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Seite 225 - 230

Wie effektiv sind Schutzgebiete? Eine empirische Studie aus der Schweiz

How effective are protected areas? An empirical study in Switzerland

DOI: 10.19217/NuL2022-05-01 • Manuskripteinreichung: 31.10.2021, Annahme: 7.2.2022

Nina B. Dähler, Ariel Bergamini, Michael Jutzi und Rolf Holderegger

Zusammenfassung

Wie effektiv sind Schutzgebiete bei der Erhaltung von Artvorkommen? Um diese Frage anzugehen, verwendeten wir einen Datensatz, für den Tausende historischer Fundorte von Pflanzenarten in der Schweiz wiederbesucht und auf das aktuelle Vorkommen dieser Arten überprüft wurden. Unsere Ergebnisse zeigen: Je mehr geschützte Flächen in einer Landschaft vorhanden sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Pflanzenarten an ihren historischen Fundorten in Mooren sowie Trockenwiesen und -weiden überleben. Schutzgebiete erfüllen damit ihren Zweck. Allerdings überleben selbst bei einem sehr hohen Anteil an geschützter Fläche in einer Landschaft (> 80 %) nicht alle Arten, und viele typische Arten der Moore, Trockenwiesen und -weiden kommen auch außerhalb von Schutzgebieten vor und haben dort überlebt. Zudem sind Vorkommen von Pflanzenarten in höheren Lagen für ihr Überleben weniger auf Schutzgebiete angewiesen als Arten im Flachland.

Aussterbeschuld – Moore – Rote Liste – Schutzgebiete – Trockenwiesen und -weiden – Überleben von Arten – Wiederholungsaufnahme

Abstract

How effective are protected areas in guaranteeing species survival? To address this question, we used a dataset for which thousands of historical sites of plant species in Switzerland were revisited and checked for the present occurrence of these species. Our findings show that the more protected areas there are in a landscape, the greater is the likelihood that plant species survive at their historical sites in bogs and dry meadows and pastures. Protected areas thus serve their purpose. However, even with a very high percentage of protected area in a landscape (> 80 %), not all species survive, and many typical species of bogs, dry meadows and pastures have survived outside of protected areas. In addition, occurrences of plant species at higher elevations are less dependent on protected areas for their survival than species in lowland areas.

Extinction debt – Bogs – Red List – Nature reserves – Dry meadows and pastures – Species survival – Revisitation

Inhalt

1 Einleitung

2 Methoden

3 Ergebnisse und Diskussion

4 Schlussfolgerungen

5 Literatur

Dank

1 Einleitung

Schutzgebiete sind der wichtigste Eckpfeiler des Naturschutzes. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) verlangt denn auch von den unterzeichnenden Staaten, dass sie mindestens 17 % ihrer Staatsfläche als Schutzgebiete ausweisen (CBD 2011). Schutzgebiete werden dort errichtet, wo seltene, gefährdete oder charakteristische Lebensräume mit ihren typischen Artengemeinschaften vorkommen und/oder wo seltene und gefährdete Arten zu finden sind. Das Werkzeug der Schutzgebiete als Flächen, wo Naturschutz gegenüber anderen allfälligen Nutzungen längerfristig Vorrang besitzt, wurde in den letzten Jahrzehnten um verschiedenste Typen vertraglich für bestimmte Zeiträume gesicherter Flächen ergänzt. In der Schweiz handelt es sich etwa um die Biotope von nationaler Bedeutung (Bergamini et al. 2019), die oft bewirtschaftet werden müssen (z. B. Trockenwiesen oder Flachmoore). Andere Beispiele sind Totholzinseln im Wald, ökologische Ausgleichsflächen im Landwirtschaftsgebiet, Ackerschonstreifen und viele mehr. Schutzgebiete bilden auch die Kerngebiete der Vernetzung: Innerhalb eines Lebensraumnetzes oder einer ökologischen Infrastruktur sind Schutzgebiete die Knoten, die mittels Vernetzungsmaßnahmen miteinander verbunden werden (BAFU 2017). Das primäre Ziel von Schutzgebieten ist die Erhaltung der Biodiversität, insbesondere der vorkommenden Lebensräume und Arten über die Zeit.

Wie gut oder effektiv sind nun Schutzgebiete? Dazu ist erstaunlich wenig gesicherte Information vorhanden (Gaston et al. 2008). In vielen Studien wurde untersucht, ob die Vorkommen seltener oder gefährdeter Arten mit der Fläche von Schutzgebieten räumlich überlappen (u. a. Schmiedel et al. 2013; Gray et al. 2016). Solche Studien gibt es auf allen räumlichen Skalen von regional bis weltweit. Sie zeigen, wie groß oder speziell die Biodiversität in Schutzgebieten ist, können aber oftmals nichts darüber aussagen, ob die Biodiversität in Schutzgebieten längerfristig erhalten wird, da der zeitliche Aspekt nicht immer berücksichtigt wird (Heywood 2017). In Deutschland liefern die regelmäßigen Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Berichte Informationen zum Zustand der Biodiversität (BfN 2019; BMU, BfN 2020).

Um die Wirkung von Schutzgebieten bei der Erhaltung von Vorkommen von Arten oder Lebensräumen festzustellen, müssen wiederholte Aufnahmen von Fundorten von Arten oder Lebensräumen zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt werden. Es gibt viele entsprechende Studien zu einzelnen Schutzgebieten (z. B. Küchler et al. 2018; Frei et al. 2021). Im Sinne einer Erfolgskontrolle wird dabei erfasst, ob die Biodiversität in einem Schutzgebiet über die Zeit erhalten bleibt, z. B. ob Arten, die zum Zeitpunkt tauf das Schutzgebiet zurückzuführen ist (Coetzee et al. 2014). Hat die Art möglicherweise auch im ungeschützten Umland überlebt? Auch dort können für die Art geeignete Lebensraumflächen liegen, die aber keinen Schutzstatus aufweisen. Hier stellt sich somit die Frage des Vergleichs: Mit welcher Referenz sollen die Resultate aus Schutzgebieten verglichen werden (Coetzee, Gaston 2021)?

Eine Möglichkeit, die Effektivität von Schutzgebieten über die Zeit zu untersuchen, ist es, früher bekannte historische Fundorte von Arten erneut zu besuchen und deren Überleben vor Ort zu überprüfen. Liegen diese Fundorte in und außerhalb von Schutzgebieten (Kontrast-Ansatz) oder in Gebieten mit einem unterschiedlich großen Anteil an Schutzgebieten (Regressions-Ansatz), so lässt sich bestimmen, ob Schutzgebiete Arten über die Zeit besser bewahren als nicht geschütztes Umland (Coetzee et al. 2014). Wir haben den zweiten Ansatz – also einen Vergleich von Gebieten mit unterschiedlichem Anteil an Schutzgebieten – verwendet, um die Effektivität von Schutzgebieten für die Erhaltung von Gefäßpflanzen in der Schweiz zu überprüfen. Dabei konnten wir auf einen umfangreichen Datensatz zurückgreifen, für den mehrere Tausend historische Fundorte von Gefäßpflanzen in der ganzen Schweiz wieder besucht wurden (Kempel et al. 2020). Wir konzentrierten uns dabei auf Moore sowie Trockenwiesen und -weiden – zwei Lebensraumtypen von sehr großer Bedeutung für den Naturschutz in der Schweiz (Lachat et al. 2010; Delarze et al. 2016; Abb. 1). Unsere Studie wurde bereits als wissenschaftlicher Fachartikel publiziert (Dähler et al. 2019). In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf jene Resultate und Schlussfolgerungen, die für den Naturschutz in Zentraleuropa besonders interessant sind.

/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2022_05/images/NuL_05_2022_Holderegger_01_gesamt.jpg NAuL-05-2022-Abbildung-002
Abb. 1: Beispiele für geschützte Moore, Trockenwiesen und -weiden in der Schweiz: a) ausgedehnte Moorlandschaft in den Voralpen, b) kleine Restfläche eines abgetorften Hochmoors im Schweizer Mittelland, c) kleine Reste von Halbtrockenrasen im Schweizer Jura, d) Steppenrasen in einem inneralpinen Trockental.
Fig. 1: Examples of protected bogs and dry meadows and pastures in Switzerland: a) extensive fens and mires in the Prealps, b) small remnant of a formerly exploited raised bog in the Swiss Plateau, c) small remnants of dry grasslands in the Swiss Jura mountains, d) steppe grasslands in an inner-alpine dry valley.
(Fotos: a) Angéline Bedolla, b), c) Rolf Holderegger, d) Steffen Boch)

2 Methoden

Für die Revision der Roten Liste der Schweiz (Bornand et al. 2016) wurden historische Fundorte von Gefäßpflanzen, v. a. gefährdete und seltene Arten, wieder besucht. Dabei wurde nur das heutige Vorkommen oder Fehlen an den historischen Fundorten von Arten bestimmt, weitere Merkmale wie Populationsgröße, Fitness oder Verjüngung wurden nicht oder nicht systematisch erfasst. Aus diesen Fundortkontrollen haben wir jene extrahiert, die charakteristische Arten der Moore sowie Trockenwiesen und -weiden (gemäß Delarze et al. 2015) betrafen und wo die historischen Fundmeldungen vor dem Jahr 2002 lagen (die meisten historischen Fundmeldungen stammten aus den 1980er-Jahren). Diese historischen und aktuellen Fundorte wurden dann auf einem Quadratkilometer aggregiert. Unsere Daten zeigten also, ob eine Gefäßpflanzenart in einem bestimmten Quadratkilometer früher vorkam und ob die Art dort auch nach 2002 noch vorkam oder ob sie dort verschwunden ist (265 Arten, 1.555 km²).

Für jeden der oben genannten Quadratkilometer haben wir in ARCGIS die Fläche der geschützten nationalen und regionalen Moore (von Schilfröhrichten und Flachmooren zu Hochmooren und Moorwald) und der geschützten nationalen und regionalen Trockenwiesen und -weiden (von artenreichen Glatthaferwiesen und Voll- bzw. Halbtrockenrasen zu inneralpinen Steppenrasen und subalpinen Gebirgstrockenrasen) bestimmt (Daten des Schweizerischen Bundesamtes für Umwelt – BAFU).

Wir verwendeten generalisierte lineare gemischte Modelle (GLMM) mit Binominalverteilung und logistic link Funktion in R® (R Core Team 2017; Packet lme4®; Bates et al. 2015), um zu testen, ob das Überleben von Gefäßpflanzenarten (zufälliger Faktor) pro Quadratkilometer vom prozentualen Anteil geschützter Flächen pro Quadratkilometer abhing. Die Auswertungen wurden für Arten der Moore (88 Arten, 602 km²) sowie Trockenwiesen und -weiden (177 Arten, 1.021 km²) durchgeführt sowie zusätzlich für Quadratkilometer unter- und oberhalb von 1.000 m ü. M. Die Höhenlage bestimmt in der Schweiz mit ihrem ausgeprägten Relief maßgeblich die Vorkommen von Pflanzenarten. Schließlich wurden die Wiederfundraten von Arten der Moore sowie Trockenwiesen und -weiden miteinander verglichen. Hierfür wurden die oben genannten gemischten Modelle verwendet, aber die beiden Lebensraumtypen wurden als zusätzliche Variable in das Modell aufgenommen und Unterschiede anschließend mit einem Post-hoc-Test bestimmt (Packet multcomp®; Hothorn et al. 2008). Eine detaillierte Beschreibung der Methoden findet sich in Dähler et al. (2019).

3 Ergebnisse und Diskussion

Die mittlere Wiederfundrate von Vorkommen von Pflanzenarten unabhängig vom Anteil geschützter Flächen in einem Quadratkilometer betrug 51 % für Arten der Moore und 63 % für Arten der Trockenwiesen und -weiden. Diese Werte für die Arten der Moore sowie Trockenwiesen und -weiden unterschieden sich signifikant voneinander (GLMM, p ≤ 0,001). Die Zahlen zeigen, dass sehr viele Arten an historischen Fundorten verschwunden sind und dass mehr Arten der Trockenwiesen und -weiden überlebten als Arten der Moore. Viele Studien, die Veränderungen von Vorkommen von Pflanzenarten über die Zeit in der Schweiz untersucht haben, zeigen ähnlich hohe Verlustraten (Stehlik et al. 2007; Holderegger et al. 2019; Kempel et al. 2020). Sie fanden in der Regel auch heraus, dass der Verlust an Vorkommen von Pflanzenarten der Moore sowie der Trockenwiesen und -weiden im Vergleich zu anderen Lebensräumen besonders groß ist. Tatsächlich sind in den letzten 100 Jahren mehr als 90 % der Moore sowie Trockenwiesen und -weiden in der Schweiz verloren gegangen (Lachat 2010). Dieser starke Flächenrückgang wurde von Lachat et al. (2010) bestimmt, indem heutige Vorkommen gemäß Bundesinventar (Bergamini et al. 2019) bei Trockenwiesen und -weiden mit deren modellierten historischen Vorkommen und bei Mooren mit deren Vorkommen gemäß Signatur auf alten Landeskarten jeweils miteinander verglichen wurden. Kleine Flächen von Mooren oder Trockenwiesen und -weiden wurden auf diese Weise nicht erfasst. Gimmi et al. (2011) haben aufgezeigt, dass der massive Verlust an Moorflächen in der Schweiz auch zu einem Auseinanderbrechen von Moorlandschaften oder -komplexen und zu deren Fragmentierung geführt hat. Dasselbe lässt sich auch für Trockenwiesen und -weiden zeigen (Lachat et al. 2010), auch wenn diese in den höheren Lagen der Schweiz und in den zentralalpinen Trockentälern heute noch zahlreicher vorkommen (Bergamini et al. 2019).

Unsere Ergebnisse zeigen: Je mehr Fläche pro Quadratkilometer geschützt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pflanzenart bis heute dort überlebt hat. Für über die ganze Schweiz verteilte Moore zeigt Abb. 2, diesen statistisch signifikanten Zusammenhang (GLMM, p ≤ 0,001). Schutzgebiete erfüllen damit ihren Zweck, aber Abb. 2, zeigt auch, dass selbst bei einem sehr hohen Anteil an geschützten Flächen pro Quadratkilometer nicht alle Vorkommen von Pflanzenarten bestehen bleiben, sondern nur etwas über 80 % der Vorkommen. Das gleiche Bild findet sich für Trockenwiesen und -weiden (Abb. 2). Auch hier liegt ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen dem Überleben von Arten und dem Anteil geschützter Fläche in einem Quadratkilometer vor (GLMM, p ≤ 0,001). Im Unterschied zu Mooren bleiben aber in Trockenwiesen und -weiden über 90 % der historischen Vorkommen von Pflanzen bestehen, wenn sehr viel geschützte Fläche pro Quadratkilometer vorhanden ist. Unsere Untersuchung stützt andere Studien aus der ganzen Welt, die zu ähnlichen Resultaten bei der Wirksamkeit von Schutzgebieten kommen (z. B. Geldmann et al. 2013).

/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2022_05/images/NuL_05_2022_Holderegger_02.jpg _01-Holderegger_ID10
Abb. 2: Zusammenhang (generalisierte lineare gemischte Modelle – GLMM; ***: p ≤ 0,001; *: p ≤ 0,05; ns: nicht signifikant) zwischen dem Anteil von Pflanzenarten mit dauerhaften Vorkommen pro Quadratkilometer in Prozent und dem Anteil geschützter Fläche pro Quadratkilometer in Prozent für Moore bzw. Trockenwiesen und -weiden; rot: alle untersuchten Quadratkilometer; grün: Quadratkilometer unterhalb 1.000 m ü. M.; blau: Quadratkilometer oberhalb 1.000 m ü. M. Die gestrichelten Linien geben 95 %-Konfidenzintervalle an.
Fig. 2: Relationship (generalized linear mixed models – GLMM; ***: p ≤ 0.001; *: p ≤ 0.05; ns: not significant) between the percentage of plant species with persisting occurrences per square kilometre and the percentage of protected area per square kilometre for bogs or dry meadows and pastures respectively; red: all square kilometres surveyed; green: square kilometres below 1,000 m above sea level; blue: square kilometres above 1,000 m above sea level. The dashed lines indicate 95 % confidence intervals.
(verändert nach Dähler et al. 2019)(modified after Dähler et al. 2019)

Wieso aber gehen Vorkommen von Arten selbst in Schutzgebieten oder bei einem hohen Anteil an Schutzgebieten in einer Landschaft verloren? Ein offensichtlicher Punkt ist unsachgemäße oder fehlende Schutzgebietspflege. Bergamini et al. (2019) zeigen denn auch, dass dies einer der Hauptgründe ist, weshalb sich der Zustand vieler Schutzgebiete weiterhin verschlechtert. Insbesondere in Mooren sowie Trockenwiesen und -weiden ist die Verbuschung wegen mangelnder Bewirtschaftung oder Pflege ein Hauptgrund für schleichende Veränderungen. Bei Mooren kommen als weitere Faktoren die austrocknende Wirkung vielerorts immer noch vorhandener Entwässerungssysteme und die Klimaerwärmung hinzu (Sperle, Bruelheide 2020). Außerdem wirkt sich die atmosphärische Stickstoffbelastung sowohl bei Mooren als auch bei Trockenwiesen und -weiden negativ aus (Mohr et al. 2015; Bergamini et al. 2019; Kosonen et al. 2019).

Ein weniger offensichtlicher Grund für den Verlust von Arten in Schutzgebieten ist die sog. Aussterbeschuld (Helm et al. 2006; Kuussaari et al. 2009). Eine Aussterbeschuld liegt vor, wenn ein Lebensraum im Vergleich zu seiner Fläche und Qualität eine zu große Artenvielfalt aufweist. Eine gefährdete Art kann bei der Einrichtung eines Schutzgebiets in diesem noch vorgekommen sein, in Folge kleiner Populationsgröße, ausbleibender Fortpflanzung oder fehlender Vernetzung verschwindet die Art aber mit der Zeit aus dem Schutzgebiet. Dies kann auch unter naturschutzkonformer Bewirtschaftung passieren, zieht sich aber gerade bei ausdauernden Pflanzenarten über einen langen Zeitraum hin. Das Schutzgebiet verliert also langsam, aber kontinuierlich Arten. Für spezialisierte Pflanzenarten der Moore in der Nordschweiz konnten Jamin et al. (2020) eine solche Aussterbeschuld nachweisen.

Bei beiden Lebensraumtypen – Mooren sowie Trockenwiesen und -weiden – fällt auf, dass zwischen rund 40 % (Moore) und 60 % (Trockenwiesen und -weiden) der historischen Vorkommen von Pflanzenarten bis heute Bestand haben (Abb. 2), selbst wenn keine Schutzgebiete in einem Quadratkilometer vorhanden sind. Auch außerhalb von Schutzgebieten finden sich also viele nicht unter Schutz stehende Lebensräume, die für typische Arten dieser beiden Lebensraumtypen geeignet sind. Dies gilt besonders für Trockenwiesen und -weiden, bei denen selbst kleine Flächen entlang von Straßen, Eisenbahnlinien, Waldrändern, in lichten Wäldern oder an Felsen etc. passende Bedingungen bieten (Delarze et al. 2015; Abb. 3).

/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2022_05/images/NuL_05_2022_Holderegger_03_gesamt.jpg NAuL-05-2022-Abbildung-007
Abb. 3: a) Weg- und Straßenränder bieten oft kleinräumige Lebensräume für Pflanzenarten der Trockenwiesen und -weiden. b) In Gebieten oberhalb 1.000 m ü. M. ermöglicht die reiche Topographie der Landschaft, dass viele gefährdete Pflanzenarten auch außerhalb von Schutzgebieten geeignete Lebensbedingungen finden. (Fotos: Rolf Holderegger)
Fig. 3: a) The verges of paths and roads often provide small-scale habitat patches for plant species of dry meadows and pastures. b) In areas above 1,000 m above sea level, the rich topography of the landscape offers suitable environmental conditions to many endangered plant species outside of protected areas.

Wird die Höhenlage berücksichtigt, zeigt sich schließlich, dass die oben beschriebenen Verhältnisse vor allem auf das Schweizerische Mittelland, also Gebiete im hügeligen Flachland, zutreffen (Abb. 2). Während für Quadratkilometer unterhalb von 1.000 m ü. M. im Wesentlichen dieselben Muster wie für die ganze Schweiz gefunden wurden (GLMM Moore, p ≤ 0,001; GLMM Trockenwiesen und -weiden, p = 0,012), sind die Zusammenhänge zwischen dem Überleben von Arten und dem Anteil geschützter Fläche pro Quadratkilometer in Höhenlagen über 1.000 m ü. M. nicht mehr statistisch signifikant (GLMM für Moore sowie für Trockenwiesen und -weiden, jeweils p > 0,1). Besonders auffällig ist dieser Effekt für die Trockenwiesen und -weiden (Abb. 2). Pflanzenarten sind somit für ihr Überleben in höheren Lagen weniger auf Schutzgebiete angewiesen als im Flachland. Tatsächlich war die Landnutzung in höheren Lagen in Berggebieten der Schweiz bis in die jüngste Vergangenheit hinein weniger intensiv als im Flachland. Pflanzenarten fanden und finden in Berggebieten auch außerhalb von Schutzgebieten viele passende Lebensräume (Abb. 3). So zeigen Meier et al. (2021) auch eine im Vergleich noch immer höhere Artenvielfalt im höher gelegenen Landwirtschaftsgebiet der Schweiz als im Flachland. Allerdings findet im Berggebiet aktuell eine starke Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung statt (Graf et al. 2014; Boch et al. 2020).

4 Schlussfolgerungen

    1.

    Je mehr geschützte Flächen in einer Landschaft vorhanden sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Pflanzenarten an ihren historischen Fundorten in Mooren sowie Trockenwiesen und -weiden überleben.

    2.

    Allerdings überleben selbst bei einem sehr hohen Anteil an geschützter Fläche (> 80 %) nicht alle Arten, z. B. wegen fehlender oder unsachgemäßer Pflege und Bewirtschaftung oder aufgrund einer Aussterbeschuld, die langsam „bezahlt“ wird.

    3.

    Viele typische Arten der Moore und insbesondere der Trockenwiesen und -weiden kommen außerhalb von Schutzgebieten vor und haben dort bis heute überlebt. Schutzgebiete erfüllen ihre Funktion für die Erhaltung von Arten also im Wechselspiel mit dem Umland.

    4.

    In höheren Lagen sind die Vorkommen von Pflanzenarten für ihren Fortbestand weniger auf Schutzgebiete angewiesen. Die Landnutzung war dort bislang weniger intensiv, was sich aber derzeit schnell ändert.

5 Literatur

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Dank

Wir danken Herrn Dr. Mathias Otto für seine Anregung zu diesem Beitrag und der anonymen Gutachterin/dem anonymen Gutachter für Kommentare zum Manuskript.

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Prof. Dr. Rolf Holderegger

Korrespondierender Autor

Eidgenössische Forschungsanstalt WSL

Zürcherstrasse 111

8903 Birmensdorf

SCHWEIZ

E-Mail: rolf.holderegger@wsl.ch Jahrgang 1965; Studium und Dissertation in Biologie an der Universität Zürich und Postdoc an der Universität St. Andrews in Schottland; Mitglied der Direktion und Leiter der Forschungseinheit Biodiversität und Naturschutzbiologie an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL; assoziierter Professor an der ETH Zürich; Forschungsschwerpunkte: Biodiversität, Naturschutzbiologie, Naturschutzgenetik und Umsetzung in die Praxis.

NuL_05_2022_Holderegger_Vita.jpg

Nina B. Dähler

Amt für Landschaft und Natur

Fachstelle Naturschutz

Walcheplatz 1

8090 Zürich

SCHWEIZ

E-Mail: nina.daehler@bd.zh.ch

Dr. Ariel Bergamini

Eidgenössische Forschungsanstalt WSL

Zürcherstrasse 111

8903 Birmensdorf

SCHWEIZ

E-Mail: ariel.bergamini@wsl.ch

Michael Jutzi

Info Flora

Botanischer Garten Bern

Altenbergrain 21

3031 Bern

SCHWEIZ

E-Mail: michael.jutzi@infoflora.ch

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