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Der Einhorn-Trüffelkäfer Bolbelasmus unicornis (Schrank, 1789) − eine wiedergefundene FFH-Art: Methodenvorschlag für ein Monitoring, Bewertungen und die systematische Nachsuche

The European earth-borer beetle Bolbelasmus unicornis (Schrank, 1789) − A rediscovered Habitats Directive species: Proposed methods for monitoring, assessment and systematic tracing

DOI: 10.19217/NuL2023-08-02 • Manuskripteinreichung: 21.12.2022, Annahme: 15.5.2023

Torsten Bittner und Florian Theves

Zusammenfassung

Der Einhorn-Trüffelkäfer (Bolbelasmus unicornis) ist eine Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Art, die im Jahr 2021 in Deutschland nach über 50 Jahren wiedergefunden wurde. Der Fund der in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie (FFH-RL) aufgeführten Art wirft in vielerlei Hinsicht Fragen auf: Wie geht man z. B. in Hinblick auf ein systematisches Monitoring vor und welche Möglichkeiten gibt es zum Auffinden weiterer Vorkommen? Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, hierfür Lösungsansätze aufzuzeigen. Zum einen wird ein Monitoringkonzept (gemäß Artikel 11 FFH-RL) für die entdeckte Population vorgestellt. Da zur Biologie und Ökologie der Art sehr wenig bekannt ist, worauf ein solches Konzept aufbauen könnte, ist der vorliegende Beitrag als erster Entwurf für ein mögliches Vorgehen gedacht und sollte künftig an erweiterte Kenntnisse angepasst werden. Zum anderen wird eine Analyse vorhandener Daten vorgestellt, die das Auffinden weiterer potenzieller Vorkommen dieser Art befördern soll. Das beschriebene Vorgehen ermöglicht die Abgrenzung von Suchräumen in Deutschland für den Einhorn-Trüffelkäfer. Für die gezielte Nachsuche der Art wird außerdem eine spezifische Erfassungsmethodik formuliert. Offene Fragen und weitere Forschungsfelder zu Biologie und Ökologie der Art werden diskutiert.

FFH-Richtlinie − Bolbelasmus unicornis − Geotrupidae − mycetophag − Deutschland − Oberrhein − Monitoring – Suchräume

Abstract

The European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) is a species listed under the Habitats Directive that was rediscovered in Germany in 2021 after more than 50 years. The finding of the species, which is listed in Annexes II and IV of the Directive, raises questions in many respects: How to proceed with regard to systematic monitoring, for example, and what possibilities exist for finding further occurrences. The aim of the present study is to identify possible solutions. On the one hand, a monitoring concept (according to Article 11 of the Habitats Directive) for the discovered population is presented. Since there is very little biological and ecological knowledge about the species on which the concept could be based, the present work is intended as a first draft for a possible approach and should be adapted in the future as knowledge increases. On the other hand, an analysis of existing data is presented which should help to find further potential occurrences of this species. The approach presented allows the delineation of search areas in Germany for the European earth-borer beetle. A specific survey methodology is also formulated for the targeted search for the species. Open questions and further fields of research on the biology and ecology of the species are discussed.

Habitats Directive − Bolbelasmus unicornis − Geotrupidae − Mycetophagous − Germany − Upper Rhine − Monitoring − Search areas

Inhalt

1 Einleitung und Anlass

2 Biologie und Ökologie des Einhorn-Trüffelkäfers

2.1 Verbreitung

2.2 Biologie

2.3 Lebensraum

2.4 Verhalten

2.5 Gefährdungsursachen

3 Vorschlag für die Erfassung und Bewertung des Einhorn-Trüffelkäfers im Rahmen des FFH-Monitorings

4 Gebiete für die Nachsuche

5 Diskussion

6 Literatur

Dank

1 Einleitung und Anlass

Die Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie beinhaltet eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten an die Europäische Union. Die Berichte enthalten u. a. die wichtigsten Ergebnisse der Überwachung des Erhaltungszustands der Arten und Lebensräume, die in den Anhängen der Richtlinie aufgeführt sind. Im Rahmen dieses FFH-Monitorings wurde in den letzten Jahrzehnten viel Wissenswertes zur Lebensweise und zu Lebensraumansprüchen zahlreicher FFH-Arten zusammengetragen. Für die naturschutzfachliche, aber auch die planerische Praxis wurden in pragmatischer Form viele Erfassungs- und Monitoringmethoden entwickelt (u. a. Trautner, Hermann 2011; Albrecht et al. 2013; BfN, BLAK 2017; Büchner et al. 2017). Nichtsdestotrotz sind die Ökologie und Biologie einiger FFH-Arten nach wie vor weitgehend unbekannt. Hierzu gehören neben den Arthropoden sogar manche Säuger – z. B. die Nymphenfledermaus Myotis alcathoe (von Helversen et al. 2001; Rebelo et al. 2020). Auffallend sind die Wissensdefizite zur Lebensweise und Verbreitung insbesondere bei den Käfern, deren Nachweis oft erst per Zufall in unerwarteten Lebensräumen gelang. Hier sei allen voran der Scharlachrote Plattkäfer Cucujus cinnaberinus (Scopoli, 1763) erwähnt, der bis dato als montanes Relikt der Bergwälder betrachtet wurde, plötzlich jedoch als Arealerweiterer in der Ebene in Hybridpappelforsten auftauchte (Bussler et al. 2013).

Ein Paradebeispiel für eine Käferart, über die man bisher fast nichts weiß, ist der Einhorn-Trüffelkäfer Bolbelasmus unicornis (Schrank, 1789; Abb. 1) − auch Vierzähniger Mistkäfer genannt. Im Jahr 2021 entdeckten wir eine Population dieser bisher in Deutschland auf den FFH-Listen eher der Form halber mitgeführten und damit zu einer quasi geisterhaften Existenz verurteilten Art (Theves, Bittner 2022) in einem FFH-Gebiet bei Karlsruhe.

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Abb. 1: Ein männlicher Einhorn-Trüffelkäfer (Bolbelasmus unicornis) der neu entdeckten Population im Detail.
Fig. 1: A male European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) of the newly discovered population.

Die Erkenntnisse aus den Erfassungen im Juli und August 2021 werden hier mit dem aus der Literatur bekannten Wissen zusammengeführt. Ziel ist es, damit eine Basis zu schaffen, die Anreiz für weitere Forschungen gibt, um Kenntnislücken zu dieser Art zu schließen. Da die von uns entdeckte Population ein Monitoring gemäß Artikel 11 der FFH-Richtlinie erforderlich macht, wird an dieser Stelle ein Monitoringkonzept nach dem Vorbild der Konzepte vorgeschlagen, die im Band 480 der BfN-Skripten publiziert wurden (BfN, BLAK 2017). Der Entwurf für dieses Konzept basiert notwendigerweise teilweise auf Annahmen. Mit zunehmendem Erkenntnisgewinn bezüglich Biologie und Ökologie der Art sollte das Konzept weiter präzisiert werden, wie es auch bei anderen FFH-Arten bisher der Fall war (BfN, BLAK 2017). Darüber hinaus wird auf Grundlage bekannter Nachweisdaten zweier oft mit Bolbelasmus unicornis assoziierter Käferarten ein Suchraum für die FFH-Art in Deutschland abgegrenzt, in dem eine gezielte Nachsuche sinnvoll erscheint.

2 Biologie und Ökologie des Einhorn-Trüffelkäfers

Sowohl die Ökologie als auch die Biologie der Art liegen aktuell noch weitgehend im Dunkeln. Im Folgenden werden die wichtigsten bekannten Fakten kurz vorgestellt.

2.1 Verbreitung

Der weitgehend ost- und südosteuropäisch verbreitete Einhorn-Trüffelkäfer besitzt Hauptvorkommen in der Pannonischen Tiefebene und im ost-submediterranen Raum, zusätzlich gibt es Tendenzen zu einem pontischen Schwerpunkt. Die westlichen Ausläufer des Verbreitungsgebiets fallen mit dem Lauf der Donau und des Oberrheins in Deutschland zusammen. Historische Nachweise gibt es für fast alle Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa (Horion 1958; Král et al. 2006; Juřena et al. 2008; Abb. 2). Es fehlen aber für viele Länder aktuelle Nachweise. Die Mehrheit der aktuellen Angaben stammt aus der Ukraine (GBIF 2021), aus Ungarn (Nádai 2006) und Bulgarien (EEA 2021) sowie aus der Slowakei (Juřena et al. 2008). Auch aus Österreich (Paill 2007; Dostal, Barries 2019) liegen Funde neueren Datums vor. Die westlichsten Nachweise befinden sich im Elsass und stammen aus den 1970er-Jahren (GBIF 2021). In Deutschland wurde die Art im 19. Jahrhundert in der Nähe von Aschaffenburg, Würzburg und Ingolstadt (Horion 1958; Coleoweb.de 2021) gefunden. Danach gab es nur noch zwei Funde in Bayern in den Jahren 1946 und 1954 in der Nähe von Ingolstadt (Juřena 2022) sowie in Baden-Württemberg im Jahr 1967 einen publizierten Fund eines einzelnen Männchens, das südlich von Freiburg i. Br. in der Trockenaue mittels Lichtfang gefunden wurde (Brechtel et al. 1995; Frank, Konzelmann 2002).

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Abb. 2: Karte mit Nachweisen des Einhorn-Trüffelkäfers (Bolbelasmus unicornis) in Europa. In den gelb eingefärbten Ländern existieren belegbare Nachweise der Art. Die farbigen Punkte geben räumlich genauer beschriebene Nachweise der Art wieder.
Fig. 2: Map with European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) records in Europe. In the yellow-coloured countries, there are verifiable records of the species. The coloured dots indicate spatially more precisely described records of the species.

Die Punkte auf der Karte in Abb. 2 geben sowohl historische als auch aktuelle Nachweise wieder. Da bei vielen der Funde kein Datum publiziert wurde, wird hier nicht zeitlich, sondern nur in Form der Quellen differenziert. Einige sehr aktuelle Nachweise aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien stammen aus dem europäischen FFH-Bericht 2019 und datieren somit aus den zwölf Jahren vor dem Jahr 2019.

2.2 Biologie

Der deutsche Name Einhorn-Trüffelkäfer basiert auf Annahmen, impliziert dieser Name doch, dass Bolbelasmus unicornis von Pilzen aus der Verwandtschaft der Trüffel lebt. Belegt ist dies jedoch nur für die Schwesterart B. gallicus (Mulsant, 1842), für die von dem französischen Insektenforscher Jean-Henri Fabre eine Ernährung an Fruchtkörpern hypogäischer (unterirdisch im Boden wachsender) Pilze der Gattung Hydnocystis (Hohl-Trüffelchen) nachgewiesen wurde (Fabre 1900, 1907, 1920). Neuere Untersuchungen konnten diese Beobachtungen aber nicht bestätigen, sondern zeigten eine Ernährung an zersetzten Pflanzenteilen (Rahola Fabra 2004). Zwar scheint auch der Einhorn-Trüffelkäfer mycetophag an verschiedenen unterirdischen Pilzteilen zu fressen (u. a. Koch 1989; Nádai 2006; Petersen et al. 2006) − ob das die einzige Nahrung ist, die von der Art angenommen wird, ist aber unbekannt.

Sowohl der Ablageort der Eier als auch die Morphologie und Biologie der Larve entziehen sich vollständig unserer Kenntnis (Juřena et al. 2008; Juřena 2022). Beobachtungen an verwandten Arten aus Australien (Houston 2016) sind vermutlich nicht einfach auf den Einhorn-Trüffelkäfer übertragbar. In Australien scheinen die untersuchten Larven der Bolboceratinae sehr wenig Nahrung zu benötigen, vermutlich werden Salze und/oder Humin- sowie Fulvosäuren aufgenommen, die den Larven die Wasseraufnahme ermöglichen. Auch Bodenbakterien werden als Nahrungsquelle für die Larven vermutet. Andere Arbeiten aus diesem Raum sprechen von humusreichem Boden als Nahrung der Larven (Howden et al. 2007).

2.3 Lebensraum

Ebenso unklar scheinen die Ansprüche zu sein, die Bolbelasmus unicornis an seinen Lebensraum stellt. Die Angaben reichen von Wäldern und Auen über Waldsteppen bis hin zu Trockenrasen (Sajo 1910; Horion 1958; Paill 2007; Juřena et al. 2008). Deshalb lassen sich die entscheidenden Parameter zur Definition des oberirdischen Lebensraums nur schwer festlegen.

2.4 Verhalten

Bolbelasmus unicornis zeigte am Ort des Wiederfunds bei Karlsruhe ein Verhalten, das sich sehr gut mit den Angaben zu Populationen im übrigen Europa deckt (Juřena 2022). In der Hauptaktivitätszeit zwischen Anfang Juli und Anfang August wurden die Käfer nach Dämmerungseinbruch meist dicht über der Vegetation schwärmend beobachtet. Die Flughöhe von 20 bis 70 cm über dem Boden entsprach dabei der Höhe der Gras- und Krautschicht des mageren Grünlands im untersuchten Habitat. Die ca. 30-minütige Aktivitätsphase begann stets etwa eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang. Weitere Voraussetzungen für die Flugaktivität der Art waren Abendtemperaturen von 16 bis 20 °C sowie vorangegangene Niederschläge. Letztere sorgen für eine Durchfeuchtung des Bodens, wodurch dieser für die überwiegend unterirdisch lebenden Tiere gut grabbar wird. Männchen wie Weibchen flogen − sofern ungestört − träge und scheinbar wenig zielgerichtet umher. Im Lampenlicht war der hellgelbe Hinterleib der schwärmenden Tiere gut sichtbar. Zudem verrieten sich die Käfer auch durch ihr charakteristisches Fluggeräusch − ähnlich dem einer kleineren Hummelart −, das über eine Entfernung von 2 bis 3 m gut wahrnehmbar war.

2.5 Gefährdungsursachen

Klarheit scheint dagegen hinsichtlich einiger Gefährdungsfaktoren zu bestehen. So reagiert die Art offensichtlich sehr sensibel auf Umweltgifte (Szwałko 2004) und ebenso auf eine intensive Bewirtschaftung. Sowohl eine forstwirtschaftliche Nutzung (u. a. Aufforstung) im Lebensraum als auch eine zu intensive Beweidung (Juřena 2022; Daniel Juřena, mündl. Mitt.) haben negative Auswirkungen auf die Populationen. So führt Überweidung zu einer zu offenen Bodenoberfläche, was eine starke Austrocknung des für die Käfer essenziellen Bodens zur Folge haben kann. Das Leben der Art spielt sich überwiegend im Boden ab, woraus u. a. auch die schwere Nachweisbarkeit und der geringe Kenntnisstand zur Lebensweise resultieren. Umso schwieriger ist deshalb die Suche nach potenziellen Gebieten, in denen die Art vertreten sein könnte. Daher wird hier der besondere Umstand genutzt, dass Bolbelasmus unicornis oftmals mit weiteren Käferarten vergesellschaftet ist, die eine ähnliche Lebensweise zeigen, aber etwas weniger kryptisch leben und häufiger sind. In Abschnitt 4 wird dieses Konzept erläutert und daraus eine konkrete Suchkulisse abgeleitet.

3 Vorschlag für die Erfassung und Bewertung des Einhorn-Trüffelkäfers im Rahmen des FFH-Monitorings

Im Jahr 2021 wurde Bolbelasmus unicornis in der Roten Liste der Blatthornkäfer Deutschlands (Schaffrath 2021) in die Kategorie „ausgestorben oder verschollen“ eingestuft. Da auch zum Zeitpunkt der Aufnahme der Art in die FFH-Richtlinie im Rahmen der EU-Osterweiterung 2004 keine aktuellen Nachweise für Deutschland vorlagen (Petersen et al. 2006), wurde kein Vorgehen für die Erfassung und Bewertung von Vorkommen im Rahmen des bundesweiten FFH-Monitorings abgestimmt. Daher möchten wir eine Monitoringmethode und ein Vorgehen zur Bewertung des Erhaltungsgrads von Vorkommen der Art vorschlagen. Da Artikel 11 der FFH-Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Durchführung einer Überwachung des Erhaltungszustands der Arten und Lebensraumtypen der Richtlinie verpflichtet, soll der vorgestellte Ansatz eine pragmatische Lösung bereitstellen, die den wichtigsten Anforderungen Rechnung trägt. Dieser Ansatz versteht sich als methodischer Vorschlag, mit dem eine Standardisierung zur systematischen Erfassung bekannter Populationen erreicht werden soll. Im Zuge neuer Erkenntnisse sollte das Vorgehen künftig angepasst werden. Der in Kasten 1 dargestellte Vorschlag für die Erfassung und Bewertung eines Vorkommens der Art orientiert sich an den Bewertungsschemata für das bundesweite FFH-Monitoring in Band 480 der BfN-Skripten (BfN, BLAK 2017).

Kasten 1: Vorschläge für die Erfassung und Bewertung eines Vorkommens des Einhorn-Trüffelkäfers (Bolbelasmus unicornis).
Box 1: Proposals for the monitoring and assessment of an occurrence of the European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis).

Einhorn-Trüffelkäfer – Bolbelasmus unicornis

Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie: Anhänge II und IV

Bezugsraum:

abgrenzbarer besiedelter Lebensraum pro Universal-Transverse-Mercator(UTM)-Quadrat (5 km × 5 km)

FFH-Monitoring auf Bundesebene:

atlantische Region: keine Vorkommen

kontinentale Region: Totalzensus

alpine Region: keine Vorkommen

Erfassungsturnus:

Populationsgröße: zwei Untersuchungsjahre pro Berichtszeitraum mit je vier Durchgängen

Habitatqualität und Beeinträchtigungen: einmalige Erhebung pro Berichtszeitraum

Methode Populationsgröße: Der Nachweis erfolgt anhand adulter Tiere. Hierzu werden in zwei Jahren je Berichtszeitraum an je vier Tagen Erfassungen in Form von Transektbegehungen durchgeführt. Die erste Abgrenzung des Vorkommens der jeweiligen Population soll der Ausdehnung des Habitats (pflanzensoziologische Einheit) entsprechen, in dem das Vorkommen nachgewiesen wurde. In das Habitat werden durchgängige Transekte von je 100 m Länge gelegt (bis 1 ha: 1 Transekt, für je zwei weitere Hektar je ein weiteres Transekt, max. 3 Transekte je Vorkommen). Die Transekte sind bei geeigneter Witterung (Temperaturen nach Sonnenuntergang zwischen 15 °C und 20 °C, mindestens 15 cm tief durchfeuchteter Boden, ideal sind Begehungen nach Regentagen, Windstärke maximal 2 Bft) innerhalb der vorgegebenen Zeit langsam abzuschreiten. Die Begehungen sollen jeweils 20 min nach Sonnenuntergang beginnen und 60 min nach Sonnenuntergang enden, also 40 min dauern (u. a. Sajo 1910; Čepelák 1925; Juřena et al. 2008; Byk et al. 2016). Während der Transektbegehung wird der Bereich in einem Radius von 3 m um die erfassende Person mit einer Taschen- und/oder Stirnlampe abgeleuchtet, wobei der Fokus auf dem Bereich dicht über der krautigen Vegetation liegt. Alle paar Meter wird verharrt, um schwärmende Käfer ggf. über das Gehör zu orten. Gesichtete Tiere werden mit einem Streifkescher eingefangen und nach Bestimmung des Geschlechts wieder freigelassen. Um doppelte Zählungen am selben Abend zu vermeiden, sind die Käfer auf den Elytren (Deckflügeln) mit einem wasserfesten und lösungsmittelarmen Stift zu markieren. Die Zeiten zum Einfangen von Tieren zählen zur Erfassungszeit. Sind mehrere Transekte je Vorkommen zu bearbeiten, sollten die Begehungen möglichst gleichzeitig erfolgen, um Abende mit geeigneter Witterung optimal zu nutzen (der Boden muss grabfähig für die Käfer sein). Hier muss demnach mit mehreren Kartiererinnen und/oder Kartierern gearbeitet werden.

Start- und Endpunkte der Transekte sowie deren Verlauf sind mittels eines Geoinformationssystems (GIS) auf 5 m genau festzulegen. Es ist darauf zu achten, dass sich die Kartiererinnen und Kartierer den Transektverlauf bei Tageslicht vorab so einprägen, dass sie diesen auch bei Dunkelheit problemlos wiederfinden.

Methode Habitatqualität: Die Habitatqualität wird anhand des Bodens, der Habitatgröße, der krautigen Vegetation und der Gehölze beurteilt:

Boden: Am Transektstandort werden Art und Tiefgründigkeit des Bodens mit geeigneten Methoden ermittelt. Günstig für Bolbelasmus unicornis sind lockere, tiefgründige und wasserdurchlässige Böden, ungünstig hingegen lehmig-tonige, flachgründige und für Staunässe anfällige Böden.
Habitatgröße: Aufgenommen wird die Größe der potenziellen Habitatfläche für die Art, die Anzahl und geschätzte Größe angrenzender Habitate sowie deren Konnektivität. Günstig für die Art sind Habitatkomplexe von über 1 ha Größe aus strukturreichen Magerrasen, die mit Gehölzen durchsetzt und untereinander verbunden sind. In isolierten Einzelhabitaten von unter 1 ha Fläche ist der Fortbestand der Population gefährdet.
Vegetation: Auf einer für den Lebensraum repräsentativen Fläche von 10 m × 10 m im Transektbereich ist der Deckungsgrad der krautigen Vegetation einzuschätzen. Für die Art ungünstig ist einerseits eine sehr dichte verfilzte Vegetation und andererseits eine z. B. durch Überweidung gestörte Vegetationsdecke. Weiterhin ist für die gesamte Fläche die Anzahl lebensraumtypischer Gefäßpflanzen anzugeben.
Gehölze: Der Gehölzbestand auf der durch den Einhorn-Trüffelkäfer besiedelten Fläche ist auf seine Dichte und Artenzusammensetzung hin einzuschätzen. Ein lichter Bestand autochthoner, in das Offenland integrierter Sträucher und Bäume sowie Streuobst wirkt sich günstig auf die Habitatqualität aus, während standortfremde, invasive Arten, die zu einer Veränderung der Vegetationsstruktur oder dem Zuwachsen der offenen Bereiche führen können, negativ zu bewerten sind.
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Abb. K1-1: Matrix zur Bewertung des Erhaltungszustands.
Fig. K1-1: Matrix for the evaluation of conservation status.

4 Gebiete für die Nachsuche

Aus Deutschland ist bisher nur eine aktuelle Population des Einhorn-Trüffelkäfers bekannt. Da die Art aufgrund ihrer versteckten Lebensweise ohne gezielte Nachsuche leicht übersehen werden kann, stellt sich neben der Konzeption der Monitoringmethodik die naheliegende Frage, wie weitere möglicherweise im Bundesgebiet vorkommende Populationen gefunden werden können. Auch wenn der Lebensraum großmaßstäblich kaum enger eingrenzbar ist, so existiert doch eine Möglichkeit, indirekt potenzielle Suchräume auszumachen. Diese besteht darin, Daten zu Vorkommen oftmals mit Bolbelasmus unicornis vergesellschafteter Arten, die ähnliche ökologische Ansprüche aufweisen, miteinander zu verschneiden.

Juřena et al. (2008), Byk et al. (2016) und Juřena (2022) beschreiben den Klapphornkäfer Odonteus armiger (Scopoli, 1772) und Ochodaeus chrysomeloides (Schrank, 1781) als Arten, die zusammen mit Bolbelasmus unicornis vorkommen und sich dabei gelegentlich sogar dieselben unterirdischen Gänge teilen. Die beiden Arten leben an hypogäischen Pilzen (Harde, Severa 1984; Bunalski 1999; Byk et al. 2016), wie es auch für den Einhorn-Trüffelkäfer angenommen wird. Auch im Lebensraum der neuentdeckten Population konnten die beiden Arten zeitgleich zusammen mit B. unicornis beobachtet werden. Es liegt also nahe, dass vom Vorkommen einer dieser beiden Arten oder besser beider Arten in einem Gebiet auf ein mögliches syntopes Auftreten von B. unicornis geschlossen werden kann. Auf dieser Annahme basierend wurden Suchräume identifiziert, in denen ein Vorkommen des Einhorn-Trüffelkäfers möglich erscheint.

Als Datengrundlage für die Artvorkommen, die in die Auswertung einbezogen wurden, dienten die auf coleoweb.de (Coleoweb.de 2021) vorhandenen Nachweise von Odonteus armiger und Ochodaeus chrysomeloides. Hierzu wurden mehrere Screenshots der Vorkommen gemacht, mit QGIS georeferenziert und die TK25-Quadranten-Nachweise digitalisiert. Weiterhin wurden anhand von FFH-Gebieten Suchräume 1. und 2. Priorität formuliert. Die Suchräume 1. Priorität umfassen FFH-Gebiete, die ganz oder teilweise in einem TK25-Quadranten liegen, in dem beide Arten vorkommen. Dabei können die Artnachweise in einem TK-25-Quadranten innerhalb oder außerhalb der FFH-Gebiete liegen. Die Suchräume 2. Priorität umfassen FFH-Gebiete, die ganz oder teilweise in zwei direkt aneinander grenzenden TK25-Quadranten liegen, in denen jeweils nur eine der beiden Arten vorkommt, oder FFH-Gebiete, die ganz oder teilweise in zwei max. 5 km voneinander entfernten TK25-Quadranten liegen mit Vorkommen jeweils nur einer der beiden Arten. Auch bei den Suchräumen 2. Priorität können die Artnachweise in den TK-25-Quadranten innerhalb oder außerhalb der FFH-Gebiete liegen. In Abb. 3 sind die TK25-Quadranten dargestellt, in denen entweder Vorkommen beider Arten belegt sind (orange Punkte) oder in denen beide Arten in aneinandergrenzenden TK25-Quadranten nachgewiesen sind (lila Punkte). Als Vorabgrenzung der Suchraumkulisse wurden die FFH-Gebiete verwendet. Lagen diese in den entsprechenden Quadranten für Priorität 1 oder 2, wurde der Standarddatenbogen (SDB) auf allgemein geeignete terrestrische Lebensraumtypen (LRT) geprüft und im Falle eines Vorhandenseins eines passenden LRT als geeignet definiert. In Tab. 1 finden sich die FFH-Gebiete, die als Suchräume 1. oder 2. Priorität identifiziert wurden.

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Abb. 3: Karte mit allen Nachweisen des Einhorn-Trüffelkäfers (Bolbelasmus unicornis) und mit Nachweisen von Ochodaeus chrysomeloides sowie des Klapphornkäfers (Odonteus armiger) in Mittel- und Süddeutschland und angrenzenden Teilen Frankreichs. Weiterhin werden die Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiete dargestellt, die als Suchraum für den Einhorn-Trüffelkäfer geeignet sind.
Fig. 3: Map with all records of the European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) and records of Ochodaeus chrysomeloides and Odonteus armiger in central and southern Germany and adjacent parts of France. Furthermore, the Sites of Community Importance that are suitable as search areas for the European earth-borer beetle are shown.
SITECODE FFH-Gebietsbezeichnung Suchräume (Priorität) Geeignete LRT gemäß SDB
DE4431304
Thyra im Südharz
1
Ja
DE4530302
Helme mit Mühlgräben
1
Nein
DE4533301
Gewässersystem der Helmeniederung
1
Nein
DE4631301
Dickkopf − Bendeleber Forst − NSG Gatterberge
1
Ja
DE4632302
Kyffhäuser − Badraer Schweiz – Solwiesen
1
Ja
DE4633303
Esperstedter Ried − Salzstellen bei Artern
1
Ja
DE5914303
Rheinniederung Mainz-Bingen
1
Ja
DE5914351
Wanderfischgebiete im Rhein
1
Nein
DE5915301
Rettbergsaue bei Wiesbaden
1
Ja
DE6014302
Kalkflugsandgebiet Mainz-Ingelheim
1
Ja
DE6015302
Ober-Olmer Wald
1
Ja
DE6020301
Streuobstwiesen zwischen Erbig und Bischberg
2
Ja
DE6021302
Standortübungsplatz Aschaffenburg
2
Ja
DE6021371
Extensivwiesen und Ameisenbläulinge in und um Aschaffenburg
2
Ja
DE6117302
Düne am Ulvenberg von Darmstadt-Eberstadt
2
Ja
DE6117303
Lerchenberg und Kernesbellen von Darmstadt-Eberstadt
2
Ja
DE6117306
Weißer Berg bei Darmstadt und Pfungstadt
2
Ja
DE6117307
Pfungstädter Düne
2
Ja
DE6117308
Streuobstwiesen von Darmstadt-Eberstadt/Prinzenberg und Eichwäldchen
2
Ja
DE6118304
Dommersberg, Dachsberg und Darmbachaue von Darmstadt
2
Ja
DE6217302
Seeheimer Düne
2
Ja
DE6217305
Kniebrecht, Melibocus und Orbishöhe von Seeheim-Jugenheim, Alsbach und Zwingenberg
2
Ja
DE6217306
Düne „Neben Schenkenäcker“ zwischen Seeheim und Jugenheim
2
Ja
DE6217307
Oberste und unterste Röder nördlich Seeheim
2
Ja
DE6616301
Speyerer Wald und Haßlocher Wald und Schifferstädter Wiesen
1
Ja
DE6616304
Rheinniederung Speyer-Ludwigshafen
1
Ja
DE6716301
Rheinniederung Germersheim-Speyer
1
Ja
DE6716341
Rheinniederung von Philippsburg bis Mannheim
1
Ja
DE6814302
Erlenbach und Klingbach
2
Ja
DE6816301
Hördter Rheinaue
1
Ja
DE6816341
Rheinniederung von Karlsruhe bis Philippsburg
1
Ja
DE6914301
Bienwaldschwemmfächer
1
Ja
DE6915301
Rheinniederung Neuburg-Wörth
1
Ja
DE6917311
Kinzig-Murg-Rinne und Kraichgau bei Bruchsal
1
Ja
DE6918311
Mittlerer Kraichgau
1
Ja
DE7015341
Rheinniederung zwischen Wintersdorf und Karlsruhe
2
Ja
DE7136304
Donauauen zwischen Ingolstadt und Weltenburg
2
Ja
DE7233373
Donaumoosbäche, Zucheringer Wörth und Brucker Forst
2
Ja
DE7433371
Paar und Ecknach
2
Ja
DE7911341
Kaiserstuhl
1
Ja
DE7912311
Mooswälder bei Freiburg
2
Ja
DE8111341
Markgräfler Rheinebene von Neuenburg bis Breisach
1
Ja
DE8311342
Markgräfler Rheinebene von Weil bis Neuenburg
1
Ja
FFH = Fauna-Flora-Habitat, LRT = Lebensraumtyp, NSG = Naturschutzgebiet, SDB = Standarddatenbogen
Tab. 1: Tabelle der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiete, die den Suchräumen 1. und 2. Priorität entsprechen (weitere Erläuterungen im Text in Abschnitt 4).
Table 1: Table of Sites of Community Importance corresponding to the 1st and 2nd priority search areas (further explanations in the text in chapter 4).

Als Referenz werden in Abb. 3 auch alle historisch bekannten Nachweise von Bolbelasmus unicornis in Deutschland quadrantenscharf dargestellt, wobei auffällt, dass sich die neu definierten Suchräume mit diesen gut decken bzw. diese zueinander in räumlicher Nähe liegen. Im Raum der Altnachweise um Aschaffenburg (Grenze Bayern/Hessen) sind zwar die beiden Indikatorarten vorhanden, jedoch liegt kein FFH-Gebiet in der Nähe. Das macht ein Vorkommen von B. unicornis selbstverständlich nicht unwahrscheinlicher, erschwert jedoch die Abgrenzung eines Suchraums deutlich. Im Raum der Altnachweise um Würzburg fehlen Nachweise der beiden Indikatorarten. Auffällig ist das FFH-Gebiet im nördlichen Thüringen bei Sondershausen, da für dieses keine Altnachweise von B. unicornis existieren, jedoch Vorkommen der beiden anderen Indikatorarten bekannt sind. Die potenziellen Vorkommensflächen in der Oberrheinebene sowohl bei Freiburg i. Br. als auch bei Karlsruhe waren zu erwarten.

Der Nachweis der Art in Baden-Württemberg erfolgte auf einem Kalk-Halbtrockenrasen mit Übergängen zu artenreichen Glatthaferwiesen, die von einzelnen Büschen und Bäumen bestanden waren. Deshalb sollten in den nachfolgend vorgeschlagenen Suchräumen vorzugsweise magere, pflanzenartenreiche, selten gemähte Wiesen und Triften mit spärlichem bis parkartigem Gehölzbestand auf tiefgründigen Böden aus Löss- oder lockerem Kalk- und Sandgrund Orte für eine gezielte Nachsuche sein. Grundsätzliche Voraussetzungen für ein Auftreten der Art sind extensive Bewirtschaftung, wenig Umweltgifte, eine gewisse Habitattradition und ein grabfähiger Boden. Da es sich um eine wärmeliebende Art handelt, scheinen in hügligem Gelände insbesondere südost- bis südwestexponierte Flächen als Lebensraum geeignet. Die Abb. 4a und 4b zeigen einen Ausschnitt des Lebensraums, in dem die Art in der Nähe von Karlsruhe gefunden wurde.

Da die Käfer erst zeitversetzt nach Beginn der Schwärmzeit sichtbare Baue anlegen und diese in höherer Vegetation oft schlecht nachweisbar sind, sollte für den Erstnachweis mit einer nächtlichen Suche nach aktiven Individuen begonnen werden (vgl. Kasten 1). Der Zeitraum, in dem die Tiere an einem Tag oberirdisch angetroffen werden können, beträgt nur rund 30 min. Es empfiehlt sich deshalb, für den Erstnachweis eine Begehung mit mehreren Personen durchzuführen, die im Abstand von etwa 5 m zueinander die Fläche mit Lampen absuchen. Um das eigentliche Habitat besser abgrenzen zu können, sollte im Falle von Nachweisen der Art tagsüber in Bereichen mit offenen Bodenstellen oder lichter Vegetationsdeckung nach möglichen Grabaktivitäten (senkrechte Löcher mit ca. 1 cm Durchmesser und lockerem unregelmäßigem Aushub) gesucht werden (Abb. 5 zeigt ein sich eingrabendes Tier). Werden zuerst Baue gefunden, die möglicherweise der Art zuzuordnen sind, sind nächtliche Nachsuchen unumgänglich, da Verwechslungsgefahr mit anderen Arten besteht, die eine ähnliche Lebensweise aufweisen. Alle Suchen sollten im Idealfall nach Regen(tagen) erfolgen. Während trockener Wetterlage werden sich die Tiere aufgrund des zu harten Bodens nicht ins Freie graben und somit nicht nachweisbar sein (Daniel Juřena, mdl. Mitt.).

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Abb. 4: Aufnahmen des Lebensraums der neu entdeckten Population des Einhorn-Trüffelkäfers (Bolbelasmus unicornis) im Norden von Karlsruhe: a) typischer Landschaftsausschnitt der Flächen, auf denen Individuen des Einhorn-Trüffelkäfers nachgewiesen wurden, b) weiterer Blick in den durch die Art bewohnten Lebensraum.
Fig. 4: Photographs of the habitat of the newly discovered population of the European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) in the north of Karlsruhe: a) typical landscape section of the areas where individuals of the species have been detected, b) further view into the habitat inhabited by the species.
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Abb. 5: Ein Einhorn-Trüffelkäfer (Bolbelasmus unicornis) gräbt sich bei Nacht in den Boden.
Fig. 5: A European earth-borer beetle (Bolbelasmus unicornis) burrowing into the ground at night.

5 Diskussion

Der zufällige Wiederfund der FFH-Käferart Bolbelasmus unicornis wirft einige Fragen auf. Zum einen ist offen, wie für Arten, überderen Ökologie und Biologie fast nichts bekannt ist, sinnvoll Schutzgebiete ausgewiesen werden können (Anhang II der FFH-Richtlinie) und wie der Erhaltungszustand solcher Arten eingestuft und ggf. verbessert werden kann. Zum anderen besteht die Schwierigkeit, deren Individuen bzw. Populationen effektiv im strengen Arten-schutz (Anhang IV der FFH-Richtlinie) zu sichern. Am Beispiel von B. unicornis zeigt sich, wie rasch der momentan doch recht eindimensionale praktische Naturschutz an seine Grenzen stößt. Insbesondere bei der Erforschung der Grundlagen muss noch viel erarbeitet werden. Es reicht nicht aus, die Art unter strengen Schutz zu stellen, während deren Lebensräume flächenmäßig immer kleiner werden und qualitativ degradieren. Vielfach fehlen, wie dieses Beispiel verdeutlicht, die erforderlichen Kenntnisse zum Pflegemanagement sogar für Arten, die nach europäischem Recht höchsten Schutz genießen. Da die Grundlagenforschung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich vernachlässigt wurde und Mangel an Arten-kennerinnen und -kennern herrscht, bestehen in diesem Bereich eklatante Wissenslücken, die den praktischen Naturschutz erschweren (Whitehead 1990; Widmer 2017; Krogmann et al. 2018; Klausnitzer, Segerer 2019; Cardoso et al. 2020). Im Fall des Einhorn-Trüffelkäfers sind die Defizite quasi allgegenwärtig. Juřena (2022) erstellte eine Veröffentlichung, die das aktuell bekannte Wissen zu der Art zusammenfasst. Aus dieser geht hervor, dass derzeit weder Biologie noch Lebensraumansprüche noch Gefährdungspotenzial von Larve und Käfer soweit bekannt sind, dass für diese Maßnahmen für den praktischen Naturschutz abgeleitet werden können.

Die neu entdeckte Population bietet uns Gelegenheit, die Wissenslücken zu dieser Art etwas mehr zu schließen. Die Mehrheit der aktuelleren Nachweise von Bolbelasmus unicornis erfolgte über den Einsatz von Bodenfallen oder künstlichen Lichtquellen (u. a. Paill 2007; Juřena 2022; Theves, Bittner 2022). Dennoch sprechen einige Gründe dafür, nach neuen Vorkommen gezielt über schwärmende Tiere zu suchen und auch ein Monitoring mittels Transektbegehungen auf diese zu fokussieren. So handelt es sich bei den aktuelleren Nachweisen von B. unicornis mittels Bodenfallen (Nádai 2006; Paill 2007) und Lichtfängen mehrheitlich um Zufallsbeobachtungen (Juřena 2022). Bisher war man aufgrund der ungenauen Kenntnis der Ökologie der Art auf diese angewiesen. Für eine systematische Suche und ein Monitoring ist jedoch eine effizientere Methode notwendig. Durch das inzwischen besser erforschte Schwärmverhalten der Art bietet sich ein solch zielgerichtetes Vorgehen an (Juřena 2022).

So hatten wir nach unserem ersten Fund an einem Leuchtturm zunächst versucht, weitere Nachweise mit systematisch angebrachten Lichtfallen zu erbringen (Theves, Bittner 2022), was jedoch ohne Erfolg blieb. Im selben Zeitraum konnten hingegen durch Transektbegehung gleich mehrere Tiere gefunden werden. Juřena (2022) hält diese Methode ebenfalls für die effizienteste und weist darauf hin, dass die Mehrheit der Tiere während des Flugs Licht sogar meidet. Da nach eigenen Beobachtungen beide Geschlechter gleichermaßen bei bestimmten Witterungsbedingungen für kurze Zeit schwärmen und dabei auch gut zu hören sind, bieten die vorgeschlagenen Transektbegehungen den besten Weg für Nachweise und quantitative Einschätzungen zur Populationsgröße. Zudem sind diese wenig invasiv, da die Käfer – anders als beim Einsatz von Fallen – nicht zu Schaden kommen. Die vorgeschlagenen Transektbegehungen sind außerdem einfach von den Kartiererinnen und Kartierern zu reproduzieren und decken eine verhältnismäßig große Fläche ab.

Darüber hinaus sollten trotz des hohen Schutzstatus, dem die Art unterliegt, Forschungen ermöglicht werden. Nur so lassen sich Informationen zum Erhaltungszustand erlangen, die für die Erfüllung der FFH-Berichtspflicht erforderlich sind. In diesem Kontext wäre es hilfreich, zunächst die Nahrungsquelle der Larven zu bestimmen oder auch die Frage zu klären, wie lange die Käfer leben und ob sie trockene Jahre im Boden überdauern können. Nur wenn wir verstehen, welche Anforderungen die Art an ihre Umwelt stellt, liegen uns die Grundvoraussetzungen für einen effektiven Schutz vor. Das eröffnet die Möglichkeit, die Art in ihrer Funktion als Schirmart (Anhang-II-Art) zu erhalten und damit auch weitere Arten zu schützen.

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Dank

Bei Daniel Juřena möchten wir uns ausdrücklich für den konstruktiven und extrem offenen, hilfreichen Austausch bedanken. Außerdem danken wir dem Regierungspräsidium Karlsruhe für die Befreiung von den Verbotsbestimmungen der NSG-Verordnung und für die Erteilung der artenschutzrechtlichen Ausnahme zu Erfassungen von Insekten im Naturschutzgebiet (NSG) „Michaelsberg und Habichtsbuckel“. Darüber hinaus bedanken wir uns für die konstruktive Kritik und die Änderungsideen der beiden anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachter.

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Dr. Torsten Bittner

Korrespondierender Autor

Staatsbetrieb Sachsenforst

NSG-Verwaltung Königsbrücker Heide/

Gohrischheide Zeithain

Weißbacher Straße 30

01936 Königsbrück

E-Mail: torsten.bittner@smekul.sachsen.de

Der Autor ist Referent für Arten und Biotopschutz im Wildnisgebiet Königsbrücker Heide. Studium der Biologie in Erlangen mit den Schwerpunkten Ökologie, Entomologie und Naturschutz. Der Autor arbeitete freiberuflich und in Planungsbüros, promovierte in Bayreuth zu FFH-Arten und FFH-Lebensraumtypen im Klimawandel, arbeitete zehn Jahre im Naturschutz des Landes Baden-Württemberg (Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg − LUBW und Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung − LGL) und kehrte Ende 2021 in seine Oberlausitzer Heimat zurück.

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Dr. Florian Theves

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