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Baumkronen als Habitat gefährdeter Käfer am Beispiel von Hartholzauwäldern in Sachsen-Anhalt, Region Mittelelbe

Tree crowns as habitat of endangered beetles as exemplified by alluvial hardwood forests in Saxony-Anhalt, Middle Elbe Reserve

DOI: 10.19217/NuL2021-11-01 • Manuskripteinreichung: 23.5.2020, Annahme: 6.7.2021

Andreas Floren, Peter Sprick, Peter J. Horchler und Tobias Müller

Zusammenfassung

In der Region Mittelelbe bei Dessau wurden im Mai und Juni in den Jahren 2016 und 2017 die Käfergemeinschaften von 149 Exemplaren auwaldtypischer Baumarten mittels Baumkronenvernebelungen (Fogging) gesammelt. Ziel der Untersuchungen war es, die Bedeutung der Baumkronen als Habitat von Käferarten, die in ihrem Bestand als gefährdet eingestuft werden, zu untersuchen. Insgesamt wurden 602 Käferarten in 30 458 Exemplaren (Ex.) aus 65 Familien nachgewiesen. Basierend auf den in den Roten Listen Sachsen-Anhalt 2020 bewerteten Käferfamilien ergab die Auswertung, dass 108 der 465 bewerteten Arten (23,2 %) bzw. 2 889 von 23 509 Käferindividuen (12,3 %) in eine der Gefährdungskategorien R, 0, 1, 2, 3 fallen. Eingeschlossen sind dabei 7 Neufunde und 1 Wiederfund, für deren Familien nur zum Teil eine Gefährdungseinstufung vorliegt. Besonders auffallend ist der hohe Anteil kleiner und kleinster, seltener oder schwer nachweisbarer Arten. Die meisten gefährdeten Arten wurden auf den 23 untersuchten Eichen nachgewiesen (65 Arten, 1 085 Ex.), gefolgt von den 57 Bäumen der Gewöhnlichen Esche (61 Arten, 665 Ex.), 50 Rot-Eschen (54 Arten, 654 Ex.), 12 Ulmen (37 Arten, 333 Ex.), 6 Linden (21 Arten, 138 Ex.) und 1 Wildbirne (6 Arten, 14 Ex.). Nach Standardisierung mittels Rarefaction fanden sich die meisten Rote-Liste-Arten auf der Gewöhnlichen Esche (Fraxinus excelsior). Anders als auf Eichen und Ulmen wurden diese aber in geringer Anzahl gesammelt. Auch in den relativen Anteilen der Gildenkomposition unterscheiden sich beide Gruppen. Diese Unterschiede bestätigen sich auch für den gesamten Datensatz und werden zurzeit analysiert.

Baumkronenvernebelungen – Baumartenspezifität – Kronenfauna – Diversitätserfassung – Gilden

Abstract

In the Mittelelbe region near Dessau, arboreal beetle communities of 149 floodplain forest trees were collected by insecticidal knock-down (fogging) in May and June in 2016 and 2017. The investigation aimed at assessing the importance of the canopy for endangered beetles. A total of 602 beetle species in 30,458 specimens from 65 families were detected. Based on the beetle families evaluated in the 2020 Red Lists of Saxony-Anhalt, we found that 108 of the 465 evaluated species (23.2 %) or 2,889 out of 23,509 beetle individuals (12,3 %) belong to one of the Red List categories R, 0, 1, 2, 3. This includes seven new records and one rediscovered species. Particularly striking is the high proportion of small and very small, rare or difficult to detect species. Most endangered species were detected on the 23 oaks (65 species, 1,085 specimens), followed by the 57 common ash trees (61 species, 665 specimens), 50 red ash trees (54 species, 654 specimens), 12 elm trees (37 species, 333 specimens), 6 linden trees (21 species, 138 specimens) and 1 wild pear tree (6 species, 14 specimens). After standardisation by rarefaction, most Red List species were found on Fraxinus excelsior. However, unlike on Quercus and Ulmus, these were collected in low numbers. The relative proportions of guild composition also distinguished the two groups of trees. These differences are confirmed for the entire data set, which is currently being analysed.

Fogging – Tree specificity – Canopy fauna – Diversity monitoring – Guilds

Inhalt

1 Einleitung

2 Material und Methoden

3 Ergebnisse

4 Diskussion

4.1 Baumkronen als Lebensraum gefährdeter Arten

4.2 Bewertung der Baumkronenbenebelungsmethode

5 Ausblick – Möglichkeiten der Baumkronenbenebelung

Zusatzmaterial zum Beitrag

Dank

1 Einleitung

Deutschland gehört mit über 38 000 Arthropodenarten (Gliederfüßer) zu den Ländern mit der bestuntersuchten Fauna weltweit (Völkl, Blick 2004). Hinsichtlich des Vorkommens einiger artenreicher Insektengruppen und ihrer Verbreitung in den Bundesländern bestehen jedoch größere Kenntnislücken. Die gezielte Erfassung wenig bearbeiteter Gruppen sowie regelmäßig und systematisch durchgeführte Freilanderhebungen sind wichtige Grundlagen, um die Kenntnisse zum Vorkommen der Insekten, ihre Bestandssituation und mögliche aktuelle Gefährdungen von Arten abschätzen zu können. Ausbreitungsvorgänge oder lokale Rückgänge können so ebenfalls erkannt werden.

Großvolumige Baumkronen stehen wegen ihrer eingeschränkten Erreichbarkeit weniger im Fokus der faunistischen Feldforschung. Entsprechend groß sind die Wissenslücken hinsichtlich der Bedeutung von Baumkronen für die Arthropodendiversität (Floren, Schmidl 2008). Seit einigen Jahren stehen Methoden zur Verfügung, mit denen die Kronenfauna untersucht werden kann. Insbesondere zu nennen sind hier Kreuzfensterfallen oder Lufteklektoren sowie die Insektizidvernebelungsmethode (Fogging). Kreuzfensterfallen sammeln bei freier Aufhängung vorwiegend fliegende Arten aus dem umgebenden Luftraum. Sie werden aber auch zur Erfassung von Arten eingesetzt, die sich in bestimmten Totholzstrukturen – z. B. Baumhöhlen oder abgestorbenen, voll besonnten Kronenästen – entwickeln (Gürlich 2015). Während Kreuzfensterfallen vornehmlich zur ökologisch-faunistischen Analyse der Kronenfauna eingesetzt werden, dient das Fogging der Erfassung des Vorkommens der Arten in den Baumkronen mit dem Ziel die Diversität, funktionelle Zusammensetzung und Dynamik der Lebensgemeinschaften einzelner Bäume oder Baumarten zu analysieren. Dabei werden die Arthropoden annähernd entsprechend ihrer jeweiligen Häufigkeit und mit konkretem Raumbezug zu dem beprobten Baum gesammelt (Floren 2010). Kreuzfensterfallen, die in den Bäumen installiert über Wochen fängig sind, und Fogging ergeben sehr unterschiedliche Artenspektren, selbst wenn beide Methoden im selben Baum zum Einsatz kommen und dienen somit unterschiedlichen Fragestellungen und Zielen.

Die hier vorgestellten Ergebnisse stellen einen Teilaspekt eines Projekts zur Untersuchung des Einflusses der Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) auf die Biodiversität in der Elbtalaue dar. Sie geben einen Überblick über die nachgewiesenen Käferarten und dokumentieren deren Verteilung auf den untersuchten Baumgattungen und -arten, wobei gefährdete und faunistisch relevante Arten besonders im Blick stehen. Die Bewertung der Artnachweise erfolgte mithilfe der Roten Listen (RL) des Landes Sachsen-Anhalt (LAU 2020) und faunistischer Literatur (Köhler, Klausnitzer 1998; Köhler 2000b; Bäse 2008; Köhler 2011; Bäse 2013, 2018).

2 Material und Methoden

Die Untersuchungen wurden in Auwäldern an der Elbe bei Dessau in den Naturschutzgebieten (NSG) Saalberghau (51,875 N, 12,196 E) und Steckby-Lödderitzer Forst (51,878 N, 12,023 E) durchgeführt (Abb. 1), die ca. 10 km voneinander entfernt sind. Untersucht wurden folgende auwaldtypische, häufige Baumarten der Hartholzaue:

    Gewöhnliche Esche (Fraxinus excelsior L.),

    Rot-Esche (F. pennsylvanica Marshall),

    Stieleiche (Quercus robur L.),

    Flatterulme (Ulmus laevis Pall.),

    Winterlinde (Tilia cordata Mill.) sowie

    ein Exemplar der Wildbirne (Pyrus pyraster L.) (Tab. 1).

/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2021_11/images/NuL_11_2021_Floren_01_K.jpg _01-Floren_ID21
Abb. 1: Lage der Untersuchungsflächen in den gesetzlich geschützten Hartholzauwäldern der Naturschutzgebiete Saalberghau (Osten) und Steckby-Lödderitzer Forst (Westen) entlang der Elbe bei Dessau in den Jahren 2016 und 2017. Farbig dargestellt sind die Baumarten. Die Punktgröße ist entsprechend der Anzahl der Käferarten skaliert. Zur besseren Sichtbarkeit wurden die Baumpunkte etwas gegeneinander verrückt.
Fig. 1: Study site in the hardwood forests of the Saalberghau (East) and Steckby-Lödderitzer Forst (West) nature conservation areas along the Elbe near Dessau in 2016 and 2017. Trees are distinguished by colours. Dot size is scaled according to the number of beetle species. Trees are jittered for better visibility.
Tab. 1: Mittels Fogging (Vernebelung) nachgewiesene Käferarten der untersuchten Baumarten über alle Jahre und getrennt für die Jahre 2016 und 2017.
Table 1: Fogged beetle species of the investigated tree species detected across all years and separately for the years 2016 and 2017.
2016 – 2017
Gesamt
Fraxinus excelsior
Fraxinus pennsylvanica
Quercus robur
Ulmus laevis
Tilia cordata
Pyrus pyraster
Anzahl der Benebelungen
149
57
50
23
12
6
1
Anzahl der Arten
602
421
338
317
215
131
39
Anzahl der Individuen
30 458
5 476
7 363
7 846
8 298
1 360
115
Anzahl der Arten gelistet in LAU (2020)1
465
313
262
248
173
101
28
Davon RL-Arten2
108
61
54
65
37
21
6
Anteil von RL-Arten2 (%)
23,23
19,49
20,61
26,21
21,39
20,79
21,43
Anzahl der Individuen von Arten gelistet in LAU (2020)1
23 509
3 603
5 000
6 128
7 863
852
63
Davon Individuen von RL-Arten2
2 889
665
654
1 085
333
138
14
Anteil der Individuen von RL-Arten2 (%)
12,29
18,46
13,08
17,71
4,24
16,20
22,22
2017
Gesamt
Fraxinus excelsior
Fraxinus pennsylvanica
Quercus robur
Ulmus laevis
Tilia cordata
Pyrus pyraster
Anzahl der Benebelungen
100
30
30
21
12
6
1
Anzahl der Arten
521
337
279
305
215
131
39
Anzahl der Individuen
25 976
3 584
5 228
7 391
8 298
1 360
115
Anzahl der Arten gelistet in LAU (2020)1
401
248
214
238
173
101
28
Davon RL-Arten2
99
55
41
63
37
21
6
Anteil von RL-Arten2 (%)
24,69
22,18
19,16
26,47
21,39
20,79
21,43
Anzahl der Individuen von Arten gelistet in LAU (2020)1
20 714
2 252
3 918
5 766
7 863
852
63
Davon Individuen von RL-Arten2
2 420
473
439
1 023
333
138
14
Anteil der Individuen von RL-Arten2 (%)
11,68
21,00
11,20
17,74
4,24
16,20
22,22
2016
Gesamt
Fraxinus excelsior
Fraxinus pennsylvanica
Quercus robur
Anzahl der Benebelungen
49
27
20
2
Anzahl der Arten
303
235
171
65
Anzahl der Individuen
4 482
1 892
2 135
455
Anzahl der Arten gelistet in LAU (2020)1
227
172
131
52
Davon RL-Arten2
36
24
28
12
Anteil von RL-Arten2 (%)
15,86
13,95
21,37
23,08
Anzahl der Individuen von Arten gelistet in LAU (2020)1
2 795
1 351
1 082
362
Davon Individuen von RL-Arten2
469
192
215
62
Anteil der Individuen von RL-Arten2 (%)
16,78
14,21
19,87
17,13
RL = Rote Liste
1 Arten, die in den Roten Listen Sachsen-Anhalt (LAU 2020) aufgeführt werden
2 Arten der Gefährdungskategorien 1, 2, 3, R der Roten Listen Sachsen-Anhalt (LAU 2020) sowie der Neu- und Wiederfunde

Die Freilandarbeiten fanden jeweils Ende Mai bis Mitte Juni in den Jahren 2016 und 2017 statt. 2016 waren die Untersuchungen im NSG Saalberghau auf 49 Benebelungen begrenzt, während im Folgejahr 42 Benebelungen im NSG Steckby-Lödderitzer Forst und 58 im NSG Saalberghau durchgeführt wurden.

Die Methode der Insektizidvernebelung hat sich als sehr effektiv für den Fang arborikoler (baumbewohnender) Arthropoden erwiesen; damit lassen sich frei lebende Arthropoden quantitativ und baumspezifisch in den sammeltechnisch schwer zu erreichenden Baumkronen erfassen. Die Methode ist schnell und unkompliziert einzusetzen, dauert nur wenige Minuten und ist allein von den Witterungsverhältnissen abhängig. Die exakte Positionierung der Fangfläche unter einer Baumkrone bedingt, dass nicht zu einer Baumgemeinschaft gehörende Arten weitgehend ausgeschlossen werden. Auch bleibt der Wirkungsradius des Insektizids bei fachgerechtem Einsatz auf einen engen Umkreis um die untersuchte Baumkrone begrenzt. Um die Belastung für das Ökosystem so gering wie möglich zu halten, wurde natürliches Pyrethrum eingesetzt, das sich im Sonnenlicht innerhalb weniger Stunden zersetzt und keine Rückstände auf den Bäumen hinterlässt. Für den Einsatz wird das Insektizid in einem hochgereinigten Weißöl ohne chemische Zusatzstoffe gelöst. Die Benebelungen wurden am frühen Morgen oder Abend bei Windstille bzw. nur geringen Luftbewegungen durchgeführt. Die Arthropoden, die zwei Stunden nach einer Vernebelung in die Fangplanen gefallen waren, wurden eingesammelt und in 80 %-iger Ethanollösung konserviert.

Aus den Benebelungsproben wurden alle Coleopteren (Käfer) aussortiert und bestimmt. Die Spezialisten waren: Peter Sprick (Phytophage [Pflanzenfresser], zahlreiche weitere Familien), Jens Esser (Cryptophagidae und ausgewählte Kleinkäfer), Dieter Siede † (Ptiliidae), Arved Lompe (Trixagus und Arten weiterer Familien), Klaus Renner (Epuraea pallescens), Benedikt Feldmann (Staphylinidae), Herbert Fuchs (Mordellistena purpureonigrans), Heinrich Meybohm (Bibloplectus), Volker Brachat (weitere Pselaphinae), Andreas Kopetz (Cantharidae), Martin Jung (Cholevidae), und Wolfgang Rücker (Latridiidae, u. a. Melanophthalma und Corticaria) (zu den deutschen Bezeichnungen der Käferfamilien siehe Tab. A im Online-Zusatzmaterial. Belegexemplare befinden sich in der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz und in den Sammlungen von Peter Sprick und Andreas Floren. Für die ökologische Einteilung der Käfer wurde folgende Literatur zu Hilfe genommen: Köhler (2000a, 2010), Schmidl, Bussler (2004) und Möller (2009).

Als Grundlage für die Zuordnung der Arten zu den Gefährdungskategorien wurden die Roten Listen (RL) Sachsen-Anhalt (LAU 2020) herangezogen, in denen die in Tab. 2 genannten RL-Kategorien unterschieden werden. Hier wurden die Arten der Kategorien 0, 1, 2, 3 und R untersucht und werden im Folgenden als RL-Arten bezeichnet. Um bisher nicht für Sachsen-Anhalt gemeldete Arten ermitteln zu können, wurde zusätzlich die Arbeit von Frank, Schnitter (2016) berücksichtigt.

Tab. 2: Kategorien der Roten Listen Sachsen-Anhalt (LAU 2020).
Table 2: Categories of the Red Lists of Saxony-Anhalt (LAU 2020).
Rote-Liste-Kategorie
0
Ausgestorben oder verschollen
R
Extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion
1
Vom Aussterben bedroht
2
Stark gefährdet
3
Gefährdet
G
Gefährdung anzunehmen, aber Status unbekannt
D
Daten defizitär
V
Arten der Vorwarnliste
*
Ungefährdet
Fett = im Projekt berücksichtigte Rote-Liste-Kategorien

Die statistische Analyse wurde in „R“ ® durchgeführt (R Core Team 2019). Hierzu wurden die R-Pakete vegan ® (Oksanen et al. 2019), VennDiagramm ® (Chen 2018) und iNEXT ® (Hsieh et al. 2020) genutzt. Die Karte wurde mit Hilfe der R-Pakete packages rosm ® (Dunnington, Giraud 2019) and prettymapr ® erstellt (Dunnington 2017; OpenStreetMap). Neben Darstellung der Fangzahlen als Histogramm wurden Rarefaction-Kurven (Hurlbert 1971) und standardisierte Erwartungswerte der Artenzahlen auf einem vergleichbaren Teilstichprobenumfang berechnet. Dies ermöglicht es, die Artenvielfalt von Bäumen zu vergleichen, die unterschiedlich oft benebelt wurden.

Alle von einer Baumart gesammelten Käfer wurden ihren Fraßgilden zugeordnet und in Form von Barplots gegenübergestellt. Entsprechend wurden die Habitatgilden der xylobionten (holzbewohnenden) Käfer verglichen. Die relativen Anteile der Gildenzusammensetzung zwischen den Baumarten wurden mit einem Proportions-Test (Newcombe 1998) verglichen. Alle p-Werte wurden für multiple Vergleiche mit der Methode nach Bonferoni adjustiert.

3 Ergebnisse

Bei allen Benebelungen wurden 602 Käferarten aus 65 Familien identifiziert, von denen 28 Familien der Roten Liste in unseren Proben nachgewiesen wurden. Die Anzahl der pro Baum gesammelten Käferarten und deren Häufigkeiten variierten stark zwischen beiden Fangjahren, wie dies auch die Relationen der Käfer pro Baum zeigen (Tab. 1), was auf die hohe Dynamik der Auwälder hinweist. So wurden 2017 bei doppelter Anzahl benebelter Bäume 521 Arten und fast sechsmal so viele Käferindividuen gesammelt, 2016 waren es 303 Arten. In absoluten Zahlen wurden von den Eschen 2017 sehr viel mehr Arten und Individuen gesammelt als 2016.

Der relative Anteil gefährdeter Käferarten war auf Fraxinus excelsior 2017 höher als 2016, auf F. pennsylvanica und Quercus robur aber jeweils ähnlich. Von insgesamt berücksichtigten 465 Arten sind 108 (23,2 %) in einer der RL-Kategorien 1, 2, 3, R inklusive der Neu- und Wiederfunde aufgeführt, was 2 889 Käferindividuen (12,3 %) entspricht. Insgesamt betrug der Anteil an RL-Arten für keine Baumart weniger als 19 %, während die Häufigkeiten der Käfer zwischen 4,2 % auf Ulmus laevis und 18,5 % auf F. excelsior variierte; auf Pyrus pyraster waren es 21,4 %.

Die Anzahl der Käferarten in den Gefährdungskategorien 1 – 3 war ähnlich hoch und zählte 32, 35 bzw. 32 Arten (Abb. 2a). Von den Eichen wurden insgesamt 65 Arten gesammelt und von den Eschen waren es 61 Arten auf Fraxinus excelsior und 54 Arten auf F. pennsylvanica (zusammengenommen 80 RL-Arten; Tab. 1; Abb. 2). Dabei traten in allen Gefährdungskategorien auch zahlreiche Arten in höherer Individuenzahl auf (Abb. 2b) – z. B. Stenomax aeneus (RL-3 [RL-Kategorie 3], 176 Exemplare [Ex.]), Polydrusus pterygomalis (RL-3, 159 Ex.), Melanophthalma rhenana (RL-2, 664 Ex.), Tetrops starkii (RL-2, 200 Ex.), Agrilus convexicollis (RL-2, 195 Ex.), Hypebaeus flavipes (RL-1, 241 Ex.) oder Cryptocephalus querceti (RL-1, 94 Ex.) (vgl. Tab. A im Online-Zusatzmaterial).

/fileadmin/magazines/naturundlandschaft/current/2021_11/images/NuL_11_2021_Floren_02a_K_K2_02b_K_K2_Tableau.jpg _01-Floren_ID24
Abb. 2: Häufigkeit von a) Käferarten und b) Käferindividuen der Gefährdungskategorien 1, 2, 3 (ST-1, ST-2, ST-3) der Roten Listen Sachsen-Anhalt (LAU 2020) und der Neu- und Wiederfunde auf den untersuchten Baumarten. Sieben Arten wurden neu für Sachsen-Anhalt nachgewiesen und eine weitere Art ist ein Wiederfund.
Fig. 2: Occurrence of a) beetle species and b) beetle individuals in the endangered categories 1, 2, 3 (ST-1, ST-2, ST-3) of the Red Lists of Saxony-Anhalt (LAU 2020) and new and rediscovered species as collected from all tree species. Seven beetle species were new for Saxony-Anhalt and one was rediscovered.

Besonders hervorzuheben sind sieben Neunachweise für Sachsen-Anhalt: Agriotes sordidus (Elateridae), Berginus tamarisci (Mycetophagidae), Bibloplectus pusillus (Staphylinidae-Pselaphinae), Magdalis fuscicornis (Curculionidae), Dorcatoma minor (Anobiidae), Ptenidium punctatum und Ptinella denticollis (beide Ptiliidae). Gastrallus laevigatus (Anobiidae) gilt mit 64 Individuen, davon 39 auf Fraxinus, als Wiederfund. Mit Trichoceble memnonia (Dasytidae, 3 Ex. auf Quercus) sowie Atomaria morio (Cryptophagidae, 1 Ex. je auf Quercus und Fraxinus pennsylvanica) wurden 2017 2 Arten aus der Kategorie R nachgewiesen.

Die Akkumulationskurven und die Berechnung der Artenzahlen auf einer für alle Baumarten gleichen Teilstichprobe von 700 Käferindividuen bestätigen eine hohe Diversität von RL-Arten auf den Eschen, besonders auf Fraxinus excelsior, gefolgt von Quercus und Ulmus (Abb. 3a). Die unterschiedliche Steigung der Kurven ist Folge der unterschiedlichen Häufigkeitsverteilungen der Käfer auf den Baumarten. Anders als auf den Eichen und Ulmen ist die hohe Diversität auf den Eschen auf viele wenig abundante Arten zurückzuführen. Insgesamt deutet das Fehlen einer Abflachung der Kurven auf das Vorkommen zahlreicher weiterer Arten in dem Gebiet. Der flache Kurvenverlauf für die Linden deutet auf eine geringere Diversität. Nur 12 der RL-Käferarten (11 %) wurden auf allen Bäumen gefunden.

Von den 28 ausgewerteten Käferfamilien sind die Staphylinidae die artenreichste Gruppe (18 Arten, 170 Ex.), gefolgt von den Cerambycidae (17 Arten, 367 Ex.), von denen allein Tetrops starkii 200 Tiere zählte sowie den Curculionidae (16 Arten, 285 Ex.), von denen Polydrusus pterygomalis mit 159 Tieren gesammelt wurde. Melanophthalma rhenana (Latridiidae) allein stellte 664 Individuen oder 99,6 % der 681 gesammelten Latridiidae (Abb. 3b). Zusammen repräsentieren die 10 häufigsten Familien 75 % aller RL-Arten und 93 % der Individuen (vgl. auch Abb. A im Online-Zusatzmaterial).

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Abb. 3: a) Artenakkumulationskurven (Rarefaction) der Käfer der Gefährdungskategorien 1, 2, 3, R der Roten Listen (RL) Sachsen-Anhalt (LAU 2020) inkl. Neu- und Wiederfunde (RL-Arten) für die verschiedenen Baumarten; infolge vieler geringabundanter Käferarten verläuft die Rarefaction-Kurve für die Gewöhnliche Esche (Fraxinus excelsior) am steilsten und zeigt die höchste Diversität; die gestrichelten Kurven sind extrapolierte Werte im Rahmen der Gesamterfassung. b) Die Käferfamilien mit den meisten RL-Arten und -Individuen. Je dunkler der Grünton, desto größer die Zahl der angegebenen Individuen; mittlere Werte sind in dunklem Rot, der höchste Wert in hellem Rot dargestellt.
Fig. 3: a) Rarefaction curves of the beetles of the endangered categories 1, 2, 3, R of the Red Lists of Saxony-Anhalt (LAU 2020) incl. new and rediscovered species for the different tree species; as a result of many low-abundance beetle species, the rarefaction curve for Fraxinus excelsior is steepest and indicates highest diversity; dotted curves are extrapolated in the context of the overall survey. b) The beetle families with most Red List species and individuals. The darker the shade of green, the greater the number of individuals indicated; medium values are shown in dark red, the highest value in bright red.

Die meisten der RL-Arten zählen zur Fraßgilde der Xylophagen (Holzfresser), die 818  Ex. oder 28 % aller Käfer stellen. Es folgen die Zoophagen (Fleischfresser) und Mycetophagen (Pilzfresser) mit jeweils 26 % (vgl. Abb. 4). Die Zusammensetzung der Fraßgilden auf den Baumarten zeigt deutliche Unterschiede, wobei sich die beiden Eschenarten nur in dem Anteil der mycetophagen Käfer unterscheiden (prop.test p < 0,001). Auf den Eschen repräsentierten xylophage Käfer mit jeweils etwa 40 % die häufigste Gilde, unter ihnen die mit jeweils 100 bzw. 84 Individuen nachgewiesenen, die mit Fraxinus assoziierten Arten Tetrops starkii (Cerambycidae) und Agrilus convexicollis (Buprestidae). Die Anteile der Fraßgilden auf Eiche, Ulme und Linde unterscheiden sich nicht signifikant voneinander, allerdings sind die Zahlen auf den Linden sehr klein. Von den Phytophagen wurden insgesamt 24 Arten in 376 Exemplaren nachgewiesen, von denen Polydrusus pterygomalis mit 159 Tieren und, bis auf Ulme, auf allen Baumarten nachgewiesen wurde. Auf den Linden war die Art mit 64 Individuen dominant. Mit Cryptocephalus querceti und Anthonomus humeralis wurden noch zwei weitere seltene Arten mit mehr als 60 Individuen gefunden. Von den 31 zoophagen RL-Arten stellten die Arten der Kategorien 1, 2, R sowie der Neufund Bibloplectus pusillus 86,3 % der Individuen.

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Abb. 4: Zuordnung der Rote-Liste-Käfer (RL-Käfer) (Gefährdungskategorien 1, 2, 3, R der Roten Listen Sachsen-Anhalt inkl. Neu- und Wiederfunde; LAU 2020) zu ihren Fraßgilden in a) absoluten Zahlen der Individuen und b) relativen Anteilen; Zuordnung der xylobionten RL-Käfer zu ihren Habitatgilden in c) absoluten Zahlen der Individuen und d) relativen Anteilen. Fe = Fraxinus excelsior, Fp = Fraxinus pennsylvanica, Qr = Quercus robur, Ul = Ulmus laevis, Tc = Tilia cordata, Pp = Pyrus pyraster; Fraßgilden: myc = mycetophag, phy = phytophag, sap = saprophag, xyl = xylophag; zoo = zoophag; Habitatgilden: fresh = Frischtotholzbesiedler, fungi = Holzpilzbesiedler, mulm = Mulmbesiedler, old = Alttotholzbesiedler, special = Sonderbiologien.
Fig. 4: Allocation of Red List beetles (endangered categories 1, 2, 3, R of the Red Lists of Saxony-Anhalt incl. new and rediscovered species; LAU 2020) to their feeding guilds in a) absolute numbers of individuals and b) relative proportions; allocation of xylobiont endangered beetles to their habitat guilds in c) absolute numbers of individuals and d) relative proportions. Fe = Fraxinus excelsior, Fp = Fraxinus pennsylvanica, Qr = Quercus robur, Ul = Ulmus laevis, Tc = Tilia cordata, Pp = Pyrus pyraster; feeding guilds: myc = mycetophagous, phy = phytophagous, sap = saprophagous, xyl = xylophagous; zoo = zoophagous; habitat guilds: fresh = found on fresh dead wood, fungi = mycetophagous, mulm = mulm cavities, old = found on old dead wood, special = special biology.

Die meisten Kronenkäfer waren Xylobionte (65 Arten in 1 678 Ex.), die damit 60 % der Arten und 58 % der Individuen stellten. Die relativen Anteile der Habitatgilden waren auf den Eschenarten sehr ähnlich und unterschieden sich nur im Anteil der pilzbesiedelnden Arten (prop.test p < 0,01). Quercus robur, Ulmus laevis und Tilia cordata zeigten keine Unterschiede. Von den 24 insgesamt nachgewiesenen Arten der Baumpilzbewohner sind 5 als gefährdet eingestuft. Die häufigste Art dieser Gilde war die bisher aus Sachsen-Anhalt noch nicht gemeldete Dorcatoma minor mit 36 Individuen. Typische Baumhöhlenbewohner waren nur mit 6 Arten in 16 Individuen vertreten, darunter allerdings große Seltenheiten wie Megapenthes lugens (Elateridae) oder Pedostrangalia revestita (Cerambycidae). Von den 3 saprophytischen (von totem organischen Material lebende) Arten war nur Stenomax aeneus (Tenebrionidae) mit 176 Käfern häufig.

4 Diskussion

4.1 Baumkronen als Lebensraum gefährdeter Arten

Die hier vorgestellten Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur Biodiversität von Arthropoden der Hartholzauwälder an der Elbe in Sachsen-Anhalt dokumentieren einmal mehr die Bedeutung von Baumkronen für die faunistische Feldforschung (Unterseher et al. 2007; Floren, Schmidl 2008). Mit insgesamt 602 Käferarten von 149 Bäumen sind die Elbauwälder außerordentlich artenreich und lassen noch zahlreiche weitere Arten vermuten. Eine systematische Erforschung der Baumkronen wurde bislang in Mitteleuropa nicht durchgeführt. Auch wenn sich die Datenlage während der letzten zehn Jahre deutlich verbessert hat (vgl. Bleich et al. 2021), lassen sich aus den Rasterpunktdaten die Abundanzen und ökologischen Informationen nicht ablesen.

Bemerkenswert ist der Anteil gefährdeter Käferarten in den Baumkronen. Von den insgesamt 602 nachgewiesenen Arten sind 108 Arten oder 18 % als bestandsgefährdet geführt, inklusive der 8 Neu- oder Wiederfunde. Dies verdeutlicht den Beitrag der Kronenforschung für die Einschätzung der Gefährdung von Arten und zeigt, dass manche als gefährdet eingestufte Arten in den Baumkronen regelmäßig und in höherer Abundanz vorkommen. Die Bedeutung des Foggings zeigt sich auch in dem hohen Anteil schwer nachweisbarer Arten, von denen viele in höherer Anzahl gefunden wurden. Von den 100 bewerteten Arten der Kategorien R, 1, 2, 3 werden 57 auch auf der RL Deutschlands geführt (Geiser 1998), was auf die überregionale Bedeutung der Baumkronen als Teillebensraum für bedrohte Arten hinweist.

Von allen der nachgewiesenen RL-Arten stellten die Xylobionten die größte Fraktion. Am häufigsten waren rinden- und splintbrütende Frischholzbewohner (15 Arten in 593 Ex.), sowie 8 Arten in 80 Ex., die an abgestorbenes bzw. absterbendes Astwerk vorwiegend stehender Bäume angepasst sind. Zu den offenbar gut mittels Fogging nachweisbaren Frischholzbewohnern gehören u. a. 9 Agrilus- und 8 Magdalis-Arten, zahlreiche Borkenkäfer und Bockkäfer, darunter mehrere sehr seltene Arten wie Axinopalpis gracilis, Exocentrus punctipennis oder Grammoptera ustulata. Dagegen ist der kleine Anteil baumhöhlenbewohnender Arten sicher methodisch bedingt, da der Insektizidnebel vor allem Käfer erreicht, die sich auf den Blättern und Zweigen aufhalten.

Überraschend war der Nachweis hoher Artenzahlen auf den Eschen, obwohl Fraxinus als Baumart mit einer vergleichsweise wenig assoziierten Fauna gilt (Brändle, Brandl 2001; Sprick, Floren 2008). Im Unterschied zu den Eichen und Ulmen wurden die meisten Arten in geringer Häufigkeit gesammelt, was beide Gruppen voneinander abgrenzt. Von den Linden wurden, trotz 6 benebelter Bäume, zu wenige Tiere für einen sinnvollen Vergleich gesammelt. Mit den Unterschieden in der Häufigkeitsverteilung auf Fraxinus, Quercus und Ulmus gehen entsprechende Unterschiede in der Gildenkomposition einher. Sowohl die Fraß- als auch die Habitatgilden der xylobionten Käfer bestätigen die Ähnlichkeit bzw. die Unterschiede zwischen den Eschen einerseits und den Eichen und Ulmen andererseits. Diese bestätigen sich auch für den gesamten Datensatz und werden gerade analysiert. Im Kontext dieser Arbeit gehen wir deshalb nicht näher auf die Bedeutung der neophytischen Rot-Esche ein, können aber festhalten, dass sie ähnlich viele Arten sammelt wie die Gewöhnliche Esche. Die Bedeutung der Rot-Esche wird detailliert in einer Folgepublikation besprochen. Interessant ist auch die Variabilität der Fangergebnisse 2016 und 2017, die gewissermaßen ein Abbild der Dynamik der umgebenden Lebensräume und abiotischen Faktoren sein dürften. Sie zeigen sehr deutlich, dass die Diversität nur auf Grundlage regelmäßig durchgeführter, langfristiger Erfassungen einzuschätzen ist.

Trotz des hohen Anteils gefährdeter Arten und Individuen am Gesamtfang wurde keine streng geschützte Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Käferart nachgewiesen. Hieraus wird ersichtlich, wie lückenhaft die Liste der FFH-Käferarten zusammengestellt ist. Zwar ist die Datenlage bei einigen Staphylinidae und manch anderer Gruppe kleiner und kleinster Käfer relativ schlecht, für die holzbewohnenden Arten liegt jedoch eine abgestimmte Expertenmeinung vor, die deren hohe naturschutzfachliche Eignung im Zusammenhang mit der Bewertung der Bedeutung von Waldstandorten untermauert. Unverständlich ist, warum nicht auch Urwaldreliktarten, von denen immerhin 7 nachgewiesen wurden (Ampedus elegantulus, Ischnodes sanguinicollis, Lacon querceus, Megapenthes lugens, Cardiophorus gramineus, Pycnomerus terebrans und Saperda punctata), einen gleichrangigen Schutz wie die FFH-Käferarten erhalten (Müller et al. 2005; Eckelt et al. 2017).

Neben den genannten streng geschützten Arten wurden aus den Baumkronen noch eine Vielzahl höchst seltener und gefährdeter Arten gesammelt, die allenfalls durch einen allgemeinen Biotopschutz geschützt sind. Entsprechendes gilt für Arten der RL-Kategorien 1 und R aus gut untersuchten Käferfamilien wie den Buprestidae, den Cerambycidae oder den Cleridae. Arten, wie die sehr seltenen Anthaxia deaurata, Saperda punctata oder Tilloidea unifasciata sind drei Beispiele, die in Kulturwäldern Mitteleuropas nurmehr schwer zu finden oder ganz verschwunden sind. Die hier vorgestellte Untersuchung unterstreicht einmal mehr die herausragende ökologische Bedeutung des gesetzlich geschützten Biotoptyps Hartholzauwald, der von vollständiger Vernichtung bedroht ist und als kaum regenerierbar eingestuft wird (Finck et al. 2017).

4.2 Bewertung der Baumkronenbenebelungsmethode

Die Baumkronenbenebelung ist eine effektive Methode, mit der sich die Lebensgemeinschaften ektophytisch (auf der Außenseite) auf Blättern und Zweigen lebenden Käfer erfassen lassen. Insbesondere lassen sich phytophage (z. B. Curculionidae, Chrysomelidae), Omnivore (Allesfresser) (z. B. viele Elateridae) und manche zoophage Cantharidae, Malachiidae, Dasytidae nachweisen, die mit anderen Methoden zum Teil deutlich weniger gut gefunden werden, wie dies beispielsweise für Anthonomus, Magdalis oder Cryptocephalus gezeigt wurde (Sprick, Floren 2007). Auch werden mit den Vernebelungen viele Klein- und Kleinstkäfer, wie Pselaphinae, Ptiliidae oder Aleocharinae, mit wenig bekannter Lebensweise erfasst. Gegenüber Kreuzfensterfallen sammelt das Fogging Arthropoden aus definierten Raumeinheiten und stellt damit einen räumlich-zeitlichen Bezug zu den untersuchten Bäumen her, wie dies mit anderen Methoden – z. B. Kreuzfensterfallen – nicht möglich ist.

Es ist uns bewusst, dass der Einsatz der Foggingtechnik im Naturschutz auch abwehrende Reaktionen und die Frage nach der Notwendigkeit hervorruft. Lange galt Fogging als destruktive und unspezifische Massenfangmethode. Das hat über Jahre die Sicht auf diese Methode geprägt. Aber auch für das Fogging gilt, dass der wissenschaftliche Nutzen und die Auswirkungen auf das Ökosystem gegeneinander abzuwägen sind. Ein entscheidender Punkt betrifft die Auswirkungen des Insektizids auf das Ökosystem (siehe Abschnitt 2): Um diese so gering wie möglich zu halten, setzten wir ausschließlich natürliches Pyrethrum ein, dass sich schnell zersetzt und keine Rückstände hinterlässt. Da natürliches Pyrethrum eine hohe „Knock-down“-Kapazität, aber nur eine geringe „Knock-out“-Kapazität besitzt, die eingesetzte Konzentration zudem so gering wie möglich, d. h. kleiner 1 % gehalten wird (vergl. Floren 2010), erholen sich viele der „ausgeknockten“ Arthropoden wieder. Im Fall gefährdeter Arten, wie etwa des Heldbocks, Cerambyx cerdo, der in demselben Gebiet 2020 in 3 Exemplaren nachgewiesen wurde, wurden die Tiere wieder freigesetzt. Da der Pyrethrum-Nebel nur oberflächlich wirkt, werden im Substrat sitzende Larven und Adulte nicht geschädigt.

Schlussendlich ist festzuhalten, dass in den meisten Monitoringstudien verschiedenste Sammelmethoden (wie Malaise- und Kreuzfensterfallen usw.) zum Einsatz kommen, die teilweise erheblich mehr Tiere sammeln als das Fogging (vgl. Köhler 2000a, 2010; Gürlich 2015). Den Bedenken gegen die Foggingmethode steht eine Vielzahl neuer Erkenntnisse gegenüber, die vor allem auf den quantitativen Analysemöglichkeiten und der Analyse baumspezifischer Gemeinschaften beruhen, die bislang nicht möglich waren.

5 Ausblick – Möglichkeiten der Baumkronenbenebelung

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Vernebelungsmethode einen neuen Standard für die Erfassung und Einschätzung der arborikolen Biodiversität setzt, und verdeutlichen die Notwendigkeit, die Untersuchungen auf weitere Waldformationen auszudehnen. Voraussetzung hierfür ist aber die richtige Einordung der Foggingmethode im Vergleich zu anderen Sammelmethoden. Dies ändert sich langsam. So wurde 2020 ein Biodiversitätsmonitoring im Biosphärenreservat Mittelelbe durchgeführt, dass zurzeit ausgewertet wird. Die mehrjährigen Untersuchungen in den Elbauen belegen nicht nur die Wertigkeit der Baumkronen als Habitat und zeigen die hohe Dynamik dieser Systeme, sondern ermöglichen in Zukunft die Einbindung der arborikolen Biodiversität in Ökosystemanalysen.

Zusatzmaterial zum Beitrag

Floren A., Sprick P., Horchler P.J., Müller T. (2021): Baumkronen als Habitat gefährdeter Käfer am Beispiel von Hartholzauwäldern in Sachsen-Anhalt, Region Mittelelbe. Natur und Landschaft 96(11): 509 – 516. DOI: 10.19217/NuL2021-11-01

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Dank

Wir danken allen Käferexperten, Ralf Rombach und Martin Küpper für Anmerkungen und Diskussionen, sowie zwei Gutachtern. Ein besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Biosphärenreservats Mittelelbe, ohne deren Hilfe die Freilandarbeit wesentlich aufwändiger gewesen wäre. Die Erstellung der Karte war möglich durch Nutzung von OpenStreetMap (https://www.openstreetmap.org). Wir danken dem Umweltamt – Untere Naturschutzbehörde von Dessau-Roßlau und Köthen für die Erteilung der naturschutzrechtlichen Zustimmung zu den Untersuchungen 2016 (83.2.29/NSG Saal/Z/2016) und 2017 (66/69 2-37/17).

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Priv.-Doz. Dr. Andreas Floren

Korrespondierender Autor

Universität Würzburg

Biozentrum – Department Bioinformatik

Am Hubland

97074 Würzburg

E-Mail: floren@biozentrum.uni-wuerzburg.de Der Autor arbeitet an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Nach dem Studium der Biologie und Geographie an der Universität Köln wechselte er 1989 an die Universität Würzburg an den Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie. Seitdem stehen Arthropodengemeinschaften in Baumkronen im Fokus seiner Forschung, anfangs in Malaysia zur Thematik Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Biodiversität; später wurden diese Untersuchungen auf Europa ausgeweitet. Im Vordergrund seiner Arbeit stehen: Umfang und Bedeutung der arborikolen Biodiversität für Ökosytemfunktion und -leistungen und ihr Bezug zu naturschutzfachlichen Fragen.

NuL_11_2021_Floren_Vita.jpg

Dr. Peter Sprick

Curculio-Institut e. V. (CURCI)

Weckenstraße 15

30451 Hannover

E-Mail: psprickcol@t-online.de

Dr. Peter J. Horchler

Bundesanstalt für Gewässerkunde

Referat U3 – Vegetationskunde, Landschaftspflege

Am Mainzer Tor 1

56068 Koblenz

E-Mail: horchler@bafg.de

Dr. Tobias Müller

Universität Würzburg

Biozentrum – Department Bioinformatik

Am Hubland

97074 Würzburg

E-Mail: tobias.mueller@uni-wuerzburg.de

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