innerhalb der Wattenmeernationalparks in Niedersachsen und Schleswig-Holstein statt und sind dort in unterschiedlichem Ausmaß durch Managementpläne und Zulassungen geregelt.

Tourismus ist an den Küsten der deutschen Nordsee nicht zuletzt durch die küstennahen Nationalparks einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Durch touristische Angebote wird das Meer erlebbar, und der Tourismus kann so zur Akzeptanz und Wertschätzung einer intakten Natur beitragen. Dies ist insbesondere dann ein Gewinn, wenn beispielsweise durch Besucherlenkung ein nachhaltiger und sanfter Tourismus sichergestellt wird, der besonders sensible Gebiete ausspart. Tourismus ist jedoch auch ein potenzieller Belastungsfaktor, z. B. durch Störungen, Habitatbeeinträchtigungen oder Einträge von Müll als Belastung für marine Organismen (BMU 2018).

Teile der deutschen AWZ und des Küstenmeers einschließlich der Meeresschutzgebiete werden für militärische Übungen temporär genutzt. Unter anderem finden Schießübungen, Minenlegen und Minenjagd, die seemännische und fliegerische Ausbildung sowie die U-Boot-Tauchausbildung statt, wodurch es zeitweise zu verstärkten Lärmeinträgen kommen kann (BMU 2018). Hinzu kommen militärische Altlasten, d. h. nicht detonierte Munition und nach Ende des Zweiten Weltkriegs versenkte Kampfmittel. Aus aktuell vorliegenden Forschungsergebnissen ist abzuleiten, dass im Bereich munitionsbelasteter Meeresgebiete von einem erhöhten Gefährdungspotenzial für die Meeresumwelt auszugehen ist, das u. a. vor dem Hintergrund fortschreitender Korrosion der Ummantelungen noch nicht vollständig abschätzbar ist. Eine räumlich begrenzte Belastung für die Meeresumwelt kann durch detonationsbedingte Schockwellen und Schallwellen auftreten. Im Falle gezielter Vernichtungssprengungen kann diese Belastung durch den Einsatz von Schallminderungsmaßnahmen, z. B. einem Blasenschleier, minimiert werden (BMU 2021).

Auch tief fliegender Flugverkehr, u. a. zur Versorgung der Offshore-Windparks oder im Zusammenhang mit helikoptergestützten Rettungsübungen, touristischen Aktivitäten sowie militärischen Übungen und Patrouillen, findet regelmäßig in den gesamten Meeresgebieten statt. Neben akustischen Belastungen kann dieser auch visuelle Störungen mit sich bringen. Diese haben im Zusammenspiel mit Luftschall v. a. ein hohes Störpotenzial für Seevögel, die mit Verhaltensänderungen, Auffliegen und/oder Verlagerung des Aufenthaltsorts reagieren (BfN 2017).

2.2 Zulassungspflichtige Vorhaben

Neben den oben beschriebenen Nutzungen und Aktivitäten werden in den marinen Schutzgebieten auch genehmigungspflichtige Vorhaben zur Energiegewinnung, zur Schaffung von Infrastruktur sowie zur Entnahme und Einbringung von Sedimenten umgesetzt. Im Folgenden werden die für die Nordseeschutzgebiete relevanten Vorhaben zunächst benannt und im Anschluss ihre Auswirkungen auf die Meeresumwelt beschrieben.

Offshore-Windparks (Abb. 4) sollen einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung Deutschlands aus erneuerbaren Energien leisten. Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) sowie die jeweiligen Netzanbindungen samt Plattformen und Konvertern werden im Zuge von Planfeststellungsverfahren genehmigt. Ein Windpark, der bereits 2002 genehmigt wurde, liegt im heutigen FFH-Gebiet „Sylter Außenriff“. Die übrigen bisher errichteten Offshore-Windenergieanlagen befinden sich außerhalb von Meeresschutzgebieten. Allerdings grenzen mehrere Windparks direkt an die Schutzgebiete an und wirken daher auch in sie hinein – sowohl während der Bauphase als auch im Betrieb. Ein weiterer Ausbau in den Meeresschutzgebieten wird durch die Raumplanung überwiegend ausgeschlossen. Ob weitere Potenziale für die Windenergienutzung auf der Doggerbank im Einklang mit Naturschutzzielen realisierbar sind (4 – 6 Gigawatt), sollen Gutachten klären (BSH 2021b). In den Wattenmeernationalparks ist die Errichtung von OWEA über die Nationalparkgesetze und über die Raumplanung gesetzlich ausgeschlossen.

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Abb. 4: Offshore-Windpark.
Fig. 4: Offshore wind farm.
(Foto: Kathrin Ammermann)

Zahlreiche Kabel, Rohrleitungen und Pipelines queren die Nordsee und auch die Meeresschutzgebiete, um Erdgas, Strom bzw. Daten zu transportieren, sowohl mit dem Ziel einer Anlandung in Deutschland als auch als Transitleitung. Dabei werden in der Nordsee verstärkt eine Bündelung der Anbindung mehrerer auch grenzüberschreitender Windparks und eine Erhöhung der Transportkapazität pro Kabel angestrebt. Aus Gründen der Sicherheit und zur Vermeidung einer Sedimenterwärmung in der oberen, besiedelbaren Sedimentschicht werden die Kabel überwiegend in den Meeresboden eingespült, eingepflügt oder eingegraben. Rohrleitungen werden darüber hinaus – je nach Einzelfall – auch auf dem Meeresboden abgelegt. Alle Typen von Leitungen queren auch marine Schutzgebiete und Nationalparks in der Nordsee. Eine besondere Herausforderung stellt die Anlandung von Kabeln und Pipelines dar, da geeignete Räume hierfür nur begrenzt zur Verfügung stehen.

Auf der Doggerbank in der AWZ wird seit dem Jahr 2000 auf einer Plattform Gas und Gaskondensat gefördert. Die Bohr- und Förderinsel Mittelplate im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer stellt die einzige Anlage zur Ölförderung in der deutschen Nordsee dar. Die Berechtigung läuft bis 2041. Auf Grund ihrer Lage im Nationalpark ist jegliche Einleitung von Stoffen untersagt. Zu erwähnen ist bei diesen Anlagen v. a. das Risiko von Unfällen, die nicht ausgeschlossen werden können und gegenüber deren Auswirkungen die Schutzgebiete hochsensibel sind.

Der Abbau von Sand und Kies wird in der Nordsee bereits seit vielen Jahrzehnten betrieben. Während die für den Küstenschutz vorgesehenen Sande in der Regel küstennah (also im Küstenmeer) entnommen werden, werden gewerblich genutzte Kiese und Sande oft auch küstenfern abgebaut. Die Gewinnung findet in der Regel durch Befahrung der Flächen mit Schiffen (sog. Saugbagger) statt, die das Substrat am Boden „einsaugen“. In der AWZ liegen aktuell im FFH-Gebiet „Sylter Außenriff“ zwei Bewilligungsfelder für den gewerblichen Abbau von Kiesen und Sanden. Mit Stand 2020 ist jedoch lediglich in einem Teilfeld der tatsächliche Abbau genehmigt. In den Wattenmeernationalparks erfolgt der Abbau von Sand und Kies hauptsächlich für Maßnahmen des Küstenschutzes sowie in geringem Umfang zur Versorgung der Inseln und Halligen mit Sand auf der Basis befristeter Genehmigungen, wie etwa im derzeitigen Bewilligungsfeld Westerland III (Schleswig-Holstein).

Die immer größer werdenden Frachter der Seeschifffahrt bedingen eine zunehmende Vertiefung und Unterhaltung der Fahrrinnen, die den Zugang zu den deutschen Seehäfen bilden. In den Hauptfahrrinnen der Ästuare von Ems, Jade, Weser und Elbe, für deren Erhaltung der Schiffbarkeit im Wesentlichen die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) zuständig ist, erfolgt dies teilweise durch Mobilisierung der Sedimente mit Hilfe des Wasserinjektionsverfahrens oder durch eine Ausbaggerung eingetragener Sedimente, verbunden mit der Verbringung des Materials auf ausgewiesene Klappstellen. Dies gilt auch im Wattenmeer mit seiner hohen morphologischen Dynamik. Dort erfordert die Erhaltung der Zufahrten zu den kleineren Häfen eine kontinuierliche Unterhaltung der Zufahrtswege und der Hafenbecken.

Allen genannten Vorhaben in den Meeresgewässern ist gemein, dass von ihnen verschiedene Auswirkungen auf die Schutzgüter ausgehen. Im Folgenden werden wesentliche Wirkfaktoren der Vorhaben (teilweise haben mehrere Vorhaben ähnliche Wirkungen, teilweise sind sie sehr spezifisch) mit ihren Auswirkungen auf die Meeresumwelt exemplarisch beschrieben (vgl. auch Tab. 1). Hier ist zwischen temporären Auswirkungen, die mit der Bauphase verbunden sind, und dauerhaften Auswirkungen, die durch die Anlage (das Bauwerk) und den Betrieb entstehen, zu unterscheiden.

Vor allem während der Bauphase von Anlagen (z. B. OWEA), insbesondere bei Rammungen, treten temporär impulshafte Schalleinträge auf. Die Schallwellen können zu einer Schädigung des Gehörs und/oder zu erheblichen Störungen von Meeressäugetieren, insbesondere Schweinswalen, führen (z. B. Lucke et al. 2009). Auch seismische Untersuchungen zur Erkundung des Untergrunds können bei entsprechender Intensität Meeressäugetiere schädigen.

Für einige rastende Vogelarten, wie Seetaucher, kann die Offshore-Windenergienutzung durch die Kulissenwirkung und Drehbewegungen der Rotoren zu dauerhaften Lebensraumverlusten führen, die z. B. für Seetaucher bis in 10 km Entfernung zu den Anlagen reichen, so etwa in Teilen des Vogelschutzgebiets „Östliche Deutsche Bucht“ im NSG „Sylter Außenriff – Östliche Deutsche Bucht“ (Garthe et al. 2018).

Beleuchtete Infrastrukturanlagen wie die ca. 200 m hohen OWEA erhöhen das Kollisionsrisiko für über Wasser ziehende Vogelarten, und zwar insbesondere in Situationen, in denen starker Vogelzug stattfindet und die Witterungsbedingungen ungünstig sind. Nachtzieher gelten dabei als besonders gefährdet, da davon ausgegangen wird, dass Vögel bei Nacht die Anlagen nur eingeschränkt wahrnehmen können und zudem von deren Beleuchtung eine anziehende Wirkung auf die Tiere ausgeht (Welcker, Vilela 2020). Zum tatsächlichen Ausmaß gibt es nur wenige Zahlen, ebenso zu zeitlichen und räumlichen Zugmustern im Offshore-Bereich. In einer aktuellen Studie von Welcker, Vilela (2020) werden Prognosen des regionalen und lokalen Vogelzugs über Nord- und Ostsee in Abhängigkeit von Saisonalität und Wetterbedingungen sowie das kumulative Vogelschlagrisiko an OWEA analysiert und modelliert.

Wird der Meeresboden durch Bauwerke im Meer überbaut, gehen Habitate dauerhaft verloren. Wenn bei Baggerguteinbringungen Meeresboden überdeckt wird oder die Sedimente bei der Sand- und Kiesgewinnung oder der Unterhaltung von Fahrrinnen so tief abgebaut werden, dass oberflächlich andere Substrate zurückbleiben, kann dies ebenfalls zur erheblichen Störung oder sogar zum Verlust von Habitaten führen. Dies wäre v. a. dann der Fall, wenn Schlüsselarten verschwinden, die biogene Biotope wie Miesmuschelbänke oder Sabellaria-Riffe schaffen, oder wenn durch Veränderungen der Morphologie des Meeresbodens und der hydrologischen Bedingungen die natürlichen Lebensräume mit ihrem typischen Arteninventar verloren gehen.

Durch die Bauwerke selbst, ihren Kolkschutz (zur Stabilisierung des Fundamentbereichs) sowie die Überdeckung von Kabeln mit Steinschüttungen wird künstlich Hartsubstrat eingebracht, was die natürlichen abiotischen Bedingungen und somit auch die Biozönose in den betroffenen Bereichen verändern kann. Stromableitende Kabel können zu einer Erwärmung des Bodens führen. Mögliche Folgen sind z. B. die Meidung der betroffenen Bereiche durch bestimmte Arten bzw. durch einzelne Entwicklungsstadien sowie veränderte Aktivität und Veränderungen der Artengemeinschaften (BMUB 2016).

Vorübergehend entstehen bei nahezu allen genannten Vorhaben baubedingte Trübungsfahnen, die negative Effekte auf Fauna und Flora der Wassersäule und des Meeresbodens haben können.

Zur Vermeidung und Verminderung der genannten vorhabenbedingten Beeinträchtigungen liegen inzwischen umfangreiche Planungsgrundsätze und Schutzkonzepte vor, deren Umsetzung im Rahmen der Genehmigungsverfahren Standard ist. Zu nennen sind z. B. die Anwendung von Schallschutzmaßnahmen bei Rammungen (BMU 2013) oder technische Maßnahmen zur Verminderung des Kollisionsrisikos. Ein näheres Eingehen auf diese Konzepte ist an dieser Stelle nicht möglich. Informationen dazu kann man auf den Internetseiten der für Genehmigungsverfahren zuständigen Behörden finden, beispielsweise beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und BfN, zudem auf den Websites der Landesumweltministerien und der diesen nachgeordneten Behörden.

3 Weitere Belastungen der Meeresumwelt: Aktivitäten außerhalb der Meere, Einträge in die Meere

Aus den Einzugsgebieten der Nordsee wirken insbesondere Einträge von Nähr- und Schadstoffen auf die marinen Ökosysteme ein. Effekte der Eutrophierung, d. h. einer zu hohen Nährstoffanreicherung in den Gewässern, sind u. a. Massenvermehrungen opportunistischer Algen, verringerte Lichteindringtiefen, ein lokaler Rückgang der Seegrasflächen und -bewuchsdichte und Sauerstoffmangel (BMU 2018).

Schadstoffe sind nach wie vor in umweltschädlichen Konzentrationen in der Nordsee nachzuweisen. Sie können sich in Sedimenten und Meeresorganismen anreichern. Sie werden von den Organismen über die Nahrungskette aufgenommen und können deren Fitness beeinträchtigen. Derzeit sind bei Weitem noch nicht alle ökologischen Effekte von Schadstoffen erforscht, v. a. über die Wirkung von Mischtoxizitäten auf Organismen und über das Zusammenwirken stofflicher Belastungen und zusätzlicher Stressoren ist noch wenig bekannt (BMU 2018).

Müll im Meer und an den Küsten ist auch in der deutschen Nordsee weit verbreitet (OSPAR 2017). Einen großen Anteil machen dabei Kunststoffabfälle aus. Insbesondere die kleinen Fragmente bis hin zu Mikroplastik sind inzwischen in allen Kompartimenten der Meeresumwelt nachzuweisen, d. h. in der Wassersäule, im Sediment und in Tieren. Unter anderem wurden sowohl Mikro- als auch Makropartikel in den Mägen von Fischen (u. a. Lenz et al. 2016; Rummel et al. 2016) sowie in Wirbellosen wie Muscheln und Schnecken, Krabben und Wattwürmern im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer nachgewiesen (Fischer 2018). Abfälle, die in die Meeresumwelt gelangen, haben negative Auswirkungen auf Meereslebewesen, z. B. in Form von Verletzungen, Verstrickungen und Verschlucken, sowie auf Habitate, z. B. durch Bedeckung. Bei Basstölpeln (Morus bassanus) auf Helgoland macht beispielsweise die Sterblichkeit durch Verstrickung etwa ein Viertel der Gesamtmortalität aus (BMU 2018).

Bisher sind bereits über 100 eingeschleppte gebietsfremde Arten in den deutschen Nordseegewässern bekannt, und jährlich werden es mehr. Neben den natürlichen oder klimatisch bedingten Prozessen der Ausbreitung von Arten werden viele Organismen heute durch menschliche Aktivitäten verschleppt, u. a. durch Ballastwasser, Aufwuchs auf den Rümpfen von Schiffen, durch Aquakultur oder aus Aquarien. Viele dieser Arten fügen sich ohne große Änderungen in das heimische Ökosystem ein, einige können je nach Umweltbedingungen in bestimmten Gebieten aber auch massive Veränderungen in den Ökosystemen verursachen und wirtschaftliche und gesundheitliche Schäden verursachen. Voraussagen hierzu sind mit sehr großen Unsicherheiten verbunden. Die Ausbreitung der zu Aquakulturzwecken eingeführten Pazifischen Auster (Magallana gigas) hat beispielsweise das ökologische Gefüge, aber auch das Erscheinungsbild des Wattenmeers stark verändert. In den letzten Jahren hat sich der eingeschleppte Tüten-Kalkröhrenwurm (Ficopomatus enigmaticus) in den ostfriesischen Häfen ausgebreitet und führt durch massiven Aufwuchs auf Hafenanlagen und Bootsrümpfen zu zunehmenden Problemen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Sobald sich eingeschleppte gebietsfremde Arten bei uns etabliert haben, besteht für Bekämpfungsmaßnahmen im offenen marinen System keine Aussicht auf Erfolg (Sambrook et al. 2014), daher ist die Verhinderung der anthropogenen Einschleppung weiterer Arten unbedingt anzustreben.

Neben den o. g. direkten Belastungen ist auch der anthropogen bedingte Klimawandel ein zu berücksichtigender Faktor. Durch die damit verbundene Erwärmung der Erdatmosphäre verändert sich auch die Meeresumwelt, was zuletzt im Sonderbericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) über den Ozean und die Kryosphäre (IPCC 2019) noch einmal deutlich gemacht wurde. Der globale Anstieg der Temperaturen ermöglicht eine Ausbreitung von Arten, die an höhere Temperaturen angepasst sind. Die Versauerung der Meere durch angestiegene CO2-Konzentrationen beeinflusst biologisch-chemische Prozesse, die die Lebensbedingungen zahlreicher Arten stark verändern. Auch die Fähigkeit der Watten und Vorländer, bei den derzeit erwarteten Anstiegsraten des Meeresspiegels mit der gleichen Geschwindigkeit mitzuwachsen, ist nicht sicher gegeben, was einen Verlust von Teilen dieser Lebensräume zur Folge haben kann (vgl. MELUR 2015). Klimatische Einflüsse verursachen somit vielfältige Änderungen auch in den marinen Ökosystemen. Diese Prozesse werden durch natürliche Schwankungen und ökologische Interaktionen überprägt und wirken gleichzeitig mit den Belastungen durch menschliche Aktivitäten im Meeresbereich, so dass sich die maßgeblichen Gründe für die zu beobachtenden Veränderungen in den marinen Systemen nicht immer eindeutig identifizieren lassen.

4 Kumulative Wirkungen

Die verschiedenen Belastungen durch menschliche Aktivitäten wirken nicht isoliert. Sie können sich räumlich und zeitlich überlagern und in ihren Auswirkungen gegenseitig beeinflussen. Über diese Wirkmechanismen und deren kumulative und synergetische Wirkungen auf die Ökosysteme ist derzeit nur wenig bekannt. Zum Beispiel ist der kumulative Einfluss verschiedener anthropogener Belastungen auf die marinen Säugetiere schwer quantifizierbar (u. a. Herr 2009), er gilt jedoch als äußerst wahrscheinlich. So können etwa gesundheitliche Beeinträchtigungen auf Grund von Schadstoffbelastungen bei marinen Säugetieren zusammen mit der Belastung und Verscheuchung durch Störfaktoren wie Lärm oder mit einer Verschlechterung des Beuteangebots insgesamt zu Beeinträchtigungen des Gesundheitszustands führen (BMU 2018). Die Berücksichtigung der wichtigsten kumulativen und synergetischen Wirkungen, wie von der MSRL gefordert, ist daher ein wesentlicher Aspekt einer ökosystembasierten Bewertung. Oftmals bietet die Datenlage für diese Fragestellungen jedoch noch keine ausreichende flächendeckende oder zeitliche Auflösung. Es bedarf weiterer Forschung zu Methoden, um diese Effekte in einer ökosystembasierten Bewertung darzustellen, sowie einer erweiterten Monitoringstrategie, um bessere Kenntnisse zur Verteilung und Intensität menschlicher Nutzungen und Aktivitäten sowie zu deren Auswirkungen zu erlangen. Eine zunehmend intensivere Nutzung und multiple Einträge müssen wegen ihrer möglichen kumulativen Wirkungen zumindest kritisch begleitet und soweit möglich minimiert werden.

5 Informationsaustausch

Aktuell wird über den Expertenkreis Human Activities der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO) in Zusammenarbeit mit der Marinen Dateninfrastruktur Deutschland (MDI-DE) ein Programm erarbeitet, um eine Vielzahl von Datenquellen über menschliche Nutzungen des Meeres zusammenzuführen und diese über Datendienste mit freien Lizenzen (Open Data) bereitzustellen. Dies umfasst verschiedenste Datenformen aus Forschung und Verwaltung, statistische Daten und Modellergebnisse. Ziel ist es, Daten zu Nutzungen und Aktivitäten in den deutschen Meeresgebieten als Grundlage für verschiedene Bewertungskonzepte (z. B. zur Beeinträchtigung des Meeresbodens) und für assoziierte Projekte (u. a. im Rahmen kumulativer Belastungsbewertungen) zentral zusammenzustellen und aktuell öffentlich verfügbar zu machen.

6 Fazit und Ausblick

Angesichts einer anhaltend hohen bzw. zunehmenden Anzahl von Nutzungen und Vorhaben in den Meeren ist eine räumliche und zeitliche Regelung der Aktivitäten essenziell. Instrumente dafür sind z. B. die marine Raumordnung und die Aufstellung und Umsetzung von Gebietsmanagementplänen. Bei Bau und Betrieb von Projekten sind neben einer sorgfältigen Standortwahl die standortbezogenen Beeinträchtigungen so weit wie möglich durch entsprechende Maßnahmen zu vermeiden. Da auch die Meeresschutzgebiete, wie oben dargestellt, ähnlich den übrigen Meeresflächen einer Vielzahl von menschlichen Belastungen unterliegen, kommt der weitgehenden Freihaltung der marinen Schutzgebiete von regelbaren Nutzungen, ggf. mit entsprechenden Pufferflächen, und somit der Schaffung von Rückzugs- und Ruheräumen eine wesentliche Bedeutung für die Erreichung eines guten Umweltzustands der Meeresökosysteme zu.

7 Literatur

  BfN/Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.) (2017): Die Meeresschutzgebiete in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone der Nordsee – Beschreibung und Zustandsbewertung. BfN-Skripten 477: 486 S.

  BfN/Bundesamt für Naturschutz (2021): Belastungen im Meer. https://www.bfn.de/belastungen-im-meer (aufgerufen am 29.11.2021).

  BMU/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2013): Konzept für den Schutz der Schweinswale vor Schallbelastungen bei der Errichtung von Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee (Schallschutzkonzept). BMU. Berlin: 33 S. https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/awz/Dokumente/schallschutzkonzept_BMU.pdf (aufgerufen am 22.10.2020).

  BMU/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.) (2018): Zustand der deutschen Nordseegewässer 2018. Aktualisierung der Anfangsbewertung nach § 45c, der Beschreibung des guten Zustands der Meeresgewässer nach § 45d und der Festlegung von Zielen nach § 45e des Wasserhaushaltsgesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Verabschiedet von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO) am 13.12.2018. BMU. Bonn: 191 S. https://bit.ly/MSRL_Zustand_Nordsee_2018 (aufgerufen am 19.11.2021).

  BMU/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.) (2021): MSRL-Maßnahmenprogramm zum Schutz der deutschen Meeresgewässer in Nord- und Ostsee (einschließlich Umweltbericht). Aktualisiert für 2022 – 2027. Bericht über die Überprüfung und Aktualisierung des MSRL-Maßnahmenprogramms gemäß §§ 45j i. V. m. 45h Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes. Anlage 1: Maßnahmenkennblätter. Entwurf Version 1.3. Stand: 30.6.2021. BMU. Bonn: 317 S. https://bit.ly/MSRL_Maßnahmen_2021 (aufgerufen am 19.11.2021).

  BMUB/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2016): MSRL-Maßnahmenprogramm zum Meeresschutz der deutschen Nord- und Ostsee. Bericht gemäß § 45h Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes. Verabschiedet vom Bund/Länder-Ausschuss Nord- und Ostsee (BLANO) am 30. März 2016. BMUB. Bonn: 128 S. https://bit.ly/MSRL_Maßnahmen_2016 (aufgerufen am 19.11.2021).

  BSH/Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (2021a): Meeresraumplanung. https://www.bsh.de/DE/THEMEN/Offshore/Meeresraumplanung/meeresraumplanung_node.html (aufgerufen am 28.6.2021).

  BSH/Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (2021b): Raumordnungspläne für die ausschließliche deutsche Wirtschaftszone. https://www.bsh.de/DE/THEMEN/Offshore/Meeresraumplanung/Raumordnungsplan_2021/raumordnungsplan-2021_node.html (aufgerufen am 19.9. 2021).

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  OSPAR/Oslo-Paris-Konvention (2017): Intermediate Assessment. https://oap.ospar.org/en/ospar-assessments/intermediate-assessment-2017/ (aufgerufen am 19.9.2021).

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  WG GES/ Working Group on Good Environmental Status (2015): Document: GES_14-2015-06: Revision of MSFD Annex III – technical background; Annex 2: Indicative relationship between activities and pressures: 22 S.

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Franziska Junge

Korrespondierende Autorin

Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein

Referat Meeresschutz & Nationalpark

Mercatorstraße 3

24106 Kiel

E-Mail: franziska.junge@melund.landsh.de Abschluss Dipl.-Ing. (FH) Landespflege an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden; M. Sc. Umweltschutz an der Universität Rostock; bis 2009 Projektingenieurin Landschaftsplanung bei der Gesellschaft für Ökologie und Landschaftsplanung, Weida; bis 2014 Sachbearbeiterin Umweltplanung in der Planungsgruppe für den Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals am Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Kiel-Holtenau; seit 2014 Referentin im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, Referat Meeresschutz & Nationalpark.

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Kathrin Ammermann

Bundesamt für Naturschutz

Fachgebiet II 4.3 „Naturschutz und erneuerbare Energien“

Alte Messe 6

04103 Leipzig

E-Mail: kathrin.ammermann@bfn.de

Michael Räder

Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer/Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)

Virchowstraße 1

26382 Wilhelmshaven

E-Mail: michael.raeder@nlpv-wattenmeer.niedersachsen.de

Dr. Alexander Schroeder

Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)

Betriebsstelle Brake/Oldenburg

Im Dreieck 12

26127 Oldenburg

E-Mail: alexander.schroeder@nlwkn.niedersachsen.de

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