Marlen Davis, Christian Schneider und
Klemens Mrogenda
Zusammenfassung
Die Digitalisierung ist ein zunehmend bedeutendes Querschnittsthema mit Bezugspunkten zu allen Fachthemen des Naturschutzes.
Die Frage ist daher, wie die Digitalisierung aus Naturschutzsicht eingeschätzt werden kann und wie digitale Methoden und Tools zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen können. Der Beitrag bietet eine Zusammenfassung grundlegender,
technologieübergreifender Potenziale, Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung für den Naturschutz. Am Beispiel des
bundesweiten behördlichen Biodiversitätsmonitorings und des gesetzlichen Naturschutzvollzugs werden digitale Möglichkeiten und
Grenzen genauer betrachtet. Der Beitrag zeigt, dass die Digitalisierung aus Naturschutzsicht pauschal weder als positiv noch als
negativ bewertet werden kann. Notwendig ist eine praxisrelevante und nachhaltige Ausgestaltung digitaler Methoden und Tools im
Naturschutz. Zudem müssen Naturschutzaspekte bei der Digitalisierung aller Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche berücksichtigt
werden. Dann kann der digitale Wandel als ein notwendiger Katalysator für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen dienen –
nicht als Brandbeschleuniger ihrer Zerstörung.
Digitale Transformation – Digitalstrategie – neue Technologien – Monitoring – Artenschutzvollzug – sozialökologische TransformationAbstract
Digitalisation is an increasingly important cross-cutting issue with relevance for all areas of nature conservation. The
question is therefore how it can be assessed from the perspective of nature conservation and how digital methods and tools can be
increasingly utilised to preserve biological diversity. The article offers a summary of overarching potentials, challenges and
risks of digitalisation for nature conservation. Using the examples of official Germany-wide biodiversity monitoring and
conservation law enforcement, possibilities and limits are examined in more detail. The article shows that, from a nature
conservation perspective, digitalisation as such is neither positive nor negative. What is needed are digital methods and tools
that are relevant for conservation practice and are designed in a sustainable way. In addition, conservation aspects must be
considered in the digitalisation of all areas of society and economy. If such an approach is taken, digital transformation can
serve as a necessary catalyst for the preservation of nature – not as an accelerant for its destruction.
Digital transformation – Digital strategy – New technologies – Monitoring – Species protection enforcement – Socio-ecological transformationInhalt
1 Einleitung
Die Digitalisierung ist aus dem behördlichen und zivilgesellschaftlichen Naturschutzalltag nicht wegzudenken. Wie die Fachbeiträge
der vorliegenden Schwerpunktausgabe „Digitalisierung im Naturschutz“ zeigen, werden fortlaufend digitale Methoden und Tools
(weiter)entwickelt und erprobt, die die Naturschutzarbeit heute und in Zukunft prägen.
Wagen wir daher zu Beginn einen optimistischen Blick in die Zukunft des digitalen Naturschutzes: Voraussichtlich werden immer mehr
vernetzte Sensoren – egal ob bodenbasiert, per Drohne oder Satellit – großflächig und autonom naturschutzrelevante Informationen
aufzeichnen. Methoden künstlicher Intelligenz (KI) und komplexe statistische Verfahren werden auf Basis von Bildern, Radarmessungen
und akustischen Aufnahmen die Erkennung und Verortung von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren bis hin zu Lebensraumtypen und ganzen
Ökosystemen ermöglichen. Kartierende werden bei ihrer Feldarbeit zunehmend durch digitale Erfassungstools unterstützt und bei Bedarf
auf KI-basierte Pflanzen-, Pilz- und Tierbestimmungs-Apps zurückgreifen. Ihre Beobachtungen werden taxonomischen Referenzlisten
zugeordnet, die mittels digitaler Tools nachvollziehbar aktualisiert, versioniert und mit anderen taxonomischen Listen verglichen
werden können. Die Datenhaltung wird durch vernetzte informationstechnische (IT) Infrastrukturen sichergestellt, während die
Auswertungen großer Datenmengen mittels qualitätsgesicherter Methoden über leistungsstarke, nachhaltig betriebene Rechencluster
erfolgen. Zentrale Portale fördern die Auffindbarkeit von Datenbeständen aus Forschung, Praxis und Verwaltung, stellen dabei die
verschiedenen Zugriffs- und Nutzungsrechte sicher und bieten anwendungsfreundliche Webservices zur Datenanalyse und Visualisierung.
Digitale Anwendungen werden zunehmend auch für die Kommunikation und Einbindung der Öffentlichkeit genutzt: Apps zur Artbestimmung und
digitale Naturführer schärfen den gesellschaftlichen Blick und das Wissen, während digitale Spiele, Virtual Reality und Augmented
Reality digitalaffine Personengruppen für die Natur begeistern. Die digitale Transformation wird auch die technischen und
organisatorischen Strukturen von Ehrenamt, Naturschutzverbänden und Verwaltungen verändern. Nicht zuletzt wird dadurch der
Vollzug rechtlicher Natur- und Artenschutzvorschriften verbessert.
Einen solch positiven Ausblick auf die digitale Zukunft des Naturschutzes mögen allerdings nicht alle teilen, da mit der
Digitalisierung nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen und Risiken einhergehen. Der vorliegende Artikel widmet sich diesem
vielseitigen und umfassenden Thema in ambitionierter Kürze und adressiert dabei die folgenden Fragen:
● Welche grundlegenden Potenziale, Herausforderungen und Risiken birgt die Digitalisierung aus Sicht des
Naturschutzes? ● Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für das bundesweite behördliche Biodiversitätsmonitoring und für den
Naturschutzvollzug?
Abschnitt 2 fasst die wesentlichen fachübergreifenden Chancen und Risiken der
Digitalisierung im Naturschutz zusammen. Die Zusammenstellung der Aspekte basiert dabei auf Literaturrecherchen sowie eigenen
Einschätzungen des Autorenteams vor dem Hintergrund der Arbeit im Fachgebiet „Strategische Digitalisierung in Natur und Gesellschaft“
am Bundesamt für Naturschutz (BfN). Die Autorin und die Autoren streben zwar einen möglichst kompletten Überblick an, dennoch erhebt
Abschnitt 2 auf Grund der thematischen Breite keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Um die
digitalen Möglichkeiten und Grenzen darüber hinaus an konkreteren Naturschutzaufgaben zu beleuchten, fokussiert sich Abschnitt 3 beispielhaft auf das bundesweite behördliche Biodiversitätsmonitoring sowie den
Naturschutzvollzug. Diese Schwerpunkte wurden gewählt, weil sie zentrale Aufgabenbereiche von Naturschutzverwaltungen darstellen sowie
enge Bezüge zur Digitalisierung und zu damit einhergehenden digitalstrategischen Fragen aufweisen.
2 Digitalisierung im Naturschutz: ein vielschneidiges Schwert
Die Digitalisierung ist ein Querschnittsthema mit Bezugspunkten zu allen Fachthemen des Naturschutzes. Folglich existiert eine
große Anzahl digitaler Anwendungen (synonym: Tools) im Naturschutz: Die BfN-Website bietet unter https://www.bfn.de/digitale-anwendungen eine Übersicht von über
300 Digitalanwendungen und -projekten, inklusive kurzer Beschreibungen und Links, die das Autorenteam im Rahmen seiner Arbeit seit
2021 in einer fortlaufenden Internetrecherche sammelt. Abb. 1 visualisiert die Namen aller
in dieser Übersicht gelisteten Anwendungen und Projekte, um deren schiere Fülle zu verdeutlichen (Stand Februar 2023). Die Gesamtheit
einzelner digitaler Tools und digital gestützter Prozesse – im Naturschutz und in allen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft –
wird im vorliegenden Beitrag unter dem Begriff „Digitalisierung“ gefasst. Die Digitalisierung ist somit ein tiefgreifender,
soziotechnologischer Wandlungsprozess.
Abb. 1: Digitalanwendungen und -projekte im Naturschutz (auf Basis der Liste unter https://www.bfn.de/digitale-anwendungen). Beispielhaft
hervorgehoben sind diejenigen, die mit Hilfe einer Förderung durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) realisiert wurden. Die
Abbildung dient der Veranschaulichung der Fülle digitaler Tools im Naturschutz und erhebt, wie auch die zu Grunde liegende
Liste, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Fig. 1: Digital tools and projects in nature conservation (based on the entries listed in the overview at
https://www.bfn.de/digitale-anwendungen). Highlighted are
those that have been realised with funding from the German Federal Agency for Nature Conservation (BfN) through funds from the
German Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation, Nuclear Safety and Consumer Protection (BMUV). The figure is
an illustration of the wealth of digital tools in nature conservation. Just like the table it is based upon, it is not
exhaustive.
Die Bundesregierung erklärt in ihrer im August 2022 veröffentlichten Digitalstrategie: „Digitale Technologien bieten beträchtliche
Potenziale im Kampf gegen die Klimakrise, den Verlust der Biodiversität und die Verschmutzung der Natur durch Schadstoffe und Abfall“
( Bundesregierung 2022: 37). Auch in der Naturschutz-Community verbinden viele mit der
Digitalisierung große Hoffnungen dahingehend, dass Daten zur Natur und zu Einflussgrößen derart detailreich, stichhaltig und schnell
zur Verfügung stehen, dass niemand in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die Augen vor der fortschreitenden Naturzerstörung und
deren Ursachen verschließen kann. Kritische Stimmen hingegen argumentieren u. a., dass digitale Trends nicht nachhaltige und
naturentfernte Lebensweisen befeuern, wertvolle Ressourcen und Energie verbrauchen und mitunter hinter ihren großen Versprechungen
zurückbleiben. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) stellt diesbezüglich klar, dass die
„planetaren Leitplanken“ immer schneller durchbrochen werden, falls es nicht gelingt, die Digitalisierung nachhaltig auszurichten
( WBGU 2019).
Optimistische wie auch kritische Stimmen haben für ihre jeweiligen Positionen meist berechtigte Gründe, denn die (potenziellen)
Auswirkungen der Digitalisierung im Naturschutz sind vielseitig ( Schneider et al. 2023a).
Weder der vorliegende Beitrag noch die Schwerpunktausgabe insgesamt hat daher das Anliegen, die Digitalisierung aus Naturschutzsicht
in „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen. Eine solch klare Trennung existiert in vielen Fällen schlichtweg nicht, da es stets
davon abhängt, wie digitale Methoden und Tools ausgestaltet sind und zu welchem Zweck sie eingesetzt werden. So formulierte der
US-amerikanische Technikhistoriker Melvin Kranzberg bereits im Jahr 1986: „Technologie ist weder gut noch schlecht; noch ist sie
neutral“ ( Kranzberg 1986) – eine Feststellung, die auch nach Jahrzehnten schnelllebiger
Technologieentwicklungen sowie mit Blick auf den Naturschutzbereich im Speziellen zutreffend ist. Schließlich liegen die Chancen und
Risiken der Digitalisierung meist nah beieinander: Während der COVID-19-Pandemie ermöglichte sie z. B. vielen Menschen das Arbeiten im
Homeoffice, was verkehrsbedingte Emissionen einsparte. Gleichzeitig stiegen jedoch die Anzahl an Videokonferenzen und der damit
verbundene Stromverbrauch und Emissionsausstoß.
Sollen digitale Anwendungen im Naturschutz möglichst nachhaltig entwickelt und angewendet werden, ist ein Bewusstsein für die
wesentlichen technologieübergreifenden Potenziale, Herausforderungen und Risiken von Vorteil; in den folgenden beiden Abschnitten
werden diese zusammengefasst.
2.1 Potenziale der Digitalisierung im Naturschutz
a) Verbesserte Naturbeobachtung durch neue Datenerhebungsmethoden
Ein zentrales Potenzial der Digitalisierung besteht darin, die naturschutzrelevanten Datengrundlagen zügig und umfangreich
auszubauen, um wirksame Naturschutzmaßnahmen durchführen und um evidenzbasiert beraten und steuern zu können. Es gibt gravierende
Datenlücken zur Biodiversität, die es zu beheben gilt, z. B. im Bereich der Bodenbiodiversität, bei Pilzen sowie vielen Insekten- und
Pflanzenarten ( Moersberger et al. 2022). Ebenso erforderlich sind Daten zu Einflussgrößen
bezüglich der Biodiversität, bspw. zu Nährstoffeinträgen, Pestiziden, Landnutzungsintensität und invasiven Arten, sowie Daten zur
Wirksamkeit von Naturschutzmaßnahmen. Durch neue Technologien, wie vernetzte Sensoren, Drohnen und Satelliten, kann die Erfassung von
Kenngrößen der Biodiversität sowie von deren Einflussgrößen automatisiert werden und dadurch flächendeckender sowie in zeitlich und
räumlich höherer Auflösung erfolgen (vgl. z. B. Projekte Natur 4.0, Icarus, „Copernicus leuchtet Grün“ sowie die Beiträge von Wägele et al. 2022; Frommolt 2023 in dieser Ausgabe;
Feilhauer, Faude 2023 in dieser Ausgabe). Sensoren können Daten außerhalb der
menschlichen Sinneswahrnehmung erfassen (vgl. z. B. light detection and ranging – LiDAR, „Fledermausdetektor“, „smellscapes“).
DNA-basierte Arterkennungsverfahren, z. B. das mittels Umweltproben (environmental DNA – eDNA) durchgeführte Metabarcoding, werden
durch digital gestützte Verfahren ermöglicht und erlauben ein zunehmend minimalinvasives und effizientes Biodiversitätsmonitoring
(vgl. Schenekar 2023 in dieser Ausgabe). Darüber hinaus können Erfassungs-Apps
(Deutschlandflora-App, MultiBaseCS Mobile, NaturaList u. v. a.) die manuelle Kartierarbeit im Gelände unterstützen und ggf.
Mehraufwand und Fehler bei der Datenübertragung vermeiden.
b) Neue Datenquellen
Technische Entwicklungen führen dazu, dass ein zunehmend breiter Akteurskreis naturschutzrelevante Daten erheben kann. Smartphones
mit guter Kameraqualität und Global-Positioning-System(GPS)-Ortung, Arterkennungs-Apps, Kamerafallen, niedrigschwellige Minicomputer
sowie Online-Naturbeobachtungsportale stehen auch Laien zur Verfügung, die häufig mit Hilfe solcher Instrumente Daten zur Natur
generieren und zur Verfügung stellen – sei es im Rahmen unstrukturierter Gelegenheitsbeobachtungen (Crowdsourcing) oder bei der
gezielten Mitarbeit in Forschungsprojekten (Citizen Science; vgl. z. B. Richter 2019;
Engel et al. 2023 in dieser Ausgabe). Obwohl große, unstrukturierte Crowdsourcing- und
Citizen-Science-Datenbestände, etwa aus Flora Incognita, ornitho.de, eBird oder iNaturalist, eine niedrigere Aussagekraft in Bezug auf
Biodiversitätstrends aufweisen als Daten aus dauerhaften, strukturierten und standardisierten Monitoringprogrammen, so sind sie doch
auf Grund ihrer schieren Menge u. a. für Verbreitungsanalysen bedeutend ( Boersch-Supan et al.
2019; Feldman et al. 2021; Mahecha et al.
2021). Zudem sind sämtliche internetbasierte Daten eine Informationsquelle insbesondere für gesellschaftliche
Fragestellungen im Naturschutz ( Correia et al. 2021). Social-Media-Posts können z. B. für
Analysen der Präferenzen und zeitlich-räumlichen Aktivitäten von Besucherinnen und Besuchern in Schutzgebieten verwendet werden, was
andernfalls typischerweise durch aufwändige und zeitlich begrenzte Umfragen erfolgen müsste ( Di Minin
et al. 2015; Hausmann et al. 2017).
c) Erschließung analoger Datenbestände
Naturschutzverwaltungen, Naturkundemuseen, Fachgesellschaften u. a. verfügen über umfassende Sammlungsobjekte, altes
Kartenmaterial und Kartierbögen, die durch Digitalisierung ortsunabhängig zugänglich und leichter nachnutzbar gemacht werden
können. Um das große Potenzial naturhistorischer Sammlungen für die Biodiversitätsforschung zu erschließen, existieren
seit einigen Jahren umfangreiche Vorhaben, z. B. das Virtuelle Herbarium Deutschland und das Projekt Digitize! des Museums für
Naturkunde in Berlin ( Abb. 2). Auch ein für die Zeit nach 2023 neu geplantes
Senckenberg-Institut am Standort Jena soll sich u. a. der digitalen Erschließung und Nutzbarmachung naturhistorischer Sammlungsdaten
widmen.
Abb. 2: Blick auf die „Digitalisierungsstraße“ im Museum für Naturkunde (MfN) in Berlin. Sie dient der fotografischen
Erschließung eines Teils des Sammlungsbestands, insbesondere von Insekten. Pro Tag können in der Digitalisierungsstraße
bis zu 5.000 Tiere erfasst werden. Ziel des MfN ist es, innerhalb von zehn Jahren (2019 – 2028) den gesamten
Sammlungsbestand von ca. 30 Mio. Objekten zu digitalisieren – davon ca. 15 Mio. Insekten. Insgesamt sind rund 130 Personen
mit der digitalen Sammlungserschließung beschäftigt.
(Foto: MfN/Thomas Rosenthal)
Fig. 2: View of the “digitisation street” in the Museum of Natural History (MfN) in Berlin. It is used to photo-capture a
part of the museum's collection, especially insects. Up to 5,000 animals per day can be recorded in the digitisation street.
The aim of the MfN is to digitise its entire collection of about 30 million objects, out of which approx. 15 million insects,
within 10 years (2019 – 2028). Some 130 people are occupied with the digitalisation of the vast collection.
d) Sicherung, Vernetzung und Zugänglichkeit von Daten
Die insgesamt steigenden Datenmengen sind nur durch die zunehmend umfangreichen und leistungsstarken IT-Infrastrukturen bzw.
Datenbanksysteme zu bewältigen, die eine langfristige Sicherung, Weitergabe, Vernetzung, Analyse und Nachnutzbarkeit von
Naturschutzdaten ermöglichen (vgl. z. B. WerBeo-Projekt und Beitrag von Broghammer et al.
2023 in dieser Ausgabe; Kasten 1 von Frenzel et al. im Beitrag von Broghammer et al.
2023 in dieser Ausgabe; Kasten 2 von Poniatowski und Fartmann im Beitrag von Engel
et al. 2023 in dieser Ausgabe). Die Erfüllung von Umweltinformations- und Berichtspflichten seitens
Naturschutzverwaltungen, wie z. B. die Berichtspflicht in der Europäischen Union (EU) zum Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Monitoring, wäre
ohne digitale Fachsysteme kaum denkbar ( Schneider et al. 2021). Repositorien, Datenportale
und Dashboards erleichtern darüber hinaus die Auffindbarkeit und Visualisierung von Datenbeständen, ermöglichen die Umsetzung von
Open-Data-Anforderungen und tragen auf Grund der damit einhergehenden Transparenz (z. B. durch Umsetzung der
findable-accessible-interoperable-reusable[FAIR]-Datenprinzipien) sowie Metadatenstandards zur Datenqualität bei.
e) Neue Methoden für Datenanalyse und -bewertung
Die Analyse von Naturschutzdaten erfolgt schon seit mehreren Jahrzehnten computergestützt, doch ermöglichen steigende
Rechenkapazitäten die Verarbeitung großer Datenmengen sowie den Einsatz komplexer Statistikverfahren und von Methoden des maschinellen
Lernens (vgl. z. B. Schneider et al. 2023b) in dieser Ausgabe. Allein die Zunahme der in der
Biodiversitätsforschung häufig verwendeten Bilddaten, z. B. aus Kamerafallen oder Satellitenaufnahmen, übersteigt die Kapazitäten
einer manuellen Auswertung bei Weitem. Automatisierte Bildanalyseverfahren (computer vision) sind eine Lösung, wie dennoch mit der
Menge des verfügbaren Bildmaterials gewinnbringend umgegangen werden kann ( Lürig et al.
2021). Die digitale Datenverarbeitung ermöglicht nicht nur Zustands- und Trendanalysen von Arten und Ökosystemen, sondern
auch die Verschneidung mit Daten möglicher Einflussgrößen. Nur dadurch kann eine dringend notwendige Ursachenforschung hinsichtlich
des Naturverlusts gelingen. Immer komplexere Modellierungen erfahren in den Natur- und Umweltwissenschaften wachsende Aufmerksamkeit
mit dem Ziel, Biodiversität und Ökosysteme zu analysieren, die Auswirkungen von Naturschutzmaßnahmen abzuschätzen und möglichst
plausible Szenarien über zukünftige Systemzustände zu entwickeln (vgl. z. B. Blair 2021;
Schweiger, Laliberté 2022).
f) Digitaler Wandel der Naturschutzarbeit
Digitale Fachanwendungen und Umweltinformationssysteme gibt es im Naturschutz seit Jahrzehnten (
Schneider et al. 2021), dennoch verändern digitale Kommunikations-, Projektmanagement- und Verwaltungstools die
Arbeitswelt zunehmend. Beispielsweise das von Broghammer et al. (2023 in dieser Ausgabe)
skizzierte Checklisten-Tool ermöglicht eine zentrale, kollaborative Aktualisierung und nachvollziehbare Versionierung von Artenlisten,
was bislang nur dezentral unter großem Aufwand möglich war. Solche digitalen Anwendungen erleichtern idealerweise die Arbeit, tragen
zur Motivation und zur Zusammenarbeit bei und steigern die Attraktivität beruflicher Tätigkeiten im Naturschutz, u. a. für
digitalaffine Menschen. Zudem entstehen neue Berufsbilder, z. B. in den Bereichen Bioinformatik, Data Science und
App-Entwicklung.
g) Bessere Governance
Dank der zuvor genannten Potenziale können u. a. Biodiversitätsveränderungen schneller erkannt, das Einhalten von
Naturschutzvorgaben besser überwacht und Maßnahmen gezielter umgesetzt werden. Konkrete Beispiele aus dem landwirtschaftlichen Bereich
finden sich z. B. in Kasten 2, von Weinert et al. im Beitrag von Schneider et al. (2023b in dieser
Ausgabe). Auch in zahlreichen anderen Bereichen lassen sich Beispiele finden, wie digitale Tools das Naturschutz-,
Landnutzungs- und Ressourcenmanagement unterstützen können. Beispielsweise im Projekt ChESS erkennen sensorgestützte KI-Systeme in
Echtzeit kritische Systemveränderungen im Meer, was Frühwarnungen und ein schnelles Eingreifen ermöglicht, während im Projekt Schlaues
Wasser Darmstadt u. a. Stadtbäume datenbasiert bewässert werden, um möglichst wassersparend die Erhaltung von Stadtbäumen
sicherzustellen. Darüber hinaus können datenbasierte Empfehlungen und Entscheidungen als objektiv empfunden werden und die Akzeptanz
für Naturschutzmaßnahmen in Politik und Gesellschaft fördern.
h) Neue Formate für Beteiligung, Wissensvermittlung und Naturerleben
Online-Plattformen, wie „Bürger schaffen Wissen“, GoNature und Zooniverse, vermitteln ehrenamtliche Unterstützung und fördern
somit Naturschutzprojekte, die auf Mitarbeit oder Spenden angewiesen sind. Digitale Tools wie Online-Naturbeobachtungsportale
ermöglichen die Beteiligung der Öffentlichkeit am Naturschutz (vgl. z. B. Richter 2019;
Engel et al. 2023 in dieser Ausgabe), was häufig das Naturschutzwissen der Beteiligten
stärkt ( Peter et al. 2019; Adamou et al. 2021).
Speziell in der Umwelt- und Naturschutzbildung ergänzen und erweitern v. a. Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen,
Social-Media-Formate, Podcasts und (Serious) Games klassische, papierbasierte Medien und rein analoge Naturerlebnisse (vgl. z. B.
Dotterweich, Lude 2022; Sauer et al. 2023 in
dieser Ausgabe). Je nach Ausgestaltung und Zielgruppe können solche Digitalformate Interesse an Naturschutzthemen wecken sowie Wissen
und Einstellung zum Naturschutz positiv beeinflussen (vgl. z. B. Schneider, Schaal 2018;
Büssing et al. 2021). Immersive, virtuelle Naturerlebnisse können sich außerdem positiv
auf die mentale Gesundheit von Menschen auswirken und die Teilhabe von Personengruppen fördern, die andernfalls keinen oder kaum
Zugang zu realen Naturräumen haben (z. B. mobilitätseingeschränkte Personen; vgl. z. B. Browning
et al. 2019; Yeo et al. 2020; Eckes et al.
2022).
2.2 Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung im Naturschutz
a) Hohe Anforderungen bei begrenzten Kapazitäten
Die Entwicklung bedarfsgerechter Digitalanwendungen und die dafür notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
Naturschutzakteuren und Software-Entwicklerinnen und -Entwicklern erfordern Zeit. Das IT-Personal sämtlicher im Naturschutz tätigen
Einrichtungen und Organisationen muss zudem für eine steigende Anzahl von Digitalanwendungen die technische Betreuung
sicherstellen sowie wachsende Anforderungen erfüllen, u. a. in den Bereichen IT-Sicherheit, Datenschutz, Urheber- und Nutzungsrecht,
Open Data, Metadatenstandards und Barrierefreiheit. Das strategische Bewerten digitaler Entwicklungen, die Umstellung von IT-Systemen,
Fachanwendungen und Prozessen sowie die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bindet weitere Kapazitäten. Anforderungen
steigen auch für das Kollegium insgesamt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich von der Schnelligkeit und ggf. der Komplexität
digitaler Trends und den damit verbundenen Einstiegshürden überfordert fühlen und diese folglich ablehnen. Gleichzeitig sehen sich
u. a. Naturschutzverwaltungen mit personellen Engpässen konfrontiert ( Werk 2022). Zudem ist
der Mangel an Digitalfachkräften in Deutschland weithin bekannt. Für viele Naturschutzeinrichtungen und -organisationen ist es
folglich schwierig, die Chancen der Digitalisierung bestmöglich zu nutzen.
b) Standardisierung, Konsolidierung und Datenverfügbarkeit
Die Digitalisierung erfordert Standardisierung bzw. Vergleichbarkeit und Kompatibilität v. a. von Erfassungsmethoden,
Datenformaten, Taxonomien und Metadaten, was auf Grund der Komplexität der belebten Umwelt teilweise nicht oder nur mit großem
Abstimmungsaufwand zwischen Naturschutzakteuren möglich ist. Föderale Verantwortlichkeiten und länderspezifische Gegebenheiten können
folglich zu Konkurrenzsystemen und digitalen Einzellösungen mit eingeschränkter Skalierbarkeit sowie zu Daten-sätzen mit begrenzter
Nachnutzbarkeit führen. Eine möglichst weitgehende bundesweite Harmonisierung von Datenerhebung, -speicherung und -zugänglichkeit,
insbesondere zwischen den Naturschutzverwaltungen in Deutschland, ist somit unabdingbar, um die Potenziale der Digitalisierung
bestmöglich nutzen zu können. Zudem ist die Verfügbarkeit naturschutzrelevanter Daten nur bedingt eine technische Herausforderung,
sondern erfordert zu allererst die Bereitschaft, eigene (Roh)daten mit anderen Akteuren zu teilen.
c) Komplexität, Dynamik und Anfälligkeit digitaler Methoden und Systeme
Mit steigender methodischer Komplexität verringert sich der Kreis derer, die neue Datenerhebungs- und Analysemethoden eigenständig
einsetzen sowie deren Qualität einschätzen und überprüfen können. Zudem können methodische Veränderungen die Aussagekraft
langfristiger Datenbestände zur Natur verringern, insbesondere im behördlichen Biodiversitätsmonitoring (vgl. Abschnitt 3.1). Bei der Digitalisierung von Naturschutzprozessen sollte man sich auch über
mögliche Anfälligkeiten bewusst sein: So sind digitale Geräte stets von Stromversorgung und verfügbaren Rohstoffen, insbesondere
Metallen, abhängig. Letztere könnten auf lange Sicht z. B. auf Grund von Knappheit oder geopolitischen Krisen schwerer verfügbar
werden, weshalb die EU-Kommission bereits ein Gesetz zur Sicherung der Rohstoffversorgung (Critical Raw Materials Act) für notwendig
hält. Zudem können Naturschutzakteure auch von Cyberangriffen betroffen sein: Im November 2022 war z. B. der Deutsche Verband für
Landschaftspflege (DVL) nach eigenen Angaben auf seiner Website Ziel eines Hackerangriffs.
d) Konkurrenz zum klassischen Naturschutz(wissen)
Digitalisierung ist ein Trendthema. Projekte und Personalstellen mit wenig Bezug zu Digitalthemen könnten daher bei
Fördermittelvergaben oder Stellenbewilligungen ein Nachsehen haben. Lösungen für naturschutzfachliche Herausforderungen könnten
unnötigerweise technologiefokussiert anstatt bedarfsorientiert angegangen werden. Zudem besteht das Risiko, dass die Automatisierung
das Wissen von Naturschutzfachleuten verringert. Beispielsweise in der Landwirtschaft könnten undurchsichtige, algorithmenbasierte
Managemententscheidungen verhindern, dass Landwirtinnen und Landwirte hinreichend eigenes Erfahrungswissen aufbauen ( Kliem et al. 2023). Auch KI-basierte Arterkennungs-Apps könnten das Wissen von Artexpertinnen und
experten erodieren, sofern diese sich allzu unreflektiert auf die automatisch generierten Ergebnisse verlassen oder in Zukunft
womöglich nicht die Notwendigkeit sehen, sich entsprechendes Wissen selbst anzueignen. Während automatische Artbestimmungs-Apps einen
Mehrwert haben, v. a. um das Interesse und Bewusstsein der allgemeinen Bevölkerung für Artenvielfalt zu erhöhen, können und dürfen sie
nicht die Expertise von Fachleuten ersetzen – zumal eine einfache, automatische Artbestimmung per Smartphone-App im Gelände für viele
Artengruppen voraussichtlich nicht möglich sein wird ( Abb. 3).
Abb. 3: Die Abbildung eines Schmetterlings auf einem Touchscreen wurde mit DALL·E 2 erstellt und zeigt ein rein
fiktives Bild. DALL·E 2 nutzt maschinelles Lernen – so genannte Generative-pre-trained-transformer(GPT)-Modelle – zur
Schaffung von Bildern aus Texteingaben („prompts“). Die Texteingabe lautete: „happy butterfly sitting on a
tablet“.
(Quelle: DALL·E 2)
Fig. 3: The illustration of a butterfly on a touch screen was created with DALL·E 2 and shows a purely fictitious image.
DALL·E 2 uses machine learning – so-called generative pre-trained transformer (GPT) models – to create images from text inputs
(“prompts”). The text input reads: “happy butterfly sitting on a tablet”.
(Source: DALL·E2)
e) Negative Konsequenzen des digitalen Wandels insgesamt
Die Digitalisierung befeuert Energie- und Ressourcenverbrauch, Elektroschrott und Konsumsteigerung, was wiederum vielfältige
negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt zur Folge hat. Des Weiteren wird ein Zusammenhang zwischen der zunehmenden
Technologisierung des Alltags und der Entfremdung von Natur vermutet ( Brämer 2022). Digital
befeuerte Gefahren für den Naturschutz bestehen z. B. auch, wenn
Digitale Entwicklungen werden zudem häufig durch Technologieunternehmen und Start-ups vorangetrieben, so dass auch Trends mit
unbeabsichtigten Negativeffekten auf den Naturschutz nur schwer durch staatliche oder zivilgesellschaftliche Akteure steuerbar
sind.
f) Überschätzung und Fehleinschätzung digitaler Möglichkeiten
Chancen und Risiken digitaler Technologien, z. B. von Blockchain, KI und digitalen Zwillingen, sind für die meisten Menschen nur
schwer einzuschätzen, so dass mitunter falsche Erwartungen entstehen können, was digitale Technologien für den Naturschutz leisten
können – aber auch was nicht. Trotz großer Fortschritte in der Erdbeobachtung (vgl. z. B. Schweiger,
Laliberté 2022) ist ein flächendeckendes Echtzeitbiodiversitätsmonitoring selbst mit modernster Technologie
unrealistisch – und ggf. auch nicht notwendig. Zudem können Technologien im Naturschutz zwar zu Lösungen beitragen, wohl aber
nie eine alleinige Lösung sein. Beispielsweise ein „smarter Herdenschutzzaun“, der Wölfe automatisch erkennt und Vergrämungsmaßnahmen
einleitet (vgl. Projekt mAIn-Zaun), kann ein hilfreiches Tool sein – ein Allheilmittel für den bereits lange schwelenden,
vielschichtigen Mensch-Wolf-Konflikt ist er aber nicht. Auch am Beispiel von Wiederaufforstungsbemühungen betonen Castro et al. (2022), dass mehr dazugehört, als lediglich Samen großflächig per Drohne zu
verteilen, wie es jedoch zunehmend von Unternehmen suggeriert und praktiziert wird. Des Weiteren haben sich insbesondere die
Versprechen digital gestützter Landwirtschaftspraktiken bislang kaum nachweisbar auf die Erhaltung der Biodiversität ausgewirkt.
Folglich konstatieren Kliem et al. (2023: 9) hinsichtlich digitaler Techniken in der
Landwirtschaft: „Insgesamt klafft eine große Lücke zwischen dem theoretisch möglichen Nutzen und dem bislang tatsächlich
Beobachtbaren.“
g) „Digital divide“ und Beteiligung
Der „digital divide“ (digitale Kluft) beschreibt Unterschiede, inwieweit Menschen am digitalen Wandel teilhaben können und wollen,
z. B. auf Grund ihrer räumlichen Verortung, finanziellen Möglichkeiten, Fähigkeiten und persönlichen Affinität. Konflikte zwischen
Stadt und Land, Gesellschaftsschichten und Generationen spielen im Naturschutz eine große Rolle (
Berger 2021). Wenn sich Menschen auf Grund der digitalen Kluft nicht oder nur eingeschränkt am Naturschutz beteiligen
können oder wollen, z. B. bei Kartierungen oder bei Bürgerbeteiligung für Planungsvorhaben, so könnte dies gesellschaftliche Konflikte
im Naturschutz verschärfen (vgl. Wagner et al. 2023 in dieser Ausgabe). Außerdem könnte die
bequeme Nutzung digitaler Medien dazu führen, dass sich Menschen weniger verbindlich, z. B. in einem Naturschutzverein oder auf
Demonstrationen, engagieren und sich stattdessen mit niedrigschwelligen Online-Aktivitäten, wie Social-Media-Posts oder
Online-Petitionen, begnügen ( Koller, Walk 2019). Allerdings sehen Greijdanus et al. (2020) zwischen Online- und Offline-Engagement häufiger positive Zusammenhänge
anstatt Substitutionseffekte. Ein weiteres Risiko ist jedoch, dass insbesondere soziale Medien auf Grund von „Filterblasen“ zur
Meinungspolarisierung führen, was Naturschutzakteuren erschwert, neue Zielgruppen zu erreichen ( Miller
et al. 2021). Zudem können sich Desinformationen, Fehlinterpretationen sowie unsachliche Kommunikationen im Netz negativ
auf Naturschutzanliegen auswirken.
h) Privatsphäre und Stigmatisierung
Digitale Anwendungen zu Naturschutzzwecken bergen auch sozial-ethische und datenschutzrechtliche Risiken, und zwar insbesondere
dann, wenn naturschutzkonformes Verhalten von Menschen überwacht oder unter Nutzung sozialökonomischer Faktoren vorhergesagt werden
soll. Dies wäre z. B. bei einer dauerhaften satellitengestützten Beobachtung von Landwirtschaftsflächen zur Kontrolle ökologischer
Auflagen denkbar, bei der Sicherstellung von Betretungsverboten in Schutzgebieten durch Bewegungssensoren oder auch bei der
automatisierten Vorhersage von Wildereiaktivitäten. Zudem gibt es in Deutschland teils uneindeutige rechtliche Regelungen für die
Nutzung von Kamerafallen und Drohnen im öffentlichen Raum, was insbesondere bei ehrenamtlich engagierten Privatpersonen zu
Unsicherheiten führen kann.
i) Finanzierung von Digitalanwendungen
Wie bei allen langfristig angelegten Aktivitäten stellt sich auch bei Digitalprojekten stets die Frage nach der dauerhaften
Finanzierung. Große wie kleinste Digitalanwendungen – von einer komplexen IT-Infrastruktur bis hin zur einzelnen Website –
erfordern Aufwand für die technische Sicherstellung des Betriebs, der Nutzung und der Weiterentwicklung. Digitalanwendungen, die z. B.
einem begrenzten Beratungs- oder Informationsauftrag dienen, nicht aber der konkreten Umsetzung gesetzlich definierter
Vollzugsaufgaben öffentlicher Naturschutzverwaltungen, werden häufig durch zeitlich befristete Projektförderungen entwickelt. Diese
Anwendungen haben daher zu Beginn in vielen Fällen keine Dauerfinanzierung. Ein weiterer Aspekt ist, dass den Entwicklerinnen und
Entwicklern gemeinwohlorientierter Digitalanwendungen mitunter nicht an einer Ökonomisierung ihrer Digitalprodukte gelegen ist.
Darüber hinaus hängen auch behördliche Digitalanwendungen von der verwaltungsinternen Bereitschaft für langfristige Finanzzusagen ab.
Eine große Herausforderung für viele Digitalprojekte im Naturschutz besteht somit darin, langfristige Perspektiven für die
Verstetigung digitaler Anwendungen zu schaffen, inklusive des damit verbundenen hochqualifizierten und erfahrenen Personals.
Wie aus diesem Abschnitt deutlich wird, sind die grundlegenden Potenziale, Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung
zahlreich. Die Digitalisierung ist somit nicht per se positiv oder nachhaltig – vielmehr erfordert sie eine aktive Gestaltung, um die
Potenziale bestmöglich zu nutzen und Risiken zu minimieren. Schon allein aus diesem Grund sollten digitale Tools im Naturschutz nicht
aus „Spielerei“ oder bloßer Technikbegeisterung implementiert werden, sondern stets einen konkreten naturschutzfachlichen Bedarf
adressieren. Damit übereinstimmend fordert auch der Deutsche Naturschutzring die Maßgabe „erst nachdenken, dann digitalisieren“
( DNR 2018).
3 Ausgewählte Themenschwerpunkte
In Ergänzung zu den grundlegenden Aspekten (vgl. Abschnitt 2) werden in diesem Abschnitt
Potenziale, Herausforderungen und Risiken digitaler Entwicklungen anhand zweier fachübergreifender Schwerpunktthemen näher
betrachtet.
3.1 Neue Methoden und Technologien im bundesweiten behördlichen Biodiversitätsmonitoring
Arterfassungen mittels genetischer Methoden oder mittels optischer und akustischer Sensoren sowie neue Ansätze der Fernerkundung
können im bundesweit standardisierten Biodiversitätsmonitoring bislang kaum eingesetzt werden. Trotz ihrer großen Potenziale sind neue
Methoden und Technologien in vielen Fällen noch nicht für den deutschlandweit standardisierten Einsatz geeignet, weil sie sich z. B.
noch im Entwicklungsstadium befinden oder weil sie nicht die Informationen erfassen, die jeweils benötigt werden. In
Monitoringprogrammen werden somit überwiegend Methoden eingesetzt, in denen berufliche und ehrenamtliche Expertinnen und Experten
Habitate durch Feldbegehungen erfassen sowie Arten und deren Abundanzen durch eigenes Sehen, Hören und Zählen bestimmen (vgl. z. B.
Schuch et al. 2020; Wahl et al. 2020). Neue
Methoden und Technologien finden bereits z. B. im FFH-Monitoring Anwendung. So werden etwa Schweinswale (Phocoena phocoena) und
Seevögel in der deutschen Nord- und Ostsee u. a. mit Hilfe digitaler Erfassungsflüge sowie Schweinswale in der Ostsee u. a. mit Hilfe
akustischer Detektionsgeräte erfasst ( Rickert, Hauswirth 2020). Artnachweise auf Basis
genetischer Verfahren werden im Rahmen des Lockstockmonitorings bei der Wildkatze (Felis silvestris) angewendet und auch für
das Donau-Neunauge (Eudontomyzon vladykovi) stichprobenartig empfohlen ( BfN, BLAK
2017).
Der Austausch über Entwicklung, Eignung und Etablierung neuer Erfassungsmethoden in bundesweit standardisierten
Biodiversitätsmonitoringprogrammen wird seit Jahren intensiv geführt ( Züghart et al. 2020).
Potenziale neuer Erfassungstechnologien werden u. a. in der schnelleren Datenverfügbarkeit, der Skalierbarkeit sowie in der
Reduzierung von Aufwand und Kosten gesehen. Allerdings bieten neue Erfassungsmethoden auf dem bisherigen Entwicklungsstand nicht immer
einen Mehrwert gegenüber klassischen Verfahren oder erfüllen notwendige Anforderungen (noch) nicht. Beispielsweise werden beim
Metabarcoding Insektenarten, die nur wenig zur Biomasse eines Fangs beitragen oder sehr selten sind, noch nicht immer zuverlässig
bestimmt und auch die absolute Abundanz der Arten kann nicht genau festgestellt werden ( Schuch et al.
2020; Schenekar 2023 in dieser Ausgabe). Lösungsansätze könnten sich
allerdings aus methodischen Weiterentwicklungen ergeben ( Wägele et al. 2022). In der
Fernerkundung waren Daten bis vor Kurzem nur eingeschränkt verfügbar und kosteten viel Geld, Auflösung und Klassifizierungsergebnisse
waren zu ungenau und die Methoden zu kleinräumig erprobt, um für ein deutschlandweit standardisiertes Monitoringprogramm angewendet zu
werden ( Stenzel, Feilhauer 2020). Des Weiteren sind Veränderungen von Erfassungsmethoden im
behördlichen Monitoring auf Grund der angestrebten langfristigen Aussagekraft der Datensätze nur nach sorgfältiger Prüfung in Erwägung
zu ziehen. Neben rein fachlichen Abwägungen müssen auch die technisch-methodischen Kompetenzen und Voraussetzungen vorliegen, um neue
Technologien zielführend im bundesweiten Biodiversitätsmonitoring anwenden und die Daten sachgerecht interpretieren zu
können.
Im Gegensatz zur Datenerhebung ist der Einsatz digitaler Tools zur Eingabe und Übermittlung von Kartierdaten weit verbreitet. So
nutzt z. B. das vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) koordinierte ehrenamtliche Monitoring häufiger Brutvögel sowie seltener
Brutvögel seit 2020 die NaturaList-App und die Online-Plattform ornitho.de als Standard für die Kartierung ( Wahl et al. 2020; Züghart 2022). Das Monitoring
rastender Wasservögel nutzt die Eingabemöglichkeit auf ornitho.de schon seit 2016. Auch wurde z. B. für das Ökosystem-Monitoring ein
browsergestütztes Dateneingabeprogramm auf Basis des eMapper-Tools entwickelt, das aktuell auch für das
High-Nature-Value(HNV)-Farmland-Monitoring adaptiert und erprobt wird. Das BfN ist bestrebt, in Abstimmung mit den Ländern
Kartierungstools für weitere Monitoringprogramme zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln – bevorzugt zur mobilen Nutzung bei
Feldbegehungen. In der Tat gibt es bereits eine große Fülle mobiler Erfassungssoftware bzw. Apps für unterschiedliche Zielgruppen und
Anwendungsfelder, auf denen aufgebaut werden könnte.
Über die Datenerhebung und -übermittlung hinaus ergeben sich im Kontext des bundesweit standardisierten Biodiversitätsmonitorings
weitere digitalstrategische Fragen, z. B.: Welche Methoden des maschinellen Lernens sind für die Analyse bzw. Prognose behördlicher
Monitoringdaten geeignet und für welche Fragestellungen ( Mrogenda et al. 2023)? Wie sollten
die Infrastrukturen zur Haltung und Auswertung der Monitoringdaten weiterentwickelt werden, z. B. um mögliche neue Anforderungen bei
der Berichterstattung zu berücksichtigen? Neben den standardisierten Monitoringprogrammen stellt sich für Naturschutzbehörden und
-verwaltungen auch die Frage, welche Bedeutung die zunehmend großen, unstrukturiert erhobenen Citizen-Science- und
Crowdsourcing-Datensätze für ihre Aufgabenerfüllung haben.
Mit den voranschreitenden technischen und methodischen Entwicklungen ist der Einsatz neuer Technologien in bundesweit
standardisierten Monitoringprogrammen abzusehen – zumindest in Ergänzung zu klassischen Kartiermethoden ( Züghart et al. 2020). In einem fortlaufenden Austausch muss geklärt werden, wann neue Methoden
und Technologien als hinreichend ausgereift und fachlich erprobt gelten, um im behördlichen Praxisalltag eingesetzt zu werden.
Begleitend dazu müssen auch die organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Einsatz geschaffen werden. Das BfN wird
den Diskurs zu diesen Themen durch gezielte Forschungsförderung weiter unterstützen und den Austausch mit allen relevanten Akteuren
aus Landesbehörden, Wissenschaft, Planungsbüros, Fachgesellschaften, Ehrenamt u. a. in den kommenden Jahren intensivieren.
Auch das Nationale Monitoringzentrum zur Biodiversität (NMZB) im BfN wird dabei eine wichtige Rolle spielen.
3.2 Digital gestützter Vollzug des Naturschutzrechts
Neben dem Monitoring ist für Kommunal-, Landes- und Bundesbehörden der Vollzug des Naturschutzrechts eine zentrale Aufgabe. Gute
Datengrundlagen sowie zweckmäßige und verlässliche Fachanwendungen sind zur Erfüllung dieser Aufgabe Grundvoraussetzungen. Jedoch
besteht in vielen Behörden ein großer Bedarf an Weiterentwicklung und Modernisierung ihrer Systeme, z. B. hinsichtlich neuer
Funktionalitäten, moderner user experience (UX), technischer Updates und der Kompatibilität mit den IT-Systemen anderer
Verwaltungseinrichtungen zur Förderung der Zusammenarbeit. In vielen Verwaltungen kommen jedoch auf Grund knapper Personalkapazitäten
und Ressourcen (vgl. Werk 2022) die Modernisierung von IT-Systemen und die stärkere Nutzung
digitaler Potenziale zu kurz. Vonnöten sind auch neue organisatorische Rahmenbedingungen, die agile, interdisziplinäre Arbeitsweisen
ermöglichen.
Die meisten Vollzugsaufgaben werden von Ländern und Kommunen wahrgenommen, manche fallen jedoch in den Verantwortungsbereich des
Bundes. Dem BfN obliegen bspw. Vollzugsaufgaben im internationalen Artenschutz nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES
(Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora), im Meeresschutz der ausschließlichen
Wirtschaftszone (AWZ) und in der Sicherstellung des Vorteilsausgleichs aus genetischen Ressourcen auf Basis des Nagoya-Protokolls.
Zudem ist das BfN an der Umsetzung des Gentechnikgesetzes beteiligt. Die jeweiligen Vollzugsbereiche werden durch mehr oder weniger
umfangreiche Datenbanksysteme und digitale Prozesse unterstützt.
Eine Vollzugsaufgabe mit vergleichsweise hohem Digitalisierungsgrad im BfN ist der CITES-Artenschutzvollzug: So können
Genehmigungsanträge zur Ein-, Aus- oder Wiederausfuhr geschützter Arten und ihrer Erzeugnisse über das CITES-online-Portal übermittelt
werden. Die eingegangenen Anträge werden zur Prüfung in die interne Vollzug-im-Artenschutz(VIA)-Fachanwendung überführt, die wiederum
Informationen über den in Deutschland gültigen Schutzstatus von Arten aus der öffentlichen Datenbank des Wissenschaftlichen
Informationssystems zum Internationalen Artenschutz (WISIA) abruft ( Schneider et al. 2021).
Nicht zuletzt um die Anforderungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zu erfüllen, wird CITES-online aktuell weiterentwickelt, mit
anvisierter Fertigstellung im Frühjahr 2023. Gleichzeitig wird die Überarbeitung der VIA-Fachanwendung konzeptionell vorbereitet.
Trotz aktuell laufender bzw. geplanter Entwicklungen gäbe es Möglichkeiten, den CITES-Prozess im BfN weiter zu digitalisieren,
Medienbrüche zu vermeiden und Beschäftigte im Artenschutzvollzug besser zu unterstützen. Ein Tool zur Visualisierung von
Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen einer Art könnte Plausibilitätsprüfungen von Anträgen erleichtern, während auch das
Ausstellen von Genehmigungsbescheiden digitalisiert werden könnte – aus Gründen der internationalen Rechtsetzung ist dies bislang nur
in Papierform möglich. Darüber hinaus gibt es im Artenschutzvollzug auf Länder- und EU-Ebene einen großen Bedarf für einheitlichere
und digitalisierte Prozesse ( Böhmer 2022). Digitalisierungspotenziale im Vollzug, hier
skizziert am Beispiel des Artenschutzvollzugs, sind somit offenkundig. Zur Realität vieler Naturschutzverwaltungen gehört allerdings,
dass Digitalprojekte priorisiert werden müssen, was jeweils fachliche, rechtliche und technische Abwägungen erfordert.
Zukünftig könnten vermehrt Methoden des maschinellen Lernens Vollzugsaufgaben unterstützen. Erste Anwendungsfälle gibt es bereits:
So untersucht etwa das BfN, wie der illegale Online-Artenhandel besser durch maschinelles Lernen bekämpft werden kann. Im vom
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt KI_Wood-ID wird bereits eine bildbasierte Erkennung
CITES-geschützter Hölzer in Papier- und Faserstoffen entwickelt ( Abb. 5). KI-Methoden werden
von Behörden grundsätzlich mit Interesse wahrgenommen, allerdings muss der Transfer in die Praxis behördlicher Daueraufgaben eng
begleitet und unterstützt werden ( Mrogenda et al. 2023).
Abb. 5: Beispielhafte Ergebnisansicht der Auswertung einer mikroskopischen Aufnahme von Gefäßen in einem Präparat aus
Pflanzenfasern. Die automatisch identifizierten Gefäße sind markiert und ihre Erkennungssicherheit ist jeweils als Zahl
zwischen 0 und 1 angegeben, wobei 1 für 100 % steht. Im Forschungsprojekt KI_Wood-ID entwickelt das Fraunhofer-Institut
für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kooperation mit dem Thünen-Institut für Holzforschung auf künstlicher Intelligenz
(KI) basierende Bilderkennungssysteme zur Bestimmung von Holzarten in Faserstoffen. Ziel ist es, die Einfuhr und
Verbreitung illegaler Holzarten zu verhindern.
(Foto: Thünen-Institut für Holzforschung)
Fig. 5: Exemplary result of the analysis of a microscopic image of vessels in a preparation of plant fibres. The
automatically identified vessels are marked and their detection reliability is indicated in each case as a number between
0 and 1, where 1 stands for 100 %. In the KI_Wood-ID research project, the Fraunhofer Institute for Industrial Mathematics in
cooperation with the Thünen Institute for Wood Research is developing artificial intelligence(AI)-based image recognition
systems for determining wood species in fibre materials. The aim is to prevent the import and distribution of illegal wood
species.
4 Fazit und Ausblick
Die Digitalisierung hat vielfältige, enge Zusammenhänge mit dem Naturschutz. Obwohl neue Technologien auf Grund ihrer
Schnelllebigkeit und Komplexität Herausforderungen an Naturschutzakteure stellen, bieten sie für die berufliche und ehrenamtliche
Naturschutz-Community vielseitige Potenziale, die bestmöglich genutzt werden sollten. Digitale Anwendungen, Prozesse und
Formate allein werden das Artensterben nicht aufhalten, aber sie können einen großen Beitrag zum Naturschutz leisten. Voraussetzung
dafür ist, dass digitale Anwendungen stets bedarfsorientiert entwickelt und eingesetzt werden. Dafür sollten sie hinsichtlich ihrer
ökologischen Potenziale sowie der technischen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Anforderungen bzw. Auswirkungen bewertet und
nachhaltig ausgestaltet werden. Dies bedeutet, dass bspw. Drohnen, Apps oder KI keinesfalls um ihrer selbst willen für
Naturschutzaufgaben eingesetzt werden dürfen, sondern immer nur, wenn ihr Nutzen den Aufwand für Forschung, Entwicklung,
Praxistransfer und Betrieb rechtfertigt. Folglich ist nicht alles, was technisch machbar ist, auch sinnvoll.
Zudem darf es nicht lediglich das Ziel sein, bewährte, klassische Methoden und Formate abzulösen. So können bspw. Fernerkundung
und bodenbasierte Sensoren die Feldbegehungen erfahrener Kartierexpertinnen und -experten nicht ersetzen, ebenso wenig wie virtuelle
Naturerlebnisse die Aufenthalte in der realen Natur. Zudem muss die Digitalisierung – über den Naturschutz hinaus – in allen Bereichen
von Wirtschaft und Gesellschaft an Nachhaltigkeitskriterien, u. a. Naturschutzzielen, ausgerichtet werden, um zu einer
sozial-ökologischen Transformation beizutragen. Unter all diesen Bedingungen kann die Digitalisierung als Katalysator zum Erreichen
von Naturschutzzielen dienen.
Die Digitalisierung im Naturschutz ist jedoch kein Selbstläufer. Mit Blick auf die Zukunft ist es notwendig, dass die Politik
Unterstützung für die Entwicklung einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Digitalisierung bereitstellt. So standen in den
letzten Jahren wichtige Gelder für Digitalprojekte mit direktem oder indirektem Naturschutzbezug zur Verfügung (z. B. CODE-DE,
KI-Leuchttürme, NFDI4Biodiversity – siehe Kasten 1 von Frenzel et al. im Beitrag von Broghammer et al.
2023) in dieser Ausgabe. Dieser politische Fokus sollte auch in Zukunft aufrechterhalten werden, um bereits angestoßene,
praxisrelevante Ansätze und Initiativen weiterzuentwickeln, aber auch um neue Digitaltrends, wie immersive virtuelle Realität,
digitale Zwillinge oder Quantencomputer, aus Naturschutzperspektive weiter beforschen zu können. Innovative Tools und Methoden müssen
ihren Weg aus der Forschung in die fachliche Praxis finden, um einen Mehrwert zu erzielen. Es ist wichtig, den Praxistransfer in
Zukunft stärker zu unterstützen, um bedarfsorientierte Entwicklungen nach ihrem projektbezogenen Förderzeitraum in die breite
Anwendung zu bringen. Darüber hinaus ist ein regelmäßiger, interdisziplinärer Fachaustausch von Naturschutzakteuren aus Praxis,
Politik, Wissenschaft und Verwaltung wichtig, um das Wissen über Digitalthemen im Naturschutz zu steigern, um das gegenseitige
Bewusstsein für fachliche Bedarfe zu schärfen und um eine grundsätzliche Offenheit für Digitales zu fördern. Ein enger und
frühzeitiger Austausch ist insbesondere auch zwischen den zuständigen Naturschutzverwaltungen auf Bundes- und Länderebene wichtig, um
Standards abzustimmen und Kooperationen für die gemeinsame Förderung und Nutzung digitaler Anwendungen voranzutreiben. Zusätzlich zum
koordinierten Verwaltungshandeln ist auch die enge Zusammenarbeit zwischen Naturschutzverwaltungen und deren Partnern (u. a. Auftrags-
und Forschungsnehmerinnen und -nehmer, Planungsbüros, Nichtregierungsorganisationen) entscheidend. Diese Zusammenarbeit könnte z. B.
durch vereinfachte Zugänge zu relevanten Fachdaten verbessert werden ( Werk 2022).
Um mit all den im vorliegenden Beitrag genannten Herausforderungen umgehen zu können und die Chancen der Digitalisierung zu
nutzen, brauchen Naturschutzakteure aus Verwaltung, Wissenschaft und Praxis die dafür notwendigen organisatorischen, rechtlichen und
personellen Voraussetzungen. Nur so kann eine zukunftsorientierte digitalstrategische Ausrichtung im Naturschutz gelingen und nur so
können erfolgversprechende digitale Methoden und Anwendungen ihren Mehrwert in der Praxis entfalten.
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Dank
Das Autorenteam dankt seinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesamt für Naturschutz, insbesondere im Fachgebiet II 1.3
„Terrestrisches Monitoring“, sowie zwei anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachtern für ihre hilfreichen Anmerkungen zum
Manuskript.