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Digitalisierung in Citizen Science und Naturschutz – Anwendungsbeispiele aus der Praxis

Digital technologies in citizen science and nature conservation – Overview of practical examples

DOI: 10.19217/NuL2023-06-07 • Manuskripteinreichung: 17.10.2022, Annahme: 17.3.2023

Thore Engel, Shawan Chowdhury, Martin Friedrichs-Manthey, Julia von Gönner, Thora Herrmann, Reinhard Klenke, Julie Koch Sheard, Birte Peters und Aletta Bonn

Zusammenfassung

Bürgerwissenschaft oder Citizen Science, die aktive Teilnahme der interessierten Öffentlichkeit an Forschungsprojekten sowohl durch Arten-Expertinnen und -Experten als auch durch Einsteigerinnen und Einsteiger, gewinnt zunehmend an Bedeutung für Biodiversitätsmonitoring und Naturschutz. Diese Entwicklung wird durch die transformativen Wirkungen von Citizen Science in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Partizipation gefördert. Zugleich befeuert auch die rasante Entwicklung digitaler Technologien (z. B. von Smartphones und Apps) die Entstehung neuer biodiversitätsbezogener Citizen-Science-Projekte und -Anwendungen. Wir erläutern anhand aktiver Citizen-Science-Projekte und praktischer Anwendungsbeispiele, mit welchen Zielen und in welcher Form digitale Technologien aktuell in Citizen-Science-Projekte eingebunden werden. Dabei betrachten wir zum einen unterschiedliche Meldeplattformen für opportunistische Biodiversitätsbeobachtungen sowie opportunistisch organisierte Citizen-Science-Projekte bzw. Crowdsourcing-Initiativen. Zum anderen stellen wir einige strukturiert arbeitende Citizen-Science-Projekte vor, die digitale Tools für die Datenerhebung und Schulung der Teilnehmenden nutzen. Darüber hinaus diskutieren wir Möglichkeiten, Herausforderungen und Lösungsansätze, die mit Citizen Science, Digitalisierung und Naturschutz im Zusammenhang stehen.

Bürgerwissenschaften – Monitoring – Digitale Technologien – Portale – Apps – Freiwillige – Ehrenamt

Abstract

Citizen science, the active participation of interested members of the public in research projects by both experts and newcomers, is becoming increasingly important for biodiversity monitoring and conservation. This development is promoted by the transformative effects of citizen science in the fields of science, education and participation. At the same time, the rapid development of digital technologies (e. g. smartphones and apps) is also driving the emergence of new biodiversity-related citizen science projects and applications. Using active citizen science projects and examples of practical applications, we explain the goals and ways in which digital technologies are currently being integrated into citizen science projects. On the one hand, we look at various reporting platforms for opportunistic biodiversity observations as well as opportunistically organised citizen science projects and crowdsourcing initiatives. On the other hand, we present structured citizen science projects that use digital tools to collect data and train participants. Furthermore, we discuss opportunities, challenges and solutions related to citizen science, digitalisation and nature conservation.

Citizen science – Monitoring – Digital technologies – Portals – Apps – Volunteers – Honorary work

Inhalt

1 Einleitung

2 Opportunistische Biodiversitätsdaten und Crowdsourcing

2.1 Offizielle Meldestellen der Naturschutzbehörden

2.2 Meldeportale der Fachgesellschaften

2.3 Citizen-Science-Apps und -Plattformen

2.4 Soziale Medien

3 Digitale Technologien in strukturierten Citizen-Science-Projekten

4 Herausforderungen und Lösungsansätze

5 Fazit und Ausblick

6 Literatur

Förderung und Dank

1 Einleitung

Citizen Science (oder Bürgerforschung) bezeichnet die Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit an wissenschaftlichen Prozessen ( Bonn et al. 2022). Hier engagieren sich sowohl erfahrene Expertinnen und Experten als auch Einsteigerinnen und Einsteiger für verschiedene Themen und Artengruppen. Das Feld von Citizen Science ist sehr vielfältig und umfasst ein breites Spektrum von Forschungsinhalten und Forschungsansätzen (z. B. opportunistische vs. strukturierte Datenerhebung) sowie unterschiedliche Beteiligungsformen: In kontributiven Projekten unterstützen die Teilnehmenden die Forschung meist kurzzeitig oder spontan durch Datenerhebung und -übermittlung ( Shirk et al. 2012). In kollaborativen oder kokreativen Projekten sind überwiegend geschulte oder erfahrene Teilnehmende in mehreren Forschungsphasen aktiv und erheben sowie analysieren Daten, kommunizieren ihre Ergebnisse an die Öffentlichkeit oder beteiligen sich sogar am Projektdesign ( Shirk et al. 2012).

Während die Zusammenarbeit mit Freiwilligen im Naturschutz eine lange Tradition hat, ist Citizen Science ein rapide wachsendes Feld, das gerade im Biodiversitätsmonitoring vielfältige Anwendungsgebiete findet ( Richter 2019; Callaghan et al. 2020). So werden mit Hilfe von innovativen methodischen Ansätzen und Citizen Science raumzeitlich ausgedehnte Datensätze (z. B. zu Artenvorkommen) erhoben, die ohne bürgerwissenschaftliches Engagement nicht realisiert werden könnten ( Amano et al. 2016). Citizen-Science-Apps auf mobilen Endgeräten und Online-Meldeportale spielen eine wesentliche Rolle dabei, globale und lokale Biodiversitätsdatenlücken durch die Einbindung regional, bundes-, europa- oder weltweit verteilter Freiwilliger zu schließen ( Pocock et al. 2018; Kaufmann, Lindner 2021; Lemmens et al. 2021). Laut Schätzungen werden in Europa 80 – 90 % aller Biodiversitätsdaten von Freiwilligen gesammelt ( Schmeller et al. 2009; Henle et al. 2013). Das macht Citizen Science schon jetzt zu einer unverzichtbaren Datenquelle für Biodiversitätsmonitoring und Naturschutz.

Bei Citizen Science geht es jedoch bei Weitem nicht nur um Datenerhebung. Vielmehr ermöglicht der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auch die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Fragestellungen, die die Perspektiven und Expertise der Zivilgesellschaft stärker berücksichtigen ( Dillon et al. 2016). Darüber hinaus kann Citizen Science das Wissenschafts- und Naturverständnis aller Beteiligten fördern sowie für den Naturschutz und gesellschaftliches Engagement sensibilisieren ( Turrini et al. 2018). Somit kann Citizen Science dazu beitragen, gesellschaftliche Transformationsprozesse und Lösungsansätze für den Naturschutz anzustoßen, die von der Gesellschaft getragen werden ( Bela et al. 2016; Kelly et al. 2019; von Gönner et al. 2023b). Nicht umsonst hat die aktuelle Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, Citizen Science während ihrer Regierungszeit zu stärken ( Koalitionsvertrag 2021: 24).

Das wachsende Interesse an Citizen Science und die Zunahme von bürgerwissenschaftlichen Aktivitäten werden von einem tief greifenden technologischen Wandel befeuert, der innovative Anwendungen und Beteiligungswege ermöglicht ( Lemmens et al. 2021). Digitale Technologien und Medien kommen zum einen bei der Erfassung, Mobilisierung, Digitalisierung, Verschneidung und Analyse von Biodiversitätsdaten zum Einsatz ( Van Klink et al. 2022), zum anderen sind sie aber auch unverzichtbare Werkzeuge für die Vernetzung und Kommunikation zwischen den Akteuren von Citizen-Science-Projekten ( Mazumdar et al. 2018). Natürlich waren Freiwillige auch im analogen Zeitalter schon eine tragende Säule des Naturschutzes, aber neue Technologien machen es Interessierten heute einfacher denn je, sich zu beteiligen ( Richter 2019). Auch Einzelpersonen können sich spontan beteiligen, ohne Mitglied in einem Verein zu sein oder regelmäßig an Veranstaltungen teilzunehmen.

Trotz – oder gerade wegen – der explosionsartigen Dynamik von Digitalisierung und Citizen Science gibt es aber auch Herausforderungen. So sind lange nicht alle Citizen-Science-Daten gleichermaßen für unterschiedliche Zwecke im Naturschutz geeignet, da es z. B. große Unterschiede bei der Qualitätssicherung und Validierung der Meldungen gibt ( Kelling et al. 2019). Auch kommen bei Weitem nicht alle Daten bei den relevanten Naturschutzakteuren, z. B. Behörden oder Verbänden, an ( Carlson 2018; von Gönner et al. 2023b). In Deutschland können die neuen Citizen-Science-Apps und -Portale auch eine Konkurrenz zu den von den Landesbehörden betriebenen Meldestellen darstellen, wenn es keine guten Schnittstellen gibt. Darüber hinaus ist es eine Herausforderung, systematische Monitoringdaten und opportunistische Citizen-Science-Meldungen miteinander zu verschneiden. Breit aufgestellte Programme wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur für Biodiversität (NFDI4Biodiversity, https://www.nfdi4biodiversity.org/de/), das Rote-Liste-Zentrum (https://www.rote-liste-zentrum.de) sowie das Nationale Monitoringzentrum zur Biodiversität (NMZB, https://www.monitoringzentrum.de) sind wichtige Akteure bei der Bewältigung dieser Herausforderungen und helfen dabei, den Naturschutz auf eine solide Datengrundlage zu stellen.

Im vorliegenden Beitrag betrachten wir die Bedeutung der Digitalisierung für Citizen Science im Naturschutz anhand konkreter Fallbeispiele aus unserer eigenen Arbeit und der weiteren Citizen-Science-Landschaft in Deutschland. Der erste Teil dieses Manuskripts beschäftigt sich damit, wie opportunistische bzw. unstrukturierte Biodiversitätsdaten mit Hilfe der digitalen Infrastruktur ihren Weg in Naturschutz und Wissenschaft finden. Dabei gehen wir insbesondere auf verschiedene Meldeportale und internetbasierte Citizen-Science-Projekte in Deutschland ein. Danach erläutern wir beispielhaft, wie digitale Technologien in strukturierten Citizen-Science-Projekten zum Einsatz kommen. Dabei geht es neben neuen Technologien für Datenerfassung und Datenhaltung auch um die Schulung und Betreuung von Freiwilligen (Community-Management). Schließlich widmen wir uns einigen Herausforderungen, die mit dem vermehrten Aufkommen von Citizen Science und digitalen Technologien im Naturschutz einhergehen. Dieser Text hat nicht den Anspruch, eine vollständige oder systematische Bestandsaufnahme zu liefern, sondern ist vielmehr der Versuch, den Dreiklang von Citizen Science, Digitalisierung und Naturschutz von unterschiedlichen Seiten praxisnah zu beleuchten.

2 Opportunistische Biodiversitätsdaten und Crowdsourcing

Im Kontext von Citizen Science und Naturschutz können Freiwillige mit ihren mobilen Endgeräten oftmals die Rolle von „Sensoren“ übernehmen, die Biodiversitätsdaten erheben oder digitalisieren. Die Datenerhebung ist dabei oft nicht räumlich oder zeitlich strukturiert, sondern durch spontane Teilnahme oder Fundmeldungen „opportunistisch“ organisiert. Diese Form kontributiver Citizen-Science-Ansätze wird häufig mit dem Begriff Crowdsourcing beschrieben, der auf das Auslagern (outsourcing) gewisser Aufgaben oder Arbeitsprozesse an die interessierte Öffentlichkeit (crowd) verweist.

In Deutschland hat das Melden von Naturbeobachtungen durch Freiwillige eine lange Tradition, z. B. in der Vogelberingung, wo schon früh ein digitales Datenmanagement zur Anwendung kam (siehe Kasten 1). Heute gibt es viele verschiedene digitale Kanäle, mit denen Bürgerinnen und Bürger opportunistische Beobachtungen unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten mit der Öffentlichkeit teilen bzw. sie an wissenschaftliche oder behördliche Stellen übermitteln können ( Tab. 1). Im Großen und Ganzen lassen sich diese Kanäle in vier übergeordnete Kategorien einteilen, die sich in ihren Beiträgen zu Naturschutz und Wissenschaft, ihrer Nutzerbasis und ihrer Datenqualität stark voneinander unterscheiden ( Abb. 1).

Kasten 1: Digitalisierung in der Vogelberingung.
Box 1: Digitisation in bird ringing.

Gerade in einem der ältesten Zweige der Bürgerwissenschaften, der Vogelberingung, wurde die Digitalisierung schon frühzeitig vorangetrieben. Seit über 120 Jahren werden Vögel für wissenschaftliche Zwecke mit Ringen oder speziellen Marken individuell kenntlich gemacht. Während die Beringung in der Regel von ausgebildeten Fachleuten vorgenommen wird, sind die Finderinnen und Finder der verletzten oder verendeten Vögel bzw. die Melderinnen und Melder mit dem Fernglas abgelesener Nummern zumeist Laien. Traditionell geht die Information über den Fund mit Angaben zu Fundort, Fundumständen, Ringnummer oder gar mit dem ganzen Ring als Postsendung auf den Weg. Nicht selten wird auch ein Foto der Finderin bzw. des Finders oder sogar des ganzen Dorfs mitgeschickt, wenn der Vogel in abgelegenen Gegenden gefunden wird. Das Management dieser Daten und der zugehörigen Kontaktinformationen stellte die Wissenschaft schon frühzeitig vor logistische Herausforderungen, denn es handelt sich mittlerweile um Millionen von Datensätzen, die ursprünglich nur auf Karteikarten notiert waren.

In Europa werden alljährlich etwa 3,8 Mio. Vögel beringt und etwa 90.000 wiedergefunden. Ein Großteil der Wiederfunddaten beringter Vögel ist in einer zentralen Datenbank bei der European Union for Bird Ringing (EURING, https://euring.org) in den Niederlanden gespeichert und steht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie ehrenamtlichen Beringerinnen und Beringern für Analysen zur Verfügung. Insgesamt beläuft sich die Zahl der im 20. Jahrhundert von den drei deutschen Beringungszentralen markierten Vögel auf etwa 15 Mio. ( Geiter, Bairlein 2001).

Die Vogelwarte Hiddensee hat als eine der ersten Einrichtungen in Europa dieses Daten- und Kontaktmanagement bis hin zum Ausdruck der Postkarten für die Rückinformationen und der Karten für die parallele Fundkartei vollständig auf Computer übertragen, zuerst 1977 auf Großrechner im Rechenzentrum der Universität Greifswald, später auf die immer leistungsfähiger werdenden PCs ( Köppen, Görner 2018). Mittlerweile werden Personen, die Vögel an der Beringungszentrale Hiddensee (https://www.beringungszentrale-hiddensee.de/) beringen, mit einer speziellen Software zur Verwaltung ihrer Beringungen und Wiederfunde ausgestattet ( EDV-Service Kronbach 2020). Ähnliches gilt für die anderen beiden Markierungszentralen in Deutschland, das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven (https://ifv-vogelwarte.de) und die frühere Vogelwarte Radolfzell, deren Aufgaben jetzt von der Markierungszentrale am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (https://www.ab.mpg.de/beringungszentrale) wahrgenommen werden.

Frühzeitig wurden auch die ehrenamtlichen Beringer und Beringerinnen angeregt, Computer und Software für die eigene Datenhaltung und statistische Auswertung zu nutzen. Vorangetrieben wurde die Entwicklung 1987 durch die Arbeitsgruppe für Quantitative Ökologie ( Abb. K1-1), in der sich Biologen, Statistiker sowie auch Beringer aus ganz anderen Berufen, aber mit großem wissenschaftlichem Interesse zusammengefunden hatten, um spezielle ökologische Fragestellungen, methodische Ansätze sowie die Nutzung und auch Neuentwicklung von Software zu diskutieren ( Köppen, Görner 2018). Ergebnisse waren u. a. das Statistikprogramm BirdStat 1.0 sowie die Skripte Select und DataSort für die Datenbank dBase, die speziell für die Aufbereitung der Daten und die Berechnung alters- und zeitabhängiger Trends in den Überlebensraten beringter Vögel entwickelt wurden ( Klenke 1993). In ähnlicher Weise entstanden andere Arbeitsgruppen, z. B. an der Schweizerischen Vogelwarte Sempach (https://www.vogelwarte.ch), die heute weltweit beachtete statistische Modelle für die populationsökologische Forschung entwickelt haben ( Kéry, Schaub 2012).

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Abb. K1-1: Die zumindest fachlich diverse Arbeitsgruppe für Quantitative Ökologie 1987 bei einem Treffen auf dem Recknitzberg in Grammow.
(Quelle: Archiv Vogelwarte Hiddensee)
Fig. K1-1: The quantitative ecology working group at a meeting at Recknitzberg in Grammow 1987.
(Source: Archive Hiddensee Ornithological Station)
Portal/Link Artengruppen Dateneingabe Qualitätskontrolle Datenverfügbarkeit Träger (Staat)
iNaturalist
Alle Artengruppen
Website, iNaturalist-App, Seek-App
Validierung durch User-Community, bei hoher Übereinstimmung werden Beobachtungen als „research grade“ gekennzeichnet
Website und GBIF
California Academy of Sciences, National Geographic Society (USA)
Observation.org
Alle Artengruppen
Website, ObsIdentify App, iObs-App, ObsMapp-App
Automatische Plausibilitätsprüfung und ggf. Validierung durch Fachleute
GBIF
Observation.org, Stiftung Observation International (Niederlande)
Naturgucker.de
Alle Artengruppen
Website, naturgucker.de Melde-App
Kaum Qualitätskontrolle, Nutzerinnen und Nutzer können unverbindliche Änderungsvorschläge machen
GBIF
Naturgucker.de gemeinnützige eG (Deutschland)
Ornitho.de
Vögel
Website, NaturaList-App
Validierung durch Fachleute
Dritte können die Nutzung der Daten beantragen
Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e. V. (Deutschland)
eBird
Vögel
Website, eBird-App
Automatische Plausibilitätsprüfung und ggf. Validierung durch Fachleute
Website und GBIF
Cornell Lab of Ornithology (USA)
Deutschlandflora
Pflanzen
Website, Deutschlandflora-App
Validierung durch Fachleute
Datennutzung durch BfN und Rote-Liste-Zentrum, Datennutzung durch Dritte möglich
Netzwerk Phytodiversität Deutschland (NetPhyD) e. V. (Deutschland)
Flora Incognita
Pflanzen
Flora-Incognita-App
Bilderkennungssoftware, Bestätigung durch Nutzerinnen und Nutzer
Daten für wissenschaftliche Zusammenarbeit auf Anfrage verfügbar
Technische Universität Ilmenau, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena (Deutschland)
Atlas der Spinnentiere Europas
Spinnentiere
Website
Validierung durch Fachleute
Download auf Website
Arachnologische Gesellschaft (Deutschland)
Schmetterlinge Deutschlands
Schmetterlinge
Website
Validierung durch Fachleute
Beobachtungen für registrierte Nutzerinnen und Nutzer sichtbar, Weitergabe an Dritte (Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Arbeitsgruppen und Behörden) möglich
Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe, Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden (Deutschland)
Verbreitungsatlas einheimischer Lurche und Kriechtiere
Amphibien und Reptilien
Nicht mehr möglich
Validierung durch Fachleute
Download auf Website
Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde e. V., Universität Trier, BfN, BGBM (Deutschland)
Fischartenatlas von Deutschland und Österreich
Fische
Website, Biodiversity Warehouse
Validierung durch Fachleute
Auf Anfrage verfügbar
Gesellschaft für Ichthyologie (GfI) e. V., Hochschule Bremen (Deutschland)
Edaphobase
Bodenorganismen
Eigenes Computerprogramm
Metadaten werden geprüft, nicht aber die Plausibilität der Beobachtung
Website und GBIF
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG) (Deutschland)
OrthopteraWeb (siehe Kasten 2, S. 322 f.)
Heuschrecken
Website, App „Heuschrecken Deutschland“
Validierung durch Fachleute
Website, API
Deutsche Gesellschaft für Orthopterologie e. V., Universität Osnabrück (Deutschland)
Insekten Sachsen
Insekten
Website
Validierung durch Fachleute
GBIF
Arbeitskreis Entomologie im NABU Landesverband Sachsen e. V., Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (Deutschland)
Tagfaltermonitoring Deutschland
Schmetterlinge
Website oder analoge Meldebögen
Bei Bedarf Nachbestimmung durch Fachleute anhand von Fotos
Dritte können die Nutzung der Daten in aggregierter Form beantragen
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ (Deutschland)
Entomofauna Germanica – Verzeichnis der Käfer Deutschlands
Käfer
Website
Plausibilitätsprüfung durch Fachleute
Aggregierte Darstellung auf Website
Autoren: Ortwin Bleich, Stephan Gürlich, Frank Köhler (Deutschland)
API = application programming interface, BfN = Bundesamt für Naturschutz, BGBM = Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin, GBIF = Global Biodiversity Information Facility, NABU = Naturschutzbund Deutschland
Tab. 1: Einige der in Deutschland verfügbaren Meldeportale für opportunistische oder nicht-strukturierte Biodiversitätsdaten.
Table 1: Some of the biodiversity portals available in Germany for opportunistic or unstructured biodiversity data.
/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2023_06/images/NuL_06_07_2023_Engel_01.jpg _07-Engel_ID68
Abb. 1: Gegenüberstellung gängiger Kanäle, auf denen Biodiversitätsdaten in Deutschland durch Bürgerinnen und Bürger geteilt werden.
Fig. 1: Comparison of the common channels through which biodiversity data are shared by citizens in Germany.

2.1 Offizielle Meldestellen der Naturschutzbehörden

Der Natur- und Artenschutz ist in Deutschland Aufgabe der Bundesländer. Daher werden behördliche Natur- und Artenschutzportale von den jeweils zuständigen Landesämtern betrieben. Die dort erfassten Daten sind eine unmittelbare Grundlage für die Naturschutzarbeit der Länder. Die meisten dieser Portale richten sich vorrangig an professionelle Kartiererinnen und Kartierer oder ehrenamtliche Fachleute und erlauben dementsprechend sehr detaillierte Angaben zu Beobachtungen und Aufnahmemethodik. In vielen Bundesländern gibt es aber auch für Laien die Möglichkeit, erfasste Arten zu melden, wobei dies oft auf einige Arten von besonderem Interesse beschränkt ist (z. B. invasive Arten).

Ein Zusammenschluss der Länder Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen setzt dabei auf die App „Meine Umwelt“, die im Rahmen einer Länderkooperation entwickelt wurde und in Zukunft auf andere Länder ausgeweitet werden soll. Die Länder Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin und Nordrhein-Westfalen nutzen die App ArtenFinder und dazugehörige Webportale (https://artenfinder.net/), die in Zusammenarbeit mit den rheinland-pfälzischen Landesverbänden des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und mit POLLICHIA entwickelt wurden. Ansonsten unterscheidet sich die Ausgestaltung der Meldestellen aber stark zwischen den Bundesländern, was den Austausch von Daten zwischen den Ländern und anderen Akteuren aus Naturschutz und Wissenschaft erschwert. Inzwischen nutzt eine Gruppe von sieben Ländern mit dem Programm MultiBaseCS (https://www.multibasecs.de) die gleiche Datenbankinfrastruktur, wodurch zumindest theoretisch ein Datenaustausch möglich ist. Insgesamt stellt die föderale Ausgestaltung der Meldestellen für Melderinnen und Melder aber wohl eine relativ große Hürde dar ( Richter 2019), so dass wahrscheinlich ein Großteil der Biodiversitätsbeobachtungen durch Freiwillige an den relevanten Landesämtern vorbeigeht.

2.2 Meldeportale der Fachgesellschaften

Deutschland verfügt über eine hochausdifferenzierte Landschaft taxonspezifischer Fachgesellschaften, in denen Fachleute aus Wissenschaft, Naturschutz und Gesellschaft sich u. a. zu Verbreitung, Taxonomie und Schutz unterschiedlicher Artengruppen austauschen. Dabei spielen die eigenen Meldeportale der Fachgesellschaften eine zentrale Rolle, auf deren Grundlage z. B. Rote Listen und Verbreitungskarten erstellt werden. Obwohl diese Portale in der Regel für die Allgemeinheit offen sind, beschränkt sich ihre Nutzung zumeist auf die Mitglieder der Fachgesellschaften und andere Expertinnen und Experten. In den meisten Fällen werden Beobachtungen einer strengen Plausibilitätsprüfung durch die Betreibenden der Portale unterzogen. Dementsprechend hoch ist die Datenqualität. Da die Portale oft an Forschungseinrichtungen wie Museen oder Universitäten angesiedelt sind, finden die Daten auch vermehrt Eingang in die Wissenschaft (siehe Kasten 2).

Kasten 2: Das deutsche Heuschreckenportal OrthopteraWeb – ein Werkzeug zur Erfassung und Pflege von Beobachtungsdaten im digitalen Zeitalter.
Box 2: The German OrthopteraWeb grasshopper portal – A tool for collecting and maintaining observation data in the digital era.

Die Beobachtung und Erforschung von Heuschrecken ( Abb. K2-1) hat in Deutschland eine lange Tradition. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die ersten regionalen Artenlisten publiziert. Im Laufe des 19. Jahrhunderts folgten weitere Veröffentlichungen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich aber nur sehr wenige Menschen mit Heuschrecken. Der erste umfassende Bestimmungsschlüssel wurde von Kurt Harz, dem Initiator der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie e. V. (DGfO), veröffentlicht ( Harz 1957). Sein herausragendes, 494 Seiten starkes Werk war allerdings sehr wissenschaftlich und daher nicht für ein breites Publikum geeignet. Dies änderte sich mit dem Bestimmungsbuch von Heiko Bellmann. Mit seinem kompakten Feldführer „Heuschrecken: beobachten – bestimmen“ ( Bellmann 1985) konnten erstmals sämtliche in Deutschland vorkommenden Heuschreckenarten im Freiland bestimmt werden. In der Folge kartierten viele Menschen in weiten Teilen Deutschlands Heuschrecken. Allein für Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz liegen in den Datenbanken der Heuschreckenarbeitskreise für die 1990er-Jahre jeweils mehr als 20.000 Einzelbeobachtungen vor. Baden-Württemberg kommt in diesem Zeitraum sogar auf fast 40.000 Heuschreckenfunde. Mit der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre spielten Heuschrecken plötzlich keine Rolle mehr bei der Eingriffsplanung. In der Folge nahm die Häufigkeit der Meldungen deutlich ab. In den drei o. g. Bundesländern wurden im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts etwa 50 – 70 % weniger Heuschrecken gemeldet als in den 1990er-Jahren.

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Abb. K2-1: Der Heidegrashüpfer (Stenobothrus lineatus) ist ein Habitatspezialist, der in Deutschland noch vergleichsweise häufig beobachtet werden kann. Typische Lebensräume dieser Art sind Heiden, mageres Grünland und Magerrasen geringer Nutzungsintensität.
Fig. K2-1: The Stripe-winged Grasshopper (Stenobothrus lineatus) is a habitat specialist that can still be observed quite frequently in Germany. Typical habitats of this species are heathlands and nutrient-poor grasslands of low land-use intensity.

Zu einer Belebung der Meldeaktivitäten kam es erst in den letzten fünf bis zehn Jahren, als zahlreiche Beobachtungsportale entstanden. Exemplarisch seien hier der ArtenFinder Rheinland-Pfalz (https://artenfinder.rlp.de), das Faunistisch-Floristische Informationsportal Saarland (FFIpS; https://kartierung.delattinia.de), Insekten Sachsen (https://www.insekten-sachsen.de) und Observation.org (https://observation.org) genannt. In allen Fällen wird die Qualität der Citizen-Science-Daten durch ausgewählte Expertinnen und Experten gewährleistet, die für die Validierung der Meldungen zuständig sind. Eine derartige Qualitätssicherung ist zwingend erforderlich, damit die Daten später für den Naturschutz oder die Forschung verwendet werden können. Allerdings beschränken sich viele Beobachtungsportale auf einzelne Bundesländer oder haben einen Kreis von Nutzerinnen und Nutzern mit überwiegend regionaler Bindung. Zudem sind Altdaten in den Beobachtungsportalen oft nicht oder nur in sehr geringem Umfang enthalten. Eine überregionale Auswertung bspw. in Form von Gefährdungsanalysen ist daher kaum möglich. Die letzte Zusammenstellung der Heuschreckenverbreitung in Deutschland liegt mittlerweile 20 Jahre zurück ( Maas et al. 2002). Erschwerend kommt hinzu, dass viele Datensätze von Landesämtern (z. B. Ergebnisse naturschutzfachlicher Gutachten) in dezentralen Datenbanken wie MultiBaseCS gepflegt werden.

Den Überblick über die großen Datenmengen zu behalten und diese nutzbar zu machen, kann folglich als eine große Herausforderung angesehen werden. Im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt wurde daher von 2018 bis 2020 mit dem Teilvorhaben Orthoptera von „Werkzeuge zur Erfassung biologischer Beobachtungsdaten in Deutschland“ (WerBeo) ein Projekt gefördert, in dem möglichst viele in Deutschland verfügbare Heuschreckendaten gebündelt werden sollten. Das Ergebnis ist das deutsche Heuschreckenportal OrthopteraWeb. Es kann über die Homepage der DGfO (http://dgfo-articulata.de/) oder direkt über die URL https://daten.heuschrecken-portal.de auf-gerufen werden.

Seit der Freischaltung des Portals im August 2019 wurden knapp 11.500 Heuschreckenfunde von 135 Personen über die Online-Eingabe von OrthopteraWeb (https://dgfo-articulata.de/deutschlandportal/heuschrecken) oder die dazugehörige App „Heuschrecken Deutschland“ gemeldet (Stand: Mitte September 2022). Dies entspricht etwa 3.800 Beobachtungen pro Jahr. Gleichzeitig ist eine große Zahl älterer Daten von Landesämtern, Heuschreckenarbeitskreisen und Forschungsprojekten im Portal hinterlegt. Ein jährlicher Datenaustausch mit der Stiftung Observation International (https://observation-international.org/de/organization) findet bereits statt. So sind im System inzwischen mehrere Tausend verifizierte Meldungen aus dem Beobachtungsportal Observation.org enthalten. Der gesamte Datenbestand von OrthopteraWeb umfasst derzeit etwa 218.000 Einzelnachweise, die sich über ganz Deutschland verteilen. Weitere Datensätze sollen nach und nach im Portal eingepflegt werden. Als Service werden tagesaktuelle Verbreitungskarten für alle Arten auf der DGfO-Website angeboten. Die Verbreitungskarten sind bei den Artprofilen zu finden oder über die Unterseite http://dgfo-articulata.de/deutschlandportal/heuschrecken abrufbar. Unter „Alle Funde einer Art“ muss lediglich die gewünschte Art ausgewählt werden.

Beobachtungsportale leben von den Aktivitäten ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Ein großer Dank gebührt daher allen Melderinnen und Meldern! Das steigende Interesse an OrthopteraWeb und die damit verbundenen Meldungen sind sehr beachtlich. Gleichzeitig erfordert der Betrieb eines Portals personelle und finanzielle Ressourcen, sowohl hinsichtlich der Pflege und Weiterentwicklung als auch in Bezug auf die Validierung der Fundmeldungen. Das übergeordnete Ziel ist daher die Verstetigung von OrthopteraWeb.

Literatur

  Bellmann H. (1985): Heuschrecken: Beobachten – bestimmen. Neumann-Neudamm. Melsungen: 210 S.

  Harz K. (1957): Die Geradflügler Mitteleuropas. Fischer. Jena: 494 S.

  Maas S., Detzel P., Staudt A. (2002): Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands. Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Landwirtschaftsverlag. Münster: 401 S.

Dank

OrthopteraWeb wurde von der Universität Osnabrück innerhalb des Projekts „Werkzeuge zur Erfassung biologischer Beobachtungsdaten in Deutschland“ (WerBeo) in Kooperation mit der Universität Rostock und DUENE e. V. Greifswald entwickelt. Der Aufbau des Portals wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Heuschreckenarbeitskreise und Landesämter nicht möglich gewesen. Darüber hinaus gilt unser Dank der Stiftung Observation International für deren Kooperation. Gefördert wurde OrthopteraWeb vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt (Förderkennzeichen 3517685C08).

Autoren

Dr. Dominik Poniatowski, Prof. Dr. Thomas Fartmann

Universität Osnabrück

Abteilung für Biodiversität und Landschaftsökologie

Barbarastraße 11

49076 Osnabrück

E-Mail: dponiatowski@uos.de, t.fartmann@uos.de

Der Austausch mit den Naturschutzbehörden unterscheidet sich stark zwischen den unterschiedlichen Fachgesellschaften. Während z. B. für Pflanzen (https://www.floraweb.de), Vögel (Dachverband Deutscher Avifaunisten – DDA, https://www.ornitho.de) und auch Insekten (Insekten Sachsen, https://www.insekten-sachsen.de/) Kooperationen mit Behörden existieren, fehlt bei anderen Artengruppen oft der engere Austausch zwischen Behörden und Fachgesellschaften (z. B. bei Fischen) oder Kooperationen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Zahlreiche Organisationen oder Verbände widmen sich auch taxa- oder habitatspezifischen Monitoringvorhaben. Hierzu wurde bereits vor einigen Jahren eine europaweite Datenbank angelegt, in der 395 solcher Vorhaben erfasst und dokumentiert wurden ( Schmeller et al. 2009). Viele dieser Vorhaben nutzen das Internet oder spezielle Apps für die Erfassung der Daten mit Freiwilligen.

2.3 Citizen-Science-Apps und -Plattformen

Seit einigen Jahren gibt es zudem immer mehr größere und z. T. auch international agierende Plattformen, die sich als soziale Netzwerke für Naturbeobachtungen verstehen, taxonübergreifend eine breite Nutzerschaft ansprechen und meist auf einem gemeinnützigen Geschäftsmodell basieren ( Kaufmann, Lindner 2021). Die bekanntesten unter diesen Plattformen sind iNaturalist (https://www.inaturalist.org), Observation.org (https://observation.org) und Naturgucker.de (https://www.naturgucker.de). Im Vergleich zu den anderen bisher erwähnten Meldestellen zeichnen sich diese durch eine relativ hohe Nutzerfreundlichkeit aus, da sie sich gleichermaßen an Fachleute und Laien richten und über Artengruppen und Ländergrenzen hinweg funktionieren. Artnachweise werden hier meist durch Bild- oder Tonaufnahmen dokumentiert, die auf der jeweiligen Website oder per Smartphone-App hochgeladen werden.

Mit Hilfe der Nutzergemeinschaft und zunehmend auch durch künstliche Intelligenz werden die Meldungen bestimmt und unabhängig validiert. Dabei gibt es meist auch unterschiedliche Nutzerrollen, z. B. Expertin/Experte für bestimmte Artengruppen, Regionalkoordinatorin/Regionalkoordinator oder Moderatorin/Moderator. Im Einzelnen unterscheidet sich dieser Validierungsprozess aber zwischen den Plattformen: Während die Überprüfung bei iNaturalist und Observation.org ein automatisierter und obligatorischer Prozess ist, können bei Naturgucker.de lediglich unverbindliche Änderungsvorschläge gemacht werden. Die Daten dieser Citizen-Science-Plattformen stehen grundsätzlich für Forschung und Naturschutz zur Verfügung. Sie werden z. B. über die globale Biodiversitätsplattform Global Biodiversity Information Facility (GBIF) bereitgestellt oder können direkt bei den jeweiligen Plattformen heruntergeladen werden. Während GBIF-Daten in der internationalen Biodiversitätsforschung gern genutzt werden ( Pocock et al. 2018; Lemmens et al. 2021), nutzen Naturschutzbehörden diese nur selten, da es derzeit keine automatischen Schnittstellen zu den behördlichen Systemen gibt und die großen Qualitätsunterschiede der Daten eine große Herausforderung für die lokale Naturschutzarbeit darstellen ( Munzinger et al. 2017).

2.4 Soziale Medien

Viele Menschen nutzen Facebook, Twitter und andere soziale Medien, um Naturbeobachtungen mit ihrer Community und der Öffentlichkeit zu teilen oder zu diskutieren. So tauscht sich die Online-Gemeinschaft in speziellen Gruppen (z. B. auf Facebook, WhatsApp und Signal) und unter bestimmten Hashtags (z. B. auf Twitter) zu Artensichtungen aus und Community-Mitglieder helfen bei der Artbestimmung. Dazu kommen geteilte Naturaufnahmen, etwa auf Instagram und Flickr, so dass soziale Medien insgesamt ein enormes Potenzial für das Abgreifen von Biodiversitätsdaten bergen ( Toivonen et al. 2019). Gerade in Regionen mit nur unzureichend ausgebauten administrativen Strukturen können soziale Medien vor allem für die Erfassung von Artverbreitungen einen wichtigen Beitrag leisten. Chowdhury et al. (2021) erhielten bspw. über Facebook 35-mal mehr Nachweise zum Vorkommen von Schmetterlingsarten in Bangladesch (7.096 Nachweise) als über GBIF (205 Nachweise). Die Wissenschaft hat jedoch gerade erst begonnen, diesen Datenschatz zu erschließen; derzeit fehlt es noch an automatisierten Pipelines, die die Daten mobilisieren könnten. Neben künstlicher Intelligenz zur Bilderkennung ( Wäldchen et al. 2016) wird u. a. auch die natürliche Sprachverarbeitung (natural language processing) eine wichtige Rolle für das Mobilisieren georeferenzierter Vorkommensdaten aus sozialen Medien spielen( Toivonen et al. 2019).

Citizen Science und Crowdsourcing kommen aber nicht nur bei der Erhebung neuer Daten zum Einsatz. Auch bei der Digitalisierung historischer Daten und der Auswertung existierender Datensätze ( Ellwood et al. 2018) können Freiwillige einen Beitrag leisten. Museen haben oft riesige Sammlungen analoger Daten, verfügen jedoch häufig nicht über die Kapazitäten, diese Sammlungen zu digitalisieren ( Bonn et al. 2022). Gerade für die wissenschaftliche Auswertung zeitlicher Biodiversitätsveränderungen oder die Evaluation von Umweltschutzmaßnahmen können solche historischen Daten einen wichtigen Beitrag liefern und Crowdsourcing kann dabei helfen, die Informationen zu erschließen. Beispielsweise arbeiten Freiwillige in dem Crowdsourcing-Projekt Herbonauten (https://www.herbonauten.de/) des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin daran, eine wissenschaftliche Datenbank aus fast 4 Mio. Herbarbelegen zu erstellen und zu ergänzen. In einem ähnlichen Projekt des Museums für Naturkunde Berlin (Bees & Bytes) sind Freiwillige dazu eingeladen, die hand- oder maschinengeschriebenen Etiketten der 2,3 Mio. Bienen-, Wespen- und Ameisenexemplare aus der Sammlung des Museums zu digitalisieren.

Auch bei der Auswertung von Kamerafallendaten kann internetbasiertes Crowdsourcing nützlich sein. Dies geschieht z. B. im WildLIVE!-Projekt (https://wildlive.sgn.one/de/) der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, bei dem Freiwillige bei der Sichtung von Kamerafallenmaterial aus Bolivien helfen und zum dortigen Biodiversitätsmonitoring beitragen. Viele solcher internetbasierten Projekte werden über das Portal Zooniverse (https://www.zooniverse.org/) organisiert und verwaltet ( Simpson et al. 2014). Diese Crowdsourcing-Projekte haben den Vorteil, dass die Teilnehmenden direkt zu Hause am eigenen Computer aktiv werden und mitforschen können. Durch dieses niedrigschwellige Beteiligungsangebot können gezielt auch Personen angesprochen werden, die sich an logistisch aufwändigen Feldstudien nicht beteiligen wollen oder können.

3 Digitale Technologien in strukturierten Citizen-Science-Projekten

Citizen Science umfasst neben opportunistischer Datenerhebung und internetbasierten Crowdsourcing-Projekten auch solche Ansätze, die einen sehr engen und wiederholten wechselseitigen Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen. Neben der Erhebung von Biodiversitätsdaten, die nach raumzeitlichen Kriterien strukturiert sind, geht es hierbei auch schwerpunktmäßig um Umweltbildung und Wissenstransfer ( Turrini et al. 2018; von Gönner et al. 2023b). Auch diese strukturierten Citizen-Science-Projekte sind oftmals nur mit digitalen Technologien umsetzbar, z. B. mit Bestimmungs-Apps, digitalen Erfassungssystemen und Kommunikationskanälen( Mazumdar et al. 2018). So listet z. B. die Plattform „Bürger schaffen Wissen“ (https://www.buergerschaffenwissen.de/), auf der viele Citizen-Science-Projekte in Deutschland präsentiert werden, aktuell 24 Projekte im Umweltbereich, von denen 14 eine eigene Smartphone-App bereitstellen (Stand August 2022).

Aber auch andere Technologien kommen zum Einsatz: Das Projekt „Wie divers ist mein Garten?“ (https://wiediversistmeingarten.org) arbeitet z. B. mit „intelligenten Futterstationen“, die mit einer Kamera, einer Waage, einem Mikrofon und Umweltsensoren ausgestattet sind und Vogelarten automatisch zählen und bestimmen. Bürgerinnen und Bürger, die die Station in ihrem Garten aufstellen, haben so die Möglichkeit, etwas über die heimischen Vögel zu lernen und die gesammelten Daten in Echtzeit auf einer offenen Datenplattform zu analysieren. Bei dem Projekt InsektenMobil (https://www.ufz.de/index.php?de=46762) werden Teilnehmende gebeten, große Netze auf ihre Autos zu schnallen und entlang festgelegter Global-Positioning-System(GPS)-Routen zu fahren, um die Biomasse fliegender Insekten in verschiedenen Lebensräumen zu bestimmen.

Neben der Datenerfassung und -haltung nutzen strukturierte Citizen-Science-Projekte digitale Technologien und Medien auch verstärkt für das Community-Management, zur Schulung Freiwilliger und für Wissenstransfer und Kommunikation ( Mazumdar et al. 2018). In Abb. 2 zeigen wir, inwiefern digitale Hilfsmittel in wichtigen Citizen-Science-Projektphasen Anwendung finden können. Dabei gilt es stets, Formate zu wählen, die geeignet sind, im projektspezifischen Kontext die aktive Partizipation der Teilnehmenden zu fördern und gemeinsames Lernen und Forschen zu erleichtern.

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Abb. 2: Digitale Medien und Technologien in fünf wichtigen Citizen-Science-Projektphasen.
Fig. 2: Digital media and technologies in five major citizen science project phases.

In Kasten 3 veranschaulichen wir anhand unserer Erfahrungen mit dem FLOW-Projekt (https://www.flow-projekt.de/), wie digitales Lernen und Datenmanagement in Citizen-Science-Projekten aussehen kann. Durch die Evaluation dieses Projekts konnte u. a. gezeigt werden, dass geschulte Freiwillige auf Basis eines strukturierten Monitoringdesigns dazu in der Lage sind, valide Daten zum ökologischen Zustand und zur Pestizidbelastung von Bächen zu erheben ( von Gönner et al. 2023a).

Kasten 3: Digitales Lernen und Datenmanagement im FLOW-Projekt: „Fließgewässer erforschen – Gemeinsam Wissen schaffen“.
Box 3: Digital learning and data management in the FLOW project: “Exploring flowing waters – Creating knowledge together”.

Das FLOW-Projekt lädt Freiwilligengruppen (z. B. Schulklassen, Angelvereine und Mitglieder von Umweltverbänden) dazu ein, den ökologischen Zustand und die Pestizidbelastung von Fließgewässern zu untersuchen. Ziel ist es, Freiwillige in der Erhebung standardisierter Gewässerdaten zu schulen, um amtliche und wissenschaftliche Datenbanken zu ergänzen. Gleichzeitig möchte das FLOW-Projekt auf den Handlungsbedarf im lokalen und nationalen Gewässerschutz aufmerksam machen ( Abb. K3-1).

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Abb. K3-1: Freiwillige bei der Gewässeruntersuchung im FLOW-Projekt: „Fließgewässer erforschen – Gemeinsam Wissen schaffen“.
(Quelle: FLOW-Projekt)
Fig. K3-1: Volunteers conducting stream assessments for the FLOW project: “Exploring flowing waters – Creating knowledge together”.
(Source: FLOW project)

Bei der Projektkonzeption wurden sowohl analoge als auch digitale Medien in das Kommunikations-, Bildungs- sowie Daten-managementkonzept einbezogen. Durch die Coronapandemie bekamen digitale Formate allerdings einen noch höheren Stellenwert. Ansprache und Gewinnung von Freiwilligengruppen erfolgten zum einen über persönliche Kontakte und Netzwerkveranstaltungen der Projektpartner, zum anderen auch über einen E-Mail-Newsletter und die Projektwebsite (https://www.flow-projekt.de). Zur inhaltlichen Vorbereitung auf die Gewässeruntersuchungen werden den Freiwilligen Materialien wie Feldprotokolle, Informationen zum Forschungsthema, Bestimmungshilfen für Makrozoobenthos und Online-Karten digital zur Verfügung gestellt und es wurden sechs kurze Video-Tutorials produziert. Bei den jährlich organisierten Online-Schulungen und virtuellen Projektkonferenzen im Herbst haben FLOW-Gruppen aus ganz Deutschland die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen und Fragen zur Gewässeruntersuchung mit dem FLOW-Team zu klären. Zusätzlich finden auch praktische Präsenzschulungen im Labor und im Feld statt, um Artenkenntnisse zu festigen, Feldmethoden zu üben und den persönlichen Austausch zwischen Freiwilligen und Forschenden zu ermöglichen. Manche wichtige Bestandteile des Projekts, wie die persönliche Interaktion und die praktischen Bestimmungsübungen, lassen sich nicht in den virtuellen Raum verlegen.

Zur Übermittlung und Speicherung der Messergebnisse nutzt das FLOW-Projekt ein digitales Datenmanagementsystem. Die dazu entwickelte Web-Applikation ist in die Datenplattform BIOME des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) integriert und ermöglicht die digitale Erfassung, Übermittlung, Archivierung und Visualisierung der Messergebnisse. Das FLOW-Team kann gemeinsam mit externen Fachleuten die Qualität der Citizen-Science-Daten u. a. durch die Prüfung von Fotobelegen kontrollieren. Forschende und Behörden können über die Web-Applikation Zugang zu den FLOW-Daten beantragen. Die Entwicklung der Web-Applikation und deren Einführung in die Projektarbeit brachte aber auch einige Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel stellt das digitale Datenmanagement neue Anforderungen an die Medienkompetenz der Freiwilligengruppen. Um die User-Perspektive von Anfang an in die Entwicklung der Web-Applikation einzubeziehen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts zu einem Planungstreffen eingeladen. Dabei konnten sie spezifische Wünsche für den Aufbau, die Funktionen und Datenvisualisierungen innerhalb der Web-Applikation einbringen. Auch für die kontinuierliche Weiterentwicklung des digitalen Datenmanagements ist das regelmäßige Feedback der Freiwilligen und Projektpartner unerlässlich.

In einem weiteren Beispiel erläutern wir die zentrale Bedeutung von Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit für den Erfolg von Citizen-Science-Forschungsvorhaben. Digitale Kommunikationsmittel helfen dabei, die Citizen-Science-Beteiligungsangebote mit ansprechenden, zielgruppengerechten Botschaften zu kommunizieren, um verschiedene Zielgruppen erfolgreich für das Projekt zu mobilisieren. In Kasten 4 berichten wir über Erfahrungen des Projekts VielFalterGarten (https://www.vielfaltergarten.de), das sich für den Schutz von Schmetterlingen in Leipzig einsetzt.

Kasten 4: Kommunikations- und Social-Media-Strategie im Projekt „VielFalterGarten“.
Box 4: Communication and social media strategy in the “VielFalterGarten” project.

In dem Projekt „VielFalterGarten“ (https://www.vielfaltergarten.de; Abb. K4-1) laden der BUND Leipzig, die Stadt Leipzig sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Bürgerinnen und Bürger dazu ein, sich für den Schutz von Schmetterlingen in der Stadt Leipzig einzusetzen. Bei diesem Citizen-Science-Projekt spielen soziale Medien und andere digitale Kommunikationskanäle eine unerlässliche Rolle für die Außenkommunikation und das Community-Management. Die Social-Media-Strategie des Projekts zielt darauf ab, Informationen über das Projekt zu verbreiten, Freiwillige zu rekrutieren, Teilnehmende zu bilden und das Netzwerk zu erweitern. Dabei kommen unterschiedliche Kanäle für verschiedene Zielgruppen zum Einsatz. Mit 2.462 Followern auf Facebook, 1.531 auf Instagram und 1.113 auf Twitter sowie 3.570 Newsletter-Abonnentinnen und -Abonnenten des BUND Leipzig und 196 des VielFalterGarten-Newsletters hat das Projekt eine beachtliche Reichweite (Stand Februar 2023).

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Abb. K4-1: Freiwillige bei der Schmetterlingsbestimmung im Projekt „VielFalterGarten“.
(Foto: Paula Sánchez)
Fig. K4-1: Volunteers identifying butterflies for the “VielFalterGarten” project.

Neben der Außenkommunikation werden soziale Medien auch für den horizontalen Austausch, d. h. zwischen den Teilnehmenden, genutzt. In Chatgruppen auf Telegram und Signal können Teilnehmende Bilder und Erfahrungen austauschen und erhalten zumeist sofortiges Feedback (z. B. zur Artenerkennung) sowohl von Fachleuten als auch von anderen Freiwilligen. Facebook ermöglicht das Posten von Nachrichten und Veranstaltungsmitteilungen, das Teilen von Bildern und Videos sowie gesponserte Werbung. Facebook hat zwar mehr Nutzerinnen und Nutzer, v. a. in älteren Altersgruppen, jedoch hat Instagram nach unserer Erfahrung das Potenzial, ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl zu fördern. Auf Instagram ist das Teilen von Fotos und grafischen Informationen sehr effektiv. Insgesamt erlauben soziale Medien eine gemeinschaftlich-kreative und interaktive Form der Öffentlichkeitsarbeit. So werden Teilnehmende dazu ermutigt, z. B. ihren eigenen Content zum „VielFalterGarten“-Projekt unter Verwendung von Hashtags zu posten (z. B. als Instagram-Stories). Twitter wird von den Citizen Scientists und der Projektkoordination am wenigsten genutzt. Allerdings eignet sich diese Plattform, um durch kurze Mitteilungen (sachdienliche Informationen oder Zwischenergebnisse) ein professionelles Zielpublikum (z. B. Personen aus Medien, Wissenschaft und Politik) zu erreichen.

Bedienung und Moderation der Social-Media-Kanäle bedürfen jedoch einer kontinuierlichen Betreuung durch die Projektkoordination. Dieser Aufwand hat sich für das „VielFalterGarten“-Projekt aber gelohnt, denn mittlerweile wurden in dem Projekt 14.697 Tagfalter von 431 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an 2.476 Beobachtungsorten in und um Leipzig erfasst und dabei zahlreiche neue Habitate für Schmetterlinge geschaffen (Stand Februar 2023).

4 Herausforderungen und Lösungsansätze

Neben vielen neuen Möglichkeiten bringt das vermehrte Aufkommen von Citizen Science und digitalen Technologien im Naturschutz auch neue Herausforderungen mit sich ( Richter 2019). Digital arbeitende Citizen-Science-Projekte werden stellenweise mit hohen Erwartungen an wissenschaftliche Ergebnisse und Wirkungen im Bereich der Umweltbildung konfrontiert, ohne dass die dafür erforderlichen Kapazitäten und Ressourcen für Datenmanagement und Online-Lernen zur Verfügung stehen. Außerdem zeigen Citizen-Science-Projekte wie FLOW und VielFalterGarten, dass wichtige Präsenzformate wie die persönliche Interaktion und der Austausch bei Präsenzveranstaltungen nicht vollständig durch digitale Formate ersetzt werden können. Bei der Projektkonzeption sollte daher auf eine ausgewogene Kombination digitaler und analoger Bildungs- und Partizipationsformate geachtet werden.

Die verschiedenen Meldeportale, Plattformen, Apps und Projekte im Umfeld von Citizen Science für Naturschutz sind insgesamt noch nicht hinreichend miteinander vernetzt und aufeinander abgestimmt. Parallel laufende Initiativen mit ähnlichen Zielsetzungen und Herangehensweisen führen zu einer ineffizienten Nutzung von Ressourcen und einer weiteren Fragmentierung von Informationen. Häufig fehlt es den Initiatorinnen und Initiatoren auch an Ressourcen und Kapazitäten, um vielversprechende Projekte dauerhaft aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Außerdem mangelt es an Schnittstellen zwischen behördlichen Meldeportalen und wissenschaftlich kuratierten Datenbanken wie GBIF, die die Citizen-Science-Daten für Naturschutzakteure verfügbar und nutzbar machen könnten.

Auf Grund der föderalen Struktur der deutschen Naturschutzbehörden und der Heterogenität von Citizen-Science-Biodiversitätsdaten aus verschiedenen Online-Portalen schränken aktuell Defizite in der Harmonisierung sowie organisatorische Hürden eine integrierte, bundesweite Nutzung behördlich und ehrenamtlich erfasster Daten ein. Hier setzt das sMon-Projekt(https://www.idiv.de/de/smon.html) an, in dem Daten aus Fachgesellschaften und Behörden in einem partizipativen Prozess miteinander kombiniert werden ( Eichenberg et al. 2020). Dabei geht es nicht nur darum, zeitliche und räumliche Biodiversitätstrends und deren Treiber in Deutschland zu untersuchen. Das Projekt versucht auch, eine Kultur der Integration in der deutschen Biodiversitätslandschaft zu pflegen ( Kühl et al. 2020). Auf der technischen Ebene arbeitet das NFDI4Biodiversity-Konsortium daran, zentrale Infrastrukturen für Biodiversitätsdaten in Deutschland zur Verfügung zu stellen (siehe Kasten 1 von Frenzel et al. im Beitrag von Broghammer et al. 2023 in dieser Ausgabe), um Biodiversitätstrendanalysen in Zukunft zu erleichtern und dem Naturschutz Zugang zu breiteren Datenquellen zu bieten. Dabei ist es eine zentrale Herausforderung, den Kulturwandel in Deutschland hin zu FAIR (findable – auffindbar, accessible – zugänglich, interoperable – interoperabel, reusable – wiederverwendbar) und Open Data voranzutreiben ( Wilkinson et al. 2016; Stall et al. 2019).

5 Fazit und Ausblick

Citizen Science liefert wertvolle Daten für den Natur- und Artenschutz und trägt gleichzeitig zur aktiven Stärkung der Zivilgesellschaft und Wissenschaftsdemokratisierung bei. Es werden neue Möglichkeiten zur Partizipation an Forschungsprozessen geschaffen und Freiwillige für die Artenerfassung und Naturschutzarbeit gewonnen und unterstützt. Unter Einbindung digitaler Technologien und mit Hilfe innovativer – oft spielerischer – Ansätze erhöht Citizen Science die Sichtbarkeit der beteiligten Organisationen (z. B. Fachgesellschaften, Umweltverbände, Museen, Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstitute) und vermittelt Artenkenntnisse und ökologische Kompetenzen an interessierte Bürgerinnen und Bürger.

Das kürzlich erschienene „Weißbuch Citizen Science Strategie 2030 für Deutschland“ ( Bonn et al. 2022), das in einem partizipativen Prozess entstanden ist, identifiziert 15 wegweisende Handlungsfelder, in denen Citizen Science bis zum Jahr 2030 weiterentwickelt werden sollte. Diese richten sich an Praktizierende aus der Citizen-Science-Community, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und aus Bildungsorganisationen sowie an politische Entscheidungsträger, Behörden und Förderer. In Bezug auf digitale Technologien ergeben sich aus dem Citizen-Science-Weißbuch-Prozess drei zentrale Handlungsempfehlungen, die wir hier unterstreichen möchten:

    1. Ressourcen, Kapazitäten und Infrastrukturen für systematisches digitales Datenmanagement inklusive Archivierung und Veröffentlichung von Daten und Ergebnissen in Citizen-Science-Projekten von Fachgesellschaften und Freiwilligen-Initiativen ausbauen. Hier können auch künstliche Intelligenzverfahren bei der Digitalisierung unterstützen.
    2. Infrastrukturen und Angebote für persönlichen Austausch zwischen Freiwilligen und akademisch Forschenden sowie für Networking innerhalb der Citizen-Science-Community durch analoge und digitale Formate stärken.
    3. Angemessene finanzielle und ideelle Förderung für innovative digitale Infrastrukturen in Citizen-Science-Projekten etablieren, um die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationspotenziale von Citizen Science auszuschöpfen.

Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wissenschaftliche, behördliche und zivilgesellschaftliche Akteure ein gemeinsames Verständnis der Rolle und Bedeutung von Citizen Science für Biodiversitätsmonitoring und Naturschutz entwickeln ( Kühl et al. 2020): Citizen-Science-Projekte können das wissenschaftliche und behördliche Artenmonitoring (auch mit Unterstützung digitaler Technologien) natürlich nicht ersetzen, sondern es vielmehr sinnvoll und wirksam ergänzen. Wenn angemessene analoge und digitale Datenmanagement- und Qualitätssicherungssysteme sowie zeitgemäße Analysemethoden angewendet werden, stellen Citizen-Science-Projekte einen wichtigen Baustein für eine umfassende Betrachtung von Biodiversität dar. Ein solches gemeinsames Verständnis kann dazu beitragen, verschiedene Naturschutzakteure zusammenzubringen und damit Synergien für gemeinsame Citizen-Science-basierte Biodiversitätsmonitoring- und Naturschutzinitiativen zu stärken.

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Förderung und Dank

Wir bedanken uns herzlich bei allen engagierten Freiwilligen und Kolleginnen und Kollegen aus Behörden, Fachgesellschaften, Verbänden und Museen, mit denen wir in Citizen-Science-Projekten zusammenarbeiten können. Dieses Projekt wurde unterstützt durch das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig (Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG, FZT 118, 202548816). Thore Engel, Martin Friedrichs-Manthey und Aletta Bonn erhalten weitere finanzielle Unterstützung im Rahmen des Konsortiums für Biodiversität, Ökologie und Umweltdaten (NFDI4Biodiversity, DFG-Projektnummer 442032008), Julie Koch Sheard durch die Carlsberg-Stiftung (Förderantragsnummer CF20-0501), Julia von Gönner und Aletta Bonn durch das FLOW Projekt (Bundesministerium für Bildung und Forschung – BMBF, Förderantragsnummer 01BF1906), Birte Peters durch das Projekt „VielFalterGarten“ des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und Shawan Chowdhury, Reinhard Klenke und Aletta Bonn durch das Flexpool Projekt „sMON“ des iDiv.

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Thore Engel

Korrespondierender Autor

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Puschstraße 4

04103 Leipzig

und

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Fakultät für Biowissenschaften, Institut für Biodiversität

Dornburger Straße 159

07743 Jena

und

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)

Department Ökosystemleistungen

Permoserstraße 15

04318 Leipzig

E-Mail: thore.engel@idiv.deDer Autor ist quantitativer Ökologe am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Arbeit beschäftigt sich mit der Quantifizierung räumlicher und zeitlicher Biodiversitätstrends. Derzeit koordiniert er für das Konsortium der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur für Biodiversität (NFDI4Biodiversity) den Austausch mit Fachgesellschaften und Behörden.

NuL_06_07_2023_Engel_Vita.jpg

Dr. Shawan Chowdhury Dr. Martin Friedrichs-Manthey Julia von Gönner Birte Peters Prof. Dr. Aletta Bonn

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Puschstraße 4

04103 Leipzig

und

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Fakultät für Biowissenschaften, Institut für Biodiversität

Dornburger Straße 159

07743 Jena

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Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)

Department Ökosystemleistungen

Permoserstraße 15

04318 Leipzig

E-Mail: shawan.chowdhury@idiv.de, martin.friedrichs-manthey@idiv.de, julia.vongoenner@idiv.de, birte.peters@idiv.de, aletta.bonn@idiv.de

Prof. Dr. Thora Herrmann

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Puschstraße 4

04103 Leipzig

und

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Fakultät für Biowissenschaften, Institut für Biodiversität

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07743 Jena

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04318 Leipzig

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University of Oulu

Biodiverse Anthropocenes

Faculty of Humanities

P. O. Box 1000

90014 University of Oulu

FINNLAND

E-Mail: thora.herrmann@idiv.de

Dr. Reinhard Klenke

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung

(iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Puschstraße 4

04103 Leipzig

und

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Institut für Biologie, Geobotanik und Botanischer Garten

Am Kirchtor 1

06108 Halle (Saale)

E-Mail: reinhard.klenke@idiv.de

Dr. Julie Koch Sheard

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Puschstraße 4

04103 Leipzig

und

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Fakultät für Biowissenschaften, Institut für Biodiversität

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University of Copenhagen

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Øster Voldgade 5 – 7

1350 Kopenhagen

DÄNEMARK

E-Mail: julie.koch_sheard@idiv.de

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