Ellen Frederichs und
Thomas Greiber
Zusammenfassung
Die zur Umsetzung der Compliance-Vorgaben des Nagoya-Protokolls vorgesehenen
Sorgfaltspflichten, die sich aus der Verordnung der Europäischen Union (EU) Nr.
511/2014 (EU-VO) ergeben, werden von vielen Nutzerinnen und Nutzern genetischer
Ressourcen stark kritisiert. Unter anderem seien die Verpflichtungen
unverhältnismäßig hoch und erzeugten auf Grund unklarer Begriffe und
Anforderungen Rechtsunsicherheit. Bei näherer Betrachtung können die geäußerten
Kritikpunkte jedoch nicht überzeugen. Der gewählte Sorgfaltsansatz ist vielmehr
als maßvolles und ausgewogenes Instrument zu werten, mit dem einerseits die
Einhaltung der nationalen Regelungen zu Access and Benefit-sharing (ABS) der
Bereitstellerländer sichergestellt werden kann, andererseits jedoch
Forschungsprojekte nicht verboten werden, wenn die zur Sicherstellung der
Einhaltung nationaler ABS-Regelungen erforderlichen Informationen nicht
verfügbar sind. Gleichwohl werden erst die weiteren Vollzugserfahrungen zeigen,
ob die EU-VO insgesamt zur Sicherstellung einer Nutzung genetischer Ressourcen
und damit verbundenen traditionellen Wissens in Übereinstimmung mit ggf.
bestehenden ABS-Regelungen der Bereitstellerländer sowie zur Aufteilung der sich
aus der Nutzung ergebenden Vorteile führt.
Nagoya-Protokoll – Einhaltung von Vorschriften – Verordnung (EU) Nr. 511/2014 – Sorgfaltsverpflichtungen – Kritik – Zugangs- und Vorteils-ausgleichsregelungen – Genetische RessourcenAbstract
The due diligence obligations provided for in the European Union (EU)
Regulation No 511/2014 to implement the compliance requirements of the Nagoya
Protocol are criticised strongly by many users of genetic resources. Among other
things, the obligations are criticised as being disproportionately high and as
creating legal uncertainty due to unclear terms and requirements. On closer
examination, however, the criticisms voiced are not convincing. The chosen due
diligence approach is rather to be seen as a moderate and balanced instrument,
which, on the one hand, can ensure compliance with the national regulations on
Access and Benefit-sharing (ABS) of the provider countries, but which, on the
other hand, does not prohibit research projects if the information required to
ensure compliance with national ABS regulations is not available. Nevertheless,
only further enforcement experience will show whether EU Regulation No 511/2014
as a whole will ensure utilisation of genetic resources and associated
traditional knowledge in accordance with existing ABS regulations of the
provider countries as well as sharing of benefits resulting from
utilisation.
Nagoya Protocol – Compliance – Regulation (EU) No 511/2014 – Due diligence obligations – Criticism – Access and Benefit-sharing regulations – Genetic resourcesInhalt
1 Einleitung
Zur Vermeidung von Verstößen gegen nationale Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen müssen Vertragsparteien des Nagoya-Protokolls (NP;
Secretariat CBD 2011) dafür Sorge
tragen, dass innerhalb ihres Territoriums nur legal erworbene genetische Ressourcen
und darauf bezogenes traditionelles Wissen genutzt werden und der daraus erzielte
Vorteil mit dem so genannten Bereitstellerland geteilt wird (Art. 15 ff. NP). Sie
sind folglich verpflichtet, die Nutzung ausländischer genetischer Ressourcen und des
darauf bezogenen traditionellen Wissens im eigenen Hoheitsgebiet zu überwachen,
Kontrollen durchzuführen und Verstöße zu ahnden.
Die Compliance-Vorschriften des NP werden in den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union (EU) durch die Verordnung (EU) Nr. 511/2014 (EU-VO; EU 2014) und die Durchführungsverordnung
(EU) 2015/1866 (EU 2015) umgesetzt.
Die EU-VO etabliert dabei ein so genanntes Sorgfaltspflichtensystem, das für die
Nutzerinnen und Nutzer genetischer Ressourcen und des darauf bezogenen
traditionellen Wissens v. a. Dokumentations-, Aufbewahrungs-, Weitergabe- und
Erklärungspflichten begründet. Obwohl der Sorgfaltsansatz der EU-VO als
Entgegenkommen für Industrie und akademische Forschung gedacht war, wird
das System überwiegend als zu bürokratisch und im Anwendungsbereich als nicht
ausreichend klar kritisiert.
Der Artikel bietet einen Überblick über die Hintergründe des gewählten
Sorgfaltspflichtenansatzes, die wichtigsten Kritikpunkte, die von unmittelbar
Betroffenen geäußert werden, sowie eine Auseinandersetzung mit häufig vorgetragenen
Argumenten. Diese werden im Lichte der bisherigen Vollzugserfahrungen des
Bundesamtes für Naturschutz (BfN) als hierfür zuständige Behörde gemäß § 6 des
Gesetzes zur Umsetzung des NP und der EU-VO (NagProtUmsG) analysiert.
2 Umsetzung des Nagoya-Protokolls in der Europäischen Union
Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Umsetzung des
NP im Jahr 2012 basierte auf einer Studie zur Folgenabschätzung, auf öffentlichen
Konsultationen mit Interessengruppen sowie auf zahlreichen Beratungen mit
internationalen Partnerinnen und Partnern (Europäische Kommission 2012a: 2). Geprüft wurden zur Umsetzung der
Compliance-Vorschriften des NP verschiedene Optionen, u. a. auch ein „Verbot“ der
Nutzung unrechtmäßig erworbener genetischer Ressourcen oder von unrechtmäßig
erworbenem traditionellem Wissen über genetische Ressourcen mit einem
„nachgelagerten“ Überwachungssystem (Option UC-4, Europäische Kommission 2012b: 59).
Letztlich empfahl die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat,
ein EU-weit harmonisiertes Sorgfaltspflichtensystem zu etablieren. Dies sollte für
alle, die an der Wertschöpfungskette genetischer Ressourcen mit Forschungs- und
Entwicklungstätigkeiten innerhalb der EU beteiligt sind, gleiche Bedingungen
schaffen, Rechtssicherheit herstellen, die operationellen Risiken minimieren und
dadurch die Möglichkeiten für Forschung und Entwicklung maximieren (Europäische Kommission 2012a: 4). Der
Sorgfaltspflichtenansatz wurde von vielen Interessengruppen wegen seiner
Flexibilität, die eine Anpassung an die jeweiligen Situationen in den verschiedenen
Sektoren (z. B. unterschiedliche Beschaffungswege und Forschungs- und
Entwicklungsansätze) möglich zu machen schien, befürwortet (beispielhaft: ICC 2012).
Die EU-VO sieht im Kern die Verpflichtung vor, bei der Nutzung genetischer
Ressourcen oder des darauf bezogenen traditionellen Wissens aus Vertragsparteien des
NP mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen, um festzustellen, dass der Zugang zur
genutzten genetischen Ressource in Übereinstimmung mit den Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen dieser Vertragspartei erfolgt und dass die Vorteile
ausgewogen und gerecht zu einvernehmlich festgelegten Bedingungen aufgeteilt werden.
Die zu diesem Zweck einzuholenden Dokumente und Informationen
(Dokumentationspflicht) bewahren die Nutzerinnen und Nutzer für einen Zeitraum von
20 Jahren ab Ende der Nutzung auf und geben sie ggf. an nachfolgende Nutzerinnen und
Nutzer weiter (Art. 4 EU-VO). Weitere Verpflichtungen beziehen sich auf die Abgabe
so genannter Sorgfaltserklärungen, in denen die Rechtmäßigkeit einer konkreten
Nutzungstätigkeit an zwei bestimmten Punkten in der Wertschöpfungskette gegenüber
der zuständigen Vollzugsbehörde zu erklären ist (Art. 7 Abs. 1 und 2 EU-VO). Die
Erklärung ist von Nutzerinnen und Nutzern zu Beginn der Wertschöpfungskette (nach
Erhalt von Forschungsgeldern) oder in der letzten Phase der Entwicklung eines
Produkts abzugeben (näheres zu den einzelnen Verpflichtungen: Hennicke et al. 2024 in dieser Ausgabe).
Dies entspricht der Vorgabe aus Art. 17 NP.
Die EU-VO trat am 12.10.2014 gleichzeitig mit dem NP in Kraft. Das BfN setzt sie
seit dem 1.7.2016 als zuständige Behörde in Deutschland um.
Zur Erläuterung der verschiedenen Begrifflichkeiten und der daraus entstehenden
Interpretations- und Abgrenzungsfragen entwickelte die EU-Kommission einen Leitfaden
zum Anwendungsbereich und den Kernverpflichtungen der EU-VO (Europäische Kommission 2021), der den
Nutzerinnen und Nutzern genetischer Ressourcen und den zuständigen Behörden weitere
Unterstützung bei der Umsetzung bieten soll.
3 Kritik von Seiten der Nutzerinnen und Nutzer genetischer Ressourcen
In einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2020
über die Auswirkungen der EU-VO auf Forschungseinrichtungen und Unternehmen des
privaten Sektors (Milieu Consulting
2020) gab ein überwiegender Teil der Befragten an, dass die sich aus
der EU-VO ergebenden Compliance-Verpflichtungen aufwändig und belastend (ebd.: 12) bzw. unverhältnismäßig hoch und
teilweise nicht umsetzbar (ebd.: 33)
seien. Die Prüfung der Eröffnung des Anwendungsbereichs der EU-VO und der nationalen
Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen in den Bereitstellerländern der
genetischen Ressourcen erfordere einen hohen Aufwand, wobei sich herausstellen
würde, dass viele der genetischen Ressourcen schließlich gar nicht betroffen seien
(ebd.: 33). Die Vielzahl
unterschiedlichster nationaler Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen, die
Feststellung ihrer Existenz und Ausgestaltung sowie ihre Einhaltung würden eine
rechtmäßige Nutzung erschweren bzw. verhindern. Dabei wurden als maßgebliche
Kritikpunkte genannt (ebd.: 33):
fehlende Informationen im Access and Benefit-sharing Clearing-House (ABS
Clearing-House, eine ABS-Informationsplattform des NP gemäß Art. 14 NP), keine
Antworten von Seiten der nationalen Anlaufstellen (national focal points), die nach
Art. 13 NP u. a. Informationen zu bestehenden Zugangs- und Ausgleichsregelungen
geben sollen, langwierige Antragsverfahren und überzogene Erwartungen an einen
Vorteilsausgleich. Obwohl alle Befragten dieser Studie die allgemeinen Grundsätze
des NP und der EU-VO unterstützten (ebd.: 26), d. h. sich zu den Zielen von Access and Benefit-sharing
(ABS) bekannten, wurde das Bestehen von ABS-Verpflichtungen (sowohl von nationalen
Vorschriften über den Zugang als auch von Verpflichtungen aus der EU-VO) als
Hindernis für Forschung wahrgenommen (ebd.: 33).
Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt der Nutzerinnen und Nutzer ist, dass die
EU-VO auf Grund unklarer Begriffe und unklarer Anforderungen Rechtsunsicherheit
erzeuge (Schriftliche Stellungnahme der DIB
2015; Leibniz-Gemeinschaft et al.
2015; Milieu Consulting
2020: 24). Nachfragen an das BfN sowie in der Literatur geäußerte
Kritik (u. a. Movilla Pateiro 2020:
287) beziehen sich entsprechend häufig auf Unsicherheiten mit Blick darauf, welche
Maßnahmen ergriffen werden müssen, um der Sorgfaltspflicht insbesondere bei der
Feststellung der Eröffnung des Anwendungsbereichs der EU-VO gerecht zu
werden.
4 Gegenstand der wesentlichen Kritikpunkte
Die geäußerten Kritikpunkte beziehen sich einerseits auf Schwierigkeiten im
praktischen Umgang mit der EU-VO und andererseits auf die nationalen Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen der Bereitstellerländer bzw. deren Transparenz und
Ausgestaltung.
4.1 Regelungen der Bereitstellerländer
Die Heterogenität der verschiedenen Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen
und von deren Anwendung ist kein Umstand, der sich aus der EU-VO ergibt oder auf den
die EU einen unmittelbaren Einfluss hätte, sondern eine Folge des souveränen Rechts
jedes Staats, frei über den Zugang zu den eigenen genetischen Ressourcen und über
deren Nutzung entscheiden zu können (zu Letzterem: Kamau 2024 in dieser Ausgabe). An die sich
aus solchen nationalen Regelungen unmittelbar ergebenden Verpflichtungen
müssen sich Nutzerinnen und Nutzer unabhängig vom Bestehen der EU-VO halten, wenn
sie Zugang zu den genetischen Ressourcen erhalten und diese nutzen wollen. Sie
müssen also unabhängig von der Sorgfaltspflicht nach EU-VO herausfinden, ob es
Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen im Bereitstellerland der jeweiligen
genetischen Ressource gibt, und diese ggf. einhalten. Das Bestehen einer
Compliance-Vorschrift in der EU führt „lediglich“ dazu, dass diese Einhaltung auch
am Ort der Nutzung in gewissem Umfang überwacht wird.
Die Compliance-Regelungen innerhalb der EU bewirken allerdings, dass Nutzerinnen
und Nutzer zusätzlich zur Einhaltung der Regelungen der Bereitstellerländer die
Anwendbarkeit der EU-VO prüfen und ggf. die darin enthaltenen weiteren
Sorgfaltspflichten zur Dokumentation, Aufbewahrung, Weitergabe und Abgabe einer
Sorgfaltserklärung erfüllen müssen. Eine weitere Konsequenz ist, dass die Einhaltung
dieser Verpflichtung ggf. durch die zuständigen Behörden in der EU kontrolliert
wird.
4.2 Feststellung der Eröffnung des Anwendungsbereichs der EU-VO
Bei der Feststellung der Eröffnung des Anwendungsbereichs der EU-VO zeigt ein
Blick in den EU-Leitfaden, dass hier zahlreiche Variablen zu berücksichtigen sind –
bspw. Fragen zur Einordnung des Materials als im Sinne der EU-VO relevante
genetische Ressource, Besonderheiten bei Derivaten, Laborstämmen, Humanpathogenen
und dem menschlichen Mikrobiom oder bei genetischen Ressourcen, die von in der EU
gebietsfremden Arten stammen oder die als Handelsware (siehe Abb. 1) erworben werden (Europäische Kommission 2021,
Kapitel 2.3.1.3, S. 9 f: als Handelsware erworbene genetische Ressourcen können
unter die EU-VO fallen, wenn sie zu Nutzungszwecken verwendet werden). Bei Letzterem
stehen Nutzerinnen und Nutzer bspw. vor der Frage, welchen Aufwand sie betreiben
müssen, um Informationen über Datum und Ort des Zugangs der Handelsware einzuholen.
Dieser Aufwand kann umso höher werden, je länger und internationaler die Lieferkette
ist, und potenziert sich entsprechend, wenn eine Vielzahl genetischer Ressourcen
Gegenstand der Forschungsaktivität ist (bspw. in der Pflanzenzucht).
Abb. 1: Forschung zu genetischen Ressourcen kann auch an handelsüblichen
Waren durchgeführt werden: Marktstand mit verschiedenen pflanzlichen
Produkten.
(Foto: Monika Engels)
Fig. 1: Research on genetic resources can also be carried out on
commercially available commodities: Market stall with various plant
products.
Bei der Feststellung, ob für die konkrete genetische Ressource nationale
Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen des Bereitstellerlands gelten, ist es aus
Sicht der EU-VO nicht ausreichend, sich auf die Angaben im ABS Clearing-House zu
verlassen. Sind in diesem keine Informationen zum Bestehen oder Nichtbestehen von
Regelungen enthalten, obwohl die Vertragsparteien hier zur Veröffentlichung
verpflichtet sind (Art. 14 NP), so müssen sich die Nutzerinnen und Nutzer direkt an
den national focal point der jeweiligen Vertragspartei wenden und dort über die
Rechtslage erkundigen. Erhalten sie auch dort „trotz aller zumutbaren Bemühungen“
keine Antwort, können sie selbst entscheiden, ob sie Zugang zu der genetischen
Ressource nehmen und diese nutzen wollen (Europäische Kommission 2021, Kapitel 3.2, S. 21). Allerdings ist
dabei zu beachten, dass ein Forschungsabbruch erforderlich werden kann, wenn sich
während der Nutzung herausstellt, dass der Anwendungsbereich der EU-VO doch eröffnet
und Regelungen des Bereitstellerlands zu beachten waren (Art. 4 Abs. 5
EU-VO).
Weitere erhebliche Herausforderungen für von der EU-VO potenziell Betroffene
ergeben sich auch aus der Definition von „Nutzung“ gemäß Art. 3 Nr. 5 EU-VO. Im
Zusammenhang mit dieser sieht der EU-Leitfaden vor, dass sich Nutzerinnen und Nutzer
genetischer Ressourcen selbst die Frage stellen sollen, ob ihre Arbeit neue
Erkenntnisse über die genetische oder biochemische Zusammensetzung der untersuchten
genetischen Ressource hervorbringt (Europäische
Kommission 2021, Kapitel 2.3.3.1, S. 15). Dies führt in der Praxis zu
erheblichen Unsicherheiten, so dass sich der größte Teil des EU-Leitfadens speziell
mit Erläuterungen und Fallbeispielen zu diesem Thema befasst (Europäische Kommission 2021, Anhang II,
S. 32 – 68). Die Komplexität der Lebenswirklichkeit, die Dynamik von Forschung und
Entwicklung sowie technologische Fortschritte schließen allerdings aus, dass in dem
Leitfaden alle Varianten möglicher Forschungstätigkeiten abgebildet werden
können.
4.3 Einhaltung der sich aus der EU-VO ergebenden Sorgfaltspflichten
Ist der Anwendungsbereich der EU-VO eröffnet, ergeben sich die eigentlichen
Sorgfaltspflichten der EU-VO aus Art. 4 (siehe oben). Nach den bisherigen
Rückmeldungen an das BfN stellt sich deren Erfüllung – mit Ausnahme der Einholung
der Informationen und Dokumente, die der Feststellung der Rechtmäßigkeit von Zugang
und Vorteilsausgleich dienen – als nicht übermäßig belastend dar. Die Dokumentation
bspw. von Zugangszeitpunkt, Herkunft und Verwendung genetischer Ressourcen sowie die
Aufbewahrung und ggf. erforderliche Weitergabe dieser Informationen an nachfolgende
Nutzerinnen und Nutzer entspricht bereits der gängigen Praxis. Und auch der
Kostenaufwand bei der Abgabe von Sorgfaltserklärungen wurde von den Befragten in der
Studie zu den Auswirkungen der EU-VO als vernachlässigbar gewertet, wenn zuvor die
Dokumente eingeholt worden waren (Milieu
Consulting 2020: 17).
Die Hauptschwierigkeit ist demnach v. a. in der Feststellung der Eröffnung des
Anwendungsbereichs der EU-VO und in der Einholung der erforderlichen Dokumente der
Bereitstellerländer zu verorten.
5 Bewertung der Kritikpunkte
Die Kritik an der praktischen Umsetzung der EU-VO liegt u. a. darin begründet,
dass zur Feststellung der Anwendbarkeit der EU-VO Informationen benötigt werden, die
mitunter entweder gar nicht erhältlich sind (z. B. wenn es keine Angaben zur
Herkunft einer genetischen Ressource oder zur Existenz nationaler Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen gibt) oder nur unter einem möglicherweise
unverhältnismäßigen Aufwand beschafft werden können (z. B. Informationen zur
Herkunft von Handelswaren). In solchen Fällen stellt sich der Sorgfaltsansatz jedoch
gerade als ein flexibles Instrument dar, das trotz fehlender Informationen zulassen
kann, dass mit einer Nutzung begonnen wird. Gleichzeitig erkennt der Ansatz an, dass
es im Falle von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Informationen eine Grenze
des Zumutbaren geben muss. Fraglich ist jedoch, wie der Verlauf dieser Grenze bzw.
deren Überschreiten im einzelnen Fall geprüft und unter welchen Umständen ein
sorgfältiges Handeln anerkannt werden kann.
Kasten 1: Biopiraterie: ja oder nein?
Box 1: Biopiracy: yes or no?
Auch Jahre nach Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls (NP) sind die
internationalen Diskussionen zu Access and Benefit-sharing (ABS) weiterhin sehr
komplex und teilweise von Missverständnissen geprägt. Streitigkeiten resultieren
z. B. aus
● entgegengesetzten politischen ABS-Strategien: von
protektionistisch bis liberal bzw. forschungs- und
entwicklungsorientiert, ● Unterschieden in der ABS-Umsetzung: etwa bei der Definition
genetischer Ressourcen oder dem Verständnis von Forschung und
Entwicklung (F&E), ● Unterschieden in den mit ABS verbundenen Erwartungen: von der
Förderung von Nord-Süd-Forschungskooperationen über Rechtssicherheit
in transnationalen F&E-Prozessen bis zu Wirtschaftswachstum in
Entwicklungsländern oder gar Wiedergutmachung des durch koloniale
Ausbeutung entstandenen historischen Unrechts.
Komplexität und Missverständnisse spiegeln sich v. a. auch in immer
wiederkehrenden Biopiraterievorwürfen, die oftmals weniger rechtlich denn
politisch-moralisch begründet sind. Veranschaulichen lässt sich dieses Problem
z. B. an Vorwürfen, die im Zuge der Verhandlungen zur Anwendung des ABS-Konzepts
auf digitale Sequenzinformationen (DSI) zu genetischen Ressourcen erhoben wurden
(Riekeberg 2019). Kurz
zusammengefasst wurde hier folgender Fall mit Biopiraterie in Verbindung
gebracht:
Im März 2014 wurden klinische Proben des Ebola-Virus, die Patientinnen und
Patienten im westafrikanischen Guinea entnommen worden waren, zur Analyse an
zwei Labore in Europa übersandt. Gemäß guter wissenschaftlicher Praxis
veröffentlichten die beteiligten Forscherinnen und Forscher ihren
epidemiologischen Bericht in einer Fachzeitschrift sowie die betreffende
Gensequenz im internationalen Datenbanksystem für Nukleotidsequenzdaten
(International Nucleotide Sequence Database Collaboration – INSDC). Der Open
Access zu dieser DSI ermöglichte es einem Unternehmen in den USA, ein Medikament
gegen Ebola zu entwickeln und entsprechende Patente anzumelden, ohne mit dem
Herkunftsland Guinea über die Nutzungsrechte an der zu Grunde liegenden
genetischen Ressource und über einen gerechten Vorteilsausgleich zu
verhandeln.
Bei genauerer Betrachtung stellen sich insbesondere zwei Fragen, die
beispielhaft die Notwendigkeit einer genaueren Differenzierung in den
ABS-Diskussionen aufzeigen: Was ist Biopiraterie und wogegen wird dabei
verstoßen?
Was ist Biopiraterie?
Der Begriff Biopiraterie ist in keinem internationalen Abkommen definiert,
weder im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological
Diversity – CBD) noch im NP oder einem spezialisierten ABS-Instrument. Es
handelt sich lediglich um ein Schlagwort und nicht um einen
Rechtsbegriff.
Verwendung findet der Begriff häufig im Zusammenhang mit der Anmeldung
geistigen Eigentums (Patenten) an Forschungsergebnissen über genetische
Ressourcen aus einem fremden Herkunftsland (siehe z. B. Federle 2005). Der Vorwurf der
Biopiraterie wird aber auch bei solchen Fällen erhoben, in denen F&E an
genetischen Ressourcen ohne vorherige ABS-Genehmigung durch das
Bereitstellerland stattfindet, unabhängig von der Anmeldung geistigen Eigentums
oder sonstiger wirtschaftlicher Nutzung (siehe z. B. Law 2019; vgl. Abb. K1-1). In wiederum anderen Fällen
werden Verstöße gegen die in ABS-Genehmigungen vereinbarten Bedingungen oder die
Nichteinhaltung vertraglicher ABS-Pflichten als Biopiraterie bezeichnet (siehe
z. B. Rabitz 2015). „Moralisch“
mögen diese Fälle einander ähneln, da das ABS-Ziel einer Kooperation zwischen
Bereitstellerland und Nutzerin oder Nutzer einer genetischen Ressource ignoriert
wird. Rechtlich sind sie jedoch klar voneinander zu trennen, zumal
unterschiedliche Verstöße angeprangert werden.
Abb. K1-1: Neonblaubeinige Vogelspinne (Birupes
simoroxigorum). Kurz nach ihrem Fund im Jahr 2017 in Malaysia
wurden zwei Exemplare nach England verbracht, dort wissenschaftlich
untersucht und als neue Art beschrieben, ohne dass diese Forschung
von ABS-Dokumenten gedeckt war.
(Foto: Lars Fehlandt)
Fig. K1-1: Neon blue-legged tarantula (Birupes
simoroxigorum). Shortly after its discovery in Malaysia in 2017, two
specimens were brought to England, where they were scientifically
examined and described as a new species without this research being
covered by ABS documents.
Wogegen wird dabei verstoßen?
Eine weitere Differenzierung ist hinsichtlich des konkreten Vorwurfs
notwendig: Verstoß gegen Völkerrecht oder gegen geltendes nationales Recht des
Bereitstellerlands oder Widerspruch zu politischen (nicht rechtsverbindlichen)
Strategien eines Bereitstellerlands?
Im vorliegenden Fall scheidet ein Verstoß gegen völkerrechtliche
Verpflichtungen in mehrfacher Hinsicht aus: Internationale Abkommen wie die CBD
und das NP binden nur Staaten, d. h. die Verpflichtungen richten sich gerade
nicht an Unternehmen, Forschungsinstitute oder einzelne Forschende. Zudem war
das NP zum Zeitpunkt des Exports wie auch der Erforschung der genetischen
Ressourcen im März 2014 noch nicht in Kraft und Guinea als Bereitstellerland
erst ab Januar 2015 NP-Vertragspartei (siehe ABS Clearing-House unter https://absch.cbd.int).
Schließlich hat das Ergebnis der Verhandlungen zu DSI im Rahmen der CBD- und
NP-Vertragsstaatenkonferenzen im Jahr 2022 eine Regelungslücke auf
internationaler Ebene bestätigt, die es noch zu schließen gilt (näheres hierzu
in Scholz et al. 2024 in dieser
Ausgabe). Erst im Dezember 2022 beschloss die internationale
Staatengemeinschaft, einen multilateralen Mechanismus für den Vorteilsausgleich
aus der Nutzung von DSI genetischer Ressourcen einzurichten, der erst noch über
eine offene Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu entwickeln ist (CBD 2022).
Auch ein Verstoß gegen nationales ABS-Recht oder ABS-Strategien kann im
vorliegenden Fall nicht begründet werden. Ausweislich der Einträge im ABS
Clearing-House und dem nationalen Interim Report Guineas (veröffentlicht am
26.3.2019) verfügt Guinea bislang nicht über die „finanziellen, technischen und
personellen Möglichkeiten“, ein nationales ABS-System aufzubauen. Es bestehen
daher keine nationalen ABS-Regelungen, aus denen sich rechtliche Verpflichtungen
zum Einholen von ABS-Genehmigungen, zum Abschluss von
Vorteilsausgleichsregelungen oder zum Durchlaufen administrativer ABS-Prozesse
ergeben könnten.
Folglich kann anhand des vorliegenden Falls zwar eine Regelungslücke
veranschaulicht, bei einer differenzierten rechtlichen Betrachtung ein
Biopiraterievorwurf aber nicht begründet werden.
Beschrieben wird die Sorgfaltspflicht im EU-Leitfaden (Europäische Kommission 2021) als „gebotene
Sorgfalt“, die sich auf die Beurteilung und die Entscheidungen bezieht, die in einer
bestimmten Situation nach vernünftigem Ermessen erwartet werden können. Dabei sollen
Informationen systematisch erhoben und genutzt werden, wobei es nicht darum geht,
ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen oder Perfektion anzustreben, sondern um
Gründlichkeit und bestmögliches Bemühen (Europäische Kommission 2021, Kapitel 3.1, S. 19). Nutzerinnen und
Nutzer können also zunächst selbst bestimmen, ob sie in einer bestimmten Situation
den von ihnen betriebenen Aufwand als „bestmögliches Bemühen“ ansehen und mit der
Nutzung beginnen möchten.
Im Rahmen der durchgeführten Kontrollen von Nutzerinnen und Nutzern genetischer
Ressourcen hat es bislang keine Situation gegeben, in der das BfN über die Frage zu
entscheiden hatte, ob ein Bemühen zur Feststellung der Eröffnung des
Anwendungsbereichs der EU-VO in einer konkreten Situation als „bestmögliches
Bemühen“ zu bewerten war. Auch der EU-Leitfaden enthält hierzu keine praktischen
Erfahrungswerte und die Darstellung und Bewertung rein fiktiver Beispielsituationen
haben sich auf Grund der Komplexität realer Sachverhalte bzw. der
unterschiedlichsten Faktoren, die bei einer Bewertung zu berücksichtigen sind, als
nicht hilfreich erwiesen. Die Befürchtung der Betroffenen, bei der Feststellung der
Eröffnung des Anwendungsbereichs der EU-VO überzogene Anforderungen erfüllen zu
müssen, kann jedoch möglicherweise durch folgende Überlegungen relativiert werden.
Die Beweislast, dass der Anwendungsbereich der EU-VO eröffnet ist, liegt bei der
zuständigen Behörde. Haben sich Nutzerinnen und Nutzer genetischer Ressourcen in
einem konkreten Fall um Informationen bemüht und kommen auf Grundlage der
vorliegenden oder nicht vorliegenden Informationen zu dem nachvollziehbaren Schluss,
dass der Anwendungsbereich der EU-VO nicht eröffnet ist, so müsste die
kontrollierende Behörde zur Feststellung eines Sorgfaltsverstoßes ihrerseits über
Informationen verfügen, anhand derer sich die Anwendbarkeit der EU-VO zweifelsfrei
belegen lässt. Für die Vorwerfbarkeit des Verstoßes müsste sie darüber hinaus zu der
Einschätzung kommen, dass ihr Wissensstand nach vernünftigem Ermessen auch von der
Nutzerin oder dem Nutzer hätte erreicht werden können. Ein solcher behördlicher
Wissensvorsprung scheint jedoch bei komplexen Sachverhalten wie der unklaren
Herkunft einer genetischen Ressource eher unwahrscheinlich. Zumindest ist in der
Regel nicht davon auszugehen, dass die zuständige Behörde bezüglich der Feststellung
relevanter Tatsachen über Informationen verfügt, die den Betroffenen nur unter
unzumutbaren Anstrengungen zugänglich gewesen wären.
Rechtsunsicherheiten bei der Bewertung der eigenen Forschungstätigkeiten als
„Nutzung“ ergeben sich bereits aus deren Definition, die sowohl in Art. 3 Nr. 5 der
EU-VO als auch gleichlautend in Art. 2 (c) des NP enthalten ist. Insbesondere die in
der Definition enthaltenen Begriffe „Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten“ geben
dabei Raum für Interpretationen (Europäische
Kommission 2021, Kapitel 2.3.3.1, S. 14 ff.). Bei der Bewertung der
Kritik an dieser Definition ist jedoch zu berücksichtigen, dass Nutzerinnen und
Nutzer die eigene Tätigkeit in jedem Fall auf Rechtsrelevanz prüfen müssen, nämlich
bei der Frage, ob für die geplanten Forschungstätigkeiten die Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen des Bereitstellerlands greifen. Wenn die Regelungen des
Bereitstellerlands den Begriff „Nutzung“ anders interpretieren und für die jeweilige
Forschungstätigkeit Zugangserlaubnisse und einen Vorteilsausgleich vorsehen, so
besteht auch jenseits der EU-VO die Verpflichtung, diese Regelungen einzuhalten.
Werden dieser Verpflichtung entsprechend die Genehmigungen des Bereitstellerlands
eingeholt, so wäre die Sorgfaltspflicht der EU-VO diesbezüglich ohnehin bereits
erfüllt. Die Kritik am „komplizierten“ Nutzungsbegriff der EU-VO erscheint vor
diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. In der bisherigen Vollzugspraxis und
Beratungstätigkeit des BfN hat sich zudem gezeigt, dass eine detaillierte Prüfung
von „Nutzung“ im Sinne der EU-VO für Nutzerinnen und Nutzer insbesondere dann
interessant ist, wenn die Einhaltung der Regelungen der Bereitstellerländer
aufwändig oder möglicherweise nicht durchführbar erscheint. Von der unstreitigen
Annahme ausgehend, dass Regelungen der Bereitstellerländer grundsätzlich auch
jenseits der EU-VO einzuhalten sind, ist die Überprüfung der Erfüllung des
Nutzungsbegriffs jedoch nicht zwingend als zusätzlicher Aufwand zu werten, der sich
aus der EU-VO ergibt.
Zur Bewertung der Sorgfaltspflicht der EU-VO als maßvolles Umsetzungsinstrument
ist weiter zu fragen, ob auch eine Umsetzung der Compliance-Vorschriften aus dem NP
möglich gewesen wäre, die einen weniger strikten Sorgfaltsmaßstab oder einen engeren
Anwendungsbereich vorgesehen hätte. Beispielsweise hätte festgelegt werden können,
dass Handelsware aus Gründen der Praktikabilität aus dem Anwendungsbereich der EU-VO
ausgenommen wird oder die Sorgfaltspflicht bei einem Fehlen von Informationen im ABS
Clearing-House als erfüllt gilt, ohne dass das Risiko einer späteren
Nutzungsuntersagung besteht (siehe Abschnitt 4.2). Theoretisch möglich wäre es auch gewesen, den
Nutzerinnen und Nutzern bei nachweislich komplizierten oder langwierigen
Antragsverfahren in den Bereitstellerländern entgegenzukommen und sie in diesen
Fällen von der Pflicht zur Einholung der erforderlichen Dokumente zu entbinden bzw.
die Sorgfaltspflicht als erfüllt zu bewerten. Ein anderer, strengerer Ansatz hätte
umgekehrt in der Verpflichtung bestehen können, gegenüber den zuständigen
EU-Behörden einen Nachweis über die Herkunft genetischer Ressourcen und die
Übereinstimmung mit den nationalen Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen führen
zu müssen.
Eine tiefer gehende Analyse der rechts- und möglicherweise forschungspolitischen
Gründe, weshalb in der EU von diesen Ansätzen abgesehen wurde, kann an dieser Stelle
nicht vorgenommen werden. Doch ist zumindest anzunehmen, dass die Herausnahme von
Handelsware aus dem Anwendungsbereich der EU-VO eine erhebliche Regelungslücke und
eine leichte Möglichkeit der Umgehung nationaler Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen zur Folge gehabt hätte. Auch eine Erleichterung
dahingehend, in bestimmten Fällen von der Einhaltung nationaler ABS-Regelungen
abzusehen, wäre vor dem Grundsatz, die souveränen Rechte der Bereitstellerländer
anzuerkennen, nicht akzeptabel gewesen. Des Weiteren entspräche es nicht dem
Rechtsstaatsprinzip, wenn das ABS Clearing-House, das eine reine
Informationsplattform ist, als gültige Rechtsquelle anerkannt würde. Und schließlich
wird an dieser Stelle ohne tiefer gehende Analyse davon ausgegangen, dass ein
grundlegendes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Verhältnis zum Sorgfaltsansatz keine
Erleichterung bei der Durchführung von Forschungsprojekten bewirkt hätte (Empfehlung
einer Verbotsnorm in Godt et al. 2020:
79 und weitere Stellen).
6 Ergebnis
Seit Inkrafttreten der EU-VO am 12.10.2014 besteht für Nutzerinnen und Nutzer
genetischer Ressourcen eine behördlich überprüfbare Sorgfaltspflicht, die
Übereinstimmung ihres Tuns mit den ggf. bestehenden nationalen Regelungen von
Vertragsparteien des NP zum Zugang und Vorteilsausgleich festzustellen. Der
Sorgfaltsansatz ermöglicht dabei eine gewisse Flexibilität und Ausgewogenheit, bei
der weder eine Missachtung der nationalen Zugangs- und Vorteilsausgleichsregelungen
geduldet noch die Forschung an genetischen Ressourcen bei unklarer Informations- und
Rechtslage verhindert wird. So ermöglicht der Ansatz Forschungstätigkeiten im
Unterschied zu einer reinen Verbotsnorm in solchen Fällen, in denen mangels
Informationen eine Rechtmäßigkeit der Nutzung zunächst nicht feststellbar ist. Das
sich dabei aus Art. 4 Abs. 5 EU-VO ergebende Risiko, die Nutzungstätigkeit wieder
beenden zu müssen, wenn sich später herausstellt, dass der Zugang (doch) nicht im
Einklang mit den nationalen ABS-Regelungen erfolgte und dieser Umstand nachträglich
nicht geheilt werden kann, ist demgegenüber als notwendige Korrektur
eines von Anfang an bestehenden rechtswidrigen Zustands zu bewerten.
Den Sorgfaltsansatz als maßgeblich für eine als unangemessen erachtete Belastung
oder als Hinderungsgrund von Forschung und Entwicklung zu bewerten, scheint nicht
gerechtfertigt. Der größte Aufwand, der sich für Nutzerinnen und Nutzer genetischer
Ressourcen aus der EU-VO ergibt, besteht darin, die Rechtmäßigkeit ihrer Tätigkeit
sicherzustellen, d. h. sich über die Existenz von Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen der Bereitstellerländer zu informieren, diese zu
befolgen sowie ggf. abgeschlossene vertragliche Verpflichtungen in Bezug auf Nutzung
und Vorteilsausgleich einzuhalten. Da nationale Zugangs- und
Vorteilsausgleichsregelungen unbestritten auch unabhängig von der EU-VO einzuhalten
sind, müssen Nutzerinnen und Nutzer genetischer Ressourcen diesen Aufwand jedoch
auch dann betreiben, wenn die EU-VO nicht greift oder keine derartigen
Verpflichtungen vorsähe. Die weiteren Verpflichtungen aus der EU-VO – die
Aufbewahrung und Weitergabe der eingeholten Dokumente und Informationen sowie die
Abgabe einer Sorgfaltserklärung – werden von den meisten Betroffenen hingegen kaum
als Belastung wahrgenommen.
Insgesamt ist die Sorgfaltspflicht der EU-VO für die Nutzerinnen und Nutzer
genetischer Ressourcen als eine Umsetzungsmaßnahme zu werten, bei der die
Besonderheiten, die sich aus dem NP mit einer Vielzahl unterschiedlich
ausgestalteter nationaler ABS-Maßnahmen ergeben, maßvoll berücksichtigt wurden.
Gleichwohl wird sich erst im Weiteren zeigen, ob die vorgesehenen Maßnahmen
tatsächlich zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen. Dabei wird insbesondere die
Frage zu klären sein, ob die zuständigen Behörden bei den Kontrollen in der Lage
sind, die Einhaltung der Sorgfaltspflichten und damit auch die vertraglich
vereinbarte Aufteilung der Vorteile mit den Bereitstellern der genetischen
Ressourcen ausreichend zu überprüfen. Hierzu bleiben zunächst weitere Erfahrungen im
Vollzug der EU-VO abzuwarten.
7 Rechtsquellen
↑
EU/Europäische Union (2014): Verordnung (EU)
Nr. 511/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über
Maßnahmen für die Nutzer zur Einhaltung der Vorschriften des Protokolls von
Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und
gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Union.
Amtsblatt der Europäischen Union L 150/59.
↑
EU/Europäische Union (2015):
Durchführungsverordnung (EU) 2015/1866 der Kommission vom 13.10.2015 mit
Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) Nr. 511/2014 des Europäischen
Parlaments und des Rates in Bezug auf das Register von Sammlungen, die
Überwachung der Einhaltung der Vorschriften durch die Nutzer und bewährte
Verfahren. Amtsblatt der Europäischen Union L 275/4.
↑
NagProtUmsG: Gesetz zur Umsetzung der
Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung
(EU) Nr. 511/2014 vom 25. November 2015 (BGBl. I S. 2.092), geändert durch
Artikel 35 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1.328).
↑
Secretariat CBD/Secretariat of the Convention
on Biological Diversity (2011): Nagoya Protocol on access to genetic resources
and the fair and equitable sharing of benefits arising from their utilization to
the Convention on Biological Diversity. Text and annex. Secretariat of the CBD.
Montreal: 25 S. https://www.cbd.int/abs/doc/protocol/nagoya-protocol-en.pdf (aufgerufen am 17.11.2023).
8 Literatur
↑
CBD/Convention on Biological Diversity (2022):
Digital sequence information on genetic resources. Decision adopted by the
Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity.
CBD/COP/DEC/15/9. CBD. Montreal: 5 S. https://www.cbd.int/doc/decisions/cop-15/cop-15-dec-09-en.pdf
(aufgerufen am 6.12.2023).
↑
DIB/Deutsche Industrievereinigung
Biotechnologie (2015): Schriftliche Stellungnahme der DIB im Rahmen der Anhörung
des Umweltausschusses des Bundestags zur Umsetzung des Nagoya Protokolls und zur
Durchführung der EU-VO 511/2014. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ausschussdrucksache 18(16)265-C zur
Anhörung am 30.9.2015. Berlin: 5 S. https://bit.ly/DIB-NP (aufgerufen am 17.11.2023).
↑
Europäische Kommission (2012a): Executive
summary of the impact assessment: Commission staff working document accompanying
the document proposal for a regulation of the European Parliament and of the
Council on access to genetic resources and the fair and equitable sharing of
benefits arising from their utilization in the Union. SWD (2012) 291 final.
Europäische Kommission. Brüssel: 4 S.
↑
Europäische Kommission (2012b): Impact
assessment: Commission staff working document accompanying the document proposal
for a regulation of the European Parliament and of the Council on access to
genetic resources and the fair and equitable sharing of benefits arising from
their utilization in the Union. Part 2 – Annexes. SWD (2012) 292 final.
Europäische Kommission. Brüssel: 114 S.
↑
Europäische Kommission (2021): Leitfaden zu dem
Anwendungsbereich und den Kernverpflichtungen der Verordnung (EU) Nr. 511/2014
des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen für die Nutzer zur
Einhaltung der Vorschriften des Protokolls von Nagoya über den Zugang zu
genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus
ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Union. Amtsblatt der Europäischen Union
vom 12.1.2021 C 13/1. Europäische Kommission. Brüssel: 68 S.
↑
Federle C. (2005): Biopiraterie und
Patentrecht. Schriftenreihe Recht, Ethik und Ökonomie der Biotechnologie 13.
Nomos. Baden-Baden: 194 S.
↑
Godt C., Susnjar D., Wolff F. (2020): Umsetzung
des Nagoya Protokolls in EU- und nationales Recht – ein Alternativvorschlag zur
Umsetzung der EU VO 511/2014. Umweltrechtliche Studien 51. Nomos. Baden-Baden:
322 S.
↑
Hennicke L., Qasem F., Gent R. (2024): Access and Benefit-sharing (ABS) in der Praxis: Was muss, was
kann getan werden? Natur und Landschaft 99(3): 109 – 117. DOI:
10.19217/NuL2024-03-02
↑
ICC/International Chamber of Commerce (2012):
Nagoya Protocol implementation in the EU: Comments on a possible due diligence
system and the EU Timber Regulation. Document No. 450/1075 vom 18.6.2012. ICC.
Paris. Publiziert 2016 unter https://bit.ly/ICC-NP (aufgerufen am 17.11.2023).
↑
Kamau E.C. (2024):
Access and Benefit-sharing und das Nagoya-Protokoll: Quid pro quo für die
Nutzung der biologischen Vielfalt – eine kritische Bestandsaufnahme. Natur und
Landschaft 99(3): 98 – 108. DOI: 10.19217/NuL2024-03-01
↑
Law Y.-H. (2019): This amazing blue tarantula
is a new spider species – But did researchers break the law when they studied
it? Science News. https://bit.ly/Science-Blue-Tarantula (aufgerufen am 17.11.2023).
DOI: 10.1126/science.aax1678
↑
Leibniz-Gemeinschaft, VBIO e. V., Konsortium
DNFS (2015): Gemeinsames Positionspapier der Leibniz-Gemeinschaft, des Verbands
Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO e. V.) und des
Konsortiums Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen (DNFS) zu den
Gesetzesentwürfen der Bundesregierung zu dem Protokoll von Nagoya und dessen
nationaler Umsetzung (vorgelegt zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau & Reaktorsicherheit am 30. September 2015).
München: 7 S. https://bit.ly/Leibniz-NP (aufgerufen am 17.11.2023).
↑
Milieu Consulting (2020): Analysis of
implications of compliance with the EU ABS Regulation for research organisations
and private sector companies. Milieu Law & Policy Consulting. Brüssel: 39 S.
https://bit.ly/Milieu_ABS_Regulation (aufgerufen am
21.11.2023).
↑
Movilla Pateiro L. (2020):
Advances and uncertainties in compliance measures for users from the Nagoya
Protocol in the European Union. Review of European,
Comparative & International Environmental Law 29(2): 282 – 290. DOI:
10.1111/reel.12320
↑
Rabitz F. (2015): Biopiracy after the Nagoya Protocol: Problem structure, regime
design and implementation challenges. Brazilian Political Science Review 9(2):
30 – 53. DOI: 10.1590/1981-38212014000200010
↑
Riekeberg A. (2019): Biopiraterie 2.0? Digitale Sequenz-Information
(DSI) und ihr Potential für neue Formen der Biopiraterie. Forschungs- und
Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e. V. Berlin: 46 S.
↑
Scholz A.H., Núñez G. et al. (2024): Die Zukunft des Access and Benefit-sharing: Was folgt auf die
Verabschiedung des Globalen Biodiversitätsrahmens und die Entscheidung zu
digitalen Sequenzinformationen? Natur und Landschaft 99(3): 135 – 142. DOI:
10.19217/NuL2024-03-05