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Bilateral vs. multilateral – ein Vergleich der verschiedenen Konzepte zu Access and Benefit-sharing

Bilateral versus multilateral: A comparison of the different Access and Benefit-sharing concepts

DOI: 10.19217/NuL2024-03-04 (inkl. Zusatzmaterial) • Manuskripteinreichung: 6.4.2023, Annahme: 10.12.2023

Martin Brink, Luisa Belloni, Jens Freitag, Anne Huvos, Britt Leps, Ulrike Lohwasser und Dhamari Naidoo

Zusammenfassung

Der bilaterale Ansatz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) und des Nagoya-Protokolls sieht Verhandlungen zwischen Bereitstellern sowie Nutzerinnen und Nutzern genetischer Ressourcen und die Aufteilung der Vorteile mit den jeweiligen Bereitstellern vor. Im Rahmen des multilateralen Konzepts des Internationalen Vertrags über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture – ITPGRFA) und des Planungsrahmens für die pandemische Influenza (Pandemic Influenza Preparedness Framework – PIP Framework) stellen die Bereitsteller genetische Ressourcen in einen gemeinsamen Pool ein, der durch Standardverträge zugänglich ist. Die Vorteile werden mit allen potenziellen Bereitstellern, die an dem System teilnehmen, geteilt. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, diese Ansätze zu beschreiben und deren Auswirkungen in der Praxis (Genbankmanagement und Austausch von Influenza-Erregern) zu bewerten. Multilaterale „Access and Benefit-sharing (ABS)“-Instrumente haben im Vergleich zum bilateralen Ansatz das Potenzial, den Zugang zu erleichtern und gleichzeitig den Vorteilsausgleich zu gewährleisten. Die beiden multilateralen Instrumente haben den Zugang zu bestimmten Kategorien genetischer Ressourcen erleichtert und Vorteile für die Ernährungssicherheit und die öffentliche Gesundheit gebracht. Verbesserungen sind jedoch möglich, sowohl bei der Arbeit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization – FAO) zur Umsetzung des ITPGRFA als auch bei der Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) zur Umsetzung des PIP Framework.

Access and Benefit-sharing (ABS) – Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) – Ernährungssicherheit – Internationaler Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA) – Nagoya-Protokoll – Pandemic Influenza Preparedness (PIP) Framework – Öffentliche Gesundheit – Pandemiepotenzial

Abstract

The bilateral approach of the Convention on Biological Diversity (CBD) and its Nagoya Protocol prescribes negotiations between providers and users of genetic resources, and the sharing of benefits with the specific providers. In the multilateral approach of the International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (ITPGRFA) and the Pandemic Influenza Preparedness (PIP) Framework, providers place genetic resources into a common pool, which is accessible under standard contracts, while benefits are shared with all potential providers participating in the system. The aim of this article is to describe these approaches and to assess their implications in practical situations (genebank management and the exchange of influenza pathogens). Compared to the bilateral approach, multilateral ABS instruments have the potential to make access easier, while assuring benefit-sharing. The two multilateral instruments have facilitated access to specific categories of genetic resources, and have provided benefits contributing to food security and public health. Improvements are possible, however, both in the work of the Food and Agriculture Organization (FAO) to implement the ITPGRFA and in the work of the World Health Organization (WHO) to implement the PIP Framework.

Access and Benefit-sharing (ABS) – Convention on Biological Diversity (CBD) – Food security – International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (ITPGRFA) – Nagoya Protocol – Pandemic Influenza Preparedness (PIP) Framework – Public health – Pandemic potential

Inhalt

1 Einführung

2 Bestehende ABS-Vereinbarungen und -Instrumente

2.1 Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD)

2.2 Nagoya-Protokoll

2.3 Internationaler Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA)

2.4 Planungsrahmen für die pandemische Influenza (PIP Framework)

3 Fallstudien, die für Ernährungssicherheit und öffentliche Gesundheit relevant sind

3.1 Bundeszentrale Ex-situ-Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)

3.2 Austausch von Influenza- und Nichtinfluenzapathogenen

4 Diskussion

5 Schlussfolgerungen

6 Literatur

7 Online-Zusatzmaterial

1 Einführung

Der Begriff „Access and Benefit-sharing“ (ABS) bezieht sich auf die Regelung des Zugangs zu genetischen Ressourcen (und zu traditionellem Wissen, das sich auf diese genetischen Ressourcen bezieht) und auf die Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, mit den Bereitstellern. Die geteilten Vorteile können monetärer (z. B. Lizenzgebühren oder Vorauszahlungen) oder nichtmonetärer Art sein (z. B. wissenschaftliche Zusammenarbeit oder Technologietransfer). Das ABS-Konzept entstand in den 1990er-Jahren, als das Bewusstsein für den tatsächlichen oder potenziellen Wert genetischer Ressourcen wuchs. Die zunehmende Bedeutung von Rechten des geistigen Eigentums an Produkten, die auf genetischen Ressourcen beruhen (z. B. in der Medizin, Kosmetik oder Pflanzenzüchtung) und sich aus den Fortschritten der Biotechnologie und der Gentechnik ergaben, führte dazu, dass die Entwicklungsländer befürchteten, die Kontrolle über ihre genetischen Ressourcen zu verlieren (Santilli 2012). Infolgedessen wurde der Austausch genetischer Ressourcen zunehmend durch verschiedene rechtsverbindliche internationale Abkommen geregelt.

Grundsätzlich können zwei Ansätze zur Regulierung von ABS unterschieden werden: ein bilateraler und ein multilateraler. Beim bilateralen Ansatz, der im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) und im Nagoya-Protokoll verfolgt wird, wird der Zugang von den zuständigen Stellen des Bereitstellerlandes gewährt. Zwischen den Bereitstellern sowie den Nutzerinnen und Nutzern der genetischen Ressourcen wird fallweise und auf Grundlage bilateraler Verhandlungen ein Vertrag über die Modalitäten der Nutzung der genetischen Ressourcen vereinbart. Die Vorteile werden mit den Bereitstellern selbst geteilt (kritisch zum bilateralen Ansatz: Kamau 2024 in dieser Ausgabe). Beim multilateralen Ansatz, wie er im Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture – ITPGRFA) oder im Planungsrahmen für die pandemische Influenza (Pandemic Influenza Preparedness Framework – PIP Framework) verfolgt wird, werden die genetischen Ressourcen von den Bereitstellern in einen gemeinsamen Pool oder ein Labornetzwerk eingebracht, in dem die Verwendung der spezifischen genetischen Ressourcen im Rahmen einer standardisierten Vereinbarung geregelt ist. Die Vorteile werden allen potenziellen Bereitstellern, die an dem System teilnehmen, zur Verfügung gestellt, damit sie für Tätigkeiten genutzt werden können, die die Erreichung der Ziele des jeweiligen ABS-Instruments fördern. Im Rahmen des ITPGRFA wird Saatgut ausgewählter Kulturpflanzen und Futterpflanzen ausgetauscht, um die Ernährungssicherheit zu verbessern. Im Rahmen des PIP Framework werden Influenzaviren mit Pandemiepotenzial (Influenza Viruses with Pandemic Potential – IVPP) im sog. Globalen Influenza-Überwachungs- und Reaktionssystem (Global Influenza Surveillance and Response System – GISRS) ausgetauscht, um die Sicherheit der öffentlichen Gesundheit zu erhöhen.

Eine Analyse der Vor- und Nachteile bilateraler und multilateraler Ansätze ist nicht nur in Hinblick auf die Verbesserung der bestehenden ABS-Systeme angebracht und nützlich, sondern auch weil derzeit Diskussionen über die Einrichtung neuer ABS-Systeme geführt werden. Beispielhaft werden hier ein ABS-System für digitale Sequenzinformationen (DSI) im Rahmen der CBD (Rohden, Scholz 2021; Brink, van Hintum 2022; Scholz et al. 2022; Scholz et al. 2024 in dieser Ausgabe) und ein rechtsverbindliches internationales Instrument für die biologische Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit (Biodiversity Beyond National Jurisdiction – BBNJ; siehe Kasten 1) im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea – UNCLOS) (Humphries et al. 2020) angeführt. Auch im Kontext eines zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums, das ein Übereinkommen, eine Vereinbarung oder ein anderes internationales Instrument der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) zur Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion (WHO CA+) ausarbeitet und verhandelt, soll ein globales ABS-System für Pathogene in Planung sein (Gostin et al. 2021; WHO 2023).

Kasten 1: BBNJ-Abkommen – ein Nagoya-Protokoll für die Hohe See?
Box 1: BBNJ Agreement – A Nagoya Protocol for the high seas?

1 Einleitung

Anfang 2023 haben die Verhandlungen der Vereinten Nationen (UN) zu einem Umsetzungsabkommen unter dem UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) von 1982 zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität jenseits nationaler Zuständigkeit – dem sog. Biodiversity Beyond National Jurisdiction (BBNJ) Agreement (BBNJ-Abkommen) – einen Abschluss gefunden. Neben Schutzgebieten und Umweltverträglichkeitsprüfungen auf Hoher See adressiert das Abkommen auch den Zugang zu marin-genetischen Ressourcen (MGR) einschließlich digitaler Sequenzinformationen (DSI) und den gerechten Vorteilsausgleich. Seit Beginn der Verhandlungen standen insbesondere die MGR-Regelungen stark im Fokus und bahnten schlussendlich den Weg zur Einigung über das BBNJ-Abkommen. Der Titel des zweiten Teils „Marine Genetic Resources, including the fair and equitable sharing of benefits“ und die Sachverwandtschaft des MGR-Themengebiets lassen stark an das Nagoya-Protokoll (NP) über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus deren Nutzung ergebenden Vorteile denken – doch wie viel Nagoya steckt im BBNJ-Abkommen?

2 Besonderheiten der Hohen See

Den Verhandlungen zum BBNJ-Abkommen liegen zwei Besonderheiten zu Grunde. Diese sind geographischer sowie völkerrechtlicher Natur. Beide ineinandergreifenden Faktoren haben den Ausgestaltungskorridor der MGR-Regelungen maßgeblich verengt.

2.1 Die Hohe See

Für den Anwendungsbereich des BBNJ-Abkommens ist das Herkunftsgebiet der MGR entscheidend (nachfolgend wird die Abkürzung MGR ausschließlich für Ressourcen im Anwendungsbereich des BBNJ-Abkommens verwendet). Die Regelungen des Abkommens betreffen ausschließlich solche MGR, die aus marinen Gebieten jenseits nationaler Zuständigkeit stammen. Dieser Überbegriff umfasst die Hohe See und den internationalen Meeresboden. In Abgrenzung zum NP werden hier genetische Ressourcen zum Regelungsgegenstand gemacht, die gerade nicht aus einem konkreten Staatsgebiet bzw. Funktionsraum stammen, sondern aus einem Bereich jenseits solcher Zuordnungen. Auf Grund dieser besonderen geographischen Ausgangslage fehlt es an der Gegenüberstellung von Bereitstellerland und Nutzerin bzw. Nutzer, wie sie unter dem Anwendungsbereich des NP als bilateralen Systems üblich ist.

Das seevölkerrechtliche Regime der Hohen See (Teil VII SRÜ) beginnt dort, wo die nationale Zuständigkeit – die ausschließliche Wirtschaftszone – aufhört, demnach jenseits 200 Seemeilen ab der Basislinie des jeweiligen Küstenstaats. Die Hohe See ist als internationaler Raum davon geprägt, dass kein Staat souveräne Rechte an jenen Meeresgebieten oder – jedenfalls ohne Weiteres – an den dortigen Ressourcen beanspruchen kann. Zugleich ist die Hohe See von dem Mare-liberum-Grundgedanken geprägt. Nach diesem Ansatz ist das Meer als internationaler Raum unbeherrschbar und den Staaten steht es grundsätzlich frei, das Meer zu nutzen. Im Kontext der MGR-Debatte auf der Hohen See wurde bereits vom „Mare Geneticum“ gesprochen (Broggiato et al. 2018).

2.2 Rechtshierarchie

Eine weitere Besonderheit in den Verhandlungen bringt das hierarchische Verhältnis zwischen dem SRÜ und dem BBNJ-Abkommen als Umsetzungsabkommen mit sich (vgl. UN-Resolution 72/249). Dies bedeutet, dass die Regelungen des Umsetzungsabkommens mit den Bestimmungen des übergeordneten SRÜ vereinbar sein müssen. Dementsprechend sind der Kreativität in der Normsetzung juristische Grenzen gesetzt. Für MGR-bezogene Aktivitäten hat dies zur Folge, dass die nach Art. 87 Abs. 1 lit. (f) SRÜ für die Hohe See geltende Freiheit der wissenschaftlichen Forschung zu beachten ist. Folglich haben sich die Bestimmungen zum MGR-Zugang an der seevölkerrechtlichen Vorgabe der Meeresforschungsfreiheit zu orientieren. Diese sieht ihrerseits nicht etwa vollkommene Abwesenheit von Regelungen zur Forschungspraxis vor, gleichwohl wären allzu belastende Vorgaben schwer mit dem Grundsatz der Forschungsfreiheit vereinbar.

3 Zugang zu marin-genetischen Ressourcen

Die bereits beschriebene Ausgangslage – das Fehlen einer bilateralen Situation – hat zur Folge, dass das Grundgefüge von Access and Benefit-sharing (ABS) unter dem Übereinkommen zur biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) und dem NP nicht ohne weiteres auf den Zugang zu MGR übertragbar ist. Zwar gibt es eine Vielzahl an Nutzerinnen und Nutzern, auf der Hohen See fehlt es jedoch an einem Nexus zu einem Bereitstellerland. Es bestehen insoweit gerade keine staatlichen Souveränitätsrechte über betreffende MGR. Das Fehlen einer solchen Zuständigkeit für MGR lässt es kaum möglich erscheinen, eine Organisation einzurichten, die vor dem Zugang erst eine Erlaubnis erteilen müsste. Die Einrichtung eines Erlaubnisvorbehalts wäre ohnehin kaum mit der auf der Hohen See geltenden Forschungsfreiheit vereinbar. Stattdessen wurde der Konsens gefunden, dass ein Notifizierungssystem dem bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Forschungsfreiheit und Nachverfolgbarkeit adäquater begegnet (so bereits Broggiato et al. 2018). Nutzerinnen und Nutzer müssen vor und nach der Probenahme auf Hoher See Angaben zu den Probenahmen via Clearing-House-Mechanismus übermitteln, um dadurch Transparenz und einen optimierten Datenaustausch zu gewährleisten. Neben logistischen und geographischen Informationen sollen etwa auch Auskünfte über die Möglichkeit einer Teilnahme an Forschungsexpeditionen eingespeist werden. Der vom Sekretariat des Abkommens erst noch einzurichtende Clearing-House-Mechanismus soll künftig als primäre Informationsplattform fungieren. Mit diesen Notifizierungsvorgaben werden zwar einzuhaltende Anforderungen geschaffen, jedoch wird gerade nicht eine Art Erlaubnisvorbehalt statuiert.

4 Vorteilsausgleich

Die beschriebene Schwierigkeit der Ausgangslage auf Grund des Herkunftsorts der MGR setzt sich auf der Ebene des Vorteilsausgleichs fort. Mangels konkreter Bereitstellerländer als potenzieller Empfänger für Vorteile ist die Einrichtung eines bilateralen Vorteilsausgleichs ebenfalls fernliegend. Stattdessen drängte sich, allein schon aus Praktikabilitätsgründen, die Aufnahme eines multilateralen Ansatzes auf. Dieser umfasst sowohl nichtmonetäre als auch monetäre Vorteile. Während erstere etwa den Zugang zu Sammlungen bzw. die Übermittlung relevanter Daten beinhalten, konnte man sich hinsichtlich der Gewährung monetärer Vorteile auf die Einrichtung eines Fonds verständigen. Der Fonds wird unabhängig vom Umfang jeweiliger Forschungsaktivitäten durch festgesetzte Zahlungen der Staaten des globalen Nordens bespeist. Die anschließende Auskehrung soll unter zweckgebundener Mittelverwendung der Ziele des BBNJ-Abkommens erfolgen. Sofern künftig tatsächlich eine Kommerzialisierung auf Grundlage der Nutzung von MGR eintreten sollte, ist es an der Vertragsstaatenkonferenz, über neue Modalitäten für einen Vorteilsausgleich zu entscheiden. Ebenfalls werden erst künftig Modalitäten zur Vorteilsgewährung in Bezug auf DSI auszuarbeiten sein. Hierbei soll eine Koordinierung mit dem Prozess der CBD zu DSI gewährleistet sein.

5 Fazit

Mit Blick auf das BBNJ-Abkommen ist ein gewisser Grad an „Nagoya-Verwandtschaft“ nicht zu leugnen. Dies betrifft insbesondere das naturwissenschaftliche Grundverständnis und einzelne Begriffe (u. a. „Nutzung von MGR“ und „Biotechnologie“). Die hier beschriebenen Besonderheiten der Hohen See sorgen jedoch dafür, dass das bilaterale ABS-Grundkonzept des NP nicht übertragbar ist und dass das BBNJ-Abkommen eigene Ansätze verfolgen muss, um den Anforderungen des „Mare Geneticum“ praxistauglich gerecht zu werden. Viele Aspekte bedürfen jedoch zukünftig noch der Konkretisierung, etwa durch das dafür vorgesehene und ebenfalls noch einzurichtende ABS-Komitee und die Vertragsstaatenkonferenz. Zu hoffen bleibt dabei, dass entsprechende Konkretisierungen praktikabel ausgestaltet werden.

6 Literatur

  Broggiato A., Vanagt T. et al. (2018): Mare Geneticum: Balancing governance of marine genetic resources in international waters. The International Journal of Marine and Coastal Law 33: 3 – 33. DOI: 10.1163/15718085-13310030

Autor

Vincent Schnell

Projektträger Jülich

Godesberger Allee 105 – 107

53175 Bonn

E-Mail: v.schnell@fz-juelich.de

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die bestehenden ABS-Instrumente und deren unterschiedliche (bilaterale und multilaterale) Ansätze vorzustellen und miteinander zu vergleichen sowie die jeweiligen Vor- und Nachteile dieser Ansätze zu analysieren, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf genetischen Ressourcen liegt, die für die Ernährungssicherheit und die öffentliche Gesundheit wichtig sind.

2 Bestehende ABS-Vereinbarungen und -Instrumente

2.1 Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD)

Die CBD, die 1992 vereinbart wurde und am 29.12.1993 in Kraft trat, ist das erste rechtsverbindliche internationale ABS-Abkommen. In der CBD wurde festgelegt, dass die Staaten souveräne Rechte an ihren biologischen Ressourcen haben und dass die Befugnis, den Zugang zu genetischen Ressourcen zu bestimmen, bei den nationalen Regierungen liegt und Gegenstand nationaler Gesetzgebung ist. Gemäß Art. 15 der CBD unterliegt der Zugang zu genetischen Ressourcen einer auf Kenntnis der Sachlage gegründeten vorherigen Zustimmung (prior informed consent – PIC) der Vertragspartei, die diese Ressourcen zur Verfügung stellt – es sei denn, diese Vertragspartei legt etwas anderes fest. Der Zugang, sofern er gewährt wird, erfolgt zu einvernehmlich festgelegten Bedingungen (mutually agreed terms – MAT). Das bedeutet, dass die CBD einen bilateralen Ansatz vorschreibt. Die CBD gilt für alle genetischen Ressourcen, die als „genetisches Material von tatsächlichem oder potenziellem Wert“ definiert sind, wobei genetisches Material wie folgt definiert wird: „Jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs, das funktionelle Erbeinheiten enthält.“

2.2 Nagoya-Protokoll

Das Nagoya-Protokoll (vollständiger Titel: „Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt“) wurde 2010 vereinbart und trat am 12.10.2014 in Kraft. Das Nagoya-Protokoll ist eine Ergänzung zur CBD und wurde entwickelt, um die Umsetzung von ABS, des dritten Ziels der CBD, zu verbessern. Das Nagoya-Protokoll folgt dem bilateralen Ansatz der CBD, wobei der Zugang zu genetischen Ressourcen PIC und MAT unterliegt (sofern die Vertragspartei, die die Ressourcen bereitstellt, nichts anderes bestimmt). Wie aus dem vollständigen Titel hervorgeht, konzentriert sich das Nagoya-Protokoll auf den Zugang zu genetischen Ressourcen und die Aufteilung der Vorteile aus deren Nutzung. Was den Zugang betrifft, so müssen die Vertragsparteien Regeln und Verfahren für einen klaren und fairen Zugang festlegen. Jede Vertragspartei muss eine nationale Anlaufstelle (national focal point – NFP) benennen, die für die Bereitstellung von Informationen zuständig ist, sowie eine zuständige nationale Behörde (competent national authority – CNA), die für die Gewährung des Zugangs verantwortlich ist. Zur Erleichterung des Informationsaustauschs wurde das ABS Clearing-House eingerichtet, das u. a. Informationen der Vertragsparteien zu den Kontaktdaten ihrer NFP und CNA, zu administrativen und politischen Maßnahmen sowie zu erteilten Genehmigungen bereithält. Das Nagoya-Protokoll gilt nicht nur für genetische Ressourcen im Sinne der CBD, sondern enthält auch Bestimmungen über traditionelles Wissen, das sich auf genetische Ressourcen bezieht. Die Vertragsparteien müssen sicherstellen, dass die Nutzung genetischer Ressourcen innerhalb ihres Hoheitsgebiets im Einklang mit den ABS-Regelungen der bereitstellenden Vertragspartei erfolgt.

2.3 Internationaler Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA)

Der ITPGRFA ist ein ABS-Instrument, das speziell auf pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (plant genetic resources for food and agriculture – PGRFA) ausgerichtet ist. Wie in Abschnitt 2.1 erwähnt, gilt die CBD für alle genetischen Ressourcen und damit auch für PGRFA. Auf Grund deren besonderer Bedeutung für die Ernährungssicherheit und eine nachhaltige Landwirtschaft wurde im Jahr 1992 auf der Konferenz zur Annahme des vereinbarten Texts der CBD jedoch beschlossen, dass für PGRFA ein spezielles System zu entwickeln sei. In der folgenden Dekade erarbeitete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations – FAO) den ITPGRFA, der 2001 verabschiedet wurde und am 29.6.2004 in Kraft trat. Die in Art. 1 genannten Ziele des ITPGRFA spiegeln die Ziele der CBD wider, konzentrieren sich aber auf PGRFA. Diese werden definiert als „jedes genetische Material pflanzlichen Ursprungs von tatsächlichem oder potenziellem Wert für Ernährung und Landwirtschaft“.

Im Gegensatz zur CBD und dem Nagoya-Protokoll, die einen bilateralen Ansatz vorschreiben, verfolgt der ITPGRFA einen multilateralen Ansatz. Dieser bekräftigt die souveränen Rechte der Länder an ihren genetischen Ressourcen, zielt jedoch darauf ab, den Austausch und die Weitergabe von PGRFA durch ein multilaterales System für den Zugang und die Aufteilung der Vorteile zu erleichtern. Für den Austausch solcher Ressourcen im Rahmen des multilateralen Systems wird ein Standardvertrag (Standard Material Transfer Agreement – SMTA) verwendet und nicht die in der CBD vorgesehenen PIC und MAT. Das multilaterale System umfasst nicht alle Arten von PGRFA, sondern nur 35 Nahrungspflanzen und 29 Futterpflanzen, die in Anhang I des ITPGRFA aufgeführt sind (Abb. 1). Der Zugang zu PGRFA im multilateralen System kann durch die Unterzeichnung des SMTA erlangt werden, allerdings nur, wenn die PGRFA für Forschung, Züchtung und Ausbildung zu Zwecken von Ernährung und Landwirtschaft verwendet werden. Andere Verwendungszwecke (z. B. chemische oder pharmazeutische) sind ausdrücklich ausgeschlossen. Was den Vorteilsausgleich betrifft, so wird anerkannt, dass der erleichterte Zugang an sich bereits ein bedeutender Vorteil ist. Doch auch andere Formen des Vorteilsausgleichs wie Informationsaustausch, Technologietransfer, Kapazitätsaufbau und die Aufteilung kommerzieller Vorteile werden als wichtig angesehen. Kommerzielle Vorteile müssen geteilt werden, wenn aus pflanzengenetischen Ressourcen, die im Rahmen eines SMTA erworben wurden, kommerzielle Produkte (z. B. neue Sorten) entstehen, die anderen nicht frei für Forschung und Züchtung zur Verfügung stehen. Diese Vorteile werden in einen internationalen Fonds für den Vorteilsausgleich eingezahlt, der für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung von PGRFA verwendet wird.

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Abb. 1: Akzessionen der Saat-Gerste (Hordeum vulgare) auf dem Feld. Die Gattung Hordeum (Gerste) ist in Anhang I des Vertrags über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture – ITPGRFA) gelistet.
(Quelle: © Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung/IPK)
Fig. 1: Accessions of cultivated barley (Hordeum vulgare) in the field. The genus Hordeum (barley) is listed in Annex I of the International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (ITPGRFA).
(Source: © Leibniz Institute of Plant Genetics and Crop Plant Research/IPK)

2.4 Planungsrahmen für die pandemische Influenza (PIP Framework)

Als der Influenzasubtyp A (H5N1), einer der IVPP für den Menschen, 2004 wieder auftauchte, waren einige Entwicklungsländer besorgt darüber, dass sie trotz des Teilens von Virusproben im Rahmen des von der WHO koordinierten Global Influenza Surveillance and Response System (GISRS) keinen Zugang zu Impfstoffen hatten, die auf Basis der bereitgestellten Viren entwickelt worden waren. Bei GISRS handelt es sich um ein weltweites Netzwerk von Laboren des öffentlichen Gesundheitswesens, die Influenzaviren sammeln, überwachen und teilen. Es wurde deutlich, dass ein neues System erforderlich war, das nicht nur sicherstellt, dass Viren zur Bewertung von Risiken für die öffentliche Gesundheit geteilt werden, sondern auch, dass die daraus resultierenden Produkte allen, die sie benötigen, auf einer fairen, gerechten, zeitnahen und erschwinglichen Basis zur Verfügung gestellt werden. Nach vier Jahren der Verhandlung wurde am 24.5.2011 das PIP Framework von den 194 Mitgliedstaaten der WHO einstimmig angenommen. Das PIP Framework bringt Länder, Laboratorien, die Industrie und die Zivilgesellschaft zusammen, um die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und die Reaktionen auf eine Influenzapandemie zu stärken und für mehr Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Nationen zu sorgen, wenn die nächste Pandemie ausbricht. Das PIP Framework legt zahlreiche Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten, der WHO, den GISRS-Laboren und den Herstellern fest. Dazu gehören das Teilen von IVPP und der Beitrag zu einem globalen Vorteilsausgleichssystem.

Das PIP Framework hat zwei Ziele, die gleichberechtigt verfolgt werden:

    gemeinsame Nutzung von H5N1 und anderen IVPP und

    Zugang zu Impfstoffen und Aufteilung anderer Vorteile.

Influenzaviren werden von den WHO-Mitgliedstaaten über das GISRS geteilt. Das GISRS dient nicht nur als Plattform für das Teilen von Viren, sondern es werden auch genetische Sequenzdaten von diesen Viren allen zur Verfügung gestellt, Reagenzien entwickelt und geteilt sowie Risikobewertungen durchgeführt. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Entwicklung von Impfstoffkandidatenviren („candidate vaccine viruses“), die von den Herstellern von Grippeimpfstoffen zur Entwicklung von Impfstoffen gegen die saisonale und pandemische Grippe verwendet werden. Im Gegenzug für den Erhalt von IVPP und der damit verbundenen Daten des GISRS tragen die Hersteller auf zweierlei Weise zur Pandemievorsorge und -bekämpfung bei:

    Sie zahlen einen jährlichen Partnerschaftsbeitrag, den die WHO auf zwei Arten verwendet: 70 % der Mittel werden zur Stärkung der Bereitschaftskapazitäten in Ländern verwendet, in denen diese schwach sind, und 30 % werden für Gegenmaßnahmen bei der nächsten Influenzapandemie reserviert. Dieser Partnerschaftsbeitrag ist ein nachhaltiger Finanzierungsmechanismus, der von den Herstellern von Influenzaprodukten bereitgestellt wird.
    Hersteller, die biologische PIP-Materialien vom GISRS erhalten, müssen mit der WHO rechtsverbindliche Vorablieferverträge (SMTA2) abschließen, um der WHO zum Zeitpunkt der nächsten Pandemie Impfstoffe, antivirale Mittel, Diagnostika oder andere Produkte in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.

3 Fallstudien, die für Ernährungssicherheit und öffentliche Gesundheit relevant sind

3.1 Bundeszentrale Ex-situ-Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)

Den Anstoß für die weltweite, strukturierte Sammlung und Nutzung von Kulturpflanzen und deren wilden Verwandten in Genbanken sowie für deren genetische Klassifizierung gab der russische Genetiker Nikolai Iwanowitsch Wawilow bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er entwickelte die Theorie der Gen- oder Diversitätszentren als wichtige Zentren der biologischen Vielfalt. Wawilow erkannte auch die Bedeutung der Erhaltung regional angepasster Varietäten als Ressourcen für die zukünftige Züchtung (Peres 2016). In vielen Regionen der Welt werden diese Landsorten nach und nach durch moderne Pflanzensorten ersetzt, so dass die Pflanzenvielfalt der Vergangenheit zu verschwinden droht. Aufgabe der Genbanken ist es, diese pflanzengenetischen Ressourcen zu erhalten und den Verlust der genetischen Vielfalt und der Biodiversität zu verhindern (vgl. Abb. 1). Weltweit gibt es etwa 1.750 Genbanken mit rund 7,4 Mio. Akzessionen (FAO 2010). Die Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) beherbergt mehr als 150.000 Akzessionen von 2.933 Pflanzenarten in 776 Gattungen. Es wird geschätzt, dass etwa 7.000 (Mansfeld et al. 1986; Khoshbakht, Hammer 2008) der weltweit geschätzten 300.000 Gefäßpflanzenarten (Christenhusz, Byng 2016) Kulturpflanzen sind. Daher beherbergt die Ex-situ-Genbank am IPK einen bedeutenden Teil dieser genetischen Vielfalt. Diese Vielfalt wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Pflanzenzüchterinnen und -züchtern sowie Interessierten aus der ganzen Welt zur Verfügung gestellt. Bis heute wurden den Nutzerinnen und Nutzern aus Wissenschaft, Wirtschaft und privatem Bereich über eine Million Proben von der Ex-situ-Genbank überlassen.

Die meisten Akzessionen werden als getrocknete Samen bei − 18 °C gelagert (Abb. 2). Vegetativ vermehrte Akzessionen werden dagegen dauerhaft auf dem Feld kultiviert oder in flüssigem Stickstoff bei − 196 °C aufbewahrt. Auf dem Online-Portal der Ex-situ-Genbank (https://gbis.ipk-gatersleben.de/) können Interessierte die gespeicherten Akzessionen und die dazugehörigen Informationen, so genannte „Passportdaten“, einsehen und durchsuchen sowie Material in nichtkommerziellem Umfang anfordern. Ein aktueller Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Arbeit der für ganz Deutschland zentralen Ex-situ-Genbank ist die Verknüpfung der gelagerten biologischen Vielfalt mit deren molekularen Daten. Genbanken auf der ganzen Welt befinden sich aktuell in einem Transformationsprozess hin zu bio-digitalen Ressourcenzentren (Mascher et al. 2019). Die Zahl der gut charakterisierten Akzessionen und die Menge der detaillierten Informationen, die zusammen mit dem biologischen Material gespeichert werden, nehmen auf Grund des leichteren Zugangs zu besseren, schnelleren und preiswerteren Sequenzierungs- sowie anderen Technologien zur umfassenden molekularen Analyse rasch zu.

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Abb. 2: Glasbehälter (Weckgläser) mit Körnern verschiedener Akzessionen der Saat-Gerste (Hordeum vulgare) in einer Kühlzelle.
(Quelle: © Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung/IPK)
Fig. 2: Sealed glass jars with grains of various accessions of cultivated barley (Hordeum vulgare) in a cold store.
(Source: © Leibniz Institute of Plant Genetics and Crop Plant Research/IPK)

Zur Sicherung der Ex-situ-Genbank-Sammlungen arbeitet das IPK mit dem Svalbard Global Seed Vault zusammen und überführt regelmäßig Sammlungsbestände in diese zentrale Sicherungseinrichtung. Anträge auf Rückführung von Teilen der Sammlung in die Herkunftsgebiete, die so genannte Repatriierung, werden von der Genbank ebenfalls unterstützt. Die Rückführung äthiopischen Materials und der Aufbau lokaler Strukturen sowie die Einführung von Standards und Logistik durch Schulung und Ausbildung sind ein herausragendes Beispiel dafür. Insgesamt wurden 7.498 äthiopische Akzessionen aus 32 verschiedenen Gattungen aus der Ex-situ-Genbank des IPK zurückgeführt, darunter 5.561 Gersten- und 1.340 Weizenakzessionen. Diese Akzessionen waren durch Sammlungsexpeditionen erworben oder von anderen Genbanken oder Forschungsinstituten übernommen worden.

Erwerb und Aufnahme von Material in die Sammlung sowie die Verteilung von Material aus der Genbank erfolgen unter dem SMTA des ITPGRFA. Dies erleichtert den Zugang unter standardisierten Bedingungen und für bestimmte Zwecke. Das Gleiche gilt für Pflanzenmaterial entstanden aus PGRFA und für in der Entwicklung befindliches Material, für das ebenfalls das SMTA genutzt werden kann, so dass eine rasche Weiternutzung möglich ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Erwerb neuen Materials, das nicht unter diesen standardisierten Bedingungen erworben werden kann, schwierig ist, da bilaterale Vereinbarungen für den direkten Zugang durch Sammlungsreisen sowie für den indirekten Erwerb aus bestehenden Sammlungen oder von anderen Materialspendern getroffen werden müssen. Die Erfahrungen der IPK-Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler reichen von reibungslosen Prozessen, auch mit Staaten, die das Nagoya-Protokoll selbst nicht ratifiziert haben, bis hin zu mangelnder Reaktion von Staaten, die das Nagoya-Protokoll ratifiziert haben. Im Falle des indirekten Zugangs erweisen sich bilaterale Verhandlungen oft als große Hürde, auch wegen des erhöhten Rechercheaufwands im Bereitstellerland. Das Gleiche gilt auch für PGRFA, die nicht unter den ITPGRFA fallen. Man kann also sagen, dass das multilaterale System einen wesentlich schnelleren und unkomplizierten Zugang zum Material und dessen angemessene Nutzung unter bereits festgelegten Zugangs- und Nutzungsbedingungen ermöglicht. Auf der anderen Seite könnte ein Vorteil des bilateralen ABS darin liegen, dass Bedingungen ausgehandelt werden, die genauer auf den tatsächlichen Nutzungsbedarf zugeschnitten sind.

3.2 Austausch von Influenza- und Nichtinfluenzapathogenen

Für IVPP wurde mit dem PIP Framework ein ABS-System geschaffen, bei dem die WHO-Mitgliedstaaten ihre Verpflichtung zum Teilen solcher Influenzaviren gleichermaßen anerkannt haben wie die Verpflichtung zum Teilen der daraus entstehenden Vorteile. Beide Maßnahmen werden als gleich wichtige Bestandteile der kollektiven Maßnahmen für die globale Gesundheit betrachtet (PIP Framework, Abschnitt 1.3).

Daher wird von den WHO-Mitgliedstaaten erwartet, dass sie IVPP schnell, systematisch und zeitnah mit einem WHO-Kooperationszentrum ihrer Wahl teilen (PIP Framework, Abschnitt 5.1.1). Der Austausch von PIP-Materialien innerhalb des GISRS wird durch die beiden Standard-Materialüberlassungsvereinbarungen (SMTA1 und SMTA2) des PIP Framework geregelt. Mit dem SMTA1 stimmt der Bereitsteller (in der Regel ein nationales Influenzazentrum) der Weitergabe und Nutzung des PIP-Materials durch Einrichtungen außerhalb des WHO-GISRS zu, sofern der potenzielle Empfänger das SMTA2 mit der WHO abgeschlossen hat. Durch die kombinierten Bestimmungen des SMTA1 und SMTA2 hat das PIP Framework ein System geschaffen, bei dem Länder, die Viren mit dem GISRS teilen, ihre vorherige Zustimmung zur Weitergabe und Verwendung dieses Materials an Stellen außerhalb des GISRS (z. B. Hersteller) geben, wohl wissend, dass sie durch die SMTA2-Vereinbarungen im Gegenzug Finanzmittel (durch den Partnerschaftsbeitrag) zur Stärkung von Kapazitäten für eine Reaktion auf eine Influenzapandemie und Zugang zu Produkten für die Pandemiebekämpfung im Falle einer Pandemie erwarten können.

Das PIP Framework gilt nur für pandemische Influenzaviren und ist bis heute der einzige multilaterale Rahmen für ABS im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Tab. 1 gibt für wichtige Viruserkrankungen einen Überblick in Bezug auf aktuelle Praktiken und Verfahren, die darauf abzielen, die gemeinsame Nutzung von Pathogenen zu vereinfachen. In Ermangelung eines internationalen multilateralen Instruments für andere Krankheitserreger als IVPP fällt der Austausch der meisten Pathogene jedoch unter das bilaterale ABS-System des Nagoya-Protokolls, z. B. wenn das bereitstellende Land Vertragspartei des Nagoya-Protokolls ist. In diesem Fall könnten PIC und MAT erforderlich sein.

Tab. 1: Wichtige Viruserkrankungen mit aktuellen Praktiken und Verfahren zur Vereinfachung des Austauschs von Pathogenen.
Table 1: Important viral diseases with current practices and procedures aiming to streamline pathogen sharing.
Pathogen Formales Netzwerk (ausgewiesene Labore, Strukturen) Gründe für die Teilung von Proben Internationales Instrument Vereinbarungen über die Teilung von Proben und Daten Was wird geteilt? Globaler Nachverfolgungsmechanismus zur Teilung von Pathogenen Vorteile für die Herkunftsländer (monetär/nichtmonetär)
Influenza
GISRS
Saisonale Influenzaviren: Routineüberwachung, Impfstoffentwicklung, Überwachung der antiviralen Resistenz
Saisonale Influenza: nein
Saisonale Influenza: ja, Netzwerk TORs
Klinisches biologisches Material, Kulturen, genetische Sequenzdaten, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungssysteme
Saisonale Influenza: nein
Saisonale Influenza: Vorteile beinhalten Informationen zur öffentlichen Gesundheit, Risikobewertung, Finanzierung, Aufbau von Kapazitäten, Reagenzien, Referenzviren, externes Qualitätssicherungsprogramm
IVPP: Bestätigung neuer Pathogene, Risikobewertung, Entwicklung von Impfstoffen, Überwachung der antiviralen Resistenz
IVPP: ja, PIP Framework
IVPP: ja, Netzwerk TORs, SMTA1
IVPP: IVTM
IVPP: Vorteile umfassen alle oben genannten Punkte und darüber hinaus die Finanzierung des Kapazitätsaufbaus (durch den PIP-Partnerschaftsbeitrag) und den Zugang zu Pandemieprodukten (durch SMTA2)
Polio
Global Polio
Network
Routineüberwachung,
Bestätigung von
Ausbrüchen
Nein
Ja, Netzwerk TORs
Klinisches biologisches Material, genetische Sequenzdaten, Umweltproben, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungs-systeme
Nein
Finanzierung, Aufbau von Kapazitäten, Reagenzien
Masern
Nein
Routineüber-
wachung,
Bestätigung von
Ausbrüchen
Nein
Ja,
Netzwerk TORs
Klinisches Material, genetische Squenzdaten, inak-
tivierte Viren für externe Qualitätssicherungs-systeme
Nein
Finanzierung, Aufbau von Kapazitäten, Reagenzien
Zika
Nein
Bestätigung von Ausbrüchen, fortgeschrittene Charakterisierung
Nein
Nationales und/oder internationales Partner-MTA
Klinisches biologisches Material, Kulturen, genetische Sequenzdaten, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungssysteme
Nein
Abhängig von den im Rahmen des MTA eingereichten Forderungen; Finanzierung, Ausbildung, Technologietransfer, wissenschaftliche Zusammenarbeit
Ebola
Nein
Bestätigung von Ausbrüchen, fortgeschrittene Charakterisierung, Produktentwicklung
Nein
Nationales und/oder internationales Partner-MTA
Klinisches biologisches Material, Kulturen, genetische Sequenzdaten, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungssysteme
Nein
Abhängig von den im Rahmen des MTA eingereichten Forderungen; Finanzierung, Ausbildung, Technologietransfer, wissenschaftliche Zusammenarbeit
COVID-19
Nein (2020 – 2023)
Bestätigung von Ausbrüchen, fortgeschrittene Charakterisierung, Produktentwicklung
Nein
Nationales und/oder internationales Partner-MTA
Klinisches biologisches Material, Kulturen, genetische Sequenzdaten, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungssysteme
Nein
Abhängig von den im Rahmen des MTA eingereichten Forderungen; Finanzierung, Ausbildung, Technologietransfer, wissenschaftliche Zusammenarbeit
Mpox
(Affenpocken)
Nein
Fortgeschrittene Charakterisierung, Produktentwicklung
Nein
Nationales und/
oder internationales Partner-MTA
Klinisches biologisches Material, Kulturen, genetische Sequenzdaten, inaktivierte Viren für externe Qualitätssicherungssysteme
Nein
Abhängig von den im Rahmen des MTA eingereichten Forderungen; Finanzierung, Ausbildung, Technologietransfer, wissenschaftliche Zusammenarbeit
COVID-19 = Coronavirus Disease 2019, GISRS = Global Influenza Surveillance and Response System (Globales Influenza-Überwachungs- und -Reaktionssystem), IVPP = Influenza Viruses with Pandemic Potential (Influenzaviren mit Pandemiepotenzial), IVTM = Influenza Virus Traceability Mechanism (Rückverfolgbarkeitsmechanismus für Influenzaviren), MTA = Material Transfer Agreement (Materialüberlassungsvereinbarung), PIP = Pandemic Influenza Preparedness (pandemische Influenza-Vorbereitungen), SMTA = Standard Material Transfer Agreement (standardisierte Materialüberlassungsvereinbarung), TORs = Terms of Reference (Aufgaben-bereich)

Seit der Verabschiedung des PIP Framework im Jahr 2011 haben zwei wichtige Entwicklungen dessen Umsetzung vor besondere Herausforderungen gestellt. Die erste Entwicklung umfasst das Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls und die wachsende Zahl von Ländern mit ABS-Gesetzen. Die Anwendung solcher Gesetze wirft Fragen über die gemeinsame Nutzung saisonaler Grippeviren auf, die nicht unter das PIP Framework fallen, insbesondere über die Verwendung saisonaler Impfstoffkandidatenviren durch die Industrie. Während das PIP Framework selbst nicht als gefährdet angesehen wird, stützt sich das globale System für die Bereitschaft und Reaktion auf eine Influenzapandemie vollständig auf die Stärke des saisonalen GISRS. Wenn dieses System gestört ist, werden Prävention und Bekämpfung einer Influenzapandemie geschwächt. Die zweite Entwicklung ist die zunehmende Abhängigkeit von genetischen Sequenzdaten bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten zur Pandemiebekämpfung wie Impfstoffen. Die Frage, wie eine faire und gerechte Aufteilung des Nutzens aus der Verwendung von Sequenzdaten gewährleistet werden kann, bleibt ein prioritäres Thema für die WHO und ihre Mitgliedstaaten.

4 Diskussion

Dreißig Jahre nach dem Inkrafttreten des ersten internationalen ABS-Übereinkommens, das dem bilateralen Ansatz folgt (die CBD von 1993), sind Zweifel an der Effizienz und Wirksamkeit des bilateralen ABS-Ansatzes aufgekommen. Bis März 2023 wurden mehr als 4.600 international anerkannte Konformitätszertifikate (internationally recognized certificates of compliance – IRCC) im ABS Clearing-House, einer Informationsplattform, die Informationen über den legalen Zugang zu genetischen Ressourcen und dazugehörigem traditionellem Wissen bereitstellt, veröffentlicht. Dies gibt einen Hinweis auf die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen zwischen Bereitstellern sowie Nutzerinnen und Nutzern. Detaillierte Informationen, z. B. zu den Formen und Beträgen des Vorteilsausgleichs, fehlen jedoch in der Regel aus Gründen der Vertraulichkeit. Literaturberichte weisen darauf hin, dass nationale ABS-Vorschriften und -Regelungen auf Grundlage der CBD den Zugang erschweren und die Forschung und internationale Zusammenarbeit behindert haben, während die erfolgten Transaktionen keinen wesentlichen Nutzen für den Naturschutz erbrachten (Prathapan et al. 2018; Aubry et al. 2020; Brink, van Hintum 2020; Laird et al. 2020). Die Fallstudien in Abschnitt 3 zeigen auch, dass es bei den Aktivitäten von Genbanken und der gemeinsamen Nutzung saisonaler Grippeviren (die nicht unter das PIP Framework fallen) zu Problemen mit dem Nagoya-Protokoll kommen kann. In der Fallstudie über die Ex-situ-Genbank des IPK wurde erwähnt, dass sich bilaterale Verhandlungen oft als große Hürde für den Zugang zu PGRFA erweisen und dass die Behörden der Bereitstellerländer nicht immer auf Anfragen reagieren. Andererseits wird angeführt, dass der bilaterale Ansatz die Möglichkeit bietet, Bedingungen auszuhandeln, die auf spezifische Nutzungsbedürfnisse zugeschnitten sind. In der Fallstudie über die Verteilung von Influenzaviren wurde erwähnt, dass Probleme mit der Verteilung saisonaler Influenzaviren (die nicht unter das PIP Framework fallen) negative Auswirkungen auf das globale System für die Bereitschaft und Reaktion auf eine Influenzapandemie haben können.

Multilaterale ABS-Vereinbarungen haben das Potenzial, den Zugang zu erleichtern, weil es nicht erforderlich ist, fallweise Verhandlungen zwischen Nutzerinnen und Nutzern sowie Bereitstellern zu führen. Werden Standardverträge wie das SMTA des ITPGRFA und des PIP Framework verwendet, sind die Bedingungen für die Nutzung des Materials festgelegt und sowohl den Nutzerinnen und Nutzern als auch den Bereitstellern im Voraus bekannt. Die Fallstudie über die Bundeszentrale Ex-situ-Genbank des IPK führte zu der Schlussfolgerung, dass das multilaterale System einen wesentlich schnelleren Zugang zum Material und zu dessen angemessener Nutzung unter definierten Zugangs- und Nutzungsvoraussetzungen ermöglicht. Dies bestätigt die Erkenntnis von Brink, van Hintum (2020), dass der ITPGRFA den Zugang zu PGRFA effektiver ermöglicht als die CBD. Dies ist der Fall, obwohl nicht alle PGRFA in das multilaterale System aufgenommen wurden und nicht alle PGRFA im multilateralen System leicht zugänglich sind, was manchmal auf die mangelnde Bereitschaft der Bereitstellerländer zurückzuführen ist, den Zugang zu ihren pflanzengenetischen Ressourcen über das multilaterale System zu ermöglichen. Bis Juni 2022 wurden etwa 6,4 Mio. pflanzengenetische Ressourcen im Rahmen des ITPGRFA übertragen, mit etwa 91.000 SMTA. Von diesen Proben wurden etwa 89 % von internationalen Organisationen und etwa 11 % von den Vertragsparteien verteilt (FAO 2022). Aus dem 2009 eingerichteten Fonds für den Vorteilsausgleich des ITPGRFA wurden 26 Mio. US-Dollar für 81 Projekte in 67 Entwicklungsländern bereitgestellt. Diese Projekte konzentrieren sich auf

    die Unterstützung für das Management und die Verbesserung von Kulturpflanzenvarietäten in landwirtschaftlichen Betrieben,
    deren Erhaltung in landwirtschaftlichen Betrieben und in situ,

    deren Austausch unter Landwirtinnen und Landwirten,

    die Entwicklung lokaler Saatgutwertschöpfungsketten und

    einen verbesserten PGRFA-Transfer von Ex-situ-Sammlungen zu Landwirtinnen und Landwirten und zurück (ITPGRFA 2022).

Mit Hilfe des PIP Framework wurden die Bereitschafts- und Reaktionskapazitäten für eine Influenzapandemie in allen sechs WHO-Regionen und in über 100 Ländern gestärkt, wofür ein Teil der mehr als 280 Mio. US-Dollar verwendet wurde, die bisher durch die PIP-Partnerschaftsbeiträge gesammelt wurden. Das PIP Framework hat die Verbesserung der nationalen Regulierungssysteme unterstützt und den Ländern geholfen, die Zulassung von Pandemieimpfstoffen und anderen Produkten zu beschleunigen. Das SMTA2 verbessert die Vorhersehbarkeit des gleichberechtigten Zugangs zu zukünftigen Impfstoffen gegen die pandemische Influenza und zu anderen Produkten erheblich. Im Falle einer Pandemie werden 10 von 100 produzierten Impfstoffdosen für die WHO reserviert, 8 davon werden der WHO auf Spendenbasis zur Verfügung gestellt. Bis heute wurden 91 SMTA2 unterzeichnet, davon 16 mit Herstellern von Pandemieprodukten wie Impfstoffen, Diagnostika und antiviralen Mitteln. In diesen Vereinbarungen ist festgelegt, dass die betreffenden Produkte an die WHO geliefert werden, damit sie in Ländern eingesetzt werden können, die sie benötigen und die keine oder kaum Möglichkeiten eines Zugangs zu ihnen haben. Mit diesen Vereinbarungen wollen die WHO, die Mitgliedstaaten und die Industrie sicherstellen, dass bei Ausbruch der nächsten Grippepandemie alle Länder einen strukturierten, vorhersehbaren, fairen, effizienten und gerechten Zugang im Falle einer kritischen Versorgung haben.

Es gibt jedoch noch Raum für Verbesserungen. Die Fallstudien in Abschnitt 3 zeigen, dass die multilateralen Instrumente des ITPGRFA und des PIP Framework nur einen Teil der PGRFA bzw. der Viren mit Pandemiepotenzial abdecken. Um den Zugang zu und die Nutzung von wichtigen genetischen Ressourcen für die Ernährungssicherheit und die öffentliche Gesundheit zu verbessern, wäre eine Ausweitung dieser Instrumente wünschenswert. Obwohl der ITPGRFA den Ländern die Möglichkeit bietet, auf freiwilliger Basis das SMTA auch für die Verteilung pflanzengenetischer Ressourcen zu nutzen, die nicht zu den 35 Nahrungs- und 29 Futterpflanzen in Anhang I des ITPGRFA gehören, betreffen nur 0,5 % der mit dem SMTA übertragenen genetischen Ressourcen Pflanzen, die nicht in Anhang I aufgeführt sind (FAO 2022). Im Rahmen des ITPGRFA haben die Vertragsparteien die Diskussionen über die Ausweitung des Geltungsbereichs des multilateralen Systems von den 64 derzeit in Anhang I des ITPGRFA genannten Nahrungs- und Futtermittelpflanzen auf alle PGRFA wieder aufgenommen. In der WHO wird ein globales ABS-System vom zwischenstaatlichen Verhandlungsgremium erörtert, das ein WHO-Übereinkommen, eine Vereinbarung oder ein anderes internationales Instrument zur Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion (WHO CA+) ausarbeitet und verhandelt (Gostin et al. 2021; WHO 2023). Während das PIP Framework nur IVPP abdeckt, könnte das neue globale ABS-System alle Pathogene mit Pandemiepotenzial (WHO 2023) oder alternativ alle Pathogene abdecken, wenn die Mitgliedstaaten dies beschließen. Das zwischenstaatliche Verhandlungsgremium wird im Mai 2024 sein Ergebnisdokument der 77. Weltgesundheitsversammlung zur Prüfung vorlegen.

Nicht nur die Zugangsaspekte, sondern auch die Aspekte des Vorteilsausgleichs könnten verbessert werden. Der Fonds für den Vorteilsausgleich des ITPGRFA wird hauptsächlich durch freiwillige Beiträge von Ländern gefüllt, wobei die Nutzerinnen und Nutzer von PGRFA nur in begrenztem Umfang die finanziellen Vorteile teilen (Brink, van Hintum 2020; Wynberg et al. 2021). Um hier Abhilfe zu schaffen, erwägen die Vertragsparteien des ITPGRFA die Einführung eines Abonnementsystems für das multilaterale System, um einen früheren und besseren finanziellen Vorteilsausgleich zu gewährleisten. Das PIP Framework wurde von einigen als „Meilenstein in der global health governance“ gefeiert (Fidler, Gostin 2011), andere haben jedoch angemerkt, dass es nicht sicher ist, dass das SMTA2 wirklich den Zugang zu Produkten für die Pandemiebekämpfung ermöglichen wird, da es bspw. den Mitgliedstaaten, in denen diese Produkte hergestellt werden, überlassen bleibt, deren Ausfuhr zu genehmigen (Rourke 2019).

Beide Fallstudien verdeutlichen auch die zunehmende Bedeutung molekularer Informationen, etwa genomischer Sequenz- und anderer Omics-Daten. Im Rahmen der CBD, der WHO, des ITPGRFA sowie anderer internationaler Abkommen und Organisationen wird darüber diskutiert, ob und wie die Nutzung dieser Daten, die häufig mit dem undefinierten Platzhalterbegriff DSI bezeichnet werden, ABS-Verpflichtungen unterliegen sollten, wie dies bereits für die Nutzung genetischer Ressourcen der Fall ist. Im Dezember 2022 beschloss die Konferenz der Vertragsparteien der CBD, dass Vorteile, die sich aus der Nutzung von DSI zu genetischen Ressourcen ergeben, zu teilen sind (Goal C und Target 13 im Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal). In einem separaten Beschluss über DSI wurde erklärt, dass der Vorteilsausgleich für DSI einem multilateralen Ansatz folgen würde, mit einem globalen Fonds für den Vorteilsausgleich, und dass ein Folgeprozess eingeleitet würde, um weitere Einzelheiten dieses multilateralen Vorteilsausgleichssystems zu erörtern (Näheres in Scholz et al. 2024 in dieser Ausgabe). Ein neues System für den Zugang und den Vorteilsausgleich, das von den Mitgliedstaaten in Erwägung gezogen wird, die über WHO CA+ verhandeln, könnte sowohl Pathogene als auch deren genomische (digitale) Sequenzdaten umfassen. Was den ITPGRFA anbelangt, so wurde auf der Sitzung von dessen Leitungsgremium im Oktober 2022 beschlossen, dass die DSI-Ergebnisse der Konferenz der Vertragsparteien der CBD im Dezember 2022 in den wieder aufgenommenen Diskussionen über die Verbesserung des multilateralen Systems berücksichtigt werden sollen, neben anderen wichtigen Aspekten einschließlich der Erweiterung des multilateralen Systems und der Schaffung eines Abonnementsystems für das multilaterale System. Die erste förmliche Sitzung zur Erörterung der Verbesserung des multilateralen Systems fand im Juli 2023 statt und diente v. a. der Bestandsaufnahme der Meinungen.

5 Schlussfolgerungen

Multilaterale ABS-Instrumente haben im Vergleich zum bilateralen System des Nagoya-Protokolls durchaus das Potenzial, den Zugang zu erleichtern und gleichzeitig einen faireren und gerechteren Vorteilsausgleich zu gewährleisten, um die Ziele der ABS-Instrumente zu fördern. Die beiden bestehenden multilateralen Systeme – der ITPGRFA der FAO und das PIP Framework der WHO – haben den Zugang zu genetischen Ressourcen, die für die Ernährungssicherheit und die öffentliche Gesundheit wichtig sind, erleichtert. Zudem unterstützen sie Projekte zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern sowie Maßnahmen zur Stärkung der Bereitschaftskapazitäten für Grippepandemien in Ländern, in denen diese Kapazitäten schwach sind. Verbesserungen sind jedoch immer möglich, sowohl bei der Arbeit der FAO zur Umsetzung des ITPGRFA als auch bei der Arbeit der WHO zur Umsetzung des PIP Framework.

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7 Online-Zusatzmaterial

Online-Zusatzmaterial mit der englischen Originalfassung dieses Beitrags ist über den QR-Code oder unter https://www.natur-und-landschaft.de/extras/zusatzmaterial/ abrufbar.

Fußnoten

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Dr. Martin Brink

Korrespondierender Autor

Universität Wageningen

Centre for Genetic Resources, the Netherlands (CGN)

P.O. Box 16

6700 AA Wageningen

NIEDERLANDE

E-Mail: martin.brink@wur.nl Der Autor arbeitet seit 2012 am Zentrum für genetische Ressourcen in den Niederlanden (CGN). Seine Arbeit konzentriert sich auf die Regelungen des Umgangs mit genetischen Ressourcen, insbesondere auf die Grundsätze und Praktiken des Zugangs und Vorteilsausgleichs (Access and Benefit-sharing – ABS). Er ist verantwortlich für die nationale ABS-Kontaktstelle und aktiv für die Niederlande in internationalen Foren für genetische Ressourcen, etwa mit Bezug zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), dem Nagoya-Protokoll und dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA), sowie in der Kommission für genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (CGRFA) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Er hat einen M. Sc. in Tropischen Pflanzenwissenschaften und einen Doktortitel in Agrarwissenschaften, beide von der Universität Wageningen in den Niederlanden.

NuL_03_2024_Brink_Vita.jpg

Luisa Belloni

World Health Organization (WHO), Hauptsitz

Avenue Appia 20

1211 Genf

SCHWEIZ

E-Mail: bellonil@who.int

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Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und

Kulturpflanzenforschung (IPK)

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Anne Huvos

World Health Organization (WHO), Hauptsitz

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1211 Genf

SCHWEIZ

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Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und

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INDIEN

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