Ortwin Elle und Melinda Lanfer
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie untersucht auf breiter empirischer Datengrundlage, welche Standorteigenschaften die
Besiedlungswahrscheinlichkeit eines Schwalbenturms (ST) erhöhen bzw. erniedrigen. Verwendet wurden einfach zu erfassende Variablen, die
die Struktur der umgebenden Gebäude sowie die horizontale und vertikale Einbindung des ST in die urbane Umgebung charakterisieren. Als
wichtigster Faktor stellte sich die Höhe der am ST befestigten Kunstnester in Relation zur Höhe des Dachüberstands der umgebenden
Häuser heraus. Hängen die Kunstnester in niedrigerer Höhe, besteht eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, dass dieser ST
unbesiedelt bleibt als bei mindestens gleicher Höhe. Obwohl innerhalb des Spektrums mutmaßlich geeigneter Standorte bestimmte
Konstellationen eine signifikant höhere Erfolgsquote als andere hatten, gab es für jeden Standorttyp mit Besiedlung auch Standorte mit
nahezu identischen Eigenschaften, die unbesiedelt blieben. Deshalb kann es selbst an optimalen ST-Standorten keine Erfolgsgarantie
geben. Für ST mit einer bestehenden Mehlschwalbenkolonie in der Umgebung ist die Chance einer Besiedlung 3,7-mal höher als in
mehlschwalbenfreier Umgebung. Die Erfolgsquote schwankte in Abhängigkeit von den Standortfaktoren zwischen ca. 50 % und 100 %.
Abschließend werden Empfehlungen für die Suche nach geeigneten ST-Standorten formuliert.
Schwalbenturm – Delichon urbicum – Brutkolonie – Besiedlung – logistische Regression – kategoriale Hauptkomponentenanalyse (CATPCA) – Continued-Ecological-Functionality(CEF)-MaßnahmeAbstract
The present study examines on a broad empirical base the question of which site factors increase or reduce the likelihood of
occupancy of house martin towers (HMTs). All variables used are easy to record; they characterise the structure of the surrounding
buildings as well as the horizontal and vertical embedding of the HMT into the urban environment. The height of the artificial nests on
the HMT in relation to the height of the roof overhang of surrounding buildings proved to be the key factor. Where nests are lower, the
probability of the HMT remaining unoccupied is significantly increased compared to HMTs with their nests at least at the same level as
a nearby roof overhang. Although, within the spectrum of presumably suitable locations, some constellations had a significantly higher
rate of success than others, for each successful site type there were sites with virtually identical characteristics that remained
unoccupied. It follows that there can be no guarantee of success, even at sites considered optimal. HMTs with a neighbouring breeding
colony of house martins have a 3.7 times greater likelihood of occupancy than HMTs with no breeding colony in their vicinity. The
success rates of HMTs were found to vary between approximately 50 % and 100 %, depending on site factors. Finally, the article presents
recommendations for the search for suitable HMT sites.
House martin tower – Delichon urbicum – Breeding colony – Occupancy – Logistic regression – Categorical principal components analysis (CATPCA) – Continued Ecological Functionality (CEF) measureInhalt
1 Einleitung
Die Errichtung sog. Mehlschwalbentürme, oft auch als Schwalbenhaus oder Schwalbenhotel bezeichnet, ist mittlerweile eine weit
verbreitete Maßnahme zur Unterstützung der Mehlschwalbe (Delichon urbicum) in bebauter Ortslage (Wegener, Stork 2001; Wendt 2007; Meier 2014;
Over 2015; Dietzen 2017; Schuldes 2020; Wegener, Zedler 2020). Dabei handelt es sich um eine überdachte,
vier- oder mehreckige Bruthilfe in Form eines kleinen Hauses auf einem hohen Stahlmast, ausgestattet mit einer größeren Zahl von
Kunstnestern. Diese sind am Turmkorpus an den Außenwänden unterhalb des Dachüberstands oder an anderen zu diesem Zweck geschaffenen
Strukturen montiert. Je nach Modell werden den Schwalben so auf engstem Raum meist bis zu 50 Kunstnester angeboten (Abb. 1).
Abb. 1: Schwalbenturm mit 48 Kunstnestern (Standort: Trier-Petrisberg).
Fig. 1: House martin tower with 48 artificial nests (location: Trier-Petrisberg).
Insbesondere bei den Schwalbentürmen (ST), die als CEF-Ausgleichsmaßnahme (Continued Ecological Functionality)
im Rahmen der Eingriffsregelung nach § 44 Abs. 5 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) geplant werden, ist der Erfolgsdruck (d. h. eine
zeitnahe Besiedlung durch die Mehlschwalbe) für die Planerinnen und Planer besonders hoch, sollen derartige Maßnahmen doch per Definition
die kontinuierliche Funktionsfähigkeit der von einem Eingriff betroffenen Fortpflanzungsstätten der Art gewährleisten (Runge et al. 2010). ST gehören anerkanntermaßen zu den CEF-Maßnahmen hoher bis sehr hoher Eignung, weil
sie unter bestimmten Voraussetzungen eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit sowie eine zeitnahe Wirksamkeit haben können. Dennoch gibt es
eine nicht unerhebliche Zahl von ST, die von Beginn an unbesetzt bleiben (z. B. van den Bremer et al.
2019; Elle et al. 2020). Nicht in jedem dieser Fälle sind offensichtliche
Planungsfehler bei der Standortsuche erkennbar, sodass die Ursache für den Misserfolg oft unklar bleibt.
Eine statistische Überprüfung der üblicherweise als relevant betrachteten Standortfaktoren auf breiter empirischer Datenbasis fehlt
bisher. Sie ist aber Voraussetzung, um bei mehreren Standortoptionen innerhalb eines Projekts vor Errichtung des ST eine bessere Prognose
über die jeweiligen Erfolgsaussichten abgeben zu können. Die vorliegende Studie füllt diese Lücke. Für 115 ST, die sich über ganz
Deutschland verteilen, wurden der Besiedlungserfolg und die Standorteigenschaften im Umfeld des Turms erfasst und mithilfe multivariater
statistischer Verfahren analysiert. Damit lässt sich erstmals quantitativ abschätzen, welche Merkmalskonstellationen eines Standorts die
Besiedlungswahrscheinlichkeit eines ST erhöhen bzw. erniedrigen und wie hoch die Erfolgsaussichten selbst bei optimalen Standortfaktoren
überhaupt sind. Darauf aufbauend werden abschließend Empfehlungen für die Suche geeigneter Standorte für ST gegeben.
2 Brutstandorte der Mehlschwalbe
Die Mehlschwalbe gehört laut § 7 BNatSchG zu den sog. besonders geschützten Arten. Sie brütet in Mitteleuropa v. a. in dörflichen und
städtischen Sekundärlebensräumen an den Außenwänden nicht zu hoher Gebäude (überwiegend zwei- bis dreigeschossige Häuser), meist direkt
unterhalb des Dachüberstands, wo sie ihr Lehmnest befestigt (Hund, Prinzinger 1985; Südbeck et al. 2005). Als Koloniebrüter, der in einigen Regionen Deutschlands seit vielen Jahren einen
negativen Bestandstrend zeigt und seit der 5. Fassung der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands als „gefährdet“ eingestuft wird (Grüneberg et al. 2015; Ryslavi et al. 2020), gehört sie zu den
planungsrelevanten Tierarten im Rahmen der Eingriffsregelung.
Bevorzugte Koloniestandorte zeichnen sich insbesondere durch folgende Eigenschaften aus (z. B. Bauer
et al. 2005):
● Vorhandensein geeigneter Strukturen für die Nestanbringung unterhalb des Dachüberstands in der bevorzugten Höhe über
Grund, ● Gewährleistung eines ungehinderten Anflugs der Schwalben an das nesttragende Gebäude,
● vor Nestprädatoren geschützte Lage der Nester,
● Verfügbarkeit von Nistmaterial in der Nähe der Brutgebäude.
3 Methoden
3.1 Standortauswahl und -charakterisierung
Die Kriterien zur Standortauswahl der ST sowie deren Lage sind Abschnitt 1 im Online-Zusatzmaterial zu entnehmen. Bei den Variablen zur
Standortcharakterisierung der ST handelt es sich fast durchweg um nominal- oder ordinalskalierte Variablen mit zwei bis vier Kategorien,
die sich vor Ort ohne aufwändige Messungen schnell erheben lassen (die Variablen mit den zugehörigen Kategorien sind in Tab. 1 beschrieben). Die Variablen Ortslage (OrtsL), vorherrschende Gebäudehöhe (GbHoeh) und Anzahl der
Bäume (nBaum) decken die wesentlichen Eigenschaften der direkten Umgebung eines ST ab. Ferner wurden Variablen aufgenommen, die die
räumlichen Beziehungen zwischen dem ST (bzw. den Kunstnestern) und den umgebenden Gebäuden berücksichtigen: Höhe der Kunstnester am
Schwalbenturm in Relation zum Dachüberstand der umgebenden Häuser (TmHoeh), Entfernung des Schwalbenturms zum nächsten Gebäude (GbEntf
bzw. kGbEntf). Die Variablen Verfügbarkeit von Nistmaterial (NistM), Zugänglichkeit der Kunstnester für nicht flugfähige Prädatoren
(ZPraed) und Präsenz von Brutkolonien in der Nähe (Kolnah) sind jeweils binäre Variablen vom Typ „ja/nein“, bei deren Zutreffen entweder
eine deutliche positive oder eine deutliche negative Wirkung auf die Besiedlungswahrscheinlichkeit eines ST erwartet wird. Bauliche
Eigenschaften des ST-Korpus (Form, Größe, Material, Farbe) wurden hier nicht berücksichtigt, weil die untersuchten ST diesbezüglich recht
einheitlich waren.
Variable
|
Beschreibung und Skala bzw. Kategorien der Ausprägung
|
OrtsL
| Ortslage: (1) innerorts; (2) peripher; (3) außerhalb |
GbEntf
| Entfernung des Schwalbenturms zum nächsten Gebäude in m |
kGbEntf
| Wie GbEntf, aber kategorial: (1) bis 30 m; (2) > 30 – 70 m; (3) > 70 – 100 m |
GbHoeh
| Vorherrschende Gebäudehöhe (Anzahl der Stockwerke = SW, inkl. Erdgeschoss) der umgebenden Gebäude: (1) 1 SW; (2) 2 SW;
(3) 3 SW; (4) 4 und mehr SW |
TmHoeh
| Höhe der Kunstnester am Schwalbenturm in Relation zur Höhe des Dachüberstands der umgebenden Häuser: (1) Kunstnester
höher; (2) gleich hoch; (3) niedriger |
nBaum
| Anzahl der Bäume in der Umgebung (bis ca. 50 m): (1) Standort baumfrei; (2) Einzelbäume; (3) Baumgruppen |
NistM
| Verfügbarkeit von Nistmaterial: (1) verfügbar; (2) nicht verfügbar |
ZPraed
| Zugänglichkeit der Kunstnester für nicht flugfähige Prädatoren: (1) ja; (2) nein |
Kolnah
| Brutkolonie in der Nähe (bis ca. 100 m): (1) vorhanden; (2) nicht vorhanden |
Tab. 1: Variablen zur Charakterisierung der Standorte der Schwalbentürme (Kategoriennummerierung der kategorialen Variablen in
Klammern).
Table 1: Variables to characterise the sites of house martin towers (numbering of categories for categorical variables in
brackets).
3.2 Statistik
Um zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen den Standorteigenschaften in der näheren Umgebung eines ST und dessen
Besiedlungserfolg gibt, wurden die Variablen zunächst univariat untersucht. Bei den kategorialen Variablen kam dafür der
Pearson-Chi-Quadrat-Test zum Einsatz (ggf. mit paarweisen z-Tests als Post-hocs, bonferroni-korrigiert) bzw. bei erwarteten Häufigkeiten
< 5 der exakte Test nach Fisher. Bei der einzigen metrisch skalierten Variablen (GbEntf) wurde der Welch-Test verwendet (Ruxton 2006; Crawley 2015). Getestet wurde jeweils auf dem
5 %-Signifikanzniveau.
Zur Untersuchung der Besiedlungswahrscheinlichkeit der ST kam eine logistische Regression zum Einsatz. Die Standortcharakteristika
besiedelter und unbesiedelter ST wurden mithilfe einer kategorialen Hauptkomponentenanalyse (CATPCA) untersucht. Details zur Datenerhebung
und Statistik finden sich in Abschnitt 2 im Online-Zusatzmaterial.
4 Ergebnisse
4.1 Erfolgsquote und Dauer bis zur Besiedlung
Von den 115 untersuchten ST wurden im Jahr 2018 insgesamt 58 ST von Mehlschwalben zum Brüten genutzt – das ist fast exakt die Hälfte
(50,4 %). Betrachtet man nur die Standorte, an denen nachweislich in einem Umkreis von 100 m bereits Mehlschwalbenkolonien vorhanden waren
(n = 38), so erhöht sich die Erfolgsquote bei 25 besetzten ST auf knapp zwei Drittel (65,8 %, Chi-Quadrat-Test, p = 0,052).
Für 35 ST ist bekannt, wie lange es gedauert hatte, bis sie von Schwalben besiedelt wurden. 16 ST wurden bereits im Jahr ihrer
Errichtung besiedelt, 11 weitere ST im Jahr darauf. Demnach wurden 77,1 % der besiedelten ST mit bekannter Besiedlungshistorie innerhalb
kürzester Zeit (zwei Jahre) von den Schwalben angenommen. 6 ST wurden im übernächsten Jahr besiedelt und jeweils ein ST wurde erst 4 Jahre
bzw. 6 Jahre nach der Errichtung besiedelt.
4.2 Standortfaktoren
Die Verteilung der besiedelten bzw. unbesiedelten ST auf die verschiedenen Kategorien der Variablen ist in Abb. 2 ersichtlich (zu den Abkürzungen der Variablen siehe Tab. 1). Ein signifikanter Unterschied (p < 0,05) ergibt sich nur für die Variablen GbEntf und TmHoeh. Im Einzelnen
lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:
Abb. 2: Häufigkeiten besiedelter (grün) und nicht besiedelter (rot) Schwalbentürme nach Standortvariablen. Die Kategorienachse
zeigt in Klammern die jeweiligen Erfolgsquoten in %. Für die gebäudebezogenen Variablen GbEntf, GbHoeh und TmHoeh gilt n = 112,
für alle anderen Variablen n = 115; Erläuterungen der Variablenkürzel: siehe Tab. 1,
S. 3.
Fig. 2: Frequencies of occupied (green) and not occupied (red) house martin towers by site variables. X-axis shows percentage
success rates in brackets. For the building-related variables GbEntf, GbHoeh and TmHoeh: n = 112, for all other variables: n = 115;
see
Table 1, p. 3, for explanations of the variable abbreviations.
● Variable OrtsL: ST innerhalb der Ortslage erzielten mit 58,3 % die höchste Erfolgsquote. Im Vergleich dazu wurden in
der Ortsperipherie 46,4 % und außerhalb bebauter Ortslagen 36,4 % aller ST besiedelt. Letztere Kategorie war jedoch nur mit
11 Standorten vertreten. Insgesamt waren die Unterschiede bei der Variablen OrtsL statistisch nicht signifikant
(Chi-Quadrat-Test, p = 0,297). ● Variable GbEntf: 80,0 % aller besetzten ST sind maximal 30 m zum nächstgelegenen Gebäude entfernt. Ein ST mit
erfolgreicher Besiedlung steht in einer durchschnittlichen Entfernung von 25,47 m (Standardfehler – SF: 2,87 m) zum
nächstgelegenen Gebäude, für ST ohne Besiedlung liegt der Wert bei 36,54 m (SF: 4,29 m). Der Unterschied ist signifikant
(Welch-Test, p = 0,034). ● Variable GbHoeh: Die höchsten Erfolgsquoten traten auf, wenn am Standort um den ST niedrige Gebäude mit
einem Stockwerk (70,0 % Erfolgsquote) oder zwei Stockwerken (55,2 % Erfolgsquote) vorherrschten, wobei die erstgenannte Kategorie
nur mit wenigen Standorten vertreten war. An Standorten mit überwiegend dreigeschossigen Gebäuden hielt sich die Anzahl der ST
mit erfolgreicher und erfolgloser Besiedlung in etwa die Waage (52,6 % erfolgreich), wohingegen bei vorherrschend vier- und
höhergeschossigen Gebäuden Türme ohne Besiedlung mit 75,0 % deutlich überwogen. Aber auch diese Kategorie war im Datensatz stark
unterrepräsentiert. Insgesamt lässt sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der vorherrschenden Stockwerkszahl
der umliegenden Gebäude und dem Besiedlungserfolg nachweisen (Chi-Quadrat-Test, Fishers exakter Test, p = 0,105). ● Variable TmHoeh: Die höchste Erfolgsquote hatten ST, deren Kunstnester etwa auf gleicher Höhe wie der Dachüberstand
der umgebenden Häuser waren (Kategorie 2). 28 von 37 ST (75,7 %) dieser Kategorie wurden erfolgreich besiedelt. Bei den wenigen
ST der Kategorie 1, deren Kunstnester höher als der umgebende Dachüberstand waren, war das Verhältnis erfolgreicher zu
erfolgloser Besiedlung mit 7 zu 6 fast ausgeglichen. Die meisten ST (n = 62) gehörten zur Kategorie 3, bei der die Höhe der
Kunstnester niedriger als der Dachüberstand der umgebenden Häuser war. Von diesen wurden nur 23 ST (37,1 %) von Mehlschwalben als
Bruthilfe angenommen. Die Variable TmHoeh hatte insgesamt einen signifikanten Einfluss auf die Erfolgsquote der ST
(Chi-Quadrat-Test, p = 0,001), wobei sich in den Post-hocs nur die Unterschiede zwischen Kategorie 2 und 3 als signifikant
herausstellten (z-Test, p < 0,05). ● Variable nBaum: Komplett baumfreie Standorte zeigten bei der Erfolgsquote in etwa ausgeglichene Verhältnisse (55,6 %
mit Besiedlung), waren im Datensatz aber stark unterrepräsentiert. ST mit vereinzelten Bäumen in der Umgebung (Kategorie 2)
hatten mit 55,9 % eine nahezu identische Erfolgsquote wie die baumfreien Standorte, mit 33 erfolgreich besiedelten ST allerdings
auf sehr viel breiterer Datenbasis. An Standorten mit kleineren Baumgruppen in der Umgebung überwogen mit 57,4 % die
unbesiedleten ST. Dennoch ließ sich bzgl. der Variable nBaum kein signifikanter Einfluss auf die Erfolgsquote nachweisen
(Chi-Quadrat-Test, Fishers exakter Test, p = 0,392). ● Variable NistM: Bezüglich der Verfügbarkeit von Nistmaterial am Standort war die Erfolgsquote zwar höher, wenn
geeignete Stellen für die Aufnahme tonig-lehmigen Materials in der Umgebung vorhanden waren (54,4 % gegenüber 44,7 % beim Fehlen
solcher Stellen). Dieser Zusammenhang war jedoch statistisch nicht signifikant (Chi-Quadrat-Test, p = 0,305). ● Variable ZPraed: Nur zwei (22,2 %) der neun ST, die durch direkt angrenzende Bäume einer erhöhten Prädationsgefahr
ausgesetzt sind, wurden von der Mehlschwalbe besiedelt. Der Einfluss dieser Variablen war statistisch nicht signifikant
(Chi-Quadrat-Test, Fishers exakter Test, p = 0,094). ● Kolnah: Diese in Tab. 1 aufgeführte Variable wurde nicht als Einzelvariable,
sondern ausschließlich bzgl. ihrer förderlichen Wirkung auf die Besiedlungswahrscheinlichkeit unterschiedlicher
Standortkonstellationen untersucht (vgl. Abschnitt 5.2).
4.3 Besiedlungswahrscheinlichkeit
Tab. 2a zeigt die Koeffizienten der logistischen Regression. Als binäre abhängige Variable
wurde untersucht, ob ein ST von Mehlschwalben besiedelt wurde (Referenzereignis) oder unbesiedelt blieb. Als erklärende Variablen wurden
die Variablen OrtsL, GbEntf, GbHoeh, TmHoeh, nBaum und NistM verwendet. Nachfolgend im Text entsprechen bei den kategorialen Variablen die
Zahlen nach den Variablennamen der Kategoriennummer gemäß Tab. 1. Die Variable ZPraed wurde wegen
der geringen Zahl der ST mit Prädatorenzugang (n = 9) nicht in das logistische Regressionsmodell aufgenommen. Ihr zweifellos vorhandener
Einfluss wird an anderer Stelle berücksichtigt (vgl. Abb. 2 und Abschnitt 5.2).
Nur die Variable TmHoeh hat einen statistisch signifikanten Einfluss auf den Besiedlungserfolg (p = 0,022). Gegenüber der
Referenzkategorie TmHoeh_3 (Kunstnester sind niedriger als der Dachüberstand der umgebenden Gebäude) erhöht sich die Chance für das
Referenzereignis „Besiedlung erfolgreich“ signifikant um das 5,3-fache, wenn die Nester des ST etwa auf Höhe des Dachüberstands der
umgebenden Gebäude sind (TmHoeh_2, p = 0,006). Kunstnester, die höher als der Dachüberstand der Umgebung hängen (TmHoeh_1), erhöhen
ebenfalls die Chance einer Besiedlung. Sie steigt gegenüber der Referenzkategorie um das 2,3-fache, allerdings ist dieses Ergebnis nicht
signifikant (p = 0,254).
Bezüglich der anderen Variablen sind die Ergebnisse der logistischen Regression statistisch nicht signifikant. Sie werden hier
dennoch kurz vorgestellt, weil sie möglicherweise Tendenzen widerspiegeln, die sich durch weitere Studien erhärten ließen. Es ist
erkennbar, dass ST in Ortslage (OrtsL_1) bzw. ST in randlicher Ortslage (OrtsL_2) gegenüber der Referenzkategorie OrtsL_3 (außerhalb der
Ortslage) eine 1,8- bzw. 1,3-mal höhere Chance auf Besiedlung haben (p = 0,743). Der (leicht) negative Koeffizient (– 0,013) der einzigen
metrisch skalierten Variablen GbEntf zeigt, dass mit zunehmender Entfernung des ST von einem Gebäude die Chance (leicht) sinkt, besiedelt
zu werden (p = 0,131). Bezüglich der vorherrschenden Geschosszahl der umgebenden Gebäude (GbHoeh) zeigt sich, dass gegenüber einer
Umgebung mit vier- und höhergeschossigen Gebäuden (GbHoeh_4) niedrigere Geschosszahlen die Chance auf eine Besiedlung auf bis das
2,2-fache erhöhen (p = 0,668). ST an Standorten ohne oder höchstens mit einzelnen Bäumen in der Umgebung (nBaum_1 bzw. nBaum_2) haben
gegenüber Standorten mit Baumgruppen (nBaum_3) eine mehr als 1,5-fache Chance, von Mehlschwalben besiedelt zu werden (p = 0,524). Die
Verfügbarkeit von Nistmaterial in der Umgebung eines ST (NistM_1) erhöht gegenüber Standorten ohne verfügbares Nistmaterial (NistM_2) die
Chance auf eine Besiedlung um den Faktor 1,7 (p = 0,263).
Das logistische Regressionsmodell hat eine Gesamt-Trefferquote von 69,6 %. Sowohl unter den besiedelten als auch unter den nicht
besiedelten ST wurden 39 ST durch das Modell korrekt klassifiziert, was jeweils einem Anteil von über zwei Drittel entspricht (Tab. 2b).
a) Koeffizienten der logistischen Regression
|
Variablenkategorie
|
Regr-K. B
|
Sig
|
Exp(B)
|
OrtsL_3 (außerhalb)
| REF-KAT | 0,743 | — |
OrtsL_1 (innerorts)
| 0,594 | 0,558 | 1,810 |
OrtsL_2 (peripher)
| 0,249 | 0,788 | 1,282 |
GbEntf (metrisch)
| – 0,013 | 0,131 | 0,987 |
GbHoeh_4 (4+SW)
| REF-KAT | 0,668 | — |
GbHoeh_1 (1SW)
| 0,591 | 0,608 | 1,807 |
GbHoeh_2 (2SW)
| 0,181 | 0,806 | 1,198 |
GbHoeh_3 (3SW)
| 0,786 | 0,314 | 2,195 |
TmHoeh_3 (KNniedr)
| REF-KAT | | — |
TmHoeh_1 (KNhoeh)
| 0,805 | 0,254 | 2,340 |
TmHoeh_2 (KNgleich)
| 1,661 | | 5,266 |
nBaum_3 (Ba-Gruppe)
| REF-KAT | 0,524 | — |
nBaum_1 (Ba-frei)
| 0,578 | 0,475 | 1,783 |
nBaum_2 (Einzel-Ba)
| 0,501 | 0,287 | 1,650 |
NistM_1 (verfügbar)
| 0,524 | 0,263 | 1,689 |
b) Klassifizierungstabelle
|
|
Vorhergesagt
| |
Beobachtet
|
Besiedelt
|
Nicht besiedelt
|
Korrekt [%]
|
Besiedelt
| 39 | 15 | 72,2 |
Nicht besiedelt
| 19 | 39 | 67,2 |
Ba = Baum, Exp(B) = Effekt-Koeffizient von B, KN = Kunstnest, REF-KAT = Referenzkategorie, Regr-K.
B = Regressionskoeffizient B, Sig = Signifikanz, SW = Stockwerk, * = signifikantes Ergebnis |
Tab. 2: a) Koeffizienten des verwendeten logistischen Regressionsmodells. Positive Koeffizienten erhöhen die Chance des
Referenzereignisses („Turm wurde besiedelt“), negative Koeffizienten verringern sie. Bei metrisch skalierten Variablen (nur
GbEntf) zeigt der Effekt-Koeffizient Exp(B) an, um welchen Faktor sich die Chance des Referenzereignisses bei Erhöhung um eine
Maßeinheit der betreffenden Variablen erhöht bzw. verringert. Bei kategorialen Variablen (alle anderen hier verwendeten
Variablen) bezieht sich der Faktor auf den Wert der jeweiligen Referenzkategorie (REF-KAT) der betreffenden Variablen.
Erläuterungen der Variablenkürzel und der Nummerierung der Variablenkategorien: siehe Tab. 1, S. 3. b) Trefferquoten des logistischen Regressionsmodells, n = 112; Gesamttrefferquote des Modells:
69,6 %.
Table 2: a) Coefficients of the logistic regression model applied. Positive coefficients increase the odds of the reference
outcome (“tower occupied”), negative coefficients reduce it. In metric variables (only GbEntf), the odds ratio Exp(B) indicates the
factor by which the odds of the reference outcome is increased or reduced when increasing the value of the respective metric
variable by one unit. In categorical variables (all other variables used), the odds ratio refers to the odds of the respective
categorical variable's reference category(REF-KAT); see Table 1, p. 3, for explanations of
the variable abbreviations and the numbering of variable categories. b) Success rates of the logistic regression model, n = 112;
total success rate of the model: 69.6 %.
Die Hinzunahme der Variablen Kolnah zu den erklärenden Variablen (in Tab. 2 nicht gezeigt)
führt zu einem leicht verbesserten logistischen Regressionsmodell, bei dem mit TmHoeh (p = 0,033) und Kolnah (p = 0,017) zwei Variablen
einen signifikanten Beitrag zur Erklärung der binären Response-Variablen leisten. Laut Effekt-Koeffizienten ist für einen ST mit einer
bestehenden Mehlschwalbenkolonie in der näheren Umgebung die Chance für eine Besiedlung um das 3,7-fache höher als bei ST in
mehlschwalbenfreier Umgebung. Die Zahl der korrekt klassifizierten ST steigt gegenüber dem ersten Modell um 4 auf insgesamt 82 ST
(73,2 %).
4.4 Standortkonstellationen
Die CATPCA brachte drei Hauptkomponenten (HK) mit einem Eigenwert > 1 hervor, die insgesamt 71,4 % der Varianz erklären. Cronbachs
Alpha liegt bei einem Gesamtwert von 0,92 und zeigt somit eine geeignete Variablenauswahl für die Ableitung der HK an (vgl. Abschnitt 2 im
Online-Zusatzmaterial für weitere Erklärungen). HK1 wird
vor allem durch die Variablen GbHoeh und TmHoeh definiert, HK2 durch die Variablen OrtsL und kGbEntf und HK3 durch die Variablen nBaum und
NistM (Tab. 3).
|
HK1
|
HK2
|
HK3
|
OrtsL
| – 0,115 |
0,818
| 0,233 |
kGbEntf
| 0,206 |
0,791
| – 0,166 |
GbHoeh
|
0,887
| 0,033 | – 0,098 |
TmHoeh
|
0,887
| 0,022 | 0,109 |
nBaum
| 0,116 | – 0,144 |
0,834
|
NistM
| 0,139 | – 0,370 |
– 0,606
|
Eigenwert
| 1,661 | 1,454 | 1,167 |
% der Varianz
| 27,69 | 24,23 | 19,45 |
HK = Hauptkomponente |
Tab. 3: Ladungsmatrix der kategorialen Hauptkomponentenanalyse (CATPCA). Ladungsbeträge > 0,6 sind in fetter Schrift
hervorgehoben. Erläuterungen der Variablenkürzel: siehe Tab. 1, S. 3.
Table 3: Loadings of categorical principal components analysis (CATPCA). Absolute values of loadings > 0.6 are highlighted
in bold letters. See Table 1, p. 3, for explanations of the variable abbreviations.
Abb. 3 zeigt im durch HK1 und HK2 aufgespannten Merkmalsraum die Positionierung der
besiedelten und nicht besiedelten ST. Negative Werte bei HK1 stehen für eine Turmumgebung mit überwiegend niedrigen Häusern sowie für
Kunstnester, die am ST auf gleicher Höhe oder höher als der umgebende Dachüberstand angebracht sind. Positive HK1-Werte stehen dagegen für
eine Umgebung aus höheren Häusern und für Kunstnester, die am ST niedriger als der umgebende Dachüberstand hängen. Bei HK2
stehen die negativen Komponentenwerte für ST innerhalb der Ortslage, die sich außerdem in eher geringer Entfernung zum nächstgelegenen
Gebäude befinden. Das obere Ende des HK2-Gradienten repräsentiert dagegen ST, die an der Ortsperipherie oder außerorts stehen und eine
größere Entfernung zum nächstgelegenen Gebäude einnehmen. Sowohl besiedelte als auch nicht besiedelte ST verteilen sich über die gesamte
Diagrammfläche (d. h. über das gesamte untersuchte urbane Spektrum) und in zahlreichen Fällen ist die Position von ST mit und ohne
Besiedlung sogar nahezu deckungsgleich.
Abb. 3: Ergebnisse der kategorialen Hauptkomponentenanalyse (CATPCA). Dargestellt wird der durch die ersten beiden
Hauptkomponenten definierte Merkmalsraum (n = 112). Die Prozentwerte geben die Erfolgsquote pro Quadrant an (in Klammern nur für
Schwalbentürme mit Mehlschwalbenkolonien in der Umgebung). Quadrant A: n = 27, B: n = 26, C: n = 27, D: n = 32. Weitere
Erläuterungen in Abschnitt 4.4; Erläuterungen der Variablenkürzel: siehe Tab. 1,
S. 3.
Fig. 3: Results of the categorical principal components analysis(CATPCA). The Figure shows feature space defined by the first
two principal components (n = 112). The percentage values indicate the success rates by quadrant (in brackets only for house martin
towers with breeding colonies in the vicinity). Quadrant A: n = 27, B: n = 26, C: n = 27, D: n = 32. See Section 4.4 for further
explanations; see
Table 1, p. 3, for explanations of the variable abbreviations.
Dennoch sind im Detail räumliche Ungleichgewichte innerhalb beider ST-Kategorien erkennbar. Um diese genauer zu untersuchen, wurde
der Merkmalsraum in Abb. 3 entlang der beiden Null-Linien von HK1 bzw. HK2 in vier Quadranten
unterteilt, die jeweils für eine bestimmte Konstellation der Umgebungsvariablen stehen. Die verschiedenen innerhalb dieser Quadranten
aufgetretenen Erfolgsquoten unterscheiden sich signifikant voneinander (Chi-Quadrat-Test, p = 0,003). Die mit Abstand höchste Erfolgsquote
(77,8 %) trat mit 21 besiedelten zu 6 nicht besiedelten ST in Quadrant C auf, gefolgt von Quadrant A (59,3 %, 16 : 11), wo ebenfalls die
besiedelten ST überwogen. In den Quadranten B (38,5 %, 10 : 16) und D (34,4 %, 11 : 21) gab es dagegen deutlich mehr nicht besiedelte als
besiedelte ST. Trotzdem wurde auch in Quadrant D immerhin noch ein Drittel aller ST besiedelt. Bei den paarweisen Vergleichen (Post-hocs)
zwischen den Quadranten unterschied sich lediglich Quadrant C jeweils signifikant von Quadrant D bzw. B (z-Test, p < 0,05). Alle
anderen Paarungen ergaben keine statistisch signifikanten Ergebnisse.
Abb. 3 zeigt auch für jeden Quadranten die Erfolgsquoten der ST, die jeweils eine
Mehlschwalbenkolonie in der näheren Umgebung hatten (n = 38, vgl. Abschnitt 4.1). Für diese
Teilmenge waren die Erfolgsquoten v. a. in den Quadranten A (85,7 %) und C (100,0 %) deutlich höher als für die Gesamtheit aller
ST.
5 Diskussion
5.1 Relevanz der Standortfaktoren
Abb. 3 zeigt deutlich, dass es innerhalb des gesamten urbanen Spektrums, in dem sich die
untersuchten ST befinden, zu einer Annahme der ST durch die Mehlschwalbe gekommen ist. Das verwundert insofern nicht, als hinter jedem
ST-Projekt die Expertise erfahrener Fachleute steht und somit vollkommen ungeeignete Standorte in dieser Studie gar nicht vertreten waren.
Auch die etwa 50 % nicht besiedelter ST, die im Bezugsjahr 2018 (vermutlich jeweils seit ihrer Errichtung) unbesetzt waren, decken das
gesamte urbane Spektrum ab und nehmen im Merkmalsraum durchweg Positionen ein, die in der Nähe zu erfolgreichen ST-Projekten liegen oder
sogar deckungsgleich mit diesen sind. Insofern ist das Ausbleiben der Besiedlung bei diesen ST in den allermeisten Fällen nicht auf
offensichtliche Fehler bei der Planung bzgl. Positionierung des ST zurückzuführen, weil es andernorts ST-Projekte gibt, die jeweils in
vergleichbarer Umgebung erfolgreich waren.
Im Detail gibt es jedoch signifikante Abweichungen von der Gesamterfolgsquote von ca. 50 %. So zeigt der Anteil von 77,8 %
besiedelter ST in Quadrant C (Abb. 3), dass die Erfolgsaussichten eines ST-Projekts am höchsten
sind, wenn der ST in Ortslage mit vorherrschend niedrigen Gebäuden in nicht zu weiter Entfernung zu einem Gebäude so installiert wird,
dass die Kunstnester in etwa in Höhe des Dachüberstands der umgebenden Gebäude am ST befestigt sind. Direkt unterhalb des Dachüberstands
bauen die Mehlschwalben normalerweise ihre Nester, wenn sie an einem Gebäude brüten (Südbeck et al.
2005). Im Vergleich dazu war die Erfolgsquote des Quadranten D mit 34,4 % signifikant niedriger (Abb. 3). Dieser Quadrant steht für eine Konstellation, bei der die Gebäude in Ortslage eher höher (drei-
oder viergeschossig) waren und/oder die Kunstnester in einer deutlich niedrigeren Höhe als der Dachüberstand der umgebenden Häuser am ST
angebracht waren. Auch die logistische Regression (Tab. 2) und die Ergebnisse der
Chi-Quadrat-Tests (Abb. 2) bestätigen tendenziell die negative Wirkung höherer Gebäude auf die
Erfolgsaussichten der ST.
Die Quadranten A und B sind in gleicher Weise entlang der HK1 angeordnet wie die Quadranten C und D. Wie die höheren Werte der
Quadranten A und B auf der HK2 zeigen, stehen die durch diese Quadranten repräsentierten ST allerdings eher an der Ortsperipherie oder
schon außerhalb der eigentlichen Ortslage und auch die Entfernung zwischen ST und nächstgelegenem Gebäude ist hier etwas größer als in den
Quadranten C und D.
Vermutlich wirkt das ungünstige Verhältnis zwischen der Höhe der Kunstnester im Vergleich zur Höhe des Dachüberstands der Gebäude in
Quadrant B deutlich stärker erfolgsmindernd als ihre Positionierung bzgl. der Ortslage. Das zeigt sich nicht nur in der deutlich besseren
Erfolgsquote von Quadrant A (59,3 %) gegenüber Quadrant B, der nur auf 38,5 % kommt. Es zeigt sich auch und v. a. darin, dass die
logistische Regression der TmHoeh als einziger Variablen einen signifikanten Einfluss auf das Referenzereignis „Besiedlung des Turms“
zuschreibt (Tab. 2). Laut diesem Modell ist die Chance, dass ein ST besiedelt wird, um mehr als
das 5-fache erhöht, wenn die Kunstnester am ST in etwa in Höhe des Dachüberstands der umgebenden Gebäude hängen und nicht niedriger. Auch
die Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests (Abb. 2) sprechen für die herausragende Bedeutung der
Variablen TmHoeh.
Dass die mittlere Entfernung zum nächstgelegenen Gebäude bei besiedelten ST signifikant niedriger liegt als bei nicht besiedelten ST
(25,47 m gegenüber 36,54 m), deutet darauf hin, dass die Mehlschwalben auch beim Brüten in einem ST die Nähe zu Gebäuden suchen. Auch
Over (2015) und Dietzen (2017) betonen, dass ST
gebäudenah in Ortslage positioniert sein sollten. In der logistischen Regression ist dieser Zusammenhang angedeutet, jedoch nicht
signifikant. Da die Mehlschwalbe in ihren Primärlebensräumen vorwiegend ein Felsbrüter ist (Hund, Prinzinger
1985), kommen in ihren urbanen Sekundärlebensräumen als Ersatzstruktur Gebäude einer Felswand deutlich näher als ein isoliert
stehender ST mit geringerer Bindung an die Ortslage. Vermutlich aus diesem Grund liegt die Erfolgsquote des Quadranten A trotz günstiger
Höhe der Kunstnester in Relation zum Dachüberstand der umgebenden Häuser 18,5 Prozentpunkte unter der Erfolgsquote des
Quadranten C.
Die zu erwartende positive Wirkung der Variablen NistM sowie die negative Wirkung von nBaum auf den Besiedlungserfolg der ST sind im
vorliegenden Datensatz (vgl. Abb. 2, Tab. 2a) nur
angedeutet. Diese Erwartungen begründeten sich zum einen darin, dass Mehlschwalben bevorzugt dort brüten, wo in der Nähe der Brutplätze
tonig-lehmiges Material verfügbar ist (Hund, Prinzinger 1985; Murgui
2002; Schuldes 2020) – und zwar auch dort, wo ihnen bei Brutbeginn bereits
Kunstnester zur Verfügung stehen (Piersma 2013). Vermutlich verliert die Verfügbarkeit von
Nistmaterial im Kontext von ST an Bedeutung aufgrund der hohen Zahl der bereitgestellten Kunstnester (vgl. z. B. Hoffmann, Michler 2015).
Darüber hinaus sollte der freie Anflug zu den Nestern nicht durch Bäume verstellt sein (Südbeck et al.
2005; Over 2015; Wegener, Zedler 2020),
sodass eine größere Zahl von Bäumen im Umfeld des ST hinderlich sein sollte. Immerhin gehen die Zahlen sowohl bei der logistischen
Regression als auch bei den univariaten Chi-Quadrat-Tests in die erwartete Richtung, jedoch in keinem Fall statistisch
signifikant.
5.2 Ein Booster und ein Klotz am Bein – zwei kardinale Standortfaktoren
ST mit benachbarten Brutvorkommen der Mehlschwalbe wurden zu 65,8 % besiedelt; ihre Erfolgsquote lag dabei im gesamten untersuchten
urbanen Spektrum (v. a. Quadranten A und C) höher als bei Berücksichtigung aller ST (vgl. Abb. 3).
In Quadrant A lag diesbezüglich die Erfolgsquote bei 85,7 %, im „Optimal-Quadranten“ C sogar bei 100 %, was freilich nicht als
hundertprozentige Erfolgsgarantie interpretiert werden darf. Nichtsdestotrotz sind aus planerischer Sicht die Erfolgsaussichten eines
ST-Projekts mit benachbarten Schwalbenvorkommen innerhalb der durch diese beiden Quadranten definierten urbanen Rahmenbedingungen mehr als
zufriedenstellend.
Außerdem wurde das logistische Regressionsmodell treffsicherer bzgl. der Klassifizierung in ST mit und ohne Besiedlung, wenn Kolnah
als erklärende Variable hinzugenommen wurde (73,2 % Trefferquote gegenüber 69,6 % ohne diese Variable) und die Chance auf einen
besiedelten ST stieg um das 3,7-Fache.
Die in Fachkreisen empirisch gestützte Einschätzung, dass bestehende Brutvorkommen der Mehlschwalbe im Umfeld eines neu installierten
ST einen „Booster-Effekt“ auf dessen Besiedlungswahrscheinlichkeit haben können (z. B. Meier 2014;
Over 2015; van den Bremer et al. 2019; Wegener, Zedler 2020), wird hier erstmalig auf breiter Datengrundlage quantitativ untermauert. Gleiches
gilt im Übrigen auch für den Besiedlungserfolg von Kunstnestern an Gebäuden (Meister, Ehrengruber
2015).
Weniger bekannt ist möglicherweise der Umstand, dass es mit der Zugänglichkeit der Kunstnester am ST für nicht flugfähige Prädatoren
(z. B. Katzen, Marder oder Eichhörnchen über einen sehr dicht am ST stehenden Baum) einen kardinalen Negativfaktor bei der Standortplanung
gibt. Dass Schwalben diesbezüglich bei der Wahl des Neststandorts sehr empfindlich auf potenzielle Gefahren durch Prädatoren reagieren
können, ist bekannt (Hund, Prinzinger 1985; Schuldes
2020). Dies deckt sich auch mit unseren eigenen Untersuchungen von Schwalbenbruten an Flussbrücken (Elle, Nagel 2020), wo potenziell gut geeignete Mikrostandorte für die Nestanlage konsequent von den
Schwalben gemieden wurden, wenn diese über Rohrleitungen oder Stahlträger für Prädatoren erreichbar waren. In einem anderen Fall wurden
langjährige Neststandorte an einer Brückenseite dauerhaft aufgegeben, nachdem dort im Zuge von Sanierungsarbeiten nachträglich solche
Rohrleitungen installiert wurden, während die unveränderte Brückenseite nach Beendigung der Bauarbeiten wiederbesiedelt wurde.
Der Faktor „Zugänglichkeit für Prädatoren“ (ZPraed) konnte hier allerdings wegen sehr geringer Fallzahlen (n = 9) in unserer
Stichprobe nur in eher deskriptiver Manier abgehandelt werden. Sieben der neun für Prädatoren erreichbaren ST blieben unbesiedelt, obwohl
bei fünf dieser ST Mehlschwalben in der Umgebung gebrütet hatten! Die Zugänglichkeit eines ST für Prädatoren ist somit nach unserer
Datenlage wahrlich ein „Klotz am Bein“, der eine ansonsten günstige Standortwahl zunichtemachen kann. Dies kann bei der Planung aber sehr
leicht durch einen ausreichenden Abstand zwischen ST und dem nächstgelegenen Baum berücksichtigt werden.
5.3 Naturschutzfachliche Bewertung
Welche Relevanz haben diese Ergebnisse aus naturschutzfachlicher Sicht? ST, die im Rahmen einer CEF-Maßnahme errichtet werden, um
Brutvorkommen der Mehlschwalbe während eines Eingriffs über kurze oder mittlere Distanzen zu verlagern, haben sehr gute Erfolgsaussichten.
Das gilt selbst für Standorte außerhalb der eigentlichen Ortslage, die ansonsten als Standort für einen ST eher vermieden werden sollten.
So konnte bspw. im Jahr 2015 während der Sanierung einer Moselbrücke bei Zell deren Mehlschwalbenbrutbestand erfolgreich auf einen eigens
dafür installierten ST verlagert werden, von dem aus nach Beendigung der Sanierungsarbeiten ohne weiteres Zutun auch hauptsächlich die
Wiederbesiedlung dieser Brücke ausging (Elle, Nagel 2020; weitere Beispiele in Wegener, Zedler 2020).
Sehr positiv sind unter Beachtung der hier herausgearbeiteten förderlichen Standortfaktoren auch die Erfolgsaussichten von
ST-Projekten außerhalb des behördlichen Naturschutzes, seien es privat motivierte Projekte von Schwalbenbegeisterten oder Initiativen von
Firmen mit „grünem“ Engagement auf ihrem Firmengelände. Sofern diese sich im Einzugsgebiet etablierter Schwalbenmetapopulationen befinden,
werden mit etwas Glück auch brutwillige Schwalben den Weg in den neuen ST finden.
Problematisch sind dagegen Projekte, die das Ziel haben, durch die Aufstellung eines ST in einer weiträumig mehlschwalbenfreien
Umgebung diese Vogelart dort lokal anzusiedeln. Diese Auffassung vertreten auch andere Autorinnen und Autoren (Over 2015; Schmolz 2017; Wegener,
Zedler 2020). Es sollte in solchen Fällen zunächst auf der Mesoebene untersucht werden, warum die Mehlschwalbe dort
großflächig nicht als Brutvogel auftritt, bevor man an eine derart aufwändige ST-Maßnahme auf der Ebene des Mikrostandorts denkt.
Auch Standorte mit hoher Bebauung (vier- und höhergeschossig) sind für die Aufstellung von ST, die nach Möglichkeit nicht niedriger
als die umgebenden Gebäude sein sollten, eher ungeeignet, da der ST-Höhe aus statischen und wartungstechnischen Gründen (z. B. Reinigung
der Nester) Grenzen gesetzt sind. Obwohl auch für solche Standorte erfolgreiche ST belegt sind (vgl. Abb. 2c, d), empfehlen wir bei der Umsetzung einer CEF-Maßnahme – falls möglich –
ein Ausweichen in benachbarte Stadtteile mit günstigerer urbaner Struktur oder die Durchführung der Maßnahme mithilfe von
Kunstnestern.
Die höchsten Erfolgsaussichten sind in einer urbanen Umgebung gegeben, die in dieser Untersuchung durch Quadrant C in Abb. 3 repräsentiert wird. Dennoch lässt die Fülle der hier untersuchten ST-Projekte den erfreulichen
Schluss zu, dass innerhalb jedes prinzipiell geeigneten urbanen oder dörflichen Umfelds a priori stets die Möglichkeit besteht, dass ein
ST-Projekt am Ende erfolgreich ist – insbesondere dann, wenn es in der Umgebung bereits Brutvorkommen der Mehlschwalbe gibt. Es
wird aber auch sehr deutlich, dass selbst in mutmaßlich optimaler Umgebung einzelne ST-Projekte ohne erkennbaren Grund dauerhaft erfolglos
bleiben können. Ähnliches gilt im kleineren Maßstab auch für Kunstnester, die an Gebäuden montiert werden (z. B. Willi et al. 2011).
Ob ein ST erfolgreich besiedelt wird oder nicht, zeigt sich nach unserer Datenlage in den allermeisten Fällen in den ersten zwei bis
drei Jahren nach dessen Errichtung. Knapp 95 % der 35 besiedelten ST mit bekannter Besiedlungshistorie wurden spätestens im zweiten Jahr
nach ihrer Errichtung von den Mehlschwalben zum Brüten genutzt. Bleibt eine Erstbesiedlung innerhalb dieses Zeitraums aus, sind die
Aussichten auf eine spätere Besiedlung eher gering. Sollte ein ST trotz benachbarter Mehlschwalbenvorkommen dauerhaft unbesiedelt bleiben,
könnte als Ultima Ratio auch eine Versetzung des ST an einen besser geeigneten Standort in Erwägung gezogen werden (z. B. Meier 2014).
Für die Initiatorinnen und Initiatoren eines ST-Projekts, die meist für nur einen ST verantwortlich sind, geht es bei „ihrem“ ST
immer um „alles oder nichts“. Als abschließende Empfehlung für die Praxis fasst Abb. 4 zusammen,
welche Eigenschaften bei der Suche nach einem geeigneten Standort für einen ST berücksichtigt werden sollten, um die Erfolgsaussichten zu
optimieren (für Empfehlungen zum Bautyp des ST siehe Meier 2014 oder Wegener, Zedler 2020). Einen „Goldstandard“ mit Erfolgsgarantie kann aber auch diese Studie nicht bieten. Somit bleibt für
jedes individuelle ST-Projekt stets ein Restrisiko des Scheiterns, das die Projektträgerinnen und -träger gegenüber ihrem Wunsch nach
einer erfolgreichen Mehlschwalbenansiedlung selbst abwägen müssen.
Abb. 4: Empfehlungen für die Planungspraxis (Erläuterungen der Variablenkürzel: siehe Tab. 1, S. 3). Grün: positive Wirkung auf Besiedlungswahrscheinlichkeit, rot: negative Wirkung. Grundlage der
Standortbewertung sind die im Rahmen dieser Studie empirisch gewonnenen Ergebnisse (logistische Regression, kategoriale
Hauptkomponentenanalyse – CATPCA und univariate Statistiken).
Fig. 4: Recommendations for planning practice (see
Table 1, p. 3, for explanations of
the variable abbreviations). Green: positive impact on likelihood of occupancy, red: negative impact. Site assessment is based on
the empirical findings of this study (logistic regression, categorical principal components analysis – CATPCA, and univariate
statistics).
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Dank
Wir danken Herrn Dipl.-Ing. agr. Oliver Wegener (Firma Agrofor, Wettenberg), ohne dessen Kooperation es uns nicht möglich gewesen
wäre, eine so große Anzahl von ST-Standorten in Deutschland ausfindig zu machen und zu untersuchen. Ein Interessenkonflikt bestand zu
keinem Zeitpunkt, da seitens Agrofor die Studie weder finanziell unterstützt wurde noch Einfluss auf die Auswahl der Standorte oder die
Auswertung und Interpretation der Ergebnisse genommen wurde. Außerdem danken wir zwei anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachtern für ihre
äußerst konstruktive Kritik sowie wertvolle Anregungen zu unserem Manuskript.