Anne Ulrich und Annika Döpper
Zusammenfassung
Die integrative Waldwirtschaft strebt an, ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichermaßen bei der Bewirtschaftung der gesamten Waldfläche zu verwirklichen. Zu diesem Zweck wurden zahlreiche Konzepte u. a. für die naturnahe Waldwirtschaft und für den Artenschutz entwickelt. In Baden-Württemberg zählen dazu die Richtlinie landesweiter Waldentwicklungstypen (WET-Richtlinie) und der Aktionsplan Auerhuhn (APA), der der Erhaltung der Population von Auerhühnern (Tetrao urogallus) im Schwarzwald dient. Anhand zweier Evaluationen, die 2018 – 2020 von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) durchgeführt wurden, wird im Beitrag dargelegt, welche Hürden bei der Umsetzung dieser integrativen Konzepte existieren. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Konzepte in bestehenden Planungsinstrumenten unzureichend verankert sind. Vielmehr existieren die integrativen Konzepte parallel dazu und finden (bislang) keinen wirksamen Eingang in praxisrelevante Steuerungsinstrumente. Strukturelle Veränderungen sind daher notwendig, um den Umsetzungsdefiziten entgegenzuwirken und die vorgegebene Zielsetzung zu erreichen. Die diskutierten Lösungsansätze sind auf andere forstpolitische Ziele übertragbar und können dazu beitragen, verschiedene Ökosystemleistungen in das Waldmanagement künftig besser zu integrieren.
Integrative Waldwirtschaft – Umsetzungskompetenz – Ökosystemleistungen – Richtlinie landesweiter Waldentwicklungstypen (WET-Richtlinie) − Waldbautraining – Aktionsplan Auerhuhn (APA) – Evaluation – Natura 2000Abstract
Integrative forest management seeks to attain ecological, economic and social goals equally in the management of the entire forest area. Numerous approaches have been developed to achieve this integration, among others for near-natural forest management and species protection. In Baden-Württemberg, such approaches include the directive on state-wide forest development types (WET directive), and the capercaillie action plan (APA) designed to conserve the population of capercaillie (Tetrao urogallus) in the Black Forest. Based on two evaluations carried out by the Forest Research Institute Baden-Württemberg (FVA) in 2018 to 2020, this paper describes the obstacles that impede implementation of these integrative approaches. The evaluation findings show that the approaches are insufficiently anchored in existing planning instruments. On the contrary, the integrative approaches exist in parallel and (so far) have not found any effective enshrinement in the management tools of practical relevance. Structural changes are therefore needed to counteract the implementation shortcomings and achieve the specified objectives. The approaches discussed are transferable to other forest policy objectives and can contribute to better integrating different ecosystem services into forest management in the future.
Integrative forest management – Implementation competence – Ecosystem services – Directive on state-wide forest development types (WET directive) – Silvicultural training – Capercaillie action plan (APA) – Evaluation – Natura 2000Inhalt
1 Einleitung: integrative Waldwirtschaft als Erfolgsmodell?
Die integrative Waldwirtschaft strebt an, verschiedenen gesellschaftlichen Ansprüchen an den Wald gerecht zu werden. Sie verfolgt das Ziel, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen bei der Bewirtschaftung der gesamten Waldfläche zu beachten (Kraus, Krumm 2013). Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass eine integrative Bewirtschaftung, die Ökosystemleistungen ausgewogen berücksichtigt, Wälder resilienter und attraktiver macht (Larsen et al. 2022).
Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene wird der Ansatz der integrativen Waldwirtschaft als vielversprechendes Konzept für ein nachhaltiges Waldmanagement betrachtet (Kraus, Krumm 2013; Schulz et al. 2014; Mattei Faggin, Offermans 2016; Sotirov, Arts 2018; Larsen et al. 2022). Dieses findet Eingang in forstpolitische Strategien und Richtlinien zur naturnahen, multifunktionalen und nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder wie z. B. der EU-Waldstrategie für 2030 (MCPFE 2015; Europäische Kommission 2021; Larsen et al. 2022). In Baden-Württemberg (BW) ist die naturnahe Waldwirtschaft in der Richtlinie landesweiter Waldentwicklungstypen – WET-Richtlinie (ForstBW, MLR 2014) ver-ankert. Für den Artenschutz bestehen in BW darüber hinaus sich wechselseitig ergänzende integrative Konzepte wie die Natura-2000-Managementpläne oder der Aktionsplan Auerhuhn – APA (Suchant, Braunisch 2008). Studien zeigen jedoch seit Längerem, dass die integrativen Ansätze unzureichend umgesetzt und den gesellschaftlichen Ansprüchen an die Erhaltung der vielseitigen Ökosystemleistungen nicht gerecht werden (Hogl et al. 2015; Winkel, Sotirov 2015; Borrass et al. 2017; Sotirov 2017; Demant 2022). Die Auswirkungen der sich zuspitzenden Klimakrise auf die Wälder erhöhen die Brisanz dieser Umsetzungsdefizite.
In diesem Beitrag werden anhand zweier Evaluationen, die 2018 – 2020 von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) durchgeführt wurden, die Hürden bei der Umsetzung integrativer Ansätze der Waldwirtschaft dargestellt. Außerdem wird gezeigt, wie diese Hürden überwunden werden könnten. Die Evaluationen beziehen sich zum einen auf den APA, zum anderen auf Schulungen zur Umsetzung der WET-Richtlinie, das sog. Waldbautraining. Ziel der jeweiligen Evaluation war es, den Grad der Wirksamkeit der untersuchten Instrumente (d. h. des APA bzw. des Waldbautrainings) zu erfassen. Obgleich deren thematischer Fokus unterschiedlich ist, gleichen sich die Ergebnisse der Evaluationen in ihren Kernaussagen: Es bestehen deutliche Umsetzungsdefizite, die sich dadurch erklären, dass die politischen und die Managemententscheidungen nicht in die Tat umgesetzt werden. Dieser Umsetzungsschwäche liegen in beiden Fällen dieselben strukturellen Ursachen zugrunde.
2 Evaluationen: Gegenstand und Methoden
2.1 Waldbautraining
Die WET-Richtlinie präzisiert und operationalisiert die Grundsätze der naturnahen Waldwirtschaft und definiert waldbauliche Behandlungsprogramme (ForstBW, MLR 2014). Der Richtlinie liegt ein integrativer Ansatz zugrunde, da sie forstwirtschaftliche und naturschutzfachliche Ziele vereint. Darin werden Waldentwicklungstypen definiert, die die verbreitetsten Waldbausituationen im Land abbilden und es werden deren Entwicklungs- und Behandlungskonzepte vorgegeben. Die Waldbestände sollen grundsätzlich als Dauerwälder bewirtschaftet werden. Seit 2016 werden regelmäßig Schulungen zur Umsetzung dieser Richtlinie, das sog. Waldbautraining, angeboten. Das Waldbautraining richtet sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anstalt öffentlichen Rechts Forst Baden-Württemberg (ForstBW), die in BW den Staatswald bewirtschaften, und an die Unteren Forstbehörden, die den Kommunal- und Privatwald bei der Bewirtschaftung unterstützen. Ziel des Waldbautrainings ist es, die Akzeptanz der WET-Richtlinie zu stärken, deren Inhalte zu vermitteln und deren einheitliche und verbindliche Umsetzung zu fördern (Abb. 1). Im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) wurde von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) evaluiert, inwieweit diese Ziele erreicht wurden (Ulrich 2020, 2022).
Abb. 1: Das Waldbautraining schult Anwenderinnen und Anwender für die Umsetzung der Richtlinie landesweiter Waldentwicklungstypen (WET-Richtlinie) vor Ort in exemplarischen Waldbeständen.
(Foto: ForstBW)
Fig. 1: Silvicultural training instructs in the implementation of the directive on state-wide forest development types (WET directive) on site in representative forest stands.
2.2 Aktionsplan Auerhuhn (APA)
Der APA wurde zur Erhaltung einer überlebensfähigen Population von Auerhühnern (Tetrao urogallus) im Schwarzwald im Jahr 2008 vom MLR in Kraft gesetzt. Ziel ist es, sowohl eine Mindestanzahl an Individuen als auch die von Auerhühnern besiedelte Fläche und die Vernetzung der Auerhuhnlebensräume zu erhalten. Der APA dient der koordinierten und integrierten Umsetzung von Schutzmaßnahmen für das Auerhuhn über sechs Handlungsfelder (Habitatgestaltung, Tourismus und Freizeitnutzung, Jagd, infrastrukturelle Projekte und Windkraftnutzung, wissenschaftliche Begleitung, Transfer und Kommunikation). Er konkretisiert hierdurch einschlägigeManagementpläne in den Natura-2000-Gebieten des Schwarzwalds in Bezug auf das Auerhuhn. Die Habitatgestaltung nimmt dabei für die Erhaltung des Lebensraums eine zentrale Rolle ein (Suchant, Braunisch 2008). Zielerreichung und Umsetzungsstand des APA wurden im Auftrag des MLR federführend von der FVA in Kooperation mit weiteren Partnern evaluiert (Döpper et al. 2019). Die hier vorgestellten Ergebnisse beziehen sich mehrheitlich auf die Umsetzung der Vorgaben des APA zur Habitatgestaltung.
2.3 Methodisches Vorgehen
In beiden Evaluationen wurde ein sozialwissenschaftlicher Methodenmix angewendet, wobei qualitative Methoden und quantitative Methoden miteinander kombiniert wurden. Für die Evaluation des Waldbautrainings wurden fünf Gruppendiskussionen und eine standardisierte Umfrage mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Waldbautrainings (474 Personen, darunter: Leiterinnen und Leiter der Unteren Forstbehörden, Revierleiterinnen und -leiter, Forstwirtinnen und -wirte, Forstwirtschaftsmeisterinnen und -meister, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innendienst, Trainees, Forsteinrichterinnen und -einrichter) durchgeführt. Ergänzend wurden vier leitfadengestützte Interviews und sechs Workshops mit Waldbautrainerinnen und -trainern, Sicherheitscoaches und deren Fachbereichsleitungen durchgeführt (Ulrich 2020, 2022). Für die Evaluation des APA wurden neben sechs Gruppendiskussionen mit Revierleiterinnen und -leitern auch zwei Workshops mit Auerhuhn-Expertinnen und -Experten sowie Luftbildanalysen durchgeführt (Döpper et al. 2019).
Die Perspektive der Revierleiterinnen und -leiter stand bei den Evaluationen im Fokus. Diese nehmen eine Schlüsselposition ein, da sie die integrativen Konzepte waldbaulich in der Praxis umsetzen. Die verschiedenen gesellschaftlichen Ansprüche führen jedoch vor Ort oftmals zu Zielkonflikten. Den Revierleiterinnen und -leitern steht dabei eine relativ große Entscheidungsfreiheit zu (Maier, Winkel 2017). Ihre Perspektive auf die Umsetzung der Konzepte gibt daher wichtige Hinweise über den Stand und die Hürden der Umsetzung.
3 Ergebnisse: Umsetzungsdefizite und deren Ursachen
3.1 Umsetzungsdefizite
Die Evaluation des Waldbautrainings bescheinigt dem Fortbildungsprogramm Erfolg: Die Mehrheit der befragten Akteure (73 %) wissen, dass und wie die WET-Richtlinie umzusetzen ist. Interessant ist, dass die verbindlichen Vorgaben im Alltag trotzdem oft nicht umgesetzt werden. So geben lediglich 41 % an, dass sie die vorgegebenen Leitplanken anwenden. In dieser Selbstauskunft einer Mehrheit der Befragten, die Richtlinie nicht anzuwenden, wird eine Umsetzungsschwäche deutlich. Hierbei zeigte sich kein Unterschied zwischen den verschiedenen Waldbesitzarten – im Staatswald, wo die Vorgaben verbindlich sind, geben die Akteure genauso oft an, die Richtlinie nicht anzuwenden, wie im Privat- und Kommunalwald, wo die Richtlinie nur empfohlen wird. Trotz des verbindlichen Charakters der Richtlinie für den Staatswald nahmen die Befragten die Vorgaben nicht als bindend wahr. Sie war in der Folge für die Mehrheit nicht handlungsleitend.
Ähnlich verhält es sich bei der Umsetzung des APA. Auch wenn eine Vernetzung der von Auerhühnern besiedelten Flächen teilweise erhalten wurde, konnte der Rückgang der Individuenzahlen nicht gestoppt werden (Coppes et al. 2019). Hierfür ist v. a. der Lebensraum entscheidend. Ein Indikator für den Lebensraum ist der Anteil lichter Wälder (Abb. 2). Das Ziel, auf 30 % der relevanten Flächen die Wälder aufzulichten, wurde nicht nur weit verfehlt. Die Luftbildanalysen der Evaluation belegen, dass zwischen den Erfassungszeiträumen 2010 – 2012 und 2016 – 2018 der Anteil lichter Wälder sogar gesunken ist (von 17 % auf 8,9 %) (Döpper et al. 2019). Dass die Vorgaben des APA (bspw. die Vorgabe, Wälder in relevanten Gebieten zu 30 % aufzulichten) dabei nach wie vor aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Erhaltung der Art entsprechen, bestätigte ein Expertengremium. Gespräche mit den Akteuren vor Ort und ein Abgleich mit den durchgeführten Aktivitäten wiederum offenbarten, dass der APA in großen Teilen schlicht nicht umgesetzt wurde. Die Umsetzungsdefizite zeigten sich hier darin, dass die Wälder nicht annähernd entsprechend der Zielvorgaben aufgelichtet wurden.
Abb. 2: Das Auerhuhn (Tetrao urogallus) ist eine Charakterart lichter, strukturreicher borealer und montaner Waldlebensräume. Um Habitate zu erhalten, müssen Waldbestände in relevanten Regionen aufgelichtet werden.
(Foto: FVA)
Fig. 2: The capercaillie (Tetrao urogallus) is a characteristic species of open, structurally rich boreal and montane forest habitats. In order to conserve habitats, forest stands need to be thinned in relevant regions.
In beiden Studien wurde somit offengelegt, dass die integrativen Konzepte in der Fläche nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurden (natürlich gibt es auch Ausnahmen). Die Gründe hierfür weisen überraschende Parallelen auf, die im Folgenden dargelegt werden.
3.2 Fehlende Operationalisierung und Integration in Planungsinstrumente
Beide Evaluationen zeigen, dass die Zielvorgaben der integrativen Konzepte in der Praxis bislang v. a. kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Zielen untergeordnet wurden. Zugrunde liegt ein eklatanter Unterschied: Betriebswirtschaftliche Ziele werden in Planungs- und Kontrollinstrumenten viel konkreter aufgeführt und regelmäßig abgefragt. Die Vorgaben der integrativen Konzepte hingegen blieben unkonkret: In der Forsteinrichtung gibt es z. B. ein Kürzel, um ein für Auerhühner relevantes Gebiet oder den Waldentwicklungs- und Behandlungstyp zu kennzeichnen, nicht jedoch ein operationalisiertes Ziel. Eine inhaltliche Ausarbeitung, was dies für den jeweiligen Bestand bedeutet, ist nicht direkt ersichtlich und muss an anderer Stelle (z. B. Aktionsblatt Habitatgestaltung, WET-Richtlinie, Natura-2000-Managementpläne) eingesehen werden. Die konkreten Vorgaben existieren dadurch parallel zu den eigentlichen Steuerungsinstrumenten. Infolgedessen bleiben Zielkonflikte ungelöst. Es fehlt zudem die Planung auf höherer Ebene (z. B. Landschaftsebene), die sicherstellt, dass das Ziel in der Summe erreicht wird. Der APA legt bspw. fest, dass die Vorgabe von 30 % Auflichtung nicht zwingend für jeden einzelnen Bestand in für Auerhühner relevanten Gebieten gilt, sondern dass Schwerpunkte gesetzt werden können. So sollten andere Zielsetzungen bestmöglich berücksichtigt werden. Allerdings müsste dann auch in relevanten Steuerungsinstrumenten (bspw. in der Forsteinrichtung) für jeden Bestand konkretisiert werden, wieviel Auflichtung wann erfolgt und wie dadurch insgesamt über alle Flächen hinweg 30 % erreicht werden.
Im Unterschied zu bspw. betriebswirtschaftlichen Vorgaben gibt es weder einen Meilenstein, den es zu erreichen gilt, noch ist angelegt, dass Fortschritte regelmäßig dokumentiert oder überprüft werden. Institutionalisierte Formate wie etwa die Forsteinrichtung, Zwischenrevisionen, Jahresplanungen, Zielvereinbarungsgespräche und selbst die Sustainability Balanced Scorecard (ein Konzept zur Messung, Dokumentation und Steuerung der Aktivitäten eines Unternehmens, in das neben den herkömmlichen ökonomischen Aspekten auch die ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsaspekte Eingang finden) werden kaum bis gar nicht für die Kontrolle der waldbaulichen Ziele des APA oder der WET-Richtlinie genutzt. Nach eigenen Angaben folgerte ein Großteil der Akteure, dass andere Ziele vorrangig seien. Die Rechenschaftspflicht des Einzelnen (sowohl der Revierleiterinnen und -leiter als auch der Amts- und Bezirksleiterinnen und -leiter) zur Umsetzung der Konzepte blieb dadurch gering, die Umsetzung in Folge unzureichend.
3.3 Fehlende Priorisierung auf der Führungsebene
In beiden Evaluationen gaben die Befragten an, dass sich ihre jeweiligen Führungskräfte kaum nach dem Stand der Umsetzung der genannten Konzepte erkundigen (bspw. sagten nur 17 % der Befragten des Waldbautrainings, dass sich ihre Führungskräfte zur Umsetzung der WET-Richtlinie erkundigen). Feedback zur Umsetzung gab es kaum – und das trotz etablierter Kommunikationsprozesse (z. B. Zielvereinbarungsgespräche, Begehung planungsrelevanter Flächen, Dienstbesprechungen). Die fehlende Thematisierung durch Führungskräfte hatte zur Folge, dass die Revierleiterinnen und -leiter erstens die Verbindlichkeit der Vorgaben in Frage stellten und zweitens deren Umsetzung bei Zielkonflikten vernachlässigten. Nach Aussagen der Befragten stehen hier v. a. die jeweiligen Amts- oder Bezirksleitungen sowie die Fachaufsichten der Höheren Forstbehörde bzw. die Geschäftsführung in der Verantwortung.
4 Empfehlungen: bestehende Planungsinstrumente und Kommunikationsprozesse anpassen
Auch wenn die Umsetzung integrativer Konzepte und die Auflösung von Zielkonflikten komplex sind, zeigen die Ergebnisse, wie forstinterne Planungsinstrumente und Kommunikationsprozesse angepasst werden könnten, um die Umsetzung zu stärken.
Das Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, die Zielvorgaben aller zu erreichenden Ökosystemleistungen hinreichend konkret und gleichwertig (bzw. in der ihnen zugeschriebenen Priorität) in bestehenden Planungsinstrumenten zu verankern, deren Umsetzung einzufordern und dadurch die Zielerreichung sicherzustellen. Die integrativen waldbaulichen Vorgaben (nach WET-Richtlinie im Allgemeinen sowie zur Habitatgestaltung für das Auerhuhn im Speziellen) in der Forsteinrichtung, in der Sustainability Balanced Scorecard sowie in Zielvereinbarungsgesprächen zu verankern, ist zwingend notwendig, um der systematischen Schwächung vor dem Hintergrund betriebswirtschaftlicher Zielsetzungen entgegenzuwirken. Dies muss hinreichend konkret geschehen, um Wirkung zu entfalten. Konkret heißt das, dass integrative waldbauliche Ziele operationalisiert und mit den verantwortlichen Personen vor Ort qualitativ und quantitativ besprochen werden müssen. Dies sollte automatisch eine Rechenschafts- und Berichtspflicht hinsichtlich der Maßnahmenumsetzung und Zielerreichung nach sich ziehen. Dafür braucht es keine neuen oder zusätzlichen Formate. Zudem können Diskrepanzen zwischen der offiziellen Zielsetzung und der Priorisierung bei der Umsetzung identifiziert und transparent gemacht werden.
Die Verbindlichkeit der Ziele im Kontext anderer Vorgaben spiegelt sich auch in deren Thematisierung durch Führungskräfte wider. Durch die oben genannte Integration in Planungsinstrumente und eine entsprechende Berichtspflicht sollte ein regelmäßiges Feedback durch die jeweiligen Führungskräfte (Amtsleitung und Fachaufsicht) entstehen. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Umsetzung von Maßnahmen auch in Gesprächen thematisiert wird. Die Operationalisierung der Zielvorgaben in Kombination mit institutionalisiertem Feedback kann so wiederum die Akzeptanz der Zielvorgaben (wie z. B. der Auflichtung der Wälder zum Schutz des Auerhuhns oder des Umbaus zum Buchendauerwald) stärken und die Selbstwirksamkeit der Akteure fördern.
Dies gilt an erster Stelle für den Staatswald, in dem die Amtsleitung und Fachaufsicht die Verantwortung für die Umsetzung der zum Teil selbst gesetzten, zum Teil aus EU- und nationalen Vorgaben abgeleiteten Ziele tragen. Aber auch für den Kommunal- und Privatwald steht die Forstverwaltung in der Pflicht, Anreize für eine integrative Waldwirtschaft zu schaffen und damit die Transformation hin zu resilienten Waldökosystemen zu unterstützen.
5 Fazit: der Dominanz kurzfristiger ökonomischer Ziele entgegentreten
Die Evaluationen des APA und des Waldbautrainings zeigen, dass die Verankerung der zugrundeliegenden integrativen Konzepte in bestehende Planungsinstrumente unzureichend ist. Vielmehr existieren die integrativen Konzepte parallel und finden (bislang) keinen wirksamen Eingang in die etablierten praxisrelevanten Steuerungsinstrumente. Der Fokus dieser Instrumente liegt nach wie vor auf der Holzproduktion. Und so bleibt das Management zugunsten anderer Ökosystemleistungen (z. B. Biodiversität, Erholung, Regulierung von Klimabedingungen) schwach.
Man muss dabei beachten, dass es auch viele positive Beispiele gibt, in denen eine Umsetzung gelingt – sowohl im Staatswald als auch im Privat- und Kommunalwald. Es gibt viele Einzelpersonen und Organisationen, die sich für die Umsetzung der integrativen Konzepte erfolgreich einsetzen (Krumm et al. 2020; Knapp et al. 2021; Meyer 2021). Ausdrücklich wird durch die Ergebnisse der Evaluationen nicht das Engagement des Einzelnen, sondern es werden die strukturellen Rahmenbedingungen kritisiert. Denn dieses Engagement wird durch die derzeitigen Steuerungsinstrumente kaum unterstützt und zum Teil sogar erschwert (eine Ausnahme ist das Alt- und Totholzkonzept, das durch Indikatoren besser in den Instrumenten verankert ist).
Dies gilt v. a. für den baden-württembergischen Staatswald, der eine gesetzlich verankerte Vorbildfunktion innehat, für die EU-Richtlinien maßgebend sind. Die Erkenntnisse sind aber ebenso für den Privat- und Kommunalwald relevant. Hier bedarf es einer ehrlichen Auseinandersetzung, inwieweit und warum derzeitige Beratungsleistungen und Fördermöglichkeiten nicht in ausreichendem Maße zu den politisch und gesellschaftlich formulierten Zielen führen (Tiebel et al. 2021; Demant 2022; Larsen et al. 2022).
Unabhängig von der Besitzstruktur verdeutlichen die hier besprochenen Evaluationen einmal mehr, was bereits zahlreiche Studien aufzeigen konnten: Die Diskursverschiebung hin zur Integration der Ökosystemleistungen hat kaum eine Veränderung der Prioritäten in Politik und Management nach sich gezogen. Diese sind nach wie vor zugunsten bereitstellender Ökosystemleistungen wie der Holzproduktion ausgerichtet (Nordén et al. 2017; Brodrechtova et al. 2018; Sotirov, Arts 2018). Neue Ziele der Multifunktionalität werden zwar genannt, jedoch hält die Forstverwaltung an den traditionell auf Holzproduktion ausgerichteten Instrumenten und Praktiken fest (Sotirov, Storch 2018).
Trotz früherer Erkenntnisse über die Probleme bei der Umsetzung sind jenseits persönlichen Engagements im Einzelfall bislang kaum nennenswerte Veränderungen der Instrumente und Praktiken festzustellen. So werden auch die Studienergebnisse von Winter et al. (2014) bestätigt, die bereits vor zehn Jahren aufzeigten, dass die Natura-2000-Managementpläne aufgrund wenig konkreter Vorgaben und Zieldefinitionen zu große Ermessensspielräume bei der Anwendung lassen. Dies wurde bereits damals als Ursache dafür gesehen, dass die Managementpläne bspw. von Revierleiterinnen und -leitern nicht selten unbeachtet und die forstliche Praxis vor Ort unverändert blieben. Die beabsichtigte Wirkung kann auf diese Weise selbstverständlich nicht erreicht werden.
Es bestätigt sich in den beiden Evaluationen auch, was für die politische Ebene bereits an anderer Stelle aufgezeigt wurde (Sotirov, Arts 2018; Joa et al. 2020): Auch wenn andere Ökosystemleistungen v. a. in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit wichtiger geworden sind, bleibt die Ausrichtung auf kurzfristige ökonomische Gewinne (Holzproduktion) handlungsleitend. Sergent et al. (2018) schlussfolgern, dass in Europa die Sicherstellung aller Ökosystemleistungen des Waldes als Politikdiskurs, nicht jedoch als Managementpraxis existiert. Trotz politischer Bekenntnisse und Erarbeitung zahlreicher Konzepte tue sich die Forstverwaltung schwer, die Jahrhunderte währende Tradition der auf Holzproduktion ausgerichteten Planung so umzugestalten, dass weitere Ökosystemleistungen gleichberechtigt verankert sind (siehe auch Meyer 2021).
Das in der Literatur diskutierte Phänomen des sog. „knowledge-implementation gap“ (Ferreira, Klütsch 2021; auch „science-policy gap“ genannt), das die Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der Integration dieses Wissens in Politik und Praxis meint, muss hier weiter gedacht werden. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Praxis erklärt sich in den genannten Beispielen gerade nicht durch eine unzureichende Wissensvermittlung, sondern durch einen Mangel an politischer Durchsetzungskraft, was sich in unzureichendem Monitoring und fehlender Steuerung ausdrückt. Denn die Ziele sind formuliert, Maßnahmenpläne sind verabschiedet und die Konzepte zur Umsetzung sind vorhanden. Es findet jenseits der Rhetorik aber kaum eine Lenkung statt, die Praktiken tatsächlich zu ändern. Dies stellt die eigentliche Intention der Konzepte in Frage.
Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen erneut, dass sich der politische Wille nicht allein auf die Verabschiedung von Vorgaben und Maßnahmenplänen beschränken darf, sondern vielmehr auch deren Umsetzung sicherstellen muss. Nur wenn sich der integrative Ansatz auch in den Strukturen und Prozessen der Forstpraxis widerspiegelt, ist eine Kohärenz mit den forstpolitischen Bekenntnissen möglich. Dies ist bislang nicht der Fall. Sollen verschiedene Zielsetzungen auf lokaler Ebene (z. B. im Bestand) integrativ umgesetzt werden, wird kein Weg daran vorbeiführen, die in Abschnitt 4 genannten strukturellen Änderungen einzuleiten.
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Förderung
Der Beitrag basiert auf zwei Evaluationen, die im Zeitraum von 2018 bis 2020 von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) durchgeführt wurden.