Jorrit Holst
Zusammenfassung
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zielt darauf ab, Menschen zu einer aktiven Teilhabe an der Gestaltung einer nachhaltigen Gegenwart und Zukunft zu befähigen. Während das Bildungskonzept in den letzten Jahren zunehmend in formalen Dokumenten des deutschen Bildungssystems
verankert wurde, ist die praktische Umsetzung von BNE auf die Bildungsakteure vor Ort in den regionalen Bildungslandschaften angewiesen. In diesem Beitrag werden die Potenziale und möglichen Rollen von Nationalparken, Naturparken und Biosphärenreservaten für die BNE-Praxis in
regionalen Bildungslandschaften diskutiert. Dafür werden zwei Rollen auf einem Spektrum an Handlungsmöglichkeiten identifiziert und in regionale Prozesse der BNE-Umsetzung eingeordnet: Großschutzgebiete als Träger ganzheitlicher BNE-Lernorte und Großschutzgebiete als regionale
Moderations- und Vernetzungsstellen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung – Großschutzgebiete – Nachhaltigkeit – Bildungslandschaften – Netzwerke – Whole Institution ApproachAbstract
Education for Sustainable Development (ESD) aims to equip people with the abilities to actively co-create sustainable societies – now and in future. While the concept has been taken up increasingly in the formal documents of the German education system in recent years, the
practical implementation of ESD is dependent on the diverse actors within regional educational landscapes. This article discusses potentials and possible roles of national parks, biosphere reserves and nature parks for ESD practice in these regional educational landscapes. Linked to
regional ESD implementation processes, two roles are identified within a spectrum of possible actions: large protected areas as locations of holistic ESD learning and large protected areas as brokers and moderators in regional ESD networks.
Education for Sustainable Development – Large protected areas – Sustainability – Educational landscapes – Networks – Whole Institution ApproachInhalt
1 Befähigung zur Gestaltung nachhaltiger Zukünfte: BNE in Regionen und Kommunen
Klimawandel, Pandemien, soziale Ungleichheiten und Spannungen, Biodiversitätsverlust, demographischer Wandel – vor dem Hintergrund der umfangreichen Herausforderungen im 21. Jahrhundert gewinnt Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt auch durch das
Engagement von Bewegungen wie Fridays for Future. Gleichzeitig stellen diese vielfältigen und komplexen Herausforderungen die Menschheit vor eine doppelte Aufgabe: Nicht nur sind weitreichende politische Entscheidungen notwendig, um potenziell katastrophale Folgen der Überschreitung
planetarer Grenzen abzuwenden (WBGU 2011; Otto et al. 2020) – im Zuge solch fundamentaler Veränderungen bedarf es auch umfassender individueller und kollektiver Lernprozesse (vgl. Sterling 2016). Diese Lernprozesse finden allerdings nicht nur auf politischen Bühnen, sondern vor allem auch vor Ort bei den Menschen in den Regionen und Kommunen statt.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) setzt bei diesen Lernprozessen an: Sie zielt darauf ab, Menschen zu einer aktiven Teilhabe an der Gestaltung nachhaltiger und lebenswerter Zukünfte zu befähigen. Dafür verfolgt BNE den Anspruch, das Bildungswesen so zu entwickeln, dass in
allen Bildungsbereichen die für einen gesellschaftlichen Wandel zur Nachhaltigkeit notwendigen Kompetenzen, Wissensarten und Werte gefördert werden (z. B. UNESCO 2020). Dies bedeutet unter anderem, dass die Entwicklung solcher Kompetenzen
gefördert wird, die Menschen dazu befähigen, individuell und kollektiv verantwortungsvoll im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung handeln zu können (vgl. u. a. de Haan 2008; Rieckmann 2018). Dieser
Anspruch von BNE manifestiert sich in den vergangenen Jahren zunehmend sowohl strukturell, z. B. bei der Überarbeitung von Lehr- und Bildungsplänen (Holst, Brock 2020; Holst, Singer-Brodowski 2020),
als auch praktisch vor Ort in regionalen Bildungslandschaften und spezifischen Lernorten (DUK 2014).
Während das Bildungskonzept BNE also zunehmend in den Strukturen des deutschen Bildungssystems verankert wird (Holst et al. 2020), ist die praktische Übersetzung auf die Akteurinnen und Akteure vor Ort angewiesen. So deutet eine
Interviewstudie des bundesweiten BNE-Monitorings im kommunalen Bereich auf die besondere Bedeutung der Stärkung und des Ausbaus nachhaltiger regionaler Bildungslandschaften als zentrale Treiber von BNE hin (Grapentin-Rimek 2019). Im Sinne von
Kolleck et al. (2012: 138) bestehen Bildungslandschaften „in der Regel aus Netzwerken, die formale, non-formale und informelle Bildungsorte und -gelegenheiten in einem geographisch begrenzten Raum kohärent miteinander verschränken, um
den Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen aber auch Familien und Gruppen vor Ort optimierte Lern- und Entwicklungschancen bieten zu können“. Nachhaltige Bildungslandschaften erweitern diesen Begriff, indem sie „Nachhaltigkeit bzw. BNE als übergreifende Kernthemen“ in die gesamte
Bildungslandschaft integrieren (Kolleck 2015: 33).
Neben stärkerer Vernetzung und dem Ausbau nachhaltiger Bildungslandschaften konnten im Rahmen des bundesweiten BNE-Monitorings (vgl. Singer-Brodowski et al. 2019) als weitere Hebel zur BNE-Umsetzung im kommunalen Raum u. a.
Fort- und Weiterbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen und Kommunen, die Ausrichtung gesamter Institutionen an Nachhaltigkeit sowie die Einrichtung kommunaler Anlauf- und Beratungsstellen zur Stärkung von BNE identifiziert werden (Grapentin-Rimek 2019). Gleichzeitig zeigen Dokumentanalysen besonders nachhaltigkeitsaffiner Kommunen, dass der Prozess einer umfassenderen Verankerung von BNE im kommunalen Raum bisher von einer eher kleinen Gruppe an Kommunen vollzogen wird (Brock 2018). Während also eine Priorisierung von BNE und Nachhaltigkeit in kommunalen Verwaltungen als entscheidender Treiber der praktischen Umsetzung von BNE gilt, können diese Prozesse gerade in ländlichen Regionen von einer weiteren Akteursgruppe
ergänzt werden: Großschutzgebiete. Gerade durch ihre großflächige räumliche Ausdehnung und ihren gesetzlichen Auftrag zu Bildung und Nachhaltigkeit können Großschutzgebiete eine wichtige Rolle bei der Gestaltung nachhaltiger regionaler Bildungslandschaften einnehmen.
In den folgenden Abschnitten werden vor diesem Hintergrund Potenziale und mögliche Rollen von Großschutzgebieten bei der regionalen BNE-Umsetzung diskutiert. Aufbauend auf einer Einführung zu Großschutzgebieten als (Lern)räumen für nachhaltige Entwicklung werden zwei idealtypische
Rollen auf einem Spektrum an Handlungsmöglichkeiten identifiziert: Großschutzgebiete als Träger ganzheitlich nachhaltiger BNE-Lernorte (Rolle A, siehe Abschnitt 3) und Großschutzgebiete als regionale Moderations- und
Vernetzungsstellen innerhalb einer BNE-Bildungslandschaft (Rolle B, siehe Abschnitt 4). Anschließend werden Implikationen der verschiedenen Handlungsoptionen für Großschutzgebiete sowie Möglichkeiten für die regionsspezifische
Ausgestaltung der BNE-Umsetzung diskutiert.
2 Großschutzgebiete: (Lern)räume für nachhaltige Entwicklung in den Regionen
Nahezu ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands wird von Naturparken (ca. 28,4 %), Biosphärenreservaten (ca. 3,9 %) und Nationalparken (ca. 0,6 %) eingenommen (BfN 2020). Während die drei Schutzgebietskategorien
unterschiedliche Priorisierungen in ihren Aufgabenfeldern aufweisen, ist Bildung ein zentraler Auftrag aller drei Typen von Großschutzgebieten. So sollen Naturparke und Biosphärenreservate gemäß § 25 und § 27 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) explizit der BNE dienen.
Während BNE im Verlauf der UN-Dekade BNE (2005 – 2014) und des nachfolgenden UNESCO-Weltaktionsprogramms (2015 – 2019) also zunehmend auch in den Strukturen der Großschutzgebiete angekommen ist, besteht bei vielen noch ungenutztes Potenzial, BNE
querschnittlich in die Bildungspraxis zu übertragen (vgl. u. a. Leng 2009).
Mit Blick auf die Naturparke argumentieren Horstick, Schubert (2019), dass Großschutzgebiete durch ihre langjährigen Erfahrungen in der Umweltbildung und ihre Positionierung in regionalen Netzwerken bedeutende Chancen für die praktische
Umsetzung von BNE vor Ort in den Regionen und Kommunen darstellen. So arbeiten Großschutzgebiete bereits häufig eng mit Schulen, Kitas sowie mit weiteren Partnern der Region zusammen, um im Rahmen ihres Bildungsauftrags Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen zu behandeln. Durch die
Novellierung des BNatSchG im Jahr 2018 und die explizite Aufnahme von BNE als Auftrag der Naturparke habe dieses bestehende Potenzial erneut Aufwind erfahren (ebd.). In diesem Sinne bezeichneten sich die Naturparke im 2018 veröffentlichten
Wartburger Programm, das Ziele bis 2030 festhält, selbst explizit als „Bildungsregionen für nachhaltige Entwicklung“ (VDN 2018). Ähnliche Zielstellungen finden sich sowohl im Positionspapier des MAB-Nationalkomitees (2014) als auch auf der Internetseite Nationale Naturlandschaften e. V. (2021) für Biosphärenreservate (z. B. „[BNE] soll den Gedanken der Nachhaltigkeit über die Biosphärenreservate hinaus in alle
Lebensbereiche der Menschen integrieren“). So bezeichnet u. a. auch Schreiner (2010: 115) die Biosphärenreservate als „ideale Lernorte im Rahmen einer BNE“ und weist auf die wichtige Rolle der Schutzgebietsverwaltungen hin. Das kombinierte
Potenzial vielfältiger bestehender Erfahrungen, enger Etablierung in regionalen Strukturen und Netzwerken und eines expliziten Gesetzesauftrags stellt somit eine weitreichende Chance dar, Großschutzgebiete als regionale Lernräume für nachhaltige Entwicklung (vgl. Marwege 2014) zu stärken.
In den folgenden beiden Abschnitten werden daher zwei mögliche Rollenbilder für Großschutzgebiete aus einem Spektrum verschiedener Handlungsmöglichkeiten entwickelt, die jeweils merklich über die Aufbereitung von Angeboten aus dem Bereich der Umweltbildung hinausgehen.
3 Rolle A: Großschutzgebiete als Träger ganzheitlich nachhaltiger BNE-Lernorte
Die erste der beiden hier vorgestellten möglichen Rollen beleuchtet das Potenzial von Großschutzgebieten, an den eigenen Lernorten als Vorbild einer ganzheitlich nachhaltigen Entwicklung zu agieren. In diesem Sinne können sich Großschutzgebiete bewusst als Lernräume der
Nachhaltigkeit und – mit Blick auf sich selbst – als lernende Einrichtungen verstehen. Als solche haben Großschutzgebiete die Möglichkeit und das Potenzial, in der eigenen Tätigkeit einen gesamtinstitutionellen Ansatz (Whole Institution Approach) zu verfolgen (vgl.
u. a. Buckler, Creech 2014). Dabei wird Nachhaltigkeit als Grundlage allen Handelns verstanden, sowohl innerhalb einer Einrichtung (z. B. Führungsprozesse, Organisationskultur) als auch in allen nach außen gerichteten Tätigkeiten
(z. B. BNE in der pädagogischen Praxis, Klimabilanz der Einrichtung, Einbettung in eine nachhaltige Bildungslandschaft). Ziel ist es in diesem Rollenbild also, dass nicht nur die inhaltlichen und methodisch-didaktischen Aspekte qualitativ hochwertiger BNE in die alltägliche Arbeit
der Schutzgebiete einfließen, sondern dass BNE letztlich auch Kern der internen Qualitätsentwicklung, des Gelände- und Gebäudemanagements, der Innen- und Außenkommunikation und der Zusammenarbeit mit Partnern wird (vgl. u. a. Rieckmann
2018).
Ein solch ganzheitliches Verständnis von BNE fördert die reale und von Lernenden wahrgenommene Kohärenz zwischen Lerninhalten und Lernorganisation, wodurch Nachhaltigkeit in all ihren Facetten nicht nur thematisiert, sondern in einem Großschutzgebiet als Lernraum erlebbar werden
kann. Eine solche Ausrichtung bedeutet auch, dass in den Regionen erlebte Zielkonflikte zwischen verschiedenen Perspektiven (z. B. über den Umgang mit Wolf oder Biber) nicht negiert werden, sondern dass gerade auch Widersprüche als Lernanlass verstanden werden können, um gemeinsam
nach Wegen einer nachhaltigen Entwicklung zu suchen.
Die Aufgaben eines solchen Großschutzgebietes im Bereich Bildung umfassen somit insbesondere die kritische und konstruktive Evaluation bestehender Lernorte sowie der eigenen Angebote an anderen Lernorten vor dem Hintergrund guter BNE (vgl. Brock
et al. 2016). Wichtig ist in diesem Prozess, dass gerade nicht nur die Weiterentwicklung von Bildungsmodulen selbst, sondern auch ihre institutionelle Einbettung in nachhaltige Strukturen bedeutsames Kriterium der Qualitätsentwicklung wird. Dies könnte zunächst eine
Bestandsaufnahme eigener Angebote beinhalten, in der die bisherige Tätigkeit bilanziert und wertschätzend anerkannt wird. Darauf aufbauend können verschiedene Bedarfe (z. B. an Fort- und Weiterbildungen, internen Prozessen [Leitbild, Aktionsplan], Ressourcen oder für die
Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen) identifiziert werden, die zu einer ganzheitlichen Weiterentwicklung der bestehenden Angebote und Lernorte beitragen können.
Letztlich zielt die Ausrichtung von Großschutzgebieten als Trägern von Lernorten der BNE darauf ab, in den Schutzgebieten bestehende Strukturen, Angebote, Formate und Partnerschaften aufzugreifen und sie vor dem Hintergrund von BNE ganzheitlich weiterzuentwickeln. In diesem Sinne
haben sie als non-formale Anbieter von hochwertiger BNE das Potenzial, einen zentralen Beitrag zur regionalen Bildungslandschaft zu leisten. Dabei agieren Großschutzgebiete selbst als Räume, in denen Lernprozesse zwischen Mitarbeitenden, Partnern und Teilnehmenden in den
Bildungsangeboten stattfinden. Wichtige Voraussetzungen für eine solche Rolle als Träger ganzheitlicher BNE-Lernorte sind unter anderem eine Bereitschaft zur Selbstevaluation, zur Neu- und Weiterentwicklung der eigenen Angebote und Organisationsstrukturen sowie zum Denken außerhalb
bestehender Muster.
4 Rolle B: Großschutzgebiete als Moderations- und Vernetzungsstellen innerhalb der regionalen BNE-Bildungslandschaft
Die zweite hier vorgestellte Rolle beschreibt das Potenzial von Großschutzgebieten, als zentrale Knotenpunkte innerhalb ihrer jeweiligen regionalen Bildungslandschaft zu agieren. Durch ihre häufig bereits bestehende Einbettung in regionale Netzwerke, oft langfristige Zusammenarbeit
mit anderen Bildungseinrichtungen, zumeist enge Anbindung an kommunale Strukturen und durch ihren gesetzlichen Auftrag zu regionaler nachhaltiger Entwicklung haben Großschutzgebiete gute Voraussetzungen dafür, als Vernetzungs- und Unterstützungsstellen in nachhaltigen
Bildungslandschaften (Kolleck 2015) zu agieren. Zentrale Zielstellung dieses zweiten Rollenbilds ist es also, als Großschutzgebiet explizit zu einer ganzheitlichen und nachhaltigkeitsorientierten Weiterentwicklung der Region als „Lernlandschaft
für eine nachhaltige Entwicklung“ (Marwege 2014: 224) beizutragen.
Aufgabe einer solchen Moderations- oder Vernetzungsstelle ist es, zusammen mit den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren vor Ort Potenziale und Bedarfe für eine stärkere regionale Verankerung von BNE zu identifizieren, eine gemeinsame regionale Strategie zu entwickeln und deren
Umsetzung zu unterstützen und zu begleiten. Dies beinhaltet neben einer Förderung der Vernetzung zwischen Personen und Organisationen aus den unterschiedlichen Bildungsbereichen und Kommunen (z. B. Aufbau eines BNE-Netzwerks oder Arbeitskreises) u. a. eine moderierende
Begleitung von Beteiligungsprozessen, die Organisation von Fort- und Weiterbildungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die Erschließung von Projekten und finanziellen Ressourcen für BNE sowie den Ausbau der regionalen und überregionalen Kommunikation zu BNE und Nachhaltigkeit.
Als Vernetzungsstelle kann ein Großschutzgebiet also einen wichtigen Knotenpunkt im Mehrebenensystem zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen vor Ort, kommunalen Verwaltungen und überregionalen Netzwerken, engagierten Einzelpersonen, Partnern und Förderern darstellen. Während also
auch ein Großschutzgebiet mit einem Selbstverständnis als BNE-Lernraum eigene Bildungsangebote zu Nachhaltigkeit durchführen kann, liegt der Schwerpunkt in diesem Rollenmuster stärker auf der Unterstützung der vielfältigen anderen Bildungsakteurinnen und -akteure der Region.
Ein erster Schritt in eine solche Richtung kann beispielsweise eine Bestandsaufnahme zu BNE und Nachhaltigkeit in der Region sein, um basierend auf einem möglichst offenen Beteiligungsprozess mit den regionalen Akteurinnen und Akteuren Bedarfe und Potenziale zu ermitteln. Da eine
explizit vernetzende und unterstützende Rolle innerhalb einer nachhaltigen Bildungslandschaft möglicherweise auch mit einer Veränderung des Selbstverständnisses als Schutzgebiet einhergeht, impliziert dieses Rollenverständnis auch einen nach innen gerichteten Entwicklungsprozess. Dabei
ist entscheidend, dass die Umsetzung von BNE eines regional- und kontextspezifischen Vorgehens bedarf, weshalb sehr bewusst auf regionale Erfahrungen, Strukturen und Prozesse als wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung aufgebaut werden kann (vgl. Grapentin-Rimek 2019).
Neben einer Bereitschaft zur Kompetenzentwicklung bei den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (z. B. in Bezug auf Moderationsfähigkeit, Organisation von Fortbildungen, Kommunikation, Akquise von Fördermitteln und Organisation von Verbundprojekten etc.) ist hierfür eine
wichtige Voraussetzung die aktive Unterstützung durch die Leitung des jeweiligen Schutzgebiets. Vergleichbar mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in kommunalen Verwaltungen (Duveneck et al. 2020) nehmen Leitungen von Schutzgebieten
eine zentrale Rolle bei der strategischen Ausrichtung, u. a. bei der Fortschreibung von Pflege- und Entwicklungsplänen, ein. Letztlich ist die nachhaltige Bildungslandschaft nicht nur eine Zielstellung, sondern vor allem ein gemeinsamer Lernprozess, in dem sich
regionale Akteurinnen und Akteure gemeinsam auf einen Weg machen, regionale Bildung vor dem Hintergrund der globalen und lokalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts weiter oder neu zu denken.
5 Spektrum an Handlungsmöglichkeiten: Aufbau auf lokalen Prozessen und Strukturen
Die beiden hier vorgestellten möglichen Rollenmuster befinden sich auf einem Spektrum an Handlungsmöglichkeiten (vgl. Abb. 1). Bei der Interpretation und damit auch bei der Suche nach der jeweils individuellen Rolle eines
Großschutzgebiets ist es daher entscheidend, dass es zwischen verschiedenen Schutzgebieten eine große Diversität gibt. Vor diesem Hintergrund dienen die hier dargestellten Rollen als mögliche Leitperspektiven auf einem Spektrum an Möglichkeiten. Dabei ist auch eine Verschränkung beider
Rollenprofile möglich: In dieser kombinierten Rolle agiert ein Großschutzgebiet als Vernetzungsstelle und richtet außerdem die eigene Bildungsarbeit ganzheitlich auf BNE aus. Beide Rollenmuster stehen letztlich in direkter Verbindung mit den Potenzialen von Großschutzgebieten für eine
ganzheitliche BNE-Umsetzung in den Regionen.
Abb. 1: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in Naturparken, Biosphärenreservaten und Nationalparken: beispielhafte Auswahl an Handlungsmöglichkeiten.
Fig. 1: Education for Sustainable Development (ESD) in nature parks, biosphere reserves and national parks: A selection of possible actions.
Zwei zentrale Konzepte liegen den Überlegungen zugrunde: BNE als gesamtinstitutionelle Aufgabe (Whole Institution Approach) und BNE als Kern einer nachhaltigen regionalen Bildungslandschaft. Beide Konzepte können in der Praxis auf unterschiedlichste Weisen miteinander verwoben und
verbunden werden. Um diese Potenziale nutzen zu können, bedarf es notwendigerweise auch struktureller Voraussetzungen für Großschutzgebiete selbst. So beschreibt beispielsweise Leng (2009) in Bezug auf die BNE-Umsetzung in europäischen
Großschutzgebieten, dass es neben regionalspezifischen Konzepten und einer Reflexion über die eigenen Rollen insbesondere ein klares Bekenntnis zum Stellenwert von BNE in Schutzgebieten braucht. Dies impliziert neben einer Priorisierung in Pflege- und Entwicklungskonzepten auch eine
stärkere Einbettung in die Landesstrategien, Verfügbarkeit von Förderungen und die Bereitstellung entsprechender Stellenformate (vgl. auch Marwege 2014).
Während in vielen Schutzgebieten bisher nur einige spezifische Facetten von BNE betrachtet oder einbezogen werden (vgl. Leng 2009; Marwege 2014), beschreiben die beiden hier vorgestellten Rollen
innerhalb eines Spektrums an Möglichkeiten jeweils eine ganzheitliche Herangehensweise an BNE. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass es zu Rolle(n) von Großschutzgebieten in der regionalen BNE-Umsetzung sowohl einen Bedarf für weitere Forschung als auch für die Entwicklung tragfähiger
Konzepte für die Praxis gibt. Dieser Beitrag kann daher auch einen Anlass für Praxis und Wissenschaft darstellen, über Potenziale und Rolle(n) von Großschutzgebieten in der BNE-Umsetzung neu zu reflektieren. Dass sich eine solche Reflexion über Wege der Fokussierung auf Nachhaltigkeit
als übergreifenden Kern regionaler Bildungslandschaften lohnen kann, zeigen nicht zuletzt auch die Ergebnisse des bundesweiten BNE-Monitorings: So wünschten sich 2018 beispielsweise deutschlandweit Lernende in etwa eine Verdreifachung der Zeit, in der sie sich mit Nachhaltigkeit
in ihrem Bildungsalltag auseinandersetzen (Grund, Brock 2018). In enger Zusammenarbeit mit kommunalen Verwaltungen können Großschutzgebiete im Rahmen des Spektrums ihrer Handlungsmöglichkeiten dazu beitragen, dass Nachhaltigkeit eine solch
gewünschte – und notwendige – Grundlage des Lernens in regionalen Bildungslandschaften wird.
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