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Erhaltung und Förderung lichter Waldstrukturen für den Insektenschutz

Conserving and enhancing open canopy forest structures for insect conservation

DOI: 10.19217/NuL2024-02-04 • Manuskripteinreichung: 21.3.2023, Annahme: 6.11.2023

Maria Georgi, Jonas Hagge, Kati Hielscher, Jörg R. G. Kleinschmit, Britta Kreuselberg, Martin Lauterbach, Sabine Mayr, Susanne Poeppel und Christine Schleupner

Zusammenfassung

Die Länder-Arbeitsgemeinschaft Insektenschutz im Wald hat Empfehlungen zur Förderung der Insektenvielfalt und -biomasse im Rahmen der Waldbewirtschaftung erarbeitet. Da Insekten sehr viele verschiedene Arten umfassen und nahezu alle Lebensräume besiedeln, ist eine Vielzahl an Maßnahmen zum Schutz von Insekten im Wald denkbar. Die Recherche der Arbeitsgemeinschaft hatte zum Ziel, diese Vielfalt an möglichen Maßnahmen zu sortieren, einzugrenzen und für die Praxis umsetzbar zu machen. In vielen Bundesländern bestehen bereits Konzepte zur Erhaltung von Biotop- bzw. Altbäumen und Totholz innerhalb des Waldes, die unverzichtbare Bestandteile der Insektenförderung darstellen. Daher fokussiert sich der vorliegende Beitrag auf weitere Möglichkeiten der Insektenförderung jenseits dieser Konzepte in lichten Waldstrukturen und auf Wald-Offenland-Übergängen, z. B. in natürlicherweise lichten Wäldern, lichten Waldentwicklungsphasen in der naturnahen Waldbewirtschaftung, im Bereich von Störungen, in kulturbedingt lichten Wäldern sowie an Waldrändern, auf Trassen und Waldwiesen. Als Fazit wird empfohlen, neben Totholz, Biotop- bzw. Altbäumen, diese lichten Bereiche und den Biotopverbund zu fördern.

Insektenschutz – Forstwirtschaft – Waldnaturschutz – lichte Waldstrukturen – Störung – biologische Vielfalt

Abstract

A working group on insect conservation of the federal states of Germany has developed recommendations for the promotion of insect diversity and biomass within the scope of forestry. Since insects are very diverse and live in almost all habitats, there is a broad array of measures potentially suited to conserving insects in forests. The working group's research aimed at sorting and narrowing down this variety of possible measures and making them more tangible and implementable in practice. In many federal states, action plans for the conservation of biotope trees, old trees and deadwood are already in place. These are vital elements for fostering insects. Therefore, this article focuses on other options to promote insects beyond such approaches, concentrating on open canopy forest structures and areas bordering forests. These habitats comprise naturally sparse forests, sparse forest development phases in near-natural forest management, naturally disturbed areas and sparse managed forests, as well as forest margins (e. g. along forest roads and power lines) and forest meadows. In conclusion, we recommend promoting the above-mentioned open areas and the network connecting the habitats in addition to promoting dead wood, biotope trees and old trees.

Insect conservation – Forestry – Forest nature conservation – Open canopy forest structures – Disturbance – Biodiversity

Inhalt

1 Einleitung

2 Insektenschutz

3 Erhaltung und Förderung von Insekten in lichten Waldstrukturen

3.1 Natürlicherweise lichte Wälder

3.2 Lichte Waldentwicklungsphasen in der naturnahen Waldbewirtschaftung

3.3 Störungen als Chance

3.4 Kulturbedingt lichte Wälder

3.5 Waldränder, Trassen, Waldwiesen

4 Fazit und Ausblick

5 Literatur

1 Einleitung

Die Krefeldstudie (Hallmann et al. 2017) hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen deutlichen Rückgang der Insektenbiomasse gelenkt, der auch Schutzgebiete betrifft. Seibold et al. (2019) und Staab et al. (2023) wiesen auch für Waldflächen in Deutschland einen Rückgang von Artenzahl und Biomasse der Gliedertiere nach. Ein starker Insektenrückgang in Diversität, Dichte und Biomasse ist heute in Mitteleuropa und global zweifelsfrei erwiesen (Fartmann et al. 2021a; Hallmann et al. 2021).

Um eine Trendumkehr zu erreichen, hat die Bundesregierung 2019 das Aktionsprogramm Insektenschutz verabschiedet (BMU 2019). Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Forst (Forstchefkonferenz) hat eine Länder-Arbeitsgemeinschaft Insektenschutz im Wald beauftragt, eine Übersicht integrierter Maßnahmen zum Schutz von Insekten im Wald zu erarbeiten. Es soll aber auch die Ambivalenz des Themas im multifunktionalen Waldmanagement herausgestellt werden, da einige Arten (z. B. Buchdrucker − Ips typographus, Kiefernspinner − Dendrolimus pini) auch das Absterben von Bäumen oder größerer Waldbestände verursachen oder die Gesundheit des Menschen (z. B. Eichenprozessionsspinner − Thaumetopoea processionea) gefährden können.

Der vorliegende Beitrag legt Ergebnisse der Länder-Arbeitsgemeinschaft Insektenschutz im Wald dar. Ziel ist es, auf die Bedeutung lichter Wälder, kleinflächiger lichter Waldstrukturen und eingestreuter Offenlandbereiche im Wald für die Insektenartenvielfalt hinzuweisen, da diese Form der Insektenförderung im Wald im Vergleich zur Förderung der Insekten an Totholz bisher weniger eingesetzt wird. Es werden Integrationsmöglichkeiten insektenfördernder Maßnahmen in eine naturnahe Bewirtschaftung und in besondere Waldstrukturen aufgezeigt, um einerseits eine möglichst große Wirkung für die Erhaltung der Artenvielfalt zu generieren und um andererseits Zielkonflikte mit dem Schutz charakteristischer Artengemeinschaften geschlossener Waldlebensräume so weit wie möglich zu vermeiden.

2 Insektenschutz

Wälder als besonders artenreiche Lebensräume in Europa beherbergen ca. 30.000 Insektenarten (Wermelinger et al. 2013). Die Erhaltung der Wälder und die Vermeidung von deren Zerschneidung oder Verinselung sind von grundlegender Bedeutung für den Insektenschutz (Fartmann et al. 2021a). Zahlreiche Insektenarten sind direkt an bestimmte Wirtspflanzenarten gebunden (Abb. 1). Die Erhaltung und Förderung der lebensraumtypischen Pflanzenartenvielfalt sind somit eine Grundlage für die Insektenvielfalt in Wäldern (Brändle, Brandl 2001; Fartmann et al. 2021b).

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Abb. 1: Artenzahl phytophager Insekten und Milben an verschiedenen Baumgattungen (verändert nach Brändle, Brandl 2001).
Fig. 1: Species numbers of phytophagous insects and mites on different tree genera (modified after Brändle, Brandl 2001).

Im Aktionsprogramm Insektenschutz werden insbesondere folgende Insektenlebensräume im und am Wald mit Handlungsbedarf benannt: Biotopbäume sowie Alt- und Totholz, gestufte Waldinnen- und Waldaußenränder und -säume, Waldlichtungen, Waldwiesen, an Wald angrenzende Offenlandlebensräume, historische und strukturreiche Waldbewirtschaftungsformen sowie Sonderhabitate. Eine Wissenssynthese zum Insektenschutz in der Forstwirtschaft benennt als wesentliches Ziel die Erhöhung der Struktur- und Artenvielfalt der Wälder, indem Sonderstandorte, Totholz und Habitatbäume gefördert und die Baumartenzusammensetzung und -altersstruktur diversifiziert werden, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert und ein Wildmanagement umgesetzt wird (Weißhuhn et al. 2020).

Der Zerfalls- und Altersphase des Waldes mit einem hohen Anteil an Biotopbäumen und verschiedenartigen Totholzstrukturen (in Hinblick auf Dimension, Besonnungs- und Zersetzungsgrad sowie auf das Mikroklima; Imesch et al. 2020) kommt eine herausragende Bedeutung für den Schutz von Waldinsekten zu. Während für viele Arten im Larvenstadium Alt- und Totholzbereiche entscheidend sind, nutzen die Imagines oft die blütenreiche Vegetation zur Nahrungsaufnahme. So bieten lichte und damit wärmebegünstigte Bereiche im Wald Lebensräume für viele Großschmetterlings-, Hautflügler- und Zweiflüglerarten sowie für natürliche Gegenspieler forstschädlicher Insekten (Fartmann et al. 2013, 2021a, b).

3 Erhaltung und Förderung von Insekten in lichten Waldstrukturen

3.1 Natürlicherweise lichte Wälder

Natürlicherweise dauerhaft lichte Wälder wachsen in Deutschland z. B. auf sauren, trockenen, flachgründigen oder auch sehr nassen Sonder- oder Extremstandorten bis hin zu den standörtlichen Grenzen der natürlichen Verbreitung von Wäldern. Die hier vorkommenden Waldgesellschaften umfassen hauptsächlich Trocken-, Block- und Moorwälder, Wälder versauerter Standorte sowie teilweise Schlucht- und Auwälder. Außerhalb der Alpen und Mittelgebirge mit den dort großflächigen lichten Hochlagen-Nadelwäldern kommen viele der natürlicherweise dauerhaft lichten Waldbereiche selten und kleinflächig vor. Natürlicherweise lichte Wälder sind gesetzlich geschützte Biotope nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) oder den Waldgesetzen der Länder. Viele dauerhaft lichte Waldbiotoptypen sind gleichzeitig Lebensraumtypen nach der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie der Europäischen Union (EU). Neben den natürlicherweise lichten Wäldern finden sich im Waldverbund natürliche Waldränder oder offene Bereiche wie z. B. Moore, Felsen, Hangrutschungen, Feucht- und Gewässerbiotope inklusive der dazugehörigen Ufervegetation, denen eine hohe Bedeutung für den Insektenschutz zukommt.

Natürlicherweise lichte Wälder sind u. a. durch Veränderungen der biotoptypischen Gehölzartenzusammensetzung, durch Eutrophierung nährstoffarmer Standorte, durch Entwässerung nasser Standorte, durch Neobiota − z. B. die Spätblühende Traubenkrische (Prunus serotina) oder die Kermesbeere (Pytolacca americana) − und auch durch die Folgen des Klimawandels gefährdet (Michiels 2015). Der gesetzliche Schutz verbietet die Schädigung oder Zerstörung solcher Biotope. Der Schutz der Vorkommen und der Vielfalt natürlicherweise lichter Waldbiotope und ihrer natürlichen Vegetation in all ihren Entwicklungsphasen von natürlicher Verjüngung bis hin zu Uraltbäumen und besonntem Totholz ist gleichzeitig auch Artenschutz für die jeweils angepassten und spezialisierten Insektenarten (Fartmann et al. 2021a, b).

3.2 Lichte Waldentwicklungsphasen in der naturnahen Waldbewirtschaftung

Um die dynamischen Verjüngungs-, Sukzessions-, Wachstums-, Alterungs- und Zerfallsprozesse in Wäldern zu beschreiben, bedient man sich oft des Modells der Waldentwicklungsphasen (Leibundgut 1978; Schütz 1998). Für das Verständnis der Dynamik im Wald sind neben der zeitlichen Aufeinanderfolge der verschiedenen Waldentwicklungsphasen deren räumliche Anordnung und Ausformung in der Fläche bedeutsam. In Urwäldern treten demnach alle Altersstadien − vom Keimling bis zum absterbenden Baumriesen − auf Waldbestands- sowie Landschaftsebene räumlich wie zeitlich parallel auf (Abb. 2). Die immense Strukturfülle bietet so vielen Arten, die an Wälder gebunden sind, einen Lebensraum. In seit mehreren Jahrzehnten unbewirtschafteten Buchenwäldern konnten z. B. durchschnittlich sechs (von acht) Entwicklungsphasen je Hektar ermittelt werden (Winter et al. 2009). Allein Alters- und Zerfallsphasen nehmen in naturnahen Bergmischwäldern 40 – 60 % der Waldfläche ein (Leibundgut 1993). Die Größe der einzelnen Patches kann hierbei aber zum Teil nur wenige hundert Quadratmeter betragen (Baumsturzlücke).

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Abb. 2: Kleinteiliges Mosaik verschiedener Waldentwicklungsphasen im Urwald Rothwald (Grafik: Christine Hopf/Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, verändert nach Schrempf 1986).
Fig. 2: Small-scale patchiness of different forest development stages in the Rothwald primeval forest (graphics: Christine Hopf/Bavarian State Institute for Forests and Forestry, modified after Schrempf 1986).

Alters- und Zerfallsphasen sind die artenreichsten Phasen im Lebenszyklus von Naturwäldern und haben für die Erhaltung der biologischen Vielfalt eine herausragende Bedeutung (Abb. 3). Daneben kommt lichten, blüten- und pionierbaumartenreichen frühen Sukzessionsphasen, die sich an die Zerfallsphase anschließen oder nach großflächigen Störungen auftreten, große Bedeutung für die Biodiversität zu (Abb. 3). Typisch für frühe Sukzessionsphasen sind ein hoher Anteil lichtliebender Baumarten, wie Eichen (Quercus), sowie sich rasch etablierende Pionierbaumarten wie Weiden (Salix), Pappeln (Populus) oder Birken (Betula), die bedeutende Wirtspflanzen für Insekten sind (Abb. 1).

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Abb. 3: Artenvielfalt entlang von Waldentwicklungsphasen in Bergmischwäldern aus Fichte (Picea), Tanne (Abies) und Buche (Fagus) (Grafik: Christine Hopf/Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, verändert nach Hilmers et al. 2018).
Fig. 3: Species diversity following forest development stages in montane mixed forests with spruce (Picea), fir (Abies) and beech (Fagus) (graphics: Christine Hopf/Bavarian State Institute for Forests and Forestry, modified after Hilmers et al. 2018).

Deutschlands Wäldern mangelt es an den für den Waldnaturschutz besonders relevanten natürlichen Alters- und Zerfallsphasen mit sehr starken Baumdimensionen (z. B. Buchenwälder > 200 Jahre, Eichenwälder > 300 Jahre; Brusthöhendurchmesser ≥ 70 cm) (Thünen-Institut 2023a, b). Ebenso fehlen vielerorts frühe, ungelenkte Sukzessionsstadien mit hohen Anteilen an Pionierbaumarten und blütenreicher Bodenvegetation (Thünen-Institut 2023c). Durch die Folgen des Klimawandels entstehen zunehmend lichte Situationen innerhalb geschlossener Waldbestände. So dramatisch und unwillkommen die klimawandelbedingten Waldschäden aus forstwirtschaftlicher Sicht auch sind, so können die entstandenen lichten Bereiche doch als Ausgangspunkt für wertvolle Insektenlebensräume dienen. Zudem kommen Ersatzlebensräume für andere „lichtliebende“ Arten meist auch Insekten zugute: z. B. licht überschirmte Kiefernwälder mit einer Kronenüberschirmung von weniger als 70 % als Lebensraum für den Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus).

Empfehlungen für die Umsetzung einer naturnahen Waldbewirtschaftung und den Aufbau einer blütenreichen Krautschicht mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung von Insekten finden sich in Kasten 1.

Kasten 1: Empfehlungen für einen naturnahen Wirtschaftswald und für eine blütenreiche Krautschicht zur Erhaltung und Förderung von Insekten.
Box 1: Recommendations for near-natural commercial forests and for a flower-rich herb layer for the conservation and promotion of insects.

Empfehlungen für einen naturnahen Wirtschaftswald

Erhaltung und Förderung der lichten Alters- und Zerfallsphasen sowie der frühen und ungelenkten Sukzessionsphasen auf verschiedensten Skalenebenen

Nachahmung zentraler Strukturen und Funktionen dieser Phasen durch:

    Belassen möglichst vieler Biotop- bzw. Habitatbäume bis zu deren natürlichem Zerfall (v. a. Bäume mit Kronentotholz, Pilzkonsolen, Höhlen)

    Förderung lichtbedürftiger Mischbaumarten (Kronenpflege und Umlichtung) mit lichtdurchlässiger Krone (Lichtschächte)

    Förderung von Totholz unterschiedlicher Dimension, Zersetzungsstadien und Besonnungsintensität

    Förderung von für Insekten besonders wichtigen Wirtsbaumarten (v. a. Weiden − Salix, Eichen − Quercus, Birken − Betula, Pappeln − Populus, Wildobst)

    Erhaltung besonnter Rohbodenstellen (z. B. umgekippte Wurzelteller)

    Belassen von Störungsflächen in angemessenem Umfang, auch einzelne Flächen größerer Dimension

    Förderung kleinteiliger, mosaikartiger Bestandsstrukturen durch kleinflächige Hiebsführung und Verjüngungsmaßnahmen (z. B. mittels Loch- oder Femelhieben mit mind. 20 – 30 m Durchmesser oder Gruppendurchforstungen)

    Vermeiden von (Groß)kahlschlägen, da sie nur kurzfristig zu lichten Strukturen führen

    Zulassen von Lücken und Sukzessionsflächen

Empfehlungen für eine blütenreiche Krautschicht

Einmalige, abschnittsweise Mahd (Zeitabstand zwischen den Abschnitten mindestens vier Wochen)

Stark vergraste Wiesen: ein- bis zweimalige Mahd mit Abtransport des Mähguts

Erhaltung von Bereichen als Brache zur Überwinterung und als Habitate für Halmbrüter für mindestens zwei Jahre

Blütenreiche Wiesen: Mahd jedes zweite Jahr nach August

Staudenfluren: je nach Standort und abhängig vom Gehölzaufwuchs ein- bis dreijährliche Mahd nach der ersten Blüte

Zunehmende Verbuschung auf den Stock setzen

3.3 Störungen als Chance

Sturm- und Schneeschäden, Feuer, Insektenfraß sowie Überschwemmungen gehören als natürliche Störungen zur Dynamik von Waldökosystemen und prägen die Waldentwicklung und -struktur maßgeblich (Wohlgemuth et al. 2019). Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass sich Störungen in Wäldern auf die Ökosystemleistungen für die Gesellschaft überwiegend negativ, auf die Biodiversität jedoch überwiegend positiv auswirken (Thom, Seidl 2016). Störungen fördern die Biodiversität, indem sie landschaftliche Heterogenität erzeugen, Ressourcen freisetzen, die Dominanz konkurrenzstarker Arten reduzieren und die Vielfalt an Nischen erhöhen (Thom, Seidl 2016; Wohlgemuth et al. 2019). Sie überführen Waldflächen zumeist in frühe oder späte, totholzreiche Sukzessionsphasen. Totholz auf Störungsflächen ist oft besonders wertvoll, da es sich um besonntes Totholz handelt und Arten, die darauf angewiesen sind, besonders gefährdet sind (Seibold et al. 2015). Für viele Artengruppen führt die Holzräumung nach Störungen jedoch zu einem deutlichen Verlust an Diversität (Thorn et al. 2018, 2020; Seibold, Thorn 2022). Frühe Sukzessionsphasen nach Störungen gehören zu den artenreichsten Phasen der Waldentwicklung (Seibold, Thorn 2022). Nach Störungen sollte daher immer im Einzelfall geprüft werden, welche Bereiche beräumt und welche der Sukzession überlassen werden. Positive Auswirkungen auf die Insektendiversität entstehen auf Störungsflächen durch ein größeres Blütenangebot (Seibold et al. 2016), eine größere Pflanzenartenvielfalt und besonnte Bodenbereiche. Durch das Belassen von Totholz und das Zulassen der natürlichen Sukzession können sich auf Störungsflächen wertvolle Insektenlebensräume entwickeln.

Nach Maßgabe von § 11 Bundeswaldgesetz (BWaldG) sind die Wiederbewaldungs- bzw. -aufforstungspflichten in den Landeswaldgesetzen sehr unterschiedlich geregelt. Ursprünglich für die Minimierung negativer Wirkungen freilandähnlicher Verhältnisse vorgesehen, können diese Regelungen das Belassen von Störungsflächen für den Insektenschutz verhindern. Eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen zu Wiederbewaldungs- bzw. -aufforstungspflichten, die flächenspezifisch differenzierte Ziele ermöglicht (z. B. Anerkennung von Sukzession und lichteren Beständen in angemessenem Umfang, Verlängerung von Fristen zur Wiederaufforstung) wird daher empfohlen.

3.4 Kulturbedingt lichte Wälder

Lichte Waldtypen auf anthropogen beeinflussten Sekundärstandorten entstanden zumeist historisch durch Beweidung, Streunutzung, Mittel- oder Niederwaldwirtschaft, höfische Jagd, kleinbäuerliche Allmende- und Schneitelwirtschaft oder durch Torfabbau und Entwässerung auf Moorstandorten. Lichtdurchflutete Mittelwälder gelten als Ersatzhabitat und Rückzugsort für viele gefährdete, lichtbedürftige Insektenarten der Saum- und Wiesengesellschaften (Bußler 1995; Albrecht, Müller 2008; Streitberger et al. 2012; Fartmann et al. 2013). Niederwälder bieten z. B. besonders wertvolle Lebensräume für Wildbienen (Westrich 1990) und Schmetterlinge.

Von herausragender naturschutzfachlicher Bedeutung sind alte Hutewaldstandorte insbesondere wegen des Vorkommens von Baumveteranen, die Habitatkontinuität an Alt- und Totholz bieten und somit einer Vielzahl xylobionter (holzbewohnender) Insekten und Arthropoden wie z. B. Urwaldreliktkäferarten einen Lebensraum bieten. Aufgrund des kleinflächigen Wechsels zwischen Licht und Schatten, zwischen Störungen unterschiedlicher Intensität und im Nährstoffhaushalt handelt es sich allgemein um sehr arten- und habitatreiche Ökotone.

Ohne Pflege verschwinden lichte Strukturen und Artenreichtum, die durch kulturhistorische Nutzungsformen entstanden sind. Da die Pflege solcher Flächen arbeits- und kostenaufwändig ist, spielen diese nur kleinräumig eine Rolle und dienen in erster Linie der Bewahrung kulturhistorischer Nutzungsformen sowie dem Arten- und Naturschutz (Groß, Konold 2010). Die Erstellung eines Schutzkonzepts, das insbesondere auch die Nutzungsgeschichte berücksichtigt und mit Wirkungsanalysen einhergeht, ist zwingend notwendig.

Zur Förderung der Insektenvielfalt in Mittelwäldern werden eine Umtriebszeit des Unterholzes von höchstens 15 – 30 Jahren, ein Überschirmungsgrad des Oberholzes von maximal 30 – 50 % sowie ein Abstand von höchstens 300 m zwischen den Schlägen empfohlen. Insbesondere die Förderung von Blütenreichtum sowie das Belassen von Alt- und Totholz im Oberholz sind entscheidend.

In Hutewäldern ist meist die Verjüngung der Baumschicht ein Problem. Optimal für eine erfolgreiche Verjüngung und gleichzeitige Förderung einer artenreichen Vegetation sind daher zeitliche und räumliche Schwankungen des Verbissdrucks (Reif, Gärtner 2007). Das parkartige Landschaftsbild kann durch extensive Waldweidesysteme (als „Beweidung von Wäldern“ oder „gehölzbestandene Weidefläche“; Bunzel-Drüke et al. 2008; Jotz et al. 2017; FVA 2022) oder durch alternative Maßnahmen erhalten werden (Bundesforstbetrieb Schwarzenborn 2018). Einer reinen Waldweidenutzung stehen häufig gesetzliche Einschränkungen und ein hoher Investitionsaufwand entgegen.

3.5 Waldränder, Trassen, Waldwiesen

Grenzbereiche zwischen Wald und Offenland wie Waldränder, Leitungstrassen, sonstige Bereiche verstärkter Verkehrssicherung und Waldwiesen können Arten, die von lichten Wäldern oder natürlichen, ökologischen Störungsereignissen profitieren, Lebensräume bieten. Buchtige, mosaikartig gestaltete Waldränder mit besonnten, blütenreichen Strauch- und Krautschichtbereichen bieten Habitatvielfalt und verlängern den Grenzlinienverlauf stärker als die früher üblichen schematischen, schräg ansteigenden Waldrandanlagen. Zur Schaffung mosaikartig aufgebauter Waldrandbereiche ist es auf nährstoffreicheren Standorten mit ausreichender Wasserversorgung möglich, den Kronenschluss des Waldrandes auf 20 – 40 % herabzusetzen. Naturschutzfachlich wertvoll und wünschenswert wäre es zudem, nährstoffarme, trockene Waldrandstandorte aufzulichten, auch wenn hierfür noch wenig waldbauliche Erfahrungen vorliegen. Von besonderem Wert sind breitkronig gewachsene Einzelbäume langlebiger Baumarten wie Eiche und Linde (Tilia), die über besonntes Kronentotholz am lebenden Baum verfügen (Roloff 2019).

Waldinnenränder sollten aufgewertet werden, indem z. B. die Besonnung von Flächen (Abb. 4), krautige Vegetation, einzeln stehendes oder liegendes Totholz, Hochstümpfe, Bodenanschnitte, Rohbodenflächen, Weichlaubholz und seltene heimische Baum- und Straucharten gezielt gefördert und entwickelt werden. Waldwiesen können teilweise als Ersatzlebensräume für Waldinsekten dienen, die natürliche Lichtungen z. B. für Blütenbesuch und Nektaraufnahme aufsuchen. Waldwiesen und wegbegleitende Krautsäume sollten nur dann gemäht werden, wenn es notwendig ist (siehe Kasten 1).

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Abb. 4: Der Scheckhorn-Distelbock (Agapanthia villosoviridescens) profitiert von sonnigen Waldinnenrändern. Die Larven entwickeln sich in den Stängeln hochwüchsiger Kräuter.
(Foto: Jonathan Fieber/igreen)
Fig. 4: The golden-bloomed grey longhorn beetle (Agapanthia villosoviridescens) benefits from sunny woodland edges within forests. The larvae develop in the stalks of tall herbage.

Auf Leitungstrassen liegen Waldrand- und Offenlandbereiche in räumlicher Nähe beieinander. Sie bieten sich aufgrund ihrer langgestreckten Form für Vernetzungen an, bedecken große Flächen und eignen sich deshalb in besonderer Weise für wirksame Insektenschutzmaßnahmen. Bei gezielten Biotoppflegemaßnahmen wäre nur der Mehraufwand abzudecken, der die vorgeschriebenen periodischen Pflegemaßnahmen des Trassenbetreibers übersteigt. Empfehlungen zur Pflege von Leitungstrassen entsprechen denen für Waldränder und Waldwiesen.

4 Fazit und Ausblick

Der Artenreichtum der Insekten, die verschiedenen ökologischen Ansprüche dieser Arten und die Besiedlung nahezu aller Lebensräume durch Insekten führen dazu, dass eine fast unüberschaubare Vielzahl von Maßnahmen zum Schutz von Insekten denkbar ist. Erst durch die Summe der einzelnen Handlungsfelder und Maßnahmen kann die Vielfalt der an den Wald gebundenen Insekten gefördert und erhalten werden. Dabei sollte die Erhaltung und Förderung bereits bestehender geeigneter Lebensräume und Strukturen gegenüber einer Neuschaffung bevorzugt werden. Verbesserungspotenziale gibt es neben der Erhaltung und Förderung von Sonderstrukturen im Wald, der Anreicherung von Totholz und Habitatbäumen, der Diversifizierung der Alters- und Baumartenzusammensetzung auch bei der systematischen Förderung von Biotopverbundachsen sowie beim Umgang mit Störungsflächen.

Zahlreiche Maßnahmen können im Rahmen der Waldbewirtschaftung umgesetzt werden (siehe Kasten 1). Für Waldbesitzerinnen und -besitzer sind jedoch oft finanzielle Förderungen für Aktivitäten oder Entschädigungen für ein gezieltes Unterlassen erforderlich (siehe Bundesförderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“). Verbesserungspotenziale werden in der Integration von Insektenschutzmaßnahmen in die betriebliche Planung, Umsetzung und Kontrolle gesehen. Die Übernahme von Zielen und Maßnahmen des Insektenschutzes, z. B. aus den Natura-2000-Managementplänen in die Forsteinrichtung, entwickelt diese weiter zu einem integrierten Bewirtschaftungsplan. Aufwendungen für Maßnahmen zum Insektenschutz im Waldverbund sollten den jeweiligen Strukturen in der betrieblichen Buchung zugeordnet werden, damit die Aufwendungen im Rahmen des betrieblichen Controllings gezielt ausgewertet werden können − sowohl in Hinblick auf ihre Umsetzung als auch in Hinblick auf die gewünschte naturschutzfachliche Wirkung. Um Synergien für den Insektenschutz zu nutzen, sollten landnutzungsübergreifende Kooperationen angestrebt werden, z. B. beim Trassenmanagement mit Netzbetreibern oder beim Schutz bestehender Waldränder an landwirtschaftlichen Nutzflächen. Im Zusammenhang mit der Biodiversitätskrise und dem drastischen Rückgang von Insekten sollten natürliche Störungen aufgrund ihrer positiven Auswirkungen auf die Diversität von Insekten auch als Chance gesehen werden, dem Rückgang von Insekten entgegenzuwirken.

Das bestehende Wissen zu Insekten im Wald sollte aufbereitet, gebündelt und für die Forstpraxis in zielgruppengerechten Praxisempfehlungen angeboten werden. Die Einrichtung eines Insektenmonitorings im Wald zur Evaluierung von Maßnahmen zum Schutz von Insekten stellt einen weiteren wichtigen Baustein dar. Die Länder-Arbeitsgemeinschaft Insektenschutz im Wald regt zudem die Ausweitung der Fortbildungsangebote in Zusammenarbeit mit Artexpertinnen und -experten an.

5 Literatur

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Dr. Jörg R. G. Kleinschmit

Korrespondierender Autor

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt

Baden-Württemberg (FVA)

Abteilung Waldnaturschutz

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: joerg.kleinschmit@forst.bwl.de

Der Autor ist seit Oktober 2016 Leiter der Abteilung Waldnaturschutz der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Als Forstwissenschaftler hat er sich auf den Bereich Waldgenetik spezialisiert. Nach dem Referendariat arbeitete er für drei Jahre in den Bereichen Waldbau und Waldnaturschutz in der Niedersächsischen Landesforstverwaltung und in den Niedersächsischen Landesforsten, anschließend für zehn Jahre an der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt. Er leitet die Länder-Arbeitsgemeinschaft Insektenschutz im Wald.

NuL_02_2024_Kleinschmit_Vita.jpg

Dr. Maria Georgi

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt

Baden-Württemberg (FVA)

Abteilung Waldnaturschutz

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: maria.georgi@forst.bwl.de

Dr. Jonas Hagge

Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt

Abteilung Waldnaturschutz

Sachgebiet Arten- und Biotopschutz

Professor-Oelkers-Straße 6

34346 Hann. Münden

E-Mail: jonas.hagge@nw-fva.de

Dr. Kati Hielscher

Landesbetrieb Forst Brandenburg

Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde

Alfred-Möller-Straße 1

16225 Eberswalde

E-Mail: kati.hielscher@lfb.brandenburg.de

Britta Kreuselberg

Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität

Abteilung Forsten

Referat Waldentwicklung, Naturschutz

und Schutzgebiete im Wald

Kaiser-Friedrich-Straße 1

55116 Mainz

E-Mail: britta.kreuselberg@mkuem.rlp.de

Martin Lauterbach

Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft

Abteilung 6: Biodiversität, Naturschutz, Jagd

Hans-Carl-von-Carlowitz-Platz 1

85354 Freising

E-Mail: martin.lauterbach@lwf.bayern.de

Sabine Mayr

Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt

Baden-Württemberg (FVA)

Abteilung Waldnaturschutz

Wonnhaldestraße 4

79100 Freiburg i. Br.

E-Mail: sabine.mayr@forst.bwl.de

Susanne Poeppel

Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern

Betriebsteil Forstplanung, Versuchswesen

und Informationssysteme (BT FVI)

Fachgebiet Forstliches Versuchswesen

Fritz-Reuter-Platz 9

17139 Malchin

E-Mail: susanne.poeppel@lfoa-mv.de

Dr. Christine Schleupner

Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Zentrale Bonn − Sparte Bundesforst

Abteilung Naturschutz

Ellerstraße 56

53119 Bonn

E-Mail: christine.schleupner@bundesimmobilien.de

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