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Dezimierung einer Flussperlmuschelpopulation in der Lüneburger Heide durch Wildschweine aufgrund von Niedrigwasser

Decimation of a freshwater pearl mussel population in the Luneburg Heath by wild boar due to low water levels

DOI: 10.19217/NuL2023-01-03 • Manuskripteinreichung: 11.2.2022, Annahme: 18.10.2022

Reinhard Altmüller

Zusammenfassung

Das Lutterprojekt ist ein Großschutzprojekt des Bundes, das in der Trägerschaft der Landkreise Celle und Gifhorn v. a. zum Schutz und für das dauerhafte Überleben der Flussperlmuschel Margaritifera margaritifera (FPM) in der Lüneburger Heide in den Jahren von 1989 bis 2006 erfolgreich umgesetzt wurde. Der Autor hat das Projekt als fachlicher Berater initiiert und begleitet, die Populationsentwicklung der FPM seit 2000 als Schnorcheltaucher dokumentiert und wurde Zeuge einer nicht vorhergesehenen Dezimierung des FPM-Bestands durch Wildschweine. Der Niederschlagsmangel in den Jahren 2018 und 2019, der wahrscheinlich mit dem globalen Klimawandel zusammenhängt, führte zu besonders niedrigen Wasserständen in der Lutter. Die Flussperlmuscheln waren deshalb für Wildschweine in den flachen Abschnitten besser erreichbar und der Muschelbestand wurde in etwa halbiert.

Fließgewässerschutz – Gewässerrandstreifen-Programm – Flussperlmuschel – Margaritifera margaritifera – Klimawandel – Wassermangel – Wildschwein

Abstract

The Lutter project is a large-scale conservation project of the German federal government. This successful project, promoted by the administrations of the two districts of Celle and Gifhorn, was undertaken between 1989 and 2006. The goal was to conserve and ensure the long-term survival of the remaining population of the freshwater pearl mussel Margaritifera margaritifera (FWPM) in the Luneburg Heath. The author has advised the Lutter project in a professional capacity since its initiation, and has monitored the development of the FWPM population since 2000 by snorkel count methods. In 2019, he discovered an unforeseen decimation of the FWPM population, the cause of which he traced to wild boars. The low rainfall in the years 2018/2019, probably linked to global climate change, caused extreme low water in the Lutter river. As a result, wild boar were able to reach the FWPM much better in the shallow sections and the mussel population was roughly halved.

Watercourse protection – Riparian strips programme – Freshwater pearl mussel – Margaritifera margaritifera – Climate change – Water shortage – Wild boar

Inhalt

1 Einleitung

2 Untersuchungsmethoden

2.1 FPM-Monitoring durch Schnorcheln

2.2 Dokumentation von FPM-Schädigungen mit Hilfe von Wildkameras

3 Ergebnisse

3.1 Beendigung der FPM-Gefährdung durch erfolgreiche Drückjagd auf Wildschweine

4 Diskussion

5 Ausblick

6 Literatur

Dank

1 Einleitung

Das Lutterprojekt ist ein Naturschutzgroßprojekt (chance.natur – Bundesförderung Naturschutz) (BfN 2006; Scherfose et al. 1996), das in den Jahren 1989 – 2004 in der Trägerschaft der Landkreise Celle und Gifhorn zum Schutz der Lutter und ihrer Nebengewässer umgesetzt wurde (Abendroth 1993; Romberg 2021). Anlass und wichtigste Zielart für das Lutterprojekt war die Flussperlmuschel (FPM – Margaritifera margaritifera), die hier in einer Restpopulation das ehemals große Vorkommen in der Lüneburger Heide überlebt hat (Taube 1766; Wellmann 1938; Bischoff, Utermark 1976) und in der Lüneburger Heide ein Höchstalter von 100 Jahren erreicht (Dettmer 1982). Die FPM steht in Deutschland in der Rote-Liste-Kategorie 1 („Vom Aussterben bedroht“; Jungbluth, von Knorre 2011) und ist in der FFH-Richtlinie in den Anhängen II und V aufgeführt. Die FPM-Population in der Lutter hat sich aufgrund der umfangreichen Schutzmaßnahmen im Rahmen des Lutterprojekts sehr gut entwickelt. Der Bestand ist von ca. 1.700 Altmuscheln (älter 50 Jahre) im Jahr 1994 (Rainer Dettmer, mündl. Mitt.) auf ca. 16.500 Individuen im Jahr 2018 angewachsen, von denen 98 % jünger als etwa 30 Jahre waren. Die FPM-Population in Lutter und Lachte (östlich und nordöstlich von Celle im Einzugsgebiet von Aller und Weser gelegen) ist damit neben der Population in der Blanice (Tschechien) die einzige FPM-Population in Mitteleuropa mit einer positiven Populationsentwicklung (Geist 2010). Zudem ist diese Population aufgrund der genetischen Differenzierung zu anderen mitteleuropäischen Populationen besonders schützenswert (Geist, Kühn 2005, 2008).

Die FPM besiedelt sehr naturnahe Fließgewässer mit guter Wasserqualität und einem kiesig-steinigem Gewässergrund, dessen Kieslückensystem (hyporheisches Interstitial) nicht durch unnatürliche Feingeschiebefrachten verstopft oder sogar überdeckt wird. Die Verstopfung des Interstitials ist für die zunächst nur 0,5 mm kleinen Jungmuscheln das Hauptproblem. Sie zählt europaweit zu den Hauptursachen der fehlenden Verjüngung von FPM-Populationen (Geist, Auerswald 2007). Diese Problematik wurde an der Lutter 1986/88 bei Elektrobefischungen zur künstlichen Vermehrung von FPM und im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen erkannt (Buddensiek 1991; Buddensiek et al. 1993; Altmüller, Dettmer 1996). Deren Minimierung wurde im Lutterprojekt ab 1989 umgesetzt, u. a. durch umfangreichen Flächenerwerb, Erwerb eines Mühlen-Staurechts und durch die Anlage von Sandfängen in allen Entwässerungsgräben. Im Rahmen der bis ins Jahr 2002 jährlich durchgeführten Elektrobefischungen zur Bestandsförderung der FPM (die gefangenen Bachforellen wurden während eines ca. 30-minütigen Aufenthalts in einer Wanne künstlich mit FPM-Larven infiziert und danach umgehend in das Gewässer zurückgesetzt) wurden neben den Bachforellen (Salmo trutta fario) auch alle anderen Fischarten gefangen und deren Bestand wurde ermittelt. Dadurch konnte die positive Entwicklung des ökologischen Zustands der Lutter zuerst anhand des sich exponentiell vergrößernden Elritzen-Bestands (Phoxinus phoxinus) nachgewiesen werden (Altmüller, Dettmer 1996). 1997 wurden die ersten Schalen juveniler FPM gefunden und in den Jahren 1997 – 1999 wurde in einer Teilstrecke beim Schnorcheln die langsame Zunahme des Jungmuschelbestands dokumentiert (Altmüller, Dettmer 2000). Im Jahr 2000 wurde mit dem systematischen Monitoring des FPM-Bestands durch Schnorcheln begonnen. Über die positive Entwicklung wurde in zeitlichen Abständen berichtet (Altmüller 2005, 2015).

Mit diesem Beitrag soll die Dokumentationsreihe fortgeführt und von einer nicht vorhergesehenen Entwicklung berichtet werden, die möglicherweise indirekt vom Klimawandel mit länger währenden, besonders niedrigen Wasserständen ausgelöst wurde.

2 Untersuchungsmethoden

2.1 FPM-Monitoring durch Schnorcheln

Die Monitoringstrecke umfasst zwei insgesamt etwa 7 km lange Teilabschnitte der Lutter, die von FPM besiedelt sind (genauere Angaben zum Ort können aus Schutzgründen nicht gemacht werden). Hier wurde die Bestandszählung jährlich alternierend in den Jahren 2000 – 2021 jeweils in etwa der Hälfte der Strecke im Sommer im Neopren-Anzug schnorchelnd durchgeführt. Ausgestattet mit einer auf die kurze Sicht-Distanz von 10 – 50 cm optimierten Taucherbrille wurde der Bachgrund systematisch abgesucht und die gefundenen Muscheln wurden nach den Altersklassen „Jungmuscheln“ (Alter ≤ ca. 10 Jahre, Länge ≤ ca. 4,5 cm), „halbwüchsig“ und „Altmuscheln“ (Alter > ca. 50 Jahre, Länge > ca. 9 cm) grob unterteilt gezählt. Für die 3,5 bzw. 2,8 km langen Untersuchungsstrecken wurden im jährlichen Wechsel im Mittel 22 bzw. 33 „Tagesaktionen“ benötigt. Im Jahr 2018 waren 50 Tagesaktionen erforderlich, weil der niedrige Wasserstand die Bearbeitung stark behinderte.

2.2 Dokumentation von FPM-Schädigungen mit Hilfe von Wildkameras

Die Aktivitäten von Wildtieren in der Lutter wurden mit einer Wildkamera vom Typ „Maginon“® und drei Wildkameras vom Typ „DÖRR Snapshot EXTRA BLACK 12,0i HD“® dokumentiert. Die Wildkameras überwachen seit März 2019 dauerhaft eine etwa 40 m lange Strecke.

3 Ergebnisse

Die im Jahr 2000 begonnenen systematischen Bestandsaufnahmen per Schnorcheln zeigten eine Bestandszunahme von ca. 2.500 FPM im Jahr 2000 auf ein Maximum von ca. 16.500 im Jahr 2018 (Abb. 1). In den ersten Jahren bedeckte den Gewässerboden noch auf weiten Strecken ein dünner, relativ stabiler „Sandfilm“. Zwischen den hellen Sandkörnern waren die Jungmuscheln gut zu sehen, die ihr Hinterende zum Filtrieren nur wenige Millimeter aus dem Untergrund herausstreckten (Abb. 2). Deshalb konnten in den ersten Jahren bis etwa 2009 beim Schnorcheln mehr Jungmuscheln entdeckt werden. Mit der sukzessiven Entsandung der Lutter (Altmüller, Dettmer 2006) blieben die Jungmuscheln zunehmend tiefer zwischen den Kieseln versteckt, waren dort schlechter zu entdecken und wurden vermutlich z. T. übersehen (Abb. 1). Das Monitoring benötigte deshalb mit abnehmendem Sandanteil im Gewässergrund zunehmend mehr Zeit.

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Abb. 1: Bestandsentwicklung der Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) in der Lutter. Daten: Dettmer 1982, 1992, 1994, seit 2000: Verfasser mit der Methode des „Schnorchelns“. Der Populationseinbruch geht auf Wildschweinfraß (Sus scrofa) im Jahr 2019 zurück. Der Bestand in der durch Wildschweinfraß geschädigten Strecke wurde in diesem Jahr nicht untersucht. Die tatsächliche Anzahl überlebender Muscheln wurde 2020 ermittelt.
Fig. 1: Population development of the freshwater pearl mussel (FWPM – Margaritifera margaritifera) in the Lutter river. Data: Dettmer 1982, 1992, 1994, since 2000: author by snorkelling. The population collapse relates to predation by wild boar (Sus scrofa) in 2019. The population in the stretch damaged by wild boar predation was not examined in 2019. The total number of surviving FWPM was monitored in 2020.
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Abb. 2: Junge Flussperlmuscheln (Margaritifera margaritifera) sind zwischen hellen Sandkörnern gut zu erkennen.
Fig. 2: Young freshwater pearl mussels (Margaritifera margaritifera) can easily be seen against light coloured grains of sand.

Ein Großteil der festgestellten Jungmuscheln geht spätestens seit 2012 auf natürliche Reproduktion der FPM zurück, denn die letzten künstlichen Vermehrungsmaßnahmen wurden 2002 durchgeführt. Eine Kontrollbefischung im Mai 2006 gemeinsam mit R. Dettmer ergab eine sehr gute Infektionsrate von FPM-Larven auf Jungforellen (Abb. 3). Im Jahr 2020 wäre bei fortschreitender Populationsentwicklung mit bis zu 20.000 Individuen der FPM zu rechnen gewesen. Doch am 14.2.2019 wurden in der Lutter die ersten zerbissenen Schalen gefunden, die eindeutig nicht von Nutria (Myocastor coypus) oder Waschbär (Procyon lotor) zerbissen worden waren (Abb. 4). Fraßspuren dieser beiden Arten an einzelnen FPM-Schalen sind dem Autor seit Jahren bekannt. Der Artnachweis erfolgte jeweils anhand der vorgefundenen Fußspuren. Der sofortige Verdacht auf Fraß durch Wildschweine (Sus scrofa) bestätigte sich durch den Einsatz von Wildkameras (Abb. 5).

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Abb. 3: Kiemen einer vorjährigen Bachforelle (Salmo trutta fario), die am 7.5.2006 zur Kontrolle der natürlichen Infektion gefangen wurde. Die auf natürlichem Wege auf die Bachforellen-Kiemen gelangten Larven der Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) sind im Kiemengewebe sehr gut herangewachsen und stehen als voll entwickelte Jungmuscheln kurz vor dem Verlassen ihres Wirtsfisches.
Fig. 3: Gills of a brown trout (Salmo trutta fario) from the previous year, which was caught on 7 May 2006 to assess natural infestation by larvae of the freshwater pearl mussel (FWPM – Margaritifera margaritifera). The FWPM larvae, which have naturally encysted the gills of the trout, have developed well and will shortly drop off their host fish as juvenile mussels.
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Abb. 4: Zerbissene Schale einer Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera), die am 12.2.2019 vom Gewässergrund der Lutter mit Hilfe einer Harke geborgen wurde. Die Fraßspuren deuteten sofort auf ein Wildschwein (Sus scrofa) als Verursacher hin. Wesentliche Teile des Weichkörpers hingen noch an Schalenteilen. Möglicherweise wurde das Wildschwein bei der Nahrungssuche vom Autor gestört.
Fig. 4: Shells of a freshwater pearl mussel (Margaritifera margaritifera) with breakages caused by crunching, retrieved from the bottom of the Lutter river with a rake on 12 February 2019. As parts of the mussel's soft tissue still adhered to the broken shells, it was suspected that a wild boar (Sus scrofa) was at the location until it was disturbed by the author.
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Abb. 5: Wildschwein (Sus scrofa) beim Zerbeißen einer Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera). Einzelbild aus einer Video-Aufnahme mit einer Wildkamera. In diesem und weiteren Videos ist das Zerknacken der Muschelschalen deutlich zu hören. Der große Stein im Bildvordergrund ist ein Findling, ein lokaler Nachweis für die landschaftsgeologische Entstehungsgeschichte der Lüneburger Heide und des Norddeutschen Tieflands während der Saale-Eiszeit, ca. 125.000 – 235.000 Jahre vor heute (nach Ehlers 1990 in Seedorf, Meyer 1992).
Fig. 5: Wild boar (Sus scrofa) crunching a freshwater pearl mussel (Margaritifera margaritifera) with its teeth. Single picture taken from a video recorded using a wildlife camera trap. The noise of breaking shells can clearly be heard in this and other videos. The big rock in the foreground is an erratic boulder, evidence of the geological history of the Luneburg Heath, which was formed during the Saale ice age 125,000 – 235,000 years before present (after Ehlers 1990 in Seedorf, Meyer 1992).

Im Laufe der Zeit zeigte sich das Wirken der Wildschweine immer stärker anhand der zahlreichen Schalen-Bruchstücke am Gewässergrund (Abb. 6). Der um Hilfe gebetene Jäger sah während der Vegetationsperiode keine Möglichkeit, das Wildschwein – vermutlich war es nur ein einziges Tier – gezielt zu erlegen, das die Muscheln als Nahrungsquelle kennengelernt hatte. Die Videoaufnahmen dokumentierten das völlig unstete, überwiegend nächtliche Auftreten. Eine gezielte Jagd war deshalb nicht planbar. Außerdem verbot sich die Jagd im Sommer, da „die Übeltäterin“ eine führende Bache war (siehe Regelungen des Bundesjagdgesetzes aus dem Jahr 2020 in § 22 Absatz 4).

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Abb. 6: Gewässergrund der Lutter mit Schalen-Bruchstücken von Flussperlmuscheln (FPM – Margaritifera margaritifera), die von Wildschweinen (Sus scrofa) zerbissen und deren Weichkörper aufgefressen wurden. Die Aufnahme zeigt beispielhaft den von FPM-Schalen übersäten Gewässergrund (an dieser Stelle wurde der Fraß mit einer Wildkamera dokumentiert), so wie auch alle anderen Flachwasserbereiche der im Jahr 2019 nicht durch Schnorcheln untersuchten etwa 3 km langen Teilstrecke der Lutter zum Ende des Sommers 2019 aussahen.
Fig. 6: Bottom of the Lutter river with fragments of freshwater pearl mussel (FWPM – Margaritifera margaritifera) shells, discarded by wild boar (Sus scrofa) after the soft parts of the mussel had been eaten. The picture shows an example of the river bottom with shells of FWPM at the place where their crunching by wild boar was documented with a wildlife camera trap, and as it was observed in all shallow water stretches in the 3 km long part of the Lutter river at the end of summer 2019. This section was not investigated by snorkelling in 2019.

Das Ausmaß der Fraßaktivität wurde erst im Herbst 2019 augenfällig, als alle Flachbereiche dieser im Jahr 2019 nicht durch Schnorcheln untersuchten Halbstrecke der Lutter vom Ufer aus kontrolliert wurden. Der Gewässergrund war in allen Flachbereichen übersät mit zerbissenen Muschelschalen. Die Anzahl der nicht gefressenen Muscheln konnte im Jahr 2019 nicht mehr ermittelt werden, da der Wasserstand zu niedrig und das Wasser zu kalt für das Schnorcheln war. Deshalb fehlt in Abb. 1 eine Mengenangabe für das Jahr 2019.

Der tatsächliche Verlust an FPM durch Wildschweinfraß wurde 2020 ermittelt. Vermutlich nur ein einziges Wildschwein hatte etwa ²/₃ des Muschelbestands (= ca. 7.500 FPM) in dieser Teilstrecke aufgefressen. In den für das Wildschwein erreichbaren flachen Abschnitten waren jeweils etwa 90 % der Muscheln aufgefressen worden. Die meisten flachen Streckenabschnitte sind für die FPM optimal naturnah strukturiert, waren weitgehend frei von überlagerndem Sand und wiesen deshalb die vergleichsweise höchsten Muscheldichten auf. In den tieferen Bachabschnitten gab es dagegen keine FPM-Verluste durch Wildschweine.

3.1 Beendigung der FPM-Gefährdung durch erfolgreiche Drückjagd auf Wildschweine

Ein jähes Ende fand die Gefährdung der FPM durch Wildschweine am 16.11.2019 aufgrund einer Drückjagd, bei der in dem Jagdrevier 30 Wildschweine erlegt wurden. Seitdem wurden dort mit Hilfe der Wildkamera keine Wildschweine mehr bei der Nahrungssuche in der Lutter nachgewiesen, allerdings weiterhin beim Durchwühlen des flachen Ufers und beim Durchqueren der Lutter. Wildschweine sind im Gebiet weiterhin zahlreich vorhanden, auf der Drückjagd im November 2020 wurden weitere 16 Wildschweine erlegt (Hans Knoop, briefl. Mitt.).

4 Diskussion

Die positive Bestandsentwicklung der FPM in der Lutter geht auf die Reduktion von mobilem Feinmaterial (Schluff und Sand) im Fließgewässer auf ein naturnahes Maß zurück (Altmüller, Dettmer 2006). Die beim Verlassen ihrer Wirtsfische nur ca. 0,5 mm kleinen Jungmuscheln fanden im Lückensystem zwischen Grobsand, Kieseln und Steinen einen dauerhaft von Frischwasser durchzogenen Aufwuchsort. Sie wurden nicht durch Kolmation (Verringerung der Durchlässigkeit des Bodengerüsts) des Gewässergrunds erstickt. Insofern schien bis 2018 das Hauptziel des Lutterprojekts erreicht. Im Jahr 2019 wurde der Muschelbestand durch Wildschwein-Fraß drastisch reduziert. Wieso wurden die FPM aber nicht schon in den Vorjahren von Wildschweinen gefressen?

Die Lutter weist als typischer Heidebach in den meisten Abschnitten ein Kastenprofil mit Steilufern auf. Flachuferbereiche mit sandig-schlammigem Bodensubstrat, in dem u. a. Regenwürmer als Nahrung für Wildschweine leben, sind extrem selten. Deshalb sind an den Ufern der Lutter kaum Wühlstellen von Wildschweinen zu finden. Andere Uferverhältnisse finden sich in einem kleinen Teilabschnitt der Lutter, in dem wohl in den 1960er-Jahren parallel zur Lutter ein kleiner Teich angelegt wurde. Dabei wurde das Ufer zur Lutter mit dem Aushubmaterial stark erhöht. Der Bach ist in diesem Teilabschnitt besonders flach und wird deshalb intensiv als Wildwechsel genutzt. Beim Hinab- bzw. Hinaufgehen zwischen dem überhöhten Ufer und der Lutter wurde von den Tieren sukzessive Aushubmaterial in den Bach getreten und es hat sich ein kleiner Streifen Flachufer gebildet. Dieser flache, etwas sandige Uferstreifen wurde schon seit längerer Zeit immer wieder von Wildschweinen aufgesucht, die dort nach Nahrung suchten (Abb. 7). Im ufernahen Flachwasser dieses Abschnitts waren besonders viele Jungmuscheln herangewachsen. Flachwasserbereiche sind als Standplatz für Jungforellen besonders attraktiv. Die Jungforellen wiederum sind optimale FPM-Wirtsfische. Nach der Reifung in den Bachforellen-Kiemen gelangen deshalb besonders viele Jungmuscheln in die Flachwasserbereiche und wachsen hier heran.

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Abb. 7: Künstlich erhöhtes Ufer der Lutter, das von Wild sukzessive in den Bach getreten wird. Hierdurch entstand in diesem Bereich ein seichter Übergang ins tiefere Wasser und damit eine Uferform, die für Heidebäche völlig untypisch ist. In den Heidebächen herrschen Kastenprofile mit überhängenden Ufern vor. Der seichte Uferbereich wurde schon lange Zeit von Rehen (Capreolus capreolus) und Wildschweinen (Sus scrofa) besucht, was zahlreiche Trittsiegel zeigen. Vermutlich hat die Bache hier auf der Suche nach am Ufer liegenden Eicheln gelernt, dass auch im Wasser Eicheln lagen und ist dabei eher zufällig auf Flussperlmuscheln (Margaritifera margaritifera) gestoßen (siehe Text).
Fig. 7: Man-made raised banks of the Lutter river, which have become worked down by wild animals. Because of this, a shallow gully into the deeper water emerged and formed a shoreline which is totally atypical for streams in the Luneburg Heath, where streams are normally formed like a box section with overhanging banks. Deer (Capreolus capreolus) and wild boar (Sus scrofa) have visited this shallow shoreline for a considerable time, as frequent animal tracks indicate. It is probable that when the female wild boar was searching for acorns on the shore she also found them on the riverbed, and discovered the freshwater pearl mussels (Margaritifera margaritifera) by chance.

Vermutlich ist den FPM an dieser für sie eigentlich optimalen Stelle die Kombination mehrerer Faktoren zum Verhängnis geworden:

    Die Lutter und ein breiter Randstreifen wurden im Rahmen des Lutterprojekts seit 1990 sukzessive ins Eigentum des Landkreises Celle übernommen. Das seit 2007 als Naturschutzgebiet (NSG) rechtlich geschützte Gebiet ist wenig erschlossen und unterliegt weitestgehend der Sukzession. Für störungsempfindliche Wildtiere, wie z. B. Wildschweine, ist das Naturschutzgebiet daher sehr attraktiv.
    Gleichzeitig ist die Nahrungsversorgung für Wildschweine auf den umliegenden Äckern fast ganzjährig sehr gut. Viele Wildschweine bringen sogar zweimal pro Jahr Nachwuchs zur Welt, sodass die Bestandsdichten stark zunehmen.
    Zusätzlich zu der guten Ernährungssituation auf den angrenzenden Feldern kam im Herbst 2018 eine außerordentlich große Eichelmast hinzu. Für die Wildschweine waren das optimale Voraussetzungen für eine besonders starke Vermehrung.
    Die Lutter ist in dem betroffenen Abschnitt von einer ganzen Reihe alter Stiel-Eichen (Quercus robur) gesäumt, deren Äste weit über den Bach reichen. Die im Herbst 2018 massenhaft von den Bäumen gefallenen Eicheln bedeckten dicht an dicht den Gewässergrund, wurden sukzessive an etwas weniger stark überströmten Stellen zusammengeschwemmt und lagerten dort z. T. bis in den Sommer 2019 an der Gewässersohle. In den flacheren Bereichen wurden sie nach und nach von „Eichelfressern“ aus dem Wasser geerntet. Von den Wildkameras dokumentiert waren dies neben den Wildschweinen Kraniche (Grus grus) und Wald- oder Gelbhalsmäuse (Apodemus sylvaticus/A. flavicollis – eine genauere Artbestimmung war anhand der Wildkamera-Aufnahmen nicht möglich). Letztere tauchten sogar nach den Eicheln.
    Der Wasserstand in der Lutter war aufgrund zweijährigen Niederschlagsmangels im Sommer 2019 besonders niedrig (Abb. 8), sodass die Wildschweine den Gewässergrund in den nun ausreichend flachen Bereichen problemlos nach Muscheln durchwühlen konnten.
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    Abb. 8: Jahresminima des Wasserstands der Lutter am Pegel Luttern für den Zeitraum 1.1.2000 – 12.11.2020. Der Wasserstand erreichte im Sommer 2019 sein langjähriges Minimum. Datenquelle: Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Betriebsstelle-Verden.
    Fig. 8: Annual minimum water level of the Lutter river at the Luttern water gauge for the period from 1 Jan. 2000 to 12 Nov. 2020. The water level reached a long-term minimum in the summer of 2019. Data source: Lower Saxony Water Management, Coastal Defence and Nature Conservation Agency at Verden.
    Die Wildschweine hielten sich im trocken-heißen Sommer 2019 vermutlich mehr im kühlen Waldschatten nahe der Lutter auf als auf den offenen Feldern (Keuling et al. 2009).

Im Bereich des in Abb. 6 dargestellten Lutter-Abschnittes hatte im Winter 2018/2019 eine Wildschwein-Bache ihren Wurfkessel erstellt und brachte dort ihre Frischlinge zur Welt. Diese Bache durchquerte – von der Wildkamera dokumentiert – im Februar 2019 noch hochtragend wiederholt die Lutter. In der Folgezeit besuchte sie die Lutter immer wieder bis in den Herbst mit ihren eigenen Frischlingen, desgleichen auch andere Bachen mit ihrem Nachwuchs. Höchstwahrscheinlich hat nur diese eine Bache die FPM gefressen. Vermutlich hat sie beim Aufsammeln von Eicheln am dort seichten Lutterufer gelernt, dass auch im Wasser Eicheln lagen. Bei der Suche/beim Wühlen nach Eicheln ist sie vermutlich auf dort lebende Muscheln gestoßen. Möglicherweise hat sie zunächst eine jüngere Muschel zertreten und dann eher zufällig die FPM als Nahrungsobjekt kennengelernt. Dass Wildtiere FPM zertreten können, wurde beim Schnorcheln im Jahr 2020 beobachtet. Rothirsche (Cervus elaphus) nutzen seit 2019 die Lutter in zunehmendem Maße als Wildwechsel. Deren Trittsiegel sind in etwas sandigeren Abschnitten sehr deutlich zu erkennen. 2020 wurde eine noch frische tote Muschel in einem solchen Trittsiegel gefunden.

Danach hat vermutlich diese eine Bache jede ausreichend flache Bachstrecke durchsucht, um an die eiweißreiche Nahrung zu gelangen. Die Kenntnis von Muscheln als Nahrungsobjekte muss die Bache sehr exklusiv und rein zufällig erworben haben, denn andere Wildschweine haben – evtl. mit einer Ausnahme – nicht nach den Muscheln gesucht und sie auch nicht gefressen. Die Bache hat ihr Wissen – nach den Wildkamera-Aufnahmen zu urteilen – augenscheinlich nicht weitergegeben, weder an ihren Nachwuchs noch an andere Artgenossen. Im Gegenteil hat sie ihre Nahrungsquelle „Muschel“ stets vehement gegen jede sich nähernde Konkurrenz verteidigt. Viele Videosequenzen belegen den Besuch dieses Lutter-Abschnitts von ganzen Wildschwein-Rotten. Immer suchten einige Tiere auch in der Lutter nach Fressbarem, aber nur jeweils eine Bache konnte beim Fressen von Perlmuscheln gefilmt werden. Oft war auch das laute Knacken beim Zerbeißen der Schalen zu hören. In manchen Video-Sequenzen ist auch nur das Knack-Geräusch von außerhalb des Bildausschnitts zu hören. Nur ganz wenige Filmsequenzen beinhalten ein Knack-Geräusch im Hintergrund, das evtl. von einem zweiten Wildschwein beim Zerbeißen einer FPM-Schale stammen könnte.

Die Wassertiefe war begrenzend für die Suche nach Fressbarem. Die Wildschweine senkten ihren Kopf maximal bis über die Augen bis kurz unterhalb der Ohröffnung ins Wasser, niemals wurden die Ohren nass. Der im Laufe des Sommers 2019 immer weiter zurückgehende Wasserstand der Lutter (Abb. 9) ermöglichte es dieser einen Bache, im Laufe des Sommers alle flacheren Bereiche der Lutter auf einer insgesamt mehr als 3 km langen Strecke nach FPM abzusuchen.

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Abb. 9: Wasserstand (durchschnittliche Tageswerte) der Lutter am Pegel Luttern vom 1.1.2017 bis 12.11.2020. Der Wasserstand sank im Sommer 2019 immer weiter ab mit der Folge, dass für Wildschweine (Sus scrofa) der Gewässergrund in beinahe allen flachen Bereichen der Lutter erreichbar wurde. Datenquelle: Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Betriebsstelle Verden.
Fig. 9: Average daily water level of the Lutter river at the Luttern water gauge for the period from 1 Jan. 2017 to 12 Nov. 2020. The water level progressively declined during the summer of 2019, with the result that wild boar (Sus scrofa) were able to reach the bottom of all shallow stretches of the Lutter river. Data source: Lower Saxony Water Management, Coastal Defence and Nature Conservation Agency at Verden.

Seit Langem ist bekannt, dass Wildschweine auch Muscheln fressen. Nach eigenen Beobachtungen und Berichten aus der südlichen Lüneburger Heide handelt es sich um trocken gefallene Teiche, in denen Muscheln verenden. Augenscheinlich werden die Wildschweine vom Verwesungsgeruch der Muscheln angelockt und dann können auch ganze Rotten die Muscheln verzehren (Briedermann 1990). Bei den Muscheln in den Teichen handelt es sich meist um die Flache Teichmuschel (Anodonta anatina). Im Gegensatz zu den trocken gefallenen Teichen erhalten die Wildschweine in durchströmten Bächen (oder in aufgestauten Teichen) keinerlei Geruchsinformationen über die im Gewässer lebenden Muscheln. Sie müssen im Gewässer eher zufällig auf Muscheln als Nahrungsquelle stoßen. Sind die Muscheln nur in geringer Dichte vorhanden, werden die übrigen Rottenmitglieder nur eine geringe Chance haben, die im Gewässergrund verborgene Nahrungsquelle „Muschel“ kennenzulernen.

Die mit diesem Beitrag beschriebene erhebliche Schädigung einer FPM-Population durch Wildschweine füllt eine Kenntnislücke über den Einfluss von Wildschweinen auf andere Tierpopulationen im ursprünglichen Verbreitungsgebiet der Wildschweine. Die meisten Publikationen über negative Auswirkungen von Wildschweinen beschreiben ihren Einfluss als invasive Arten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets (Barrios-Garcia, Ballari 2012; McDonough et. al. 2022). Der vorliegende Beitrag zeigt, dass ein großer Bedarf besteht, den Einfluss von Wildschweinen auch auf die heimische Umwelt weiter aufzuklären.

5 Ausblick

Das Ziel des Lutterprojekts, die Erhaltung und Entwicklung eines vitalen, sich selbst reproduzierenden FPM-Bestands und die beispielhafte Wiederherstellung eines typischen Heidebachs, wurde dank der fließgewässerökologisch begründeten Schutzmaßnahmen mit großem Erfolg erreicht. Die Verluste durch Wildschweinfraß werden die positive Entwicklung nicht umkehren, können den Erfolg aber offenkundig sehr begrenzen. Allerdings kann es sein, dass mehrere niederschlagsarme Jahre aufgrund des Klimawandels oder auch andere, derzeit nicht voraussehbare Veränderungen die ökologischen Bedingungen für diese herausragende Zielart negativ beeinflussen, sodass es Rückschläge gibt. Dürrejahre mit extremen Niedrigwasserperioden werden vermutlich wiederholt Biozönosen schädigen und dabei werden wahrscheinlich auch Wildschweine beteiligt sein. So wurden ähnliche Bestandseinbrüche in den FPM-Populationen wie in der Lutter u. a. durch Wildschwein-Fraß auch im Nordosten der Iberischen Halbinsel in dem dortigen extremen Dürrejahr 2017 festgestellt (Sousa et al. 2018).

Wichtig ist, dass die Muschelpopulation und das gesamte Einzugsgebiet weiterhin wachsam beobachtet werden, um ggf. Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Ob sich die Anwesenheit von Wölfen in der Region reduzierend auf die zu hohen Großwildbestände auswirken wird, ist eher fraglich. Jedenfalls konnten Wölfe nach ihrem kurzzeitigen Auftreten in und an der Lutter Ende 2021 (Abb. 10) bis zum 30.9.2022 nicht noch einmal mit den Wildkameras nachgewiesen werden. Dagegen waren Wildschweine und Rothirsche weiterhin immer wieder zeitweilige Besucher. Daher ist ein dauerhaftes Management der Wildschweinbestände für den Schutz des FPM-Bestands unerlässlich.

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Abb. 10: Ende 2021 dokumentierten Wildkameras die kurzzeitige Anwesenheit von Wölfen (Canis lupus) in diesem Abschnitt der Lutter. Danach wurde bis zum 30.9.2022 kein weiterer Besuch dokumentiert. Diese äußerst geringe Besuchsfrequenz der Wölfe im Gebiet dürfte kaum einen wesentlichen Einfluss auf den Bestand oder die Aufenthaltsfrequenz von Wildschweinen (Sus scrofa) und Rothirschen (Cervus elephas) in und an der Lutter haben. Jedenfalls wurden 2022 beide Großsäugerarten in ähnlicher Frequenz wie in den drei Vorjahren mit den Wildkameras dokumentiert.
Fig. 10: At the end of 2021, wildlife camera traps documented the short-term presence of wolves (Canis lupus) at this section of the Lutter river . After that, no further visits of wolves were documented until 30 Sep. 2022. This extremely low frequency of visits of wolves in the area is unlikely to significantly influence the populations of wild boar (Sus scrofa) and red deer (Cervus elephas) or reduce their frequency of habitation in the bed or on the banks of the Lutter river. Both large mammal species were documented with camera traps in 2022 with a frequency similar to that in the three previous years.

Nicht einzuschätzen ist dagegen, ob der „Klimawandel“ zu noch größerem Wassermangel führt mit dann noch ganz anderen Problemen, die z. B. auch den Bachforellenbestand stärker beeinträchtigen. So sind die Fische bei niedrigen Wasserständen für die zahlreichen Fischfresser im Gebiet, wie Fischotter (Lutra lutra), Schwarzstorch (Ciconia nigra), Graureiher (Ardea cinerea), Silberreiher (A. alba) und Kormoran (Phalacrocorax carbo), wesentlich besser erreichbar. Ein vitaler Bachforellenbestand ist Voraussetzung für eine gute Reproduktion der FPM und kann dazu beitragen, Beeinträchtigungen durch z. B. Wildschweinfraß zu kompensieren. Es ist davon auszugehen, dass größere Exemplare der Bachforelle bei niedrigen Wasserständen bachabwärts wandern, um dort tiefere Standplätze zu finden und zu besetzen. Diese großen Exemplare haben eine überproportional große Bedeutung für die Menge an heranwachsenden Jungforellen (Barneche et al. 2018). Noch vorhandene Wehre in der Lutter, der Lachte und der Aller verhindern den herbstlichen Aufstieg der besonders großen Bachforellen zu den Laichstrecken. Für die Erhaltung eines guten Bachforellenbestands und zu dessen Verbesserung ist daher die ökologische Durchgängigkeit in Lutter, Lachte und in der Aller am Wehr Oldau herzustellen und an den übrigen Wehren in Aller und Weser zu verbessern.

6 Literatur

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  Altmüller R. (2015): Restoring freshwater mussel habitat in Lower Saxony (Germany): An overwiew of 40 years of protective measures. Bretagne Vivante International conference: “Conservation and Restoration of Freshwater Pearl Mussel Populations and Habitat in Europe”. European program LIFE 09NATFR000583. Penn Ar Bed No 222: 75 – 80.

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Dank

Herrn Optikermeister Andreas Fiemel (Celle) danke ich für die Fertigung einer speziell angepassten Taucherbrille. Herrn U. Neubauer vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) danke ich für die Pegeldaten der Lutter, dem Landkreis Celle für umfassende Genehmigungen für Untersuchungen im NSG. Herrn Prof. Dr. J. Geist danke ich für Literaturhinweise und hilfreiche Anregungen für den Text. Bedanken möchte ich mich auch bei den beiden anonymen Gutachterinnen/Gutachtern und Herrn Dr. Sukopp für Literaturhinweise, Anmerkungen zum Einfluss der Wölfe auf den Schalenwildbestand und zur Jagd sowie wertvolle Anregungen zur Verbesserung des Textflusses. Ganz besonders bedanke ich mich bei den vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern beim FPM-Schutz und im Lutterprojekt, ohne die hier nichts zu berichten wäre. Namentlich hervorheben möchte ich Rainer Dettmer, Hans Menneking, Günter Ratzbor, Gudrun Schmal-Ratzbor und Andreas Thiess. Meinen irischen FPM-Freunden Evelyn Moorkens und Ian Killeen danke ich für die Korrektur der englischen Texte. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Agnes Steinmann für ihre stetige Unterstützung und Geduld.

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Dr. Reinhard Altmüller

Römerweg 11

29331 Lachendorf

E-Mail: lachte.revival@gmx.de Der Autor, Jahrgang 1948, Biologiestudium und Promotion an der Georg-August-Universität in Göttingen, war von 1976 bis 2008 in der Fachbehörde für Naturschutz des Landes Niedersachsen für den Bereich der wirbellosen Tiere verantwortlich. Ein Arbeitsschwerpunkt war die Flussperlmuschel (FPM), die ihn weiterhin beschäftigt, einschließlich zweier Wiederansiedlungsversuche in einstigen FPM-Bächen. Seit Beginn der Altersteilzeit außerdem als „ehrenamtlicher Verbandsbiologe“ im Gewässer- und Landschaftspflegeverband Südheide mit Schwerpunkt im Unterhaltungsverband (UV) Lachte engagiert. Die gemeinsam mit Jens Kubitzki, dem Geschäftsführer des UV Lachte, vorangetriebenen ökologischen Verbesserungen der Verbandsgewässer beinhalten v. a. die Restrukturierung der zerstörten Gewässerprofile einschließlich unverzichtbarer Erfolgskontrollen.

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