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Motivationen und Erwerb von Wissen und praktischen Fertigkeiten im Citizen-Science-Projekt „Urbanität und Vielfalt“: Ergebnisse einer Teilnehmerbefragung

Motivations and acquisition of knowledge and practical skills in the “Urbanity and Diversity” citizen science project: Findings of a survey among project participants

DOI: 10.19217/NuL2024-02-02 (inkl. Zusatzmaterial) • Manuskripteinreichung: 29.3.2023, Annahme: 7.11.2023

Christina Bantle, Jana Twarok und Heike Molitor

Zusammenfassung

Im Citizen-Science-Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) konnten Bürgerinnen und Bürger durch die Mitwirkung bei der Aufzucht und Pflege regionaler, gefährdeter Wildpflanzen zu deren Schutz beitragen. Im Fokus der Abschlussbefragung unter 432 Projektteilnehmerinnen und -teilnehmern standen deren Motivationen zur Teilnahme am Projekt sowie deren Erwerb von Wissen und praktischen Fertigkeiten. Die Hauptmotivation zur Projektteilnahme lag im Wunsch, zum Schutz der Natur beizutragen. Eine große Rolle spielte zudem der Anschluss des Projekts an vorhandene Hobbies und Interessen. Im Projektverlauf wurden sowohl ökologisches Wissen zu Aussehen, Lebensräumen und Ansprüchen regionaler Wildpflanzen als auch praktische Fertigkeiten hinzugewonnen. Auch für zukünftige Projekte wird empfohlen, Citizen-Science-Projekte zum Naturschutz mit Alltagshandlungen von Bürgerinnen und Bürgern zu verknüpfen.

Evaluation – Motivation – Wissen – Fertigkeiten – Citizen Science – urbane Biodiversität

Abstract

In a citizen science project titled “Urbanity and Diversity”, citizens were able to contribute to the conservation of regional, endangered wild plants by participating in the cultivation and care of these plants. The final survey among 432 project participants focused on their motivations for participating in the project as well as their acquisition of knowledge and practical skills. The main motivation to participate in the project was the desire to contribute to nature conservation. The connection of the project to existing hobbies and interests also played a major role. In the course of the project, participants gained both ecological knowledge about the appearance, habitats and requirements of regional wild plants and practical skills. Connecting citizen science projects on nature conservation to everyday activities of citizens is also recommended for future projects.

Evaluation – Motivation – Knowledge – Skills – Citizen science – Urban biodiversity

Inhalt

1 Einleitung

1.1 Citizen Science im Kontext biologischer Vielfalt

1.2 Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern im CS-Projekt „Urbanität und Vielfalt“

1.3 Das Projekt „Wildkatzensprung“ als Vergleichsgrundlage für das Projekt U&V

1.4 Forschungsfragen

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungskontext

2.1 Motivationen zur Teilnahme an CS-Projekten

2.2 Erwerb von Wissen und Fertigkeiten in CS-Projekten mit Biodiversitätsbezug

3 Methodisches Vorgehen bei der Abschlussbefragung im Projekt U&V

3.1 Entwicklung des Befragungsteils zum Schwerpunkt Motivationen

3.2 Entwicklung des Befragungsteils zum Schwerpunkt Wissen und Fertigkeiten

4 Ausgewählte Ergebnisse

4.1 Stichprobe der Befragung

4.2 Motivationen für das Engagement im Projekt U&V

4.3 Wissenszuwachs und Erwerb praktischer Fertigkeiten im Projekt U&V

4.4 Zufriedenheit mit dem Projekt U&V und zukünftiges Engagement

5 Diskussion

6 Empfehlungen

7 Literatur

8 Online-Zusatzmaterial

Förderung und Dank

1 Einleitung

1.1 Citizen Science im Kontext biologischer Vielfalt

Um dem fortschreitenden Verlust der biologischen Vielfalt entgegenzuwirken, ist es unabdingbar, das gesellschaftliche Bewusstsein für den Wert der Biodiversität zu stärken (Ceballos et al. 2017; Martens et al. 2022). 2007 wurde die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) veröffentlicht, laut der bereits im Jahr 2015 für „mindestens 75 % der Bevölkerung die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu den prioritären gesellschaftlichen Aufgaben“ (BMU 2007: 60) zählen sollte. Der tatsächlich erreichte Wert lag 2019 bei 28 % (BfN 2021). Mit der geplanten Neuauflage der NBS (NBS 2030) soll das gesellschaftliche Bewusstsein deshalb zukünftig noch gezielter mittels einer intensiven und partizipativen Informations- und Bildungsarbeit gestärkt werden (BMUV 2023), wie sie bspw. in Citizen-Science(CS)-Projekten stattfindet. Der Fokus entsprechender Maßnahmen und Angebote soll darauf liegen, „Wissen und […] Einstellungen stärker in naturverträglicheres Alltagshandeln umzusetzen“ (BMUV 2023: 26).

CS umfasst „die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses“ (Bonn et al. 2016: 13). Ziel aller CS-Projekte ist es, neues Wissen zu schaffen, wobei explizit auch die beteiligten Bürgerinnen und Bürger von der Teilnahme profitieren sollen (ECSA 2015). CS wird häufig in Projekten mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt und zum Thema Biodiversität eingesetzt (Kullenberg, Kasperowski 2016), wobei die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meist durch das Sammeln von Daten zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen (Fraisl et al. 2022). CS-Projekte können biodiversitätsfreundliche Verhaltensweisen im Alltag von Bürgerinnen und Bürgern initiieren oder fördern (Deguines et al. 2020). Sie bergen damit ein großes Potenzial, durch die Stärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins für biologische Vielfalt zur Umsetzung der NBS beizutragen.

In diversen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Teilnahme an CS-Projekten Auswirkungen auf den Erwerb von Wissen und Fertigkeiten haben kann. Eine Studie von von Gönner et al. (2023) zeigte, dass sich systematisches Feedback oder persönliches Mentoring in CS-Projekten besonders positiv auf den Zugewinn an inhaltlichem Wissen und wissenschaftlichen Fertigkeiten auswirkten. Die Bereitstellung schriftlicher Informationen und die Durchführung von Schulungen oder Workshops vor Ort wurde hingegen nur etwa von der Hälfte der befragten Citizen Scientists als hilfreich für den eigenen Wissenserwerb angesehen (von Gönner et al. 2023).

1.2 Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern im CS-Projekt „Urbanität und Vielfalt“

Ansatz des von 2016 bis 2022 durchgeführten CS-Projekts „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) war es, Bürgerinnen und Bürger im städtischen Raum aktiv am Schutz und an der Erhaltung von seltenen oder gefährdeten heimischen Wildpflanzen sowie von deren genetischer Vielfalt zu beteiligen. Die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer hatten die Möglichkeit, einen praktischen Beitrag zur Erhaltung regionaler Artenvielfalt zu leisten und über ihr Handeln Wissen zu regional gefährdeten Wildpflanzenarten und zur Biodiversität sowie Fertigkeiten zu deren Schutz zu erlangen. Durch das Projekt wurden niedrigschwellige Maßnahmen und Situationen zur Beteiligung geschaffen. Es setzte primär am praktischen Verhalten der Beteiligten an.

Entwickelt und umgesetzt wurde das Projekt von den Botanischen Gärten Potsdam und Marburg, dem Späth-Arboretum in Berlin sowie dem Umweltzentrum Dresden. Es nahmen 2.190 Personen teil. Die Besonderheit des CS-Ansatzes des Projekts U&V lag in der Aufzucht und Pflege gefährdeter regionaler Wildpflanzen, die in den beteiligten Botanischen Gärten bzw. am Umweltzentrum Dresden vorgezogen wurden. Registrierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer – im Projekt „Pflanzenpatinnen“ bzw. „Pflanzenpaten“ genannt − erhielten Jungpflanzen unterschiedlicher Wildpflanzenarten, die sie in ihrem Garten, auf dem Balkon, auf dem Fensterbrett oder auf einer öffentlich zugänglichen U&V-Archefläche auspflanzen konnten.

Die Pflanzenpatinnen und -paten wurden aufgefordert, nach der Samenreife der Pflanzen Saatgut zu ernten und dieses zurück ans Projekt zu geben. Am Standort Dresden wurden auch Jungpflanzen in Töpfen ausgegeben, die nach einer Saison an das Projekt zurückgegeben wurden. Das geerntete Saatgut wurde v. a. für die Anzucht weiterer Jungpflanzen in den Botanischen Gärten und am Umweltzentrum genutzt. Die Jungpflanzen wurden anschließend auf ausgewählten Flächen ausgebracht, um bestehende Pflanzenpopulationen zu stärken, neue zu begründen oder Verbindungskorridore zwischen zuvor isolierten Populationen zu schaffen.

Die Freiwilligen konnten sich zusätzlich bei Pflanzenausbringungen und beim Monitoring sowie bei der Herstellungspflege der Ausbringungsflächen praktisch einbringen. Beim Monitoring maßen und dokumentierten sie, wie viele der gepflanzten Individuen überlebt hatten, wie hoch die Vermehrungsrate war und wie viele Blütenstände zum Messzeitpunkt vorzufinden waren (Projekt Urbanität & Vielfalt Berlin/Brandenburg 2021). Weitere Angebote für die Freiwilligen waren Fachvorträge, Exkursionen und Workshops zur Pflanzenerkennung. Hinsichtlich der Pflanzenpflege und Saatguternte wurden die Freiwilligen durch schriftliche Informationen, Workshops und telefonische Beratung unterstützt. Im U&V-Arbeitskreis, der zur Verstetigung einiger U&V-Projektinhalte über die Förderdauer hinaus gegründet wurde, konnten sie eigene Ideen für die zukünftige Schwerpunktsetzung einbringen und wurden dabei vom hauptamtlichen U&V-Projektteam begleitet.

Der zentrale CS-Aspekt des Projekts U&V lag in der Übernahme der Pflanzenpatenschaften. Alle Personen, die im Rahmen der in diesem Beitrag vorgestellten Abschlussbefragung befragt wurden, waren als Pflanzenpatin bzw. -pate tätig. Sie trugen somit aktiv zu einem Schritt eines Forschungsvorhabens zum botanischen Artenschutz bei, der ansonsten fast ausschließlich von Forschungseinrichtungen und Botanischen Gärten durchgeführt wird. An den U&V-Angeboten jenseits der Pflanzenpflege beteiligte sich jeweils nur ein deutlich geringerer Anteil der befragten Freiwilligen: Am U&V-Arbeitskreis nahmen ca. 11 % von ihnen teil, am Monitoring knapp 4 %.

1.3 Das Projekt „Wildkatzensprung“ als Vergleichsgrundlage für das Projekt U&V

Von 2011 bis 2017, und damit in zeitlicher Überschneidung mit dem Projekt U&V, führte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) das Projekt „Wildkatzensprung“ durch, eines der größten CS-Projekte Deutschlands. Ein zentrales Ziel des Projekts war der Nachweis der Wildkatze (Felis silvestris) durch ein Lockstock-Monitoring. Das Projekt wurde ebenso wie das Projekt U&V im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt (BPBV) vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Von 2016 bis 2017, also zum Ende des Projekts, führte die Umweltpsychologin Nicola Moczek eine Studie mit Freiwilligen durch, die am Lockstock-Monitoring beteiligt waren, und befragte die Projekteilnehmerinnen und -teilnehmer zu den Motivationen ihrer Teilnahme. Moczek (2018) entwickelte in diesem Kontext spezifisch für Naturschutzprojekte im deutschsprachigen Raum die Skala „Motive und Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement im Naturschutz in Citizen-Science-Projekten (MORFEN-CS)“ . Die Skala MORFEN-CS wurde von Moczek (2019) weiterentwickelt zu MORFEN-CS 1, die in der Abschlussbefragung von U&V als Grundlage für die Befragung herangezogen wurde. Auch hinsichtlich weiterer Items orientierte sich die U&V-Abschlussbefragung an der Befragung von Moczek (2019). In diesem Beitrag wird daher mehrfach Bezug auf diese Studie genommen.

1.4 Forschungsfragen

In diesem Beitrag stehen zwei der fünf Forschungsfragen der U&V-Abschlussbefragung im Mittelpunkt:

    1.

    Was waren die wichtigsten Motivationen für Bürgerinnen und Bürger, am Projekt U&V teilzunehmen?

    2.

    Inwieweit gewannen die U&V-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer durch die Beteiligung am Projekt nach eigener Einschätzung Wissen und Fertigkeiten in Bezug auf regionale Wildpflanzen und biologische Vielfalt dazu?

In der Befragung wurden zusätzlich Informationen zur Zusammensetzung der U&V-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer, zu zeitlichem Umfang und zur Art des Engagements im Projekt, zu Abbruchgründen sowie zur Gesamtzufriedenheit erfasst.

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungskontext

2.1 Motivationen zur Teilnahme an CS-Projekten

Motivationen spielen in allen Phasen eines CS-Projekts eine Rolle. Sie beeinflussen bereits zu Projektbeginn, ob sich Menschen für die Teilnahme an einem CS-Projekt entscheiden. Die Erfahrungen aus der Projektteilnahme selbst können sich positiv auf die bestehenden Motivationen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auswirken und deren aktuelles und zukünftiges Engagement beeinflussen (Lorke, Schmid-Loertzer 2022). Insofern ist es für die Planung und Durchführung von CS-Projekten relevant, sich mit den (potenziellen) Motivationen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auseinanderzusetzen (Richter et al. 2021).

Laut einer von West et al. (2021) in Großbritannien durchgeführten Studie sind die Motivationen zur Teilnahme an CS-Projekten zumeist wertebasiert. Am häufigsten genannt wurde der Wunsch, der Tier- und Pflanzenwelt zu helfen, am zweithäufigsten, einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten. Wertebasierte Motive sind Teil einer übergeordneten gemeinnützigen Funktion. Im Kontrast dazu steht die selbstdienliche Funktion: Der Wunsch, etwas Neues zu lernen, war hierbei das wichtigste Motiv. Am wenigsten häufig wurde in der Studie von West et al. (2021) das selbstdienliche Motiv genannt, Leute zu treffen und/oder Spaß zu haben. Laut einer länderübergreifenden Studie mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Dänemark, Deutschland und Israel hingegen waren die beiden wichtigsten Motive zur Teilnahme an CS-Projekten „Spaß zu haben“ und „etwas (Gutes) für die Natur zu tun“ – also einmal ein selbstdienliches, einmal ein gemeinnütziges Motiv. Ebenso wichtig waren die gemeinnützigen Motivationen, „einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten“ und „einen Beitrag zum Naturschutz zu leisten“ (Richter et al. 2021).

Moczek (2019) bildet in der Skala MORFEN-CS 1, die der Befragung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Projekt „Wildkatzensprung“ zugrunde lag, acht handlungsleitende Motive ab. Vier dieser Motive ordnet sie dabei als gemeinnützig ein (Naturschutzwerte, soziale Motive, Citizen Science und gesellschaftspolitische Verantwortung), vier weitere als selbstdienlich (Qualifikation und Erfahrung, Chancen für die Karriere, Ausgleich zum Beruf sowie Anerkennung und Selbsterfahrung) (vgl. Abb. 1; Moczek 2018).

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Abb. 1: Gemeinnützige und selbstdienliche Motive zur Teilnahme am Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) nach der Skala MORFEN-CS 1 (modifiziert nach Moczek 2019).
Fig. 1: Public-benefit and self-serving motives for participation in the “Urbanity and Diversity” (U&V) project based on the MORFEN-CS 1 scale (modified after Moczek 2019).

2.2 Erwerb von Wissen und Fertigkeiten in CS-Projekten mit Biodiversitätsbezug

Bei vielen CS-Projekten (auch des botanischen Artenschutzes) steht der wissenschaftliche Nutzen – z. B. durch Gewinnung umfangreicher Datensätze – im Vordergrund (Phillips et al. 2019). In den letzten Jahren ist zunehmend der Nutzen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Fokus gerückt. Es ist eine – oft implizite – Annahme, dass die Teilnahme an einem CS-Projekt eine Wirkung auf das Wissen, die Einstellungen oder das Verhalten der Beteiligten hat (Cooper et al. 2007). In einer Literaturstudie mit dem Fokus darauf, welchen Nutzen CS-Projekte zu Biodiversität für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat, war ein Zuwachs an ökologischem Wissen das am häufigsten genannte Ergebnis. Das ökologische Wissen bezog sich dabei i. d. R. auf die Arten, die jeweils im Fokus des CS-Projekts standen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den untersuchten CS-Projekten erwarben zudem neue Fertigkeiten, wobei diese sich primär auf die Bestimmung von Arten bezogen, zum Teil aber nicht genauer definiert wurden (Peter et al. 2019).

Moczek erfasste in ihrer Befragung im Projekt „Wildkatzensprung“ zwar die Motivationen, das Vorwissen und den selbstberichteten Wissenszuwachs der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, jedoch nicht den Erwerb praktischer Fertigkeiten (Moczek 2019).

3 Methodisches Vorgehen bei der Abschlussbefragung im Projekt U&V

Die Abschlussbefragung zum Projekt U&V war Bestandteil der sozioökonomischen Projektevaluation, die vom Fachgebiet Umweltbildung und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) projektbegleitend durchgeführt wurde. Während des Projektverlaufs hatte das Evaluationsteam prozessbegleitend insgesamt 16 Befragungen unter den U&V-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern durchgeführt. Basierend auf diesen Ergebnissen und in Abstimmung mit der Projektkoordination wurden mit der Abschlussbefragung u. a. folgende Bereiche erfragt:

    Zusammensetzung der U&V-Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

    Motivationen zur Teilnahme am Projekt U&V,

    Wissen und Fertigkeiten der U&V-Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Bezug auf regionale Wildpflanzen und biologische Vielfalt,

    Gesamtzufriedenheit mit dem Projekt U&V.

Die Abschlussbefragung wurde vom 25.8.2022 bis 15.9.2022 als Online-Befragung durchgeführt (für den Fragebogen siehe Online-Zusatzmaterial unter https://www.natur-und-landschaft.de/extras/zusatzmaterial/). Von den Projektkoordinationen wurden alle registrierten teilnehmenden Personen per E-Mail angeschrieben. Von den insgesamt 1.810 versendeten Mails wurden 1.735 zugestellt, was der Grundgesamtheit der Befragung entspricht. Nur vollständig ausgefüllte Fragebögen von 432 Personen wurden in die Auswertung aufgenommen, was einer Rücklaufquote von ca. 25 % entspricht.

3.1 Entwicklung des Befragungsteils zum Schwerpunkt Motivationen

Für den Teil der U&V-Abschlussbefragung, der sich auf die Motivationen der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer bezog, wurden basierend auf der Skala MORFEN-CS 1 zehn Items zu sechs unterschiedlichen Arten von Motivationen entwickelt. Aufgrund der Spezifika des U&V-Projekts ersetzte das Motiv „Persönliche Interessen und Hobbies“ das Motiv „Ausgleich zum Beruf“ der MORFEN-CS-1-Skala.

In Tab. 1 sind die auf Motivationen bezogenen Items der U&V-Abschlussbefragung dargestellt und – falls zutreffend – die zugrundeliegenden Items der Skala MORFEN-CS 1, die in der Wildkatzensprung-Studie angewendet wurde. Für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse beider Studien wurde in der U&V-Abschlussbefragung auch die von Moczek (2018) verwendete vierstufige Skala (von 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 4 = „trifft völlig zu“) zur Beantwortung übernommen.

Tab. 1: Items zu Motivationen für die Teilnahme am Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) und deren Bezug zur Skala MORFEN-CS 1 (Moczek 2019).
Table 1: Items on motivations for participating in the “Urbanity and Diversity” (U&V) project and their reference to the MORFEN-CS 1 scale (Moczek 2019).
Items der Wildkatzensprung-Studie (Skala MORFEN-CS 1) Items der U&V-Abschlussbefragung
Ich engagiere mich im Projekt Wildkatzensprung, weil …
Ich habe am Projekt U&V teilgenommen, weil …
Naturschutzwerte
… ich in dem Projekt aktiv zum Naturschutz beitragen kann.
… ich mit meiner Teilnahme zum Schutz der Natur beitragen wollte.*
… ich mit meiner Teilnahme (m)einen Garten, Balkon etc. naturnäher gestalten wollte.*
Citizen Science
… ich damit einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt diene.
… ich an einem wissenschaftlichen Projekt mitwirken wollte.
Soziale Motive
… ich Leute mit ähnlichen Interessen treffe.
… ich über das Projekt neue Menschen mit ähnlichen Interessen kennenlernen wollte.
… Freunde/Bekannte von mir auch beim Projekt dabei waren.*
Erfahrung und Qualifikation
… ich neues Fachwissen und Methoden lernen und anwenden kann.
… ich mehr über regionale Wildpflanzen lernen wollte.
Karriere
... ich Kontakte knüpfen und pflegen kann, die für mein berufliches Fortkommen von Vorteil sein können.
… ich aus der Teilnahme Vorteile für mein berufliches Fortkommen erwartet habe.
Ausgleich zum Beruf
Persönliche Interessen und Hobbies
… ich in meiner Freizeit etwas anderes machen möchte als im Beruf.
… ich gerne gärtnere.*
… ich mir schöne/dekorative Pflanzen für meinen Garten, Balkon etc. erwartet habe.*
… ich mich schon länger für Wildpflanzen interessiert habe.
MORFEN-CS = Motive und Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement im Naturschutz in Citizen-Science-Projekten
* Diese Items wurden bereits in den projektbegleitenden Befragungen genutzt.

3.2 Entwicklung des Befragungsteils zum Schwerpunkt Wissen und Fertigkeiten

In weiteren Teilen der Befragung wurden im Projekt U&V erworbenes Wissen und erworbene praktische Fertigkeiten abgefragt. Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer konnten z. B. durch die Pflanzenpflege im Rahmen der Pflanzenpatenschaften Wissen darüber erwerben, wie sie die Samenreife bei unterschiedlichen Wildpflanzenarten erkennen, und die Fertigkeiten, das Saatgut selbst korrekt zu ernten, zu trocknen und zu lagern. Durch die Teilnahme am Monitoring konnten sie bspw. Wissen über unterschiedliche Lebensräume und Standortansprüche von Pflanzen sowie Fertigkeiten zum forschungspraktischen Vorgehen bei der Vorbereitung des Monitorings erlangen. Da jedoch nur 4 % der Befragten am Monitoring teilgenommen hatten, bezieht sich der Erwerb von Wissen und Fertigkeiten v. a. auf die Tätigkeit der Pflanzenpflege im Rahmen der Pflanzenpatenschaften.

Die Items zum Wissenserwerb wurden in enger Anlehnung an die Fragen der Wildkatzensprung-Befragung von Moczek (2018, 2019) formuliert, wobei die Befragten um eine Selbsteinschätzung zum Stand ihres Wissens und zum Wissenserwerb gebeten wurden. Der Fragenblock zum Erwerb neues Wissens (Tab. 2) wurde im U&V-Fragebogen (vgl. Online-Zusatzmaterial) ergänzt um eine Frage zum Verhältnis zwischen dem im Projekt erworbenen theoretischen Wissen und den praktischen Fertigkeiten. Die letzte Frage im Hauptteil des Fragebogens bezog sich auf die Gesamtzufriedenheit im Projekt. Abschließend wurden einige soziodemographische Angaben erfragt. Auch die Antwortkategorien zu den Wissens-Items wurden in sehr ähnlicher Form aus der Studie von Moczek (2018) übernommen und es wurde eine fünfstufige Skala verwendet.

Tab. 2: Items zum Erwerb von Wissen im Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) im Vergleich zu den Items der Wildkatzensprung-Studie (Moczek 2019).
Table 2: Items related to knowledge acquisition in the “Urbanity and Diversity” (U&V) project compared to items in the “Wildkatzensprung” study (Moczek 2019).
Items der Wildkatzensprung-Studie (Skala MORFEN-CS 1) Items der U&V-Abschlussbefragung
Vor Beginn Ihres Engagements: Wie viel wussten Sie über die Wildkatze (Aussehen, Lebensraum, Verhalten etc.?)
Wie viel wussten Sie vor Beginn Ihrer Teilnahme an U&V über regionale Wildpflanzen (Aussehen, Lebensraum, Ansprüche etc.)?
Wie viel Neues haben Sie während Ihres Engagements über die Wildkatze dazugelernt?
Wie viel Neues haben Sie insgesamt während Ihrer Beteiligung an U&V über regionale Wildpflanzen dazugelernt?
Wie viel Neues haben Sie über Pflanzen und andere Tiere im Lebensraum der Wildkatze dazugelernt?
Wie schätzen Sie zum jetzigen Zeitpunkt Ihre Expertise (Ihr Fachwissen) für den Lebensraum der Wildkatze ein?
Wie viel wissen Sie Ihrer Einschätzung nach heute über regionale Wildpflanzen?
MORFEN-CS = Motive und Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement im Naturschutz in Citizen-Science-Projekten

4 Ausgewählte Ergebnisse

4.1 Stichprobe der Befragung

Knapp drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der U&V-Abschlussbefragung (74 %) waren Frauen. 73 % der Befragten hatten einen akademischen Abschluss. Das Durchschnittsalter lag bei 53 Jahren, 25 % waren bereits in Rente. Etwa 66 % der Befragten hatten neben der Tätigkeit als Pflanzenpatin/-pate noch an mindestens einem weiteren Angebot von U&V teilgenommen. Am häufigsten genannt wurden dabei Vorträge (21 %), Auspflanzungen (15 %) und Pflanzenworkshops (14 %).

4.2 Motivationen für das Engagement im Projekt U&V

Der Fragebogen enthielt zehn Aussagen zu Motivationen für das Engagement im Projekt U&V (vgl. Online-Zusatzmaterial). Die höchste Zustimmung erhielt die Aussage des gemeinnützigen Motivs „Naturschutzwerte“: „Ich habe am Projekt U&V teilgenommen, weil ich mit meiner Teilnahme zum Schutz der Natur beitragen wollte“ (Abb. 2). Die beiden Aussagen, die die nächsthöchsten Zustimmungswerte erreichten, sind den selbstdienlichen Motiven zuzuordnen und bezogen sich auf Hobbies und Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Gärtnern sowie bestehendes Interesse an Wildpflanzen).

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Abb. 2: Motive für die Teilnahme am Citizen-Science-Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) mit Angabe von Mittelwerten der Zustimmung (farbige Balken) auf einer Skala von 1 („trifft gar nicht zu“) bis 4 („trifft völlig zu“) und Standardabweichungen (SD; graue Balken) auf Grundlage einer Befragung der Beteiligten (N = 427).
Fig. 2: Motives for participating in the “Urbanity and Diversity” (U&V) citizen science project with indication of mean values of agreement (coloured bars) on a scale from 1 (“strongly disagree”) to 4 (“strongly agree”) and standard deviations (SD; grey bars) based on a survey of participants (N = 427).

4.3 Wissenszuwachs und Erwerb praktischer Fertigkeiten im Projekt U&V

Im Durchschnitt schätzten die Befragten ihr Wissen über regionale Wildpflanzen vor Beginn der Teilnahme an U&V mit Mittelwert (M) = 2,74 und Standardabweichung (SD) = 1,05 auf einer fünfstufigen Skala ein, also zwischen „wenig“ und „mittelmäßig viel“. Auf die Frage zum Wissen nach der Teilnahme lag der Antwortwert bei M = 3,27 (SD = 0,72), also zwischen „mittelmäßig viel“ und „viel“. Der Unterschied zwischen den beiden Werten ist stark signifikant (t-test für gepaarte Stichproben; t = − 11,174, p < 0,001, N = 429). Die Effektstärke (Cohen's d = 0,988) entspricht einem sehr starken Effekt. Der selbstberichtete Wissenszuwachs („Wie viel Neues haben Sie insgesamt während Ihrer Beteiligung an U&V über regionale Wildpflanzen gelernt?“) wurde zwischen „mittelmäßig viel“ und „viel“ eingeschätzt (M = 3,46, SD = 0,89). Das Verhältnis zwischen theoretischem Wissenserwerb und dem Erwerb praktischer Fähigkeiten stellte sich als genau ausgeglichen dar (M = 3,04, SD = 0,79 auf einer fünfstufigen Skala).

4.4 Zufriedenheit mit dem Projekt U&V und zukünftiges Engagement

Die Gesamtzufriedenheit mit dem Projekt U&V wurde mit einer fünfstufigen Smiley-Skala abgefragt. Die Zufriedenheit war insgesamt sehr hoch, 52 % der Befragten wählten den höchstmöglichen Wert von 5 Punkten (M = 4,46, SD = 0,62). Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich auch zukünftig für regionale Wildpflanzen engagieren zu wollen. Weniger als 5 % hatten nicht vor, sich zukünftig für regionale Wildpflanzen oder anderweitig für den Schutz der Natur zu engagieren (Abb. 3).

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Abb. 3: Intentionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Projekt „Urbanität und Vielfalt“ (U&V) für zukünftiges Engagement im Naturschutz (N = 427, Mehrfachantworten möglich).
Fig. 3: Intentions of participants in the “Urbanity and Diversity” (U&V) project for future engagement in nature conservation (N = 427, multiple answers possible).

5 Diskussion

Die Ergebnisse der Abschlussbefragung aus dem Projekt U&V geben Hinweise zu Motivationen für die Teilnahme an CS-Projekten zum botanischen Artenschutz, außerdem zu erworbenem Wissen und Fertigkeiten. Zur Einordnung der Ergebnisse soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine Querschnittsstudie ohne Kontrollgruppe handelte. Die beschriebene Zunahme an Wissen und Fertigkeiten beruht auf einer Selbsteinschätzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Projektteilnahme und dem Erwerb von Wissen und Fertigkeiten kann somit nicht hergestellt werden. Aufgrund einer engen Orientierung an der Skala MORFEN-CS 1 der Wildkatzensprung-Studie von Moczek (2019) werden im Folgenden die hier vorliegenden Ergebnisse primär vor diesem Hintergrund diskutiert.

Die Gesamtzufriedenheit und die erhobenen sozioökonomischen Daten in beiden Studien glichen sich hinsichtlich des Alters und des Studienabschlusses. Ein auffälliger Unterschied besteht hingegen in der Beteiligung von Frauen, die beim Projekt U&V ca. drei Viertel, beim Projekt Wildkatzensprung nur ca. ein Viertel der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer betrug. Der hohe Anteil an beteiligten Frauen im Projekt U&V stellt eine Besonderheit bei Naturschutzprojekten dar (Moczek 2019; Pateman et al. 2021). Zu den häufigsten Hinderungsgründen für die Teilnahme an CS-Projekten gehört der Mangel an Zeit, der wahrscheinlich Frauen mit Betreuungsaufgaben besonders betrifft (Blöbaum 2012; Pateman et al. 2021). Im Projekt U&V war eine zeitlich flexible und auch geringfügige Beteiligung möglich. Weitere Gründe für eine deutlich höhere Beteiligung von Männern als Frauen an CS-Projekten liegen in der Projektgestaltung. An Online-Projekten, Projekten mit starkem Wettbewerbscharakter und Projekten, in denen Freiwillige ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen, ist der Anteil an Männern jeweils besonders groß (NASEM 2018). Das Projekt U&V fand ausschließlich als Präsenzprojekt statt, ein Wettbewerbscharakter war nicht gegeben. Gerade im Rahmen des U&V-Arbeitskreises konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel Verantwortung übernehmen, was sich aber nicht an einem höheren Anteil von Männern im Gremium wiederspiegelte.

Im Projekt U&V hatten − wie auch im Projekt Wildkatzensprung und bei vielen weiteren CS-Projekten zur biologischen Vielfalt − Naturschutzwerte als Teil der gemeinnützigen Motive die stärkste Bedeutung bei der Projektteilnahme (siehe Abb. 2). Die zweit- und drittstärkste Motivation für die Teilnahme am Projekt U&V bezog sich jedoch jeweils auf persönliche Interessen und Hobbies der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Diese Aspekte waren in der Skala MORFEN-CS nicht abgefragt worden. Die besondere Bedeutung dieser Motive im Projekt U&V hängt vermutlich damit zusammen, dass in diesem Projekt gezielt an bereits bestehende Alltagshandlungen von Menschen angeknüpft wurde, wie z. B. das Gärtnern. Diese Annahme wird auch gestützt durch eine Befragung der Berliner Wohnbevölkerung, an welchen Aktivitäten zur Biodiversität sie sich am ehesten in der Stadt beteiligen würden. Auch hier wurden Balkonbepflanzungen und Gärtnern am häufigsten genannt (Martens et al. 2022). Das Gärtnern war zudem eine vorrangig individuelle Tätigkeit, die die U&V-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer v. a. in ihrem privaten Raum durchführten. Auch dies stellt eine Besonderheit bei CS-Projekten dar.

Der selbst eingeschätzte Stand zu ökologischem Wissen war vor Beginn der Projektteilnahme im Projekt U&V (M = 2,74) etwas geringer als im Projekt Wildkatzensprung (M = 2,92), ebenso der selbstberichtete Wissenszuwachs (M = 3,46 gegenüber M = 4,00). Eine mögliche Erklärung dafür kann im hohen Alltagsbezug des Projekts U&V liegen: Da dem Großteil der U&V-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer gärtnerische Routinen bekannt waren, fiel der (empfundene) Wissenszuwachs bei diesen möglicherweise geringer aus als bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Projekten ohne Alltagsbezug. Während das (ökologische) Wissen in der U&V-Abschlussbefragung klar definiert war, fehlte eine entsprechende Beschreibung der praktischen Fertigkeiten. Das ausgeglichene Verhältnis zwischen erworbenem theoretischen Wissen und erworbenen praktischen Fertigkeiten lässt so zwar den Schluss zu, dass ein Kompetenzerwerb in beiden Bereichen stattgefunden hat. Es bleibt jedoch unklar, was die Befragten genau unter „praktischen Fertigkeiten“ verstanden.

6 Empfehlungen

Um Bürgerinnen und Bürger für eine Teilnahme an CS-Projekten zu biologischer Vielfalt zu motivieren, sollte deren persönlicher Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität betont werden. Im Projekt U&V hat sich zudem der Ansatz als erfolgreich erwiesen, an bestehende Hobbies und Interessen sowie an Alltagshandlungen von Bürgerinnen und Bürgern anzuknüpfen. Durch die Möglichkeit, regionale Wildpflanzen im eigenen Garten anzupflanzen und zu pflegen, waren selbstdienliche Motive (wie Gärtnern als Hobby sowie ein bestehendes Interesse an Wildpflanzen) direkt mit gemeinnützigen Motiven (in diesem Fall die Erhaltung der Biodiversität) verbunden.

Die diversen z. T. personalintensiven Angebote zur Beteiligung im Projekt U&V trugen zum Erwerb praktischer Fertigkeiten und zu einem deutlichen Wissenszuwachs der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden − entsprechend dem Ziel der NBS − befähigt, über das Projekt hinaus zur Erhaltung der Biodiversität beizutragen. Eine weitere Verbesserung wäre möglicherweise der breitere Einsatz von Mentoring und Feedback gewesen. Beides spielte im Projekt U&V eine große Rolle, allerdings mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus eigener Initiative mit dem U&V-Team Kontakt aufnehmen oder an einem der Zusatzangebote teilnehmen. Eine niedrigschwellige Möglichkeit der Kontaktaufnahme und Unterstützung wäre z. B. durch den Einsatz einer Projekt-App möglich gewesen. Eine App hätte auch eine direkte Austauschmöglichkeit unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ermöglichen können und damit ein gegenseitiges Mentoring und Feedback. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Tätigkeit der Pflanzenpflege v. a. individuell stattfand, hätte der Einsatz einer App potenziell zur Bildung eines kollektiven Gefühls im Projekt U&V beitragen können. Auch die in den projektbegleitenden Befragungen als sehr hilfreich bewerteten schriftlichen Informationen hätten mittels App bereitgestellt werden können, was möglicherweise zu einer umfangreicheren Nutzung beigetragen hätte.

Es scheint grundsätzlich notwendig, CS-Projekte gezielt für bisher wenig repräsentierte Zielgruppen zu entwickeln wie Personen ohne akademischen Bildungsgrad, Jugendliche und junge Erwachsene, bei denen durchaus der Wunsch nach Mitwirkung besteht (BMU 2020). Auch hier könnte der Einsatz einer projektspezifisch gestalteten App Vorteile bringen. Die hohe Beteiligungsrate von Frauen im Projekt U&V verdeutlicht, dass die spezifische Gestaltung von CS-Projekten das Potenzial hat, die Zusammensetzung der CS-Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlich zu beeinflussen.

Methodisch hat sich die Orientierung an der Skala MORFEN-CS 1 des CS-Projekts „Wildkatzensprung“ als hilfreich erwiesen. Eine Herausforderung stellt jedoch die Abwägung zwischen einer eher kurzen, nutzerfreundlichen Befragung mit einer tendenziell höheren Rücklaufquote und dem Einsatz vollständiger, auf Reliabilität und Validität getesteter und damit umfangreicherer Skalen dar. Für weitere Evaluationen zu CS-Projekten zum Naturschutz wäre es deshalb erstrebenswert, sich an einer gemeinsamen Erhebungsvorlage zu Motivationen der Beteiligten zu orientieren, um basierend auf den Ergebnissen solcher Erhebungen CS-Maßnahmen gezielt weiterentwickeln zu können.

7 Literatur

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8 Online-Zusatzmaterial

Der Fragbogen zur Abschlussbefragung im Projekt U&V ist als Online-Zusatzmaterial unter https://www.natur-und-landschaft.de/extras/zusatzmaterial/ abrufbar.

Förderung und Dank

Das Projekt U&V wurde gefördert im Bundesprogramm Biologische Vielfalt (BPBV) durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums. In Sachsen wurde das Projekt zusätzlich gefördert mit Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. In Marburg wurde das Projekt zusätzlich gefördert mit Mitteln der Stadt Marburg. Ein Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Projekt U&V für die sehr konstruktive Zusammenarbeit bei der sozioökonomischen Evaluation und für den intensiven inhaltlichen und methodischen Austausch, der dabei stattfand. Außerdem bedanken wir uns herzlich bei allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich im Projekt U&V für die Erhaltung regionaler Wildpflanzen engagiert und an der Evaluation beteiligt haben. Ihre Beteiligung hat uns in unserer Arbeit motiviert, dem Projekt U&V bereits während seiner Laufzeit neue Erkenntnisse und Anregungen verschafft und trägt nun auch zur Gestaltung zukünftiger CS-Projekte im Naturschutz bei.

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Prof. Dr. Heike Molitor

Korrespondierende Autorin

Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Fachgebiet Umweltbildung

und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Schicklerstraße 5

16225 Eberswalde

E-Mail: heike.molitor@hnee.de

Die Autorin ist seit 2008 Professorin für Umweltbildung/Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) am Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Sie bearbeitet Forschungsprojekte im Kontext von Citizen Science, Naturerfahrungsräumen und BNE. Insbesondere der Transfer mit der Praxis ist ein entscheidender Fokus ihrer Arbeit wie z. B. in der Mitbegründung der Servicestelle BNE Brandenburg für den außerschulischen Bereich.

NuL_02_2024_Molitor_Vita.jpg

Dr. Christina Bantle

Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Fachgebiet Umweltbildung

und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Schicklerstraße 5

16225 Eberswalde

E-Mail: christina.bantle@hnee.de

Jana Twarok

Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Fachgebiet Umweltbildung

und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Schicklerstraße 5

16225 Eberswalde

E-Mail: jana.twarok@hnee.de

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